DO: Visionen & Wünsche

  • Meinst du den Adlerturm? Dieser entstand allerdings exakt über dem Original-Fundament eines mittelalterlichen Wehrturms. Nein, für mich ist der Standort in diesem speziellen Fall essentiell. Das Alte Rathaus gehört einfach an den Alten Markt. Eine Rekonstruktion der Fassade wäre für mich daher eine gangbarer (Mittel-)Weg.


    Sollte dies warum auch immer nicht umsetzbar sein, wie wäre es denn mit einem Wiederaufbau der einst so prachtvollen Dortmunder Synagoge? Hier wäre für mich ein neuer Standort übrigens denkbar - und zwar direkt auf der gegenüberliegenden Straßenseite.

  • Ja, natürlich Adlerturm.
    Die Synagoge war wirklich ein Prachtbau, wer ein Gefühl für die Proportionen und den Raumeindruck bekommen möchte, soll nach Essen fahren. Dort steht sie in einem ähnlichen Baustil, heute Museum.
    Ja, hätte ich nichts dagegen, nur dazu muss man die jüdische Gemeinde mit ins Boot holen, ob das klappt, weiß ich nicht. Sollte dann ja auch von denen genutzt werden.
    Aber noch mal zum Alten Markt: Der hat ein völlig neues Gesicht bekommen, dort ist nur noch ein altes Haus aus der Zeit vor dem Krieg stehen geblieben, die Großbauten prägen den Charakter, von daher ist am alten Markt eigentlich kein Platz mehr für das Rathaus.
    Auf der anderen Seite ist das Rathaus ein Identifikationsmerkmal Dortmunds geworden, es wird heute verbunden mit der großen und langen Historie als reichsunmittelbare Stadt der Hanse, es steht heute auch für Dortmunds Wohlstand und blühende Jahre. Ich glaube, dass solch ein zentraler Bau, der die Geschichte einer Stadt widerspiegelt, sehr wichtig ist, wichtiger als der Standort allein. Und noch mal: Was passiert mit der Initiative und dem Engagement, das sich jetzt abzeichnet, wenn sich bei Dreier keine Tür öffnen lässt? Legt man dann das Thema zu den Akten und sagt "vielleicht in zehn Jahren wieder" oder bleibt man dran und denkt über Alternativen nach, die sich natürlich in erster Linie auf den Standort beziehen müssen. Der Friedensplatz könnte ein Standort sein, weil dort baulich nach Osten hin noch eine Lücke besteht , auch andere Standorte wie Hansaplatz oder Kleppingstraße, Ecke Ostenhellweg wären denkbar, an letzterer Stelle würde sich das gut in das Ensemble Marienkirche, Reinoldikirche , Vehoff-Haus einfügen.

  • Ich finde die Diskussion echt lächerlich. Das Bauwerk IST Geschichte, es entspricht nicht mehr den häutigen Ansprüchen, wäre nur eine Imitation und wäre somit überflüssig. Das Ergebnis wäre einfach unpraktischer verbauter Neubau.


    Es wird gar nicht an die heutigen Bauvorschriften gedacht, so ein öffentliches Gebäude würde heute nicht mehr zugelassen werden dürfen. Und das auch zurecht!


    Ich war vor kurzen mit einem Bekannten der im Rollstuhl sitzt in Münster. Die Altstadt ist für so jemanden eine Qual. Ein Nachbau des Mittelalterlichen Rathauses wäre ein diskriminierender Rückschritt.


    Ich will die Dortmunder Geschichte nicht leugnen, aber so eine angepasste Imitation könnte auch in den USA oder China stehen, damit sie sich eine Bautradition aufbauen. Ein kleines Model oder eine Gedenktafel an Orten reicht meiner Meinung nach völlig. Übrigens wer einblicke in das alte Dortmund haben möchte, der sollte in das Museum im Adlerturm oder ins Museum für Kunst- und Kulturgeschichte gehen und sich die entsprechenden Ausstellungen anschauen und nicht die bestehende Stadt verunstalten.


    Dortmund sollte sein Geld wirklich in andere wichtigere Projekte stecken, z.B. den barrierefreiheien Umbau vieler öffentlicher Gebäude oder der Stadtbahn.

