Suhrkamp-Verlagssitz (Rosa-Luxemburg-Platz)

  • @ Baukörper


    deine Antwort ist aus vielerlei Gründen schwierig, weil sie einem Narrativ folgt, dem sich aktuell alle populitischen Strömungen bedienen, egal ob von links oder von rechts. Was nicht der eigenen Gedankenwelt entspricht ist gefälscht, unwahr oder "in den Mund" gelegt. Umfragen, die einem nicht passen, sind Fake und alles ist sowieso eine große Verschwörung. Wenn wir mit dieser Argumentation weiter machen, ist irgendwann gar keine Dskussion mehr möglich. Daher finde ich, dass dein Beitrag niemandem hilft, außer vielleicht denen, die eh schon alles immer zu wissen glaubten.


    Ich denke, die Stiftung Baukultur steht nicht im Verdacht, dem Rekolager irgendwie nahe zu stehen und warum Forsa irgendwem etwas in den Mund legen sollte, weiß ich auch nicht. Geht es nach der inhaltlichen Ausrichtung, hätte ich eher etwas drauf verwettet, dass die Stiftung die Ergebnisse zum Thema Rekonstruktionen gar nicht abdruckt. Dass sie es doch getan hat, ist sehr positiv zu bewerten. Dies aber als Meinungsmache abzustempeln, ist einfach unredlich und man muss es leider sagen völlig absurd. Wer sollte an einer Manipulation denn ein Interesse haben?


    Man sollte vielleicht einfach mal anerkennen, dass bestimmte Architekturkonzepte außerhalb des Architekturbetriebs nicht auf ungeteilte Zustimmung stoßen. Und dem "Normalbürger", wenn es den denn übrhaupt git, denn was ist schon normal, zu unterstellen, er sei unfähig, einen Gründerzeitbau von einem Bauhausbau zu unterscheiden, sorry, aber das ist doch einfach populitischer Unsinn. Er kann es vielleicht nicht mit Fachwörtern benennen, aber er ist doch in der Lage zu sagen, was ihm besser gefällt. Und ob es einigen hier im DAF gefällt oder nicht, Altbau kommt einfach besser an. Jetzt könnte man überlegen, ob es an den Vorzügen der Altbauten oder den Mängeln der Neubauten liegt.


    Und hier beim Suhrkampareal geht es doch überhaupt nicht um eine Rekonstruktion, es wäre einfach um gute Architektur gegangen. Und es ist doch völlig in Ordnung, dass es Menschen gibt, die diesem Bau architektonsiche Qualität zusprechen und andere, die Kritik an bestimmten Punkten üben. Darüber kann man ja inhaltlich reden und kontrovers diskutieren. Wenn man aber anfängt, unpassende Meinungen generell abzuwerten und sie unter den Verdacht der bewussten Manipulaton stellt, dann geht das einfach zu weit. Ja, mir gefällt der Suhrkampbau nicht, ja, ich halte ihn sogar aus vielerlei Gründen für einen Fehler, aber dem anderen abzusprechen, er verfolge unredliche Ziele, ist nicht meine Art der Argumentation und sollte es in einer demokratischen Grundordnung auch nicht sein. Denn wenn man dieses Rad weiter dreht, zeigt die USA, wo die Reise hin geht. Und das will ich jedenfalls nicht.

  • Sehr interessante Debatte hier. Es ist wieder einmal so ein Thema bei dem ich merke, dass es offensichtlich tatsächlich recht unterschiedliche Wahrnehmungen zur Ästhetik gibt (was man von beiden Seiten einfach mal hinnehmen kann - und dann natürlich trotzdem sehr gerne weiter darüber diskutieren darf!). Und hier im konkreten Fall Suhrkamp gibt es dazu wohl auch kulturelle Missverständnisse.


    Suhrkamp ist ein Verlag, der sich schon seit Jahrzehnten als progressiv und avantgardistisch begreift. Wer etwa so etwas hier bewusst als Lyrik einstuft, der steht mE auch nicht unbedingt im Verdacht, einen im klassischen Sinne repräsentativen Unternehmenssitz errichten zu lassen und primär einen Mainstreamgeschmack zu bedienen. Die Frage, ob das gelungene Architektur ist, ähnelt mE der Frage, ob das oben verlinkte denn überhaupt Lyrik darstellt. Kann man in einem Literaturseminar oder eben in so einem Architekturforum mal drüber diskutieren - aber man sollte einerseits die provokative, disruptive Grundhaltung des Senders mit berücksichtigen und sich nicht allzu sehr aufregen lassen und man sollte sich andererseits auf eine eher abstrakte Diskussion einlassen wollen.


