Humboldt-Forum / Stadtschloss - Der Bauthread

  • ^Vertritt Dorgeloh denn nun die SPK? Ich dachte, das sei Parzinger.

    Genau, Parzinger macht das. Habe nur vergessen die entsprechende DPA-Meldung von heute nachzuliefern: klick mich


    Darin signalisiert Parzinger sogar die Bereitschaft selbst solche Objekte zurückzugeben die nicht im Unrechtskontext stünden.

  • Darin signalisiert Parzinger sogar die Bereitschaft selbst solche Objekte zurückzugeben die nicht im Unrechtskontext stünden.


    Und genau das ist doch der "typisch deutsche Selbstanklagemechanismus", von dem Arty Deco sprach. So weitgehende Äußerungen von vergleichbaren Vertretern aus Frankreich oder dem UK sind mir nicht bekannt, ich lasse mich da aber natürlich gerne korrigieren. Jedenfalls gibt das British Museum nicht einmal Objekte zurück, die auch aus britischer Sicht nicht legal erworben wurden (was ich nicht verteidige). Ich erinnere auch an die Rückgabe der "Berliner Straßenszene" von Ernst Luwig Kirchner an Anita Halpins durch das Brücke-Museum, für die es keine klare Grundlage nach der Washingtoner Erklärung gab.

  • ^ Bitte mal das Zitat von Parzinger komplett lesen. Parzinger sagt weiter: "...wenn sie für die Kultur, für das Land ganz besonders wichtig sind, dann kann man auch darüber reden, dass man so etwas zurückkehren lässt." Das ist diplomatisch für: Wir behalten alles, was nicht unmittelbar mit Verbrechen in Zusammenhang steht, es sei denn, das Herkunftsland kann sehr, sehr gute Gründe anführen, warum wir es zurückgeben sollten. Und das soll ein "typisch deutscher Selbstanklagemechanismus" sein? Eine "Selbstanklage" kommt in diesen Worten nicht im Ansatz vor!


    Die Verweise auf Großbritannien oder Frankreich sind in diesem Zusammenhang übrigens Whataboutism – was hat Provinienzforschung im Kontext der deutschen Kolonialgeschichte mit dem British Museum zu tun?

  • ^ Bitte mal das Zitat von Parzinger komplett lesen. Parzinger sagt weiter: "...wenn sie für die Kultur, für das Land ganz besonders wichtig sind, dann kann man auch darüber reden, dass man so etwas zurückkehren lässt." Das ist diplomatisch für: Wir behalten alles, was nicht unmittelbar mit Verbrechen in Zusammenhang steht, es sei denn, das Herkunftsland kann sehr, sehr gute Gründe anführen, warum wir es zurückgeben sollten.

    Das habe ich eben anders gelesen. Was für ein Land besonders wichtig ist, kann ja sinnvoll nur das betreffende Land selbst sagen. Nach Parzinger würde es also ausreichen, dass Land L sagt, Objekt O ist für uns besonders wichtig, um über eine Rückgabe zu sprechen.


    Die Verweise auf Großbritannien oder Frankreich sind in diesem Zusammenhang übrigens Whataboutism – was hat Provinienzforschung im Kontext der deutschen Kolonialgeschichte mit dem British Museum zu tun?

    Ich bezog mich auf eine vorangegangene Äußerungen von Bato, der auf Arty Deco reagiert hat, habe also ein Gespräch fortgeführt. Im übrigen halte ich es nie für verkehrt, auch mal über die eigenen Grenzen zu schauen um zu sehen, wie es andere so machen.

  • ^ Und wo ist in Deiner Lesart nun die "typisch deutsche Selbstanklage"? Diese Formel stammt ja nicht aus der Debatte um die Kolonialzeit, sondern aus der Auseinandersetzung mit dem NS. Vgl. auch "Schuldkult" und "Fliegenschiss". Sorry, aber da bin ich empfindlich.


    Der Whataboutismus stammt natürlich nicht von Dir, sondern ist weit verbreitet. Festzuhalten bleibt, dass die europäischen Mächte samt und sonders eine Menge Schuld auf sich geladen und einen angemessenen Umgang damit bis heute nicht gefunden haben. Wie machen es die anderen? Die Frage wäre doch: Wie macht man es richtig?