  • Rathaus

    Das ist natürlich eine sehr strikte Meinung, die ich aber in Teilen sogar nachvollziehen kann.


    Es kann für mich einzig und allein geschichtliche Gründe haben. Alles andere ist reine Geschmackssache. Ich bin nach wie vor nicht der Meinung vieler, dass „alte“ Architektur immer die bessere ist.


    Wie gesagt, geschichtlich kann ich den Wunsch nach Wiederaufbau verstehen und kann mir ihn auch an anderer Stelle vorstellen. Am aktuellen Platz sehe ich da wenig Möglichkeiten, da es nunmal keinen platz gibt und wohl auch im Rathaus gar noch genug Platz gibt, um die derzeitigen Mieter aufnehmen zu können.

  • Kann ich verstehen, den Standpunkt. Und so wird wahrscheinlich auch die Mehrheit der Dortmunder denken.
    Trotzdem ist das Thema nicht totzukriegen und hat immer wieder in Dortmund große Wellen geschlagen.
    Große Teile der Dortmunder Politik haben sogar beim Plan für den Neubau des neuen Rathauses den Vorschlag unterbreitet, dieses neue Rathaus in der Kubatur und mit der Fassade des Alten Rathauses aufzubauen. Der Plan ist nur deshalb verworfen worden, weil das Rathaus dann zu klein ausgefallen wäre . Die Bereitschaft, es an dem Platz aufzustellen, an dem jetzt das neue Rathaus steht, bestand ebenfalls.
    Ich glaube, dass die Stimmung in der Bevölkerung insgesamt, was Rekonstruktion anbetrifft, anders geworden ist . Das liegt an den erfolgreichen Wiederaufbauten in Dresden, in Potsdam mit dem alten Markt und jetzt auch in Frankfurt, zum Teil in Berlin mit dem Aufbau des Stadtschlosses. Jeder, der in Dresden war, sieht, dass der wieder aufgebaute Neumarkt mit der Frauenkirche ein fantastisches Ensemble darstellt, was sehr große Zustimmung in der Bevölkerung gefunden hat und ein Touristenmagnet geworden ist. Das wird in Frankfurt mit dem Aufbau des Römers dieses Jahr genauso werden. Wir werden sehr viel darüber im Fernsehen sehen und darüber lesen. Potsdam hat bereits bewiesen, dass mit dem Wiederaufbau des alten Marktes und dabei der Anlehnung an das historische Vorbild (Beispiel Palais Barberini, was jetzt Museum ist) ein Magnet für die Stadt und ein Anziehungspunkt für Touristen entstanden ist, der eine enorme Wirkung erzielt. Auch der Wiederaufbau des Stadtschlosses in Potsdam hat dazu beigetragen. Ähnlich wird es mit Sicherheit in Berlin nach dem Aufbau des Berliner Schlosses sein. Von daher kann man niemanden verdenken, dass solche Überlegungen auch für Dortmund eine Rolle spielen, letztendlich auch nur auf kleiner Flamme aber immerhin, und insofern sehe ich das Thema in Dortmund nicht als erledigt an.

  • Visionen soll man ja bekanntlich am Leben halten. Mittlerweile sind virtuelle Rekonstruktionen des Alten Rathauses und des Alten Marktes entstanden, die sich sehen lassen. Ich habe auch mit dem Initiator der Bürgerinitiative Björn Wrocklage gesprochen. Es fehlt an den entsprechenden Strukturen: Die geplante Vereinsgründung wurde bis heute nicht vorgenommen. Und es gibt auch keine Website, auf der man das Projekt einer breiten Öffentlichkeit vorstellen könnte. Wrocklage ist aber optimistisch, dass sich da in absehbarer Zeit etwas bewegen könnte. Wer sich eingehender über den Stand des Projektes informieren möchte, wird hier fündig.


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    Altes Rathaus Dortmund, Zustand um 1240 (Rekonstruktion Christopher Jung nach Eberhard G. Neumann)


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    Altes Rathaus Dortmund, Zustand nach 1899 (Rekonstruktion Christopher Jung)

  • Diskussion um kreative Zwischennutzungen leerer Bestandsimmobilien in der City (aus dem Bauforum hierher verschoben)


    Vermutlich müssten auch die letzten Mieter erst kündigen, um den Todesstoß herbeizuführen. Das Hotel ist sowieso in die Jahre gekommen. Bleiben noch die Disco, das Fitnessstudio und die relativ frisch eingezogene Postbank. Das wird so schnell jedoch nicht passieren.