    Meine Meinung zu dem Bau ist noch nicht vollständig gebildet (ich erhoffe mir einiges von der Einbettung in etwas Grün) aber ich finde mich inzwischen doch näher am ablehnenden Pol und kann gerade die hoch euphorischen Töne nicht wirklich nachvollziehen. Gerade der Beton wirkt wie befürchtet nicht annähernd wie auf den Visualisierungen und insgesamt ist mir das so in der Oberflächenstruktur zu glatt und zweidimensional. Insgesamt wirkt mir die Gestaltung zu grob - wobei ich es nach wie vor immer noch deutlich anspruchsvoller finde als manche Rasterfassade. Aber ich hatte mir mehr erhofft. Bei so großen Flächen hätte speziell der Betonteil mehr Struktur besitzen dürfen.


    Wenn ich nun etwa von feinen(!) Kniffen oder gar dem hübschen Kontrast zwischen kalter Fassade und warm illuminierten Bücherregalwänden während der blauen Stunde lese, wirkt das sogar unfreiwillig komisch auf mich (Berlin ist leider oft genug grau in grau). Das meine ich aber nicht herablassend, sondern nur ganz - subjektiv - ehrlich. Ich schätze die Diskutanten durchaus und respektiere deren Meinung, auch wenn ich sie aus meiner Perspektive zumindest bislang nicht teilen kann. Aber ich werde versuchen, auch mal vermehrt mit diesen Gedanken im Hinterkopf auf den Bau zu blicken.


    Davon abgesehen finde ich es etwas schwierig, wenn man an gefühlt jedem dritten Projekt die große Grundsatzdebatte über moderne Architektur abarbeitet. Natürlich ist das in einem Architekturforum irgendwo nahe liegend aber irgendwann ermüdet es in dieser inflationären Form auch hier, sodass mE wenig Bereicherndes dabei herauskommt. Daher würde ich das Allgemeine kurz halten und die Einordnung und Bewertung des Konkreten betonen wollen.

    Ich habe auch durchaus schon genügend Bauwerke gesehen, wo große Flächen aus Metall, Beton und Glas elegant, skulptural, wertig bis edel und auch einfach zeitlos gelungen auf mich wirken, sodass ich grundsätzlich gar nichts gegen die Moderne sagen möchte. Aber hier im konkreten Fall werde ich voraussichtlich noch viel Zeit und Gewöhnung brauchen, um ggf. mal zu einem ähnlichen Urteil zu gelangen. Dieser Faktor der Gewöhnung wurde hierzu ja u.a. von ElleDeBe auch schon angesprochen und ist mE gerade bei solchen Bauwerken nicht zu unterschätzen.

    2 Mal editiert, zuletzt von jan85 ()

  • In Deutschland hat sich ein durch die mehrdeutige Semantik des Wortes "modern" entstandenes Missverständnis über den Architekturstil "Moderne "" verbreitet. Seit über einem halben Jahrhundert glauben die dt. Hochschullehrer , dass "moderne Architektur" grundsätzlich modern (im zeitgenössischen Sinne) sein muss.


    Heißt: Der u.a. durch Mies van der Rohe als geprägte moderne Architekturstil wird immer wiederkehrend als zeitgenössisch, hip und eben zeitlich modern eingestuft. Wenn man diese architekturideologische Philosophie weiterspinnt gibt es noch in Tausend Jahren "moderne" Architektur im Sinne des minimalistisch gestalteten Beton-Rasterfassade-Flachdach-Baus.


    Da die Architekturrichtung der "Moderne" schon so alt ist kann der Suhrkamp-Bau auch nicht als progressiv eingestuft werden. Denn jeder Autozulieferer in der Provinz, der ein x-beliebiges Vertriebszentrum am Rande einer Kleinstadt hochzieht, baut so wie Suhrkamp in der Torstraße.


    Die freien Betonflächen an der Fassade sind eigentlich nur noch doch großflächige Street Art zu retten. Oder durch starke Farbeelemente, die man als Verkleidung einsetzt.

  • ^ Für mich besteht das grundlegende Missverständnis schon darin, diesen Bau als spezifisch