    Ich bin kein Vertreter von "alles zurückgeben!", sondern von Interessenausgleich und Güterabwägung. Ich bin auch kein großer Freund der "post-colonial studies", die "den Westen" allein als Täter und den globalen Süden selbst heute allein als Opfer wahrnehmen wollen. Ich reagiere nur allergisch auf Positionen, die kein Problem mit der Geschichte sehen und die Auseinandersetzung mit der Kolonialzeit als linke Spinnerei abtun (was ich Dir nicht unterstellen möchte, aber man gelangt in solchen Debatten schnell an diesen Punkt).


    P.S.: Ich kriege leider die Funktion mit den geteilten Zitaten in der neuen Forensoftware nicht hin (wo ist nur die schöne HTML-Funktion?). Kann mir das jemand erklären? :saint:

    Einfach den Bereich per Maus markieren den du zitieren möchtest und "Zitat einfügen" anklicken.

  • Die Verweise auf Großbritannien oder Frankreich sind in diesem Zusammenhang übrigens Whataboutism – was hat Provinienzforschung im Kontext der deutschen Kolonialgeschichte mit dem British Museum zu tun?

    Bei den Benin Broncen hatte das Britische Museum seine Finger wohl mit im Spiel.

    Hierzu gibt es ein aktuell sehr interessantes Buch: "The Brutish Museums" von Dan Hicks.

  • In den Jahren nach der Wiederaufbauentscheidung, als quasi hektisch, nachträglich, über den Inhalt abgestimmt wurde das Konzept eines Weltkultur-Museums entworfen. Ein MultiKulti-Palast sozusagen, in dem die Vielfalt der Weltregionen gefeiert werden sollte.


    Vor allem soll/te so die Museumsinsel ergänzt (i.e. im geographischen und kulturellen Fokus erweitert) werden, die sich auf die Kulturregion Europa und ihre ältesten Kontaktzonen bezieht. Also im wahrsten Sinne des Wortes eine Horizonterweiterung. Und unabhängig davon, wie diese Entscheidung zu Stande kam, teile ich nicht die von einigen vorgebrachte und hier latent mitklingende Kritik, dass es sich um eine unausgegorene, missglückte Entscheidung handle. Ich weiß nicht, inwieweit 'MultiKulti-Palast' wirklich so herablassend gemeint ist, wie es auf mich wirkt. Aber eine Auseinandersetzung mit anderen, durchaus auch entfernteren Kulturen dieser Welt finde ich sehr reizvoll.


    Dass dieser als 'Dialog der Kulturen' durchaus wohlintendierte Blick auf die Welt dennoch mindestens eine gewisse Spur der eurozentristischen und kolonialistischen Perspektive behält, sollte man dabei aber durchaus bedenken und selbstkritisch berücksichtigen. 'Dialog' steht bei mir für Augenhöhe - und dann sollten die ausgestellten Kulturen auch eine eigene Stimme erhalten, angemessen zu Wort kommen (ob und ggf. wie das umgesetzt wird, muss sich zeigen).


    Natürlich kann man so etwas auch komplett abtun und jegliche Sensibilität hierfür als komplexbehaftetes, selbstzerstörerisches Weicheitum herabwürdigen. Ich hingegen finde diesen Kontext wichtig. Man SOLLTE mE beim Betreten eines solchen Museums durchaus im Hinterkopf behalten, welcher Zeitgeist zumindest beim Anlegen der Sammlungen noch herrschte. Ja, es wurden mehr oder weniger ungefragt (teils bewusst selektiv gefragt) Objekte mitgenommen, selbst wenn diese teilweise von hohem symbolischen Wert (ggf. heilig) für die Bevölkerung waren - aber aus dem vermeintlich überlegenen Blick der 'Entdecker' war eben nichts heilig. Es wurden bekanntlich auch menschliche Überreste und selbst lebende Menschen aus den Kolonien mitgebracht und ausgestellt. Dies neben vorgeblichem oder tatsächlichem wissenschaftlichem und bildungspolitischem Interesse (Menschenaffe und Buschneger gaben sich nicht viel und galten als Illustration Darwinscher Theorie) auch als Propaganda für die Kolonien aber auch zur reinen Unterhaltung und Bereicherung. Diese Völker- und Menschenschauen wurden immer größer angelegt. Erst 'Einzelexemplare' und repräsentative Kleingruppen, dann teils ganze Negerdörfer. Das Ganze fand oftmals (so auch u.a. in Berlin) im Kontext von Zoo und Zirkus statt. Und in solch groß angelegter Form gab es das allein in Deutschland vom späten 19. Jahrhundert bis 1940 (übrigens wollten die Nazis zur selben Zeit auch die Museumsinsel erweitern und u.a. mit einem Germanischen Museum in Kontrast setzen). Ein schweizer Zirkus hat diese Tradition dann wohl noch bis in die 60er so fortgeführt, während die typischen deutschen Komplexe eine Wiederaufnahme in den 50ern letztlich erfolgreich verhinderten. Nur zur allerletzten Sicherheit: Das war sarkastisch gemeint.