    Edit: Wobei man sagen muss, dass eine Zwischennutzung absolut denkbar ist. Auch hier muss man kreativ denken und ggf. auf eine Spitzenmiete verzichten. Eine große Modekette wird dort nicht einziehen. Aber warum nicht eine interims Markthalle mit vielen kleineren Ständen oder ein hipper Second-Hand Markt? Kunst? Galerie? Musikertreff? Ein paar Bars in der Ladenstraße als BermudaDreieck XXS? Ein Biergarten im Innenhof gegen den Angstraum? Es gibt genug Menschen die sicherlich tolle und kreative Alternativen umsetzen würden. Vermutlich scheitert es aber an dem geringen Aufwand/Erlös Verhältnis für den Immobilieneigentümer oder am Brandschutz oder an was auch immer. Das Unternehmen ist halt nicht mit der lokalen Gesellschaft verwoben, sodass den Akteuren die Situation vermutlich egal ist.


    Auch wenn das einige Betrachter als kommunistische Grundgedanken verteufeln: Auch hier kann das Ordnungsrecht im Sinne der gesamten Gesellschaft m.E. Grenzen aufzeigen. Eigentum verpflichtet - Insbesondere in gesellschaftlichen relevanten Zentren.

    Einmal editiert, zuletzt von Bibinje ()

  • ^^

    Ich habe mein ganzes Leben als Kultur-& Musikveranstalter bzw. in der Industriedenkmalpflege gearbeitet oder eben an den Schnittstellen dazwischen. Auch habe ich die Aufwertung des Brückstraßenviertels vor 20 Jahren aktiv mitbegleitet. Einige Protagonisten von damals waren später meine Arbeitskollegen in Berlin.


    Will sagen, deine Idee ist sehr gut, die Lage dafür brilliant (das was mit dem Thier-Brauerei-Areal als Freiraum verloren gegangen ist und das was man mit dem U-Brauerei-Areal versaut hat (nicht architektonisch!)--> hier ist nun wirklich nichts kreativ, am sog. "Kreativquartier"] könnte man in bester Innenstadtlage kompensieren. Hbf fussläufig....


    Einzig du wirst die Leute in Do immer noch nicht finden. Was dir vorschwebt kenne ich seit Dekaden aus Manchester ff., da funktionierts. In Do kommt dir der Vermieter schon komisch, weil die Toilettensituation nicht geklärt ist. Aber das wirkliche Problem ist in Do das Angebot von Nachfrage! Genetisch steckt der Stadt noch der "Malocher" in den Kochen, in die Zukunft weisen technologieorientierte Unternehmen und ihre Mitarbeiter. Der universitäre Nachwuchs studiert an einer TU... Zu meiner Zeit, und das nicht ewig her, waren ausschließlich die Pädagogen, die Raumplaner und mit Abstrichen noch der Journalistikstudiengang im kulturellen Stadtbild präsent. Kurzum, es fehlt das Salz in der Suppe, und ich wüsste nicht wo es zeitnah herkommen sollte...

  • Grundsätzlich gebe ich Dir Recht. Die Suppe hat gute Zutaten: eine gute Stadtstruktur, großflächige dichte und urbane Altbauquartiere, eine zwar hässliche Innenstadt, die aber immer mehr zum "Spielen" einlädt, ein attraktives Umland (dessen sich die Stadt nicht bewusst ist), Platz für Experimente bis zum Abwinken und verhältnismäßig moderate Mietpreise. Trotzdem schmeckt es fad. Eine Uni, die Würze bringen könnte, fehlt, da die TU nun mal eine TU ist und das auch noch im Niemandsland. Andererseits könnten auch gerade an einer TU spannende und kreative Leute sein, aber die gehen woanders an einer TU studieren, nämlich dort wo es schon spannend ist. Hinzu kommt die alte, unkreative, antiexperimentelle Malochermentalität: ist doch nicht nötig, brauchen wir nicht, woanders ist auch scheiße.

    Trotz allem gibt es ja durchaus positive Entwicklungen Richtung Großstadt. Durch die Coronapandemie und den zahlreichen Pleiten alteingesessener, aber langweiliger Läden im Kreuzviertel, hat sich dort endlich das großstädtische Angebot in der Erdgeschosszone durchgesetzt, auf das man quasi Jahrzehntelang gewartet hat. Zukunftsweisende Technologieunternehmen wachsen stark und könnten mehr Leute mit mehr Bildung und mehr Nachfrage nach Kultur usw. in die Stadt bringen. Und die Angebote an großstädtischen öffentlichen oder halböffentlichen Nutzungen die es gibt, werden durch aus nachgefragt. Mein Eindruck ist immer öfter, dass es mehr am Angebot fehlt, als an der Nachfrage.

  • Sehr interessante Beiträge und Ansichten von nikolas und Aleon.

    Ich habe schon in mehreren anderen Beiträgen erwähnt, dass man sich in der Stadt auch mal am kleineren Nachbarn Bochum orientieren kann.

    Hier hat man ein funktionierendes Nachtleben und die Innenstadt wird grade mit diversen Projekten aufgehübscht.

    In DO passiert das nur außerhalb der Innenstadt.

    Übrigens, zu meiner Studentenzeit war Dortmund auch mal angesagt, da gab's aber auch noch das Ostwallviertel sowie diverse angesagte Discos.

  • ^^

    "Der Stadt" möchte ich hier nicht umbedingt den Vorwurf machen. Da ist in den letzten 25 Jahren schon viel von Seiten der öffentlichen Hand passiert. So haben das FZW sowie das Domizil einen Standort in der City bekommen, das Museum am Ostwall erhielt eine neue Bleibe, im alten Objekt residiert jetzt das Baukunstarchiv:NRW, das KJT wurde in die City geholt und erhält einen Neubau, ein Konzerthaus wurde gebaut, das Orchesterzentrum NRW nicht zu vergessen, man hat sich für die Ansiedlung des Fußballmuseums stark gemacht, die VHS bekommt demnächst ein neues Zuhause.

    ...Und das was gerade an der Hafenkante verwirklicht wird, finde ich auch mustergültig. Ist halt nicht City, aber noch Innenstadt Nord... Auch das DEPOT in der Immermannstraße ist eine Erfolgsgeschichte.


    Aleon: Angebot oder Nachfrage? Henne oder Ei? Vielleicht können wir uns dahingehend einigen, dass eine kritische Masse an kulturellen Prosumenten noch nicht erreicht ist. ;)

  • Diese Diskussion ist spannend, auch wenn Sie wohl besser in das Stadtgespräch passt. Ich teile viele Ansichten, würde aber einiges weitaus weniger negativ sehen. Das hier bereits erwähnte Wachstum einer Technologie- /IT- /Technikbranche bzw. allgemein vieler zukunftsweisenden Unternehmen ist klasse und wird die Region über viele Faktoren (Zuzug von gut ausgebildeten Mitarbeiterinnen, Steuern, Ansehen) weiter nach vorne bringen. Das ist super wichtig und diese Entwicklungen machen einfach Spaß, wenn man das große Ganze betrachtet. Aber davon mal abgesehen, sprechen wir hier ja über eine Art "kommerzialiserter Subkultur", die gerade für das Image der Stadt bzw. Attraktivität bei jungen bzw. jungen Erwachsenen, d.h. bei den bis Ende dreißig jährigen, wichtig ist. Und auch zu einem Wachstumsfaktor zählt. Nicht umsonst haben Firmen wie Amazon, Zalando oder Lieferando ihre Zentralen im hippen Friedrichshain bzw. Kreuzberg errichtet. Und klar haben wir eine technikgeprägte Hochschullandschaft, was auch gut ist. Aber wir haben auch knapp 15k Studierende an der FH mit kreativen Studiengängen sowie eine RUB nur wenige