    Also auch wenn der selbstbewusste, mit sich und seiner Geschichte im Reinen lebende Deutsche (was interessiert mich meines Großvaters Geschwätz und Handeln von Vorgestern?) nicht hören will: Das Rad lässt sich nicht mehr zurück drehen. Das Humboldtforum eröffnet nicht nur im Zentrum Berlins, hinter Preußischen Fassaden sowie unter Kreuz und Textband. Es öffnet auch nahe dem zeitlichen Höhepunkt der Black Lives Matter Bewegung inklusive dem Momentum in Richtung historischer Aufarbeitung, die trotz Corona nicht völlig verstummt ist oder verstummen wird. So wird dieser Dialog auch in Berlin weit lebendiger und öffentlichkeitswirksamer geführt werden - und das ist auch gut so, um mal einen ehemaligen Berliner Bürgermeister zu zitieren. Das kann einer Stadt wie Berlin, welche die Afrikakonferenz beherbergte und von den Nationalsozialisten zum Machtzentrum entwickelt wurde, nur gut tun.


    Übrigens sehe ich inzwischen auch den Beitrag des bald scheidenden Berliner Bürgermeisters zum Humboldtforum weit positiver. Denn immerhin wird es hier einen Dialog und eine Dialektik geben: Wie hat die Welt auf Berlin eingewirkt? Wie hat Berlin in die Welt gewirkt?


    Nach all den vielen Worten nochmals: Ich freue mich nicht nur auf die Fassadenrekos, sondern auch auf den Inhalt. Ich mochte das ethnologische Museum schon immer aber hier gibt es ein ganz anderes Potential. Für mich kommt hier zusammen, was auch nach dem heutigen Zeitgeist zusammen gehört. Wenn es gut gemacht wird, kann es durchaus wichtige Resonanz erzeugen. Wenn es initial schlecht gemacht wird, muss man es sukzessive besser machen.

    2 Mal editiert, zuletzt von jan85 ()

  • Das Humboldt Forum ist architektonisch ein unentschlossener Hybrid aus Alt und Neu.

    Das Humboldt Forum ist inhaltlich eine hastig zusammenfantasierte Melange aus allen möglichen Sammlungen.

    Das Humboldt Forum steht ab heute symbolisch für die kulturelle Zerrissenheit der Deutschen mit ihrer selbstwahrgenommenen Vergangenheit.

    Das Humboldt Forum nimmt weder baulich-ästhetisch noch inhaltlich-funktional eine wegweisende Rolle ein.


    Der einzige Grund, warum das HF in die Schlagzeilen kommt ist die verhältnismäßig zentrale Lage und die Geschichte der Vorgängerbauten auf dem selben Grundstück. Für die Zukunft Berlins ist das Gebäude nutzlos und ohne Inspiration.

  • Das Humboldt Forum ist architektonisch ein unentschlossener Hybrid aus Alt und Neu.: Zustimmung

    Das Humboldt Forum ist inhaltlich eine hastig zusammenfantasierte Melange aus allen möglichen Sammlungen.: Mag sein - das lässt sich aber jederzeit ändern und optimieren

    Das Humboldt Forum steht ab heute symbolisch für die kulturelle Zerrissenheit der Deutschen mit ihrer selbstwahrgenommenen Vergangenheit.: Das ist so und damit hat es doch auch eine Symbolik, die unserer Zeit entspricht.

    Das Humboldt Forum nimmt weder baulich-ästhetisch noch inhaltlich-funktional eine wegweisende Rolle ein.: Das stimmt allein deshalb schon nicht, weil zumindest die 3 rekonstruierten Seiten das alte Ensemble wiederherstellen und sich die Bauten auf der Museumsinsel zum HF hin orientiert hatten.


    Das HF ist daher aus meiner Sicht eine gelungene und wichtige Weiterentwicklung der Innenstadt.

  • Schöne Fotos. Ich finde es immer wieder erstaunlich, wie sehr man sich schon früher über Sichtachsen im Stadtbild Gedanken gemacht hat. Das hast du gut mit den Bildern eingefangen.

    Ich finde es eher erstaunlich, wie wenig man sich heute über Sichtachsen im Stadtbild Gedanken macht...

  • Nicht nachvollziehbar ist, weshalb bis heute nicht die Portaldurchgänge der Passage gestaltet wurden, die angeblich eines der städtebaulichen Highlights des HF sein soll. Die nackten Betonpfeiler sind einfach nur peinlich. Anstatt mit Hochdruck die kunsthistorisch unbedeutenden und ideologisch fragwürdigen Skulpturen des Eosanderportals und der Kuppel zu priorisieren, hätte man zunächst die Portaldurchgänge fertig stellen sollen.


    Jetzt werden Spenden gesammelt um dann wieder die nächste Baustelle und Sperrung bei laufendem Betrieb einzurichten.

    Ich finde diese Priorisierung gut nachvollziehbar. Die Spenden für den Skulpturenschmuck am Eosanderportal waren zweckgebunden, können also nicht einfach umgewidmet werden. Die Fertigung der Skulpturen dürfte außerdem an ganz andere Anbieter gegangen sein, als die Steinarbeiten in den Portaldurchgängen. Das Aufsetzen der Skulpturen selbst hat natürlich vorwiegend symbolischen Wert. Eine Priorisierung der Fertigstellung der Kuppel selbst war aber auch finanziell sinnvoll. Bei der Kuppel sind ja viel mehr Sicherungsgerüste erforderlich. Diese länger stehen zu lassen oder ab- und wieder aufzubauen, um die Portaldurchgänge schneller zu bauen, wäre im Endeffekt teurer geworden.


    Weil die Portaldurchgänge noch nicht fertig sind müssen Besucher zwar derzeit noch Umwege nehmen, aber das dürfte verschmerzbar sein. Und bei besserem Wetter wird auch die Fertigstellung der Durchgänge zügig voranschreiten.

  • ^ Vom Handwerklichen, wie von den Gewerken her gehören die Arbeiten an den Portaldurchgängen eigentlich zum Innenausbau. Ebenso sind hierzu aufwändige Vorarbeiten (Modellierung von Modellen etc.) nötig. In den Durchgängen gibt es zahlreiche Stuckarbeiten, sowie diversen kleinteiligen Bronze- oder Messingguss und Dreharbeiten. Auch Marmor oder Stuckmarmor wurde reichlich verarbeitet (Treppenstufen & Wandverkleidung). Diese Gewerke gab es bei den Fassaden nicht. Wie man die fehlenden Treppenaufgänge räumlich löst, bleibt auch noch unbeantwortet.


    Die Kabelauslässe in den Portal-Gebälk/Stürzen, welche auf diversen Fotos zu sehen waren, machen mir schon sorgen. Hoffentlich kommen hier keine "Modernen"- oder Retroleuchten zum Einsatz, sondern exakte Kopien der durchaus aufwändigen Originale. Alles andere würde hier peinlich aussehen.


    Bevor halbgare Sachen in "retroschick" entstehen, sollte man besser warten. Zudem macht die Ausführung erst dann Sinn, wenn kein schweres Gerät mehr durch die Portale muss (und alle Bitumenkocher verschwunden sind ;).

  • Festzuhalten bleibt, dass die europäischen Mächte samt und sonders eine Menge Schuld auf sich geladen und einen angemessenen Umgang damit bis heute nicht gefunden haben.

    Neulich hatten wir eine Debatte über die Restitutionsfrage. In dem Zusammenhang bin ich auf einen interessanten Vortrag der Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy bei DLF Nova gestoßen – Frau Savoy, die unter anderem als Beraterin von Präsident Macron tätig ist, erläutert die Herkunft dessen, was in den ehemaligen Völkerkunde-Museen Europas so rumsteht. Keine Schockeffekte, keine Moralkeule, aber sehr viel Erkenntnis. Klare Empfehlung.

  • Das Humboldt Forum ist architektonisch ein unentschlossener Hybrid aus Alt und Neu.