    Kilometer entfernt. Und dazu über 5 Mio. weitere Menschen in der Region. Und das "Reisen" für Kulturangebote innerhalb des Ruhrgebietes ist völlig normal. Bochumer fahren nach Essen oder Do und umgekehrt - wenn es sich lohnt und es einfach ist (Stichwort 49€ Ticket / Waben des VRR). Bestes Beispiel ist das kleine Kamen, das vor 10-15 Jahren eine äußerst quierlige alternative Szene hatte, welche aber zum großteil nicht aus der Stadt selbst kam. Anziehungspunkt waren Veranstaltungen die vom örtlichen Tonverein organisiert worden sind. Will sagen: Das "Henne-Ei" Problem in Dortmund ist m.E. eher ein Henne Problem. Wir haben eine Innenstadt mit wenig Einwohnern und durchaus Leerstand. Perfekte Vorraussetzungen um auch mal etwas lauter zu werden. Zugleich geht es vielen Menschen so, das alternative Angebote fehlen. Ein gutes Beispiel ist z.B. der "Londoner" auf der Hohen Straße. Eigentlich nur ein Ort zum Bier trinken. Aber halt etwas hipper, internationaler, mehr großstädtisch. Der Laden ist immer voll. Plump gesagt: Dieses Kreuzviertel-Klientel hat halt keinen Bock auf Cafe-Extrablatt auf der Klepping. Die Stadt würde sich selbst einen Gefallen tun, diese Belebungen zu unterstützen. Nicht in Form von Kreativität. Aber ggf. durch Organisation, (Rechts)-beratung, Immobilienvermittlung oder -bereitstellung und weiteren relevanten Punkten. Weil Fakt ist auch: Das finanzielle Risiko ist leider noch hoch, sodass bei Marktversagen die öffentliche Hand m.E. durchaus eingreifen sollte. Langfristig wird sich dies auszahlen - auch monetär für die öffentlichen Kassen. Allein das man nicht alles erdenkliche dafür getan hat (wenn das so war, korrigiert mich) den Akteuren des Thier-Geländes bzw. des Ostbahnhofes alternative Örtlichkeiten zu vermitteln, ist einfach schade. Gleiches mit dem Skatepark bzw. den Treppen am U. Die Neubauaktivitäten sind wichtig und richtig, dennoch wurde hier ein Klientel vertrieben, welches der Stadt besser tut als ein weiterer Schischa-Laden innerhalb des Wallrings. Man hätte den Skatepark ja auch auf der Kampstr. aufbauen können. Dann wäre da auch etwas Leben.

    Einmal editiert, zuletzt von Bibinje ()

  • Sehr schöne Diskussion - auch wenn sich die Frage nach Henne und Ei nicht lösen lässt - so wäre ein wenig mehr Mut auf allen Seiten (Stadt, Immobilienbesitzer und Gesellschaft) sicherlich gut und würde der Stadt auch toll zu Gesicht stehen. Heisst aber man muss Dinge auch mal neu denken. Bibinje hat es toll gesagt. Der moderne, urbane Dortmunder will kein 3. Extrablatt auf der Kleppingstrasse. Er braucht es auch nicht. Andere Konzepte, wie der Feierabendmarkt am Theater, die neuen Weinlokalitäten in der Innenstadt oder besagter Londoner dagegen sind das, was gut ankommt und Potential hat. Das kann man fördern. Seitens Stadt und Landbesitzern, aber auch jeder Bürger und Tourist selber. Dan läuft man eben ein paar Meter zum Neuen Schwarz als zum Starbucks fürn Kaffee und unterstützt diejenigen, die sich für diese Stadt den Allerwertesten aufreissen.

  • Was in Bezug auf Bochum hervorzuheben lohnt ist die Rolle der dortigen Stadtverwaltung, die bei der Entwicklung des Bermudadreiecks oft als "Ermöglicher" und nicht als "Verhinderer" aufgetreten ist.


    Der Stadtplaner Arnold Voß hat das bei den Ruhrbaronen mal schön beschrieben - https://www.ruhrbarone.de/die-…er-stadtverwaltung/44753/


    Die ganze Serie über die Entstehung des Bermudadreiecks ist übrigens immer noch sehr lesenswert (runterscrollen, alle 20 Teile verlinkt) - https://www.ruhrbarone.de/die-…andortgemeinschaft/46454/



    Ansonsten stimme ich nikolas zu, es fehlt in Dortmund etwas die kritische Masse an Kultur-, Geistes-, und Sozialwissenschaftlern, die es im Ruhrgebiet wohl so nur in Bochum gibt. Demnächst kommt mit dem Umzug der Ev. Popakademie eine weitere Institution dazu.


    Essen ist v.a. eine Lehramtsuni und die treten aus eigener Erfahrung nicht unbedingt kulturell dynamisch auf.


    Man muss aber auch dazu sagen, dass die TU "im Niemandsland" ein wirtschaftliches Erfolgsmodell ist, weil man ansiedlungswilligen Unternehmen und Ausgründungen relativ problemlos Flächen anbieten kann und konnte. Das ist z.B in Duisburg ein größeres Problem. Und Bochum hätte sicher gerne mehr vom technoökonomischen Erfolg Dortmunds, auch wenn man auf das kulturelle Alleinstellungsmerkmal sicher stolz ist.


    Also quo vadis Dortmunder City? Richtung Bermudadreieck? Düsseldorfer Altstadt? Berliner Kiezigkeit?


    Ich bin auf jeden Fall neugierig. Und die passenden Raumplaner, die habt ihr ja. In einer eigenen großen Fakultät.

  • Das "Henne-Ei" Problem in Dortmund ist m.E. eher ein Henne Problem. Wir haben eine Innenstadt mit wenig Einwohnern und durchaus Leerstand. Perfekte Vorraussetzungen um auch mal etwas lauter zu werden. Zugleich geht es vielen Menschen so, das alternative Angebote fehlen. Ein gutes Beispiel ist z.B. der "Londoner" auf der Hohen Straße. Eigentlich nur ein Ort zum Bier trinken. Aber halt etwas hipper, internationaler, mehr großstädtisch. Der Laden ist immer voll. Plump gesagt: Dieses Kreuzviertel-Klientel hat halt keinen Bock auf Cafe-Extrablatt auf der Klepping. Die Stadt würde sich selbst einen Gefallen tun, diese Belebungen zu unterstützen. Nicht in Form von Kreativität. Aber ggf. durch Organisation, (Rechts)-beratung, Immobilienvermittlung oder -bereitstellung und weiteren relevanten Punkten. Weil Fakt ist auch: Das finanzielle Risiko ist leider noch hoch, sodass bei Marktversagen die öffentliche Hand m.E. durchaus eingreifen sollte. Langfristig wird sich dies auszahlen - auch monetär für die öffentlichen Kassen. Allein das man nicht alles erdenkliche dafür getan hat (wenn das so war, korrigiert mich) den Akteuren des Thier-Geländes bzw. des Ostbahnhofes alternative Örtlichkeiten zu vermitteln, ist einfach schade.

    Offene Frage: Ist es Aufgabe der öffentlichen Hand, dem Kreuzviertel-Klientel, Möglichkeitsräume zu schaffen und bei "Marktversagen", also wenn das KV-Klientel die neue Spielwiese nicht nutzt, dem Spielwiesenbetreiber finanziell unter die Arme zu greifen? Das ist doch dann nicht mehr die "kommerzielisierte Subkultur" nach der du dich sehnst? Weil das Ei versagt, die Henne weiter füttern?


    Letztendlich reden wir hier doch bloß über das Freizeitverhalten von privilgierten Mittelschichten. Wenn eine Nachfrage in dieser Richtung spürbar wird, dann nimmt auch sicher jemand Geld in die Hand, um diese abzuschöpfen. Möglichkeitsräume hat DO dafür genug und die Mieten sind auch moderat.


    Ich sehe also weiterhin das Ei in der Pflicht und nicht die Henne und nicht den Staat/ die Stadt. --> Man will diffus etwas, aber macht nicht genug dafür! Man nimmt es entweder nicht selbst in die Hand oder geht dann nicht oft genug dorthin, wo andere es selber machen, damit die dann auch davon leben können.


    In meiner Kindheit gab es mal eine Kapelle aus Düsseldorf, die sich lustigerweise nach unserem Architekturforum benannt hat, die haben mal einen prägnanten Song geschrieben: "Verschwende deine Jugend!". Eine weitere Kapelle, diesmal aus Berlin, die hier sicher mitliest, nennt sich Einstürzende Neubauten --> hiervon begleitete mich stets eine Textzeile. "Nur was nicht ist, ist möglich!".