    Damals, als die Entscheidung im Bundestag getroffen wurde, war einfach nicht mehr drin als dieser Hybrid. Es war dass Maximale, was damals politisch heraus zu holen war, weil es einfach keine Mehrheit für eine Vollrekonstruktion gegeben hat. Und heute - nachträglich - fragen viele Unwissende, warum man denn keine Vollrekonstruktion gemacht hat. Das liegt daran, weil genau diese Unwissenden am Tag der Entscheidung im Bundestag gefehlt haben, um eine Mehrheit für eine Vollreko zu bilden.


    Die Zustimmung zum Stadtschloss/Humboldt-Forum ist erst während der Bauzeit gestiegen. Ich kenne Leute, die erst während der Bauzeit ihre Meinung geändert haben. Zuerst wollten diese den Palast der Republik behalten. Und heute sind die genau gleichen Leute froh darüber, dass man die barocken Fassaden aufgebaut hat. Entscheidend war aber der Tag, an dem im Bundestag über das Ausmaß des Wiederaufbaus entschieden wurde. Und an diesem Tag gab es noch nicht die breite Zustimmung zum Projekt, die es heute gibt.


    Bei diesem Projekt gab es anfangs nur ein paar Schlossbefürworter, die nur wenige Mitstreiter hatten. Gleichzeitig musste diese kleine Gruppe gegen große Widerstände ankämpfen. Trotz der vielen Probleme haben die Schlossbefürworter ein respektables Ergebnis erreicht. Und mit dem sichtbaren Erfolg tauchen dann plötzlich die Schulterklopfer auf, die dann plötzlich kluge "Tipps" geben wollen, wie man es hätte besser machen können.


    Nochmals: das von dir als unentschlossener Hybrid bezeichnete Humboldt-Forum war das Maximale, was man vor Projektbeginn herausholen konnte.

  • Nochmals: das von dir als unentschlossener Hybrid bezeichnete Humboldt-Forum war das Maximale, was man vor Projektbeginn herausholen konnte.

    Ich kenne die gesamte Genese die zum HF geführt hat. Quintessenz: Komplexe demokratische Prozesse sind ungeeignet um hochwertige, originäre Architektur hervorzubringen.

  • Architektenkind Danke für den Link, wirklich interessant. Manchmal denke ich muß man gar nicht so weit schweifen: Hier im Victoria and Albert Museum gibt es mehr deutsche Kunst und Kunstgewerbe, als man glaubt, gefühlt ein Fünftel. Diese kamen allerdings nicht durch kolonialen Beutezug nach London, die Eingeborenen waren entweder des alten Plunders überdrüssig oder ihre weltlichen und religiösen Fürsten gerade klamm. Manchmal war es auch Entwicklungshilfe, wie beim Erwerb der fer de Berlin-Stücke für das beeindruckende Schmuckkabinett, als Erwerb direkt vom Hersteller. Auch etwas closer to home wäre wohl eine Restitution der Mona Lisa von Frankreich nach Italien, der deutschen Reichskleinodien von Wien nach Nürnberg oder des deutschen Postmuseums von Frankfurt nach Berlin.

  • @Architektur-Fan

    Naja, die damalige Lage die zu der Entscheidung geführt hat, war doch etwas vielschichtiger. Es war nicht der Bundestag, der dem Umfang der Rekonstruktion festgelegt hat, sondern die Internationale Expertenkommission. Über die Empfehlung der Expertenkommission würde dann im Bundestag abgestimmt. Zudem wurde händeringend eine adäquate öffentliche Nutzung gesucht, um das Projekt zu rechtfertigen.


    Ich glaube nicht, dass wenn eine positivere Stimmung zur Vollrekonstruktion in der Bevölkerung vorhanden gewesen wäre, Nutzung und Kosten zweitranig sind. Das Thema "Rekonstruktion" tangiert die Mehrheit der Bevölkerung nicht sonderlich, auch wenn viele hierzu eine Meinung haben. Im Bundestag wäre niemals eine Mehrheit für ein Milliardenprojekt "Neubau eines Schlosses" mit Hauptnutzung "Schloss" zustande gekommen. Damals hatte man eine Vollrekonstruktion auf über 2 Milliarden geschätzt, was sicherlich nicht die Wiederherstellung von annähernd einhundert historisch bedeutsamen Räumen inkludiert.