    Diese "Attidude", dieses nonchalante Einfordern nach utopischem Potential, ist mir in Do fast nie begegnet - und wenn dann doch - dann wohnt es heute in HH oder B und besetzt dort erfolgreich kreative Möglichkeitsräume. In DO muss/oder will man müssen seinen "Arsch erst mal an die Wand zu bekommen". Nachdem der Generationenvertrag mit Kohle, Stahl und Bier - mit all seinen sozialen Verwerfungen - ersatzlos gekündigt wurde, wählt man lieber die sichere Bank --> studiert was technisches, macht auf Lehramt, oder irgendwas mit Versicherungen etc. ff. Das gilt für die, die schon da sind, aber eben auch für die, die von wo anders herkommen, um zu.... Und so formt sich daraus sukzessive eine dominante Sozialstruktur heraus...

    Und wenn die Bedürfnispyramide bis zu diesem Punkt erklommen ist, gibt man sich entweder mit dem Erreichten zu Frieden, oder zieht eben nach Kreuzberg oder ins Schanzenviertel, weil man ja doch was verpassen könnte..


    Fazit: Ich bleib dabei; Dieser Humus trägt noch nicht genug! Da braucht es noch sicher eine ganze Generation, die in ungebrochenem Wohlstand aufgewachsen ist, um selbstsicher dieses utopisch-kreative Potential auch breitenwirksam auszuspielen zu können. Ökonomisch, städtebaulich, etc. weist ja alles in eine ganz gute Richtung, nur man soll auch nicht herbeireden, was noch nicht ist...

  • Und diese Denkweise ist genau das Problem. Wir hätten auch das Dortmunder U abreißen können. Was aus "krieg deinen Arsch erstmal hoch" Kreisen ja auch gefordert worden ist. Dieses Gebäude, bzw. das was man damit gemacht hat, hat einen ganzen innerstädtischen Bezirk gerettet und ist maßgeblicher Teil einer neuen Dortmunder Identität. Oder noch etwas weiter gedacht: Wir könnten auch allen Regionalspielen des Fußballs die Sicheriheitskosten übertragen und das Thema damit beenden, denn es geht ja nur um das "Freizeitverhalten einer unpriviligierten Arbeiterschicht" , um mal in deinem Argumentationsmuster zu bleiben. Wirtschaftskraft einer vielfältigen und diversen Region hängt halt i.d.R., mal abgesehen von einigen Städten der chemischen / bzw. Automobilindustrie, zunehmend von weichen Faktoren ab.


    Zu sagen, dass Dortmund ein Malocherklientel hat, welches zunächst eine Generation Wohlstand braucht um sich solchen Nebenschauplätzen zu widmen, ist einfach zu kurz gedacht und lässt durchaus Zweifel aufkommen, ob man die Breite der Stadtgesellschaft hier überhaupt kennt. Ich halte dagegen und sage: gerade diese verschiedenen Formen einer "kommerzialisierten Subkultur" , und ich bin bereit über den Begriff zu streiten, sind ein wichtiger Schlüssel, um auch verschieden wohlhabende Gesellschaftsschichten miteinander zu verbinden. Ganz konkretes Beispiel: Ins Theater kommen Jugendliche aus bildungsfernen Schichten ggf. über einen Schulausflug. Aber in der hippen Bar um die Ecke besteht die Chance mit Menschen in Kontakt zu kommen, die vielleicht nicht das 0815 Lebensmuster verfolgen und einen Horizont erweitern können. Ich will diesem einen konkreten Beispiel nicht zu viel Bedeutung zukommen lassen, aber ich denke schon, dass dieses Muster auf viele subkulturelle Angebote übertragbar ist.


    Was ist Leipzig ohne das Image von Hypezig oder Dresden ohne die Neustadt? Diese Städte haben damit einen unfassbaren Schatz. Keiner sagt das das 1:1 im Ruhrgebiet übertragen werden soll, aber es spricht m.E. überhaupt nichts dagegen, über öffentliche Gelder solche Entwicklungen anzuschieben. Um so mehr Studies nach dem Studium bleiben wollen und um so mehr Firmen aufgrund des hippen Images ansiedeln (siehe meinen Beitrag zum Ausverkauf von Friedrichshain-Kreuzberg), desto stärker werden diese Investitionen refinanziert.


    Keiner sagt, dass wir eine defizitäre Bar aus Mitteln der Stadt unterstützen sollen. Ich hatte es oben beschrieben: Raumplanung, Vermittlung von Kontakten/Gebäuden, Beratung, Menschen zusammenführen. Ermöglicher statt Vermeider sein, hat m.E. gut gepasst PhilippPro. Die kreative Szene darin bestärken, "kommerzielle Subkultur" zu werden. Wer mal länger als bis zum Haushalt denkt, wird diesen Mehrwert schnell erkennen.

  • ^^

    Dazu passt es ja durchaus dass die Stadt Dortmund nun in die dritte Runde des Wettbewerbs Geschmackstalente geht und dabei wieder 10 Gastronomen bei der Umsetzung Ihrer Ideen in Dortmund unterstützt. Finanziell und mit Netzwerk und Know-How. Viele Projekte der letzten Jahre sind schon umgesetzt.


    PS Insgesamt würde es Sinn machen die vorangegangenen interessanten Beiträge dazu in das Stadtgespräch zu verschieben. Hier passt es nicht ganz. Prinzipiell aus dem Grund, weil der Eigentümer an dieser Stelle definitiv unwillig ist und eher zu den schwarzen Schafen zählt. Da besteht kein Interesse im Sinne der Stadtgesellschaft nachhaltige Nachnutzungen zu etablieren.

  • Weil das Ei versagt, die Henne weiter füttern?

    Aus meiner Sicht besteht die Aufgabe der Stadt darin, die (Innen-)Stadtentwicklung aktiv zu fördern und zu planen.


    Hierzu zählen auch Steuernde Maßnahmen wie beispielsweise das Bereitstellen von Budgettöpfen für Gründer um Geschäftseröffnungen zu fördern (beispielsweise durch geringere Mieten, so wie es aktuell praktiziert wird).
    Unterstützt werden dann idealerweise nur innovative Projekte, die von einem Gremium ausgewählt werden. Ohne starkes Eingreifen seitens der öffentlichen Hand werden wir keine Trendwende erleben.


    Neben kleinen Steuerungsmaßnahmen sollte die Stadt aber in erster Linie als Visionär und Projektentwickler auftreten. Das Areal benötigt einen Masterplan, der die Richtung vorgibt und eine große Vision mit Strahlkraft, die möglichst viele Akteure aktiviert. Idealerweise werden so Synergien aus privaten und öffentlichen Akteuren geschaffen um nicht zuletzt, durch eigene Investitionen (+ Fördergelder) etwas Großartiges zu schaffen.


    Der Phoenixssee und der Dortmunder Hafen zeigen ja, dass es möglich ist.


    Ein Paradebeispiel ist das Haus des Wissens in Bochum. Hier hat die Stadt nahezu schon stoisch gegen alle Widerstände ein Dekaden Projekt auf die Beine gestellt.


    Für das beschriebene Areal könnte ich mir u.a. ein Bier-Quartier vorstellen. Herzstück sind mehrere Braustuben, ähnlich wie man es aus Süddeutschland kennt. Große Wirtshäuser mit Biergärten und angeschlossene kleine Brauereien beispielsweise von Bergmann oder Borussia Bier. Hier wird der alte USP wieder aufgegriffen und Dortmund als Bierstadt Nummer 1 erhält seinen alten Glanz zurück. Hinzu kommt das Bier Museum und weitere Elemente rund um das Oberthema. Das ganze Areal ist natürlich hochwertig und einzigartig gestaltet. (Grün, bunt, begeisternd). Man betritt eine kleine Wohlfühloase in mitten der Stadt und zieht so auch das angesprochene Szene-Publikum in die City.


    Ansonsten finde ich die bereits erwähnten Ansätze auch sehr interessant und vielversprechend.

  • Beitrag von Kieselgur ()

    Dieser Beitrag wurde von nikolas gelöscht ().