    Die Wiederherstellung der innerstädtischen Residenzen in Dresden, oder München hat ebenfalls Milliarden gekostet bzw. kostet es immer noch. Über Jahrzehnte waren die Gebäude nicht nutzbar. Da es sich hierbei um weitestgehend noch in ihren Mauern erhaltene Denkmäler handelt, ist dies auch gesellschaftlicher Konsens.

  • Naja, die damalige Lage die zu der Entscheidung geführt hat, war doch etwas vielschichtiger.

    Ja, die Lage war vielschichtig. Deswegen konnte kein anderes Ergebnis resultieren als ein hybridartiger Kompromiss.


    Quintessenz: Komplexe demokratische Prozesse sind ungeeignet um hochwertige, originäre Architektur hervorzubringen.

    Und welche Konsequenzen sollen wir daraus ziehen? Sollen wir Deutschland in eine Diktatur umwandeln, um die architektonische Qualität von Bauprojekten zu erhöhen? Das kann wohl kaum die Lösung sein.

  • Ich kenne die gesamte Genese die zum HF geführt hat. Quintessenz: Komplexe demokratische Prozesse sind ungeeignet um hochwertige, originäre Architektur hervorzubringen.

    Arty Deco stimme ich zu. Wenn jetzt das Großprojekt Rathausforum mit ME-Forum nach einer Städtebau-Ausschreibung von neuem an den Start geht, ahne ich ganz ähnliche Effekte. Trotz nachvollziehbarem Verständnis für die Wichtigkeit von Spielplätzen, Boccia-Bahnen, Fahrradfahrer, Demos und Freizeitveranstaltungen kann es passieren, dass die Entscheider der Stadt mit Rücksicht auf Wahlen und auf die an Geschichte und Städtebau mehrheitlich uninteressierten Bürger nach x Befragungen, Podiumsdiskussionen und Kompromissen aus dem "sehr prominenten" zentralen Platz einen gesichtslosen Volks- und Freizeitpark entwickeln lassen: Ein paar DDR-Relikte, eine Riesenfläche für Groß-Demos, eine quer zerschneidende Spandauer Straße - und zwischen drin sitzt weiterhin ein verzweifelt guckender Neptun.


    @Zitat: von Architektur-Fan:

    "Und welche Konsequenzen sollen wir daraus ziehen? Sollen wir Deutschland in eine Diktatur umwandeln, um die architektonische Qualität von Bauprojekten zu erhöhen? Das kann wohl kaum die Lösung sein. "

    Nein, diese Alternative stellt sich nicht. Unser Demokratie-System lässt zu, dass hochkomplexe Konzepte und Entscheidungen über ein mehrstufiges Verfahren an Fachgremien delegiert werden. Bürger sollen selbstverständlich befragt werden, aber Politiker sollten sich nicht von unqualifiziertem Bürgerwillen abhängig machen oder beherrschen lassen, sondern von fachkompetenten Gremien beraten lassen.

  • < Netter Versuch mal wieder, so nach dem Motto: 'steter Tropfen hölt den Stein' ?

    und hat auch garnix mit dem Humboldt-Forum Bauthread zu tun.


    Zur Hybrid-Problematik, ich habe mich schon sehr früh hier Forum für eine Vollrekonstruktion der äußeren Gestalt ausgesprochen und bin dafür von den Rekonstruktionsbefürwortern sehr angegangen worden weil sie es für einen Trick der 'gegnerischen Seite' hielten. das ganze Vorhaben zu boykottieren. Daran sieht man auch sehr gut wie vergiftet die Atmosphäre ist, das selbst wer sich für eine Vollrekonstruktion ausspricht als Feind gewertet wird.

    Ich selbst hatte so argumentiert, dass nichts mehr als eine große öffentlich zu besichtigende Baustelle des Stadtschlosses, auch über einige Jahre oder vielleicht ein Jahrzehnt hinweg, unter Einbeziehung aller historischer Gewerke, etwas versönliches und sinnstiftendes in der Mitte der Stadt schaffen würde. Vom PR- Faktor für handwerkliche Berufe, Stadtgeschichte und Identität mal abgesehen. Aber das war ironischerweise selbst von Seiten der Rekonstruktionsanhänger hier nicht gewünscht.

    So ist die Entscheidung für den Hybrid nicht allein auf politischer Seite zu suchen sondern auch auf der Seite der Rekonstruktionsbefürworter selbst, die möglichst schnell unumkehrbare Fakten schaffen wollten.

    5 Mal editiert, zuletzt von Camondo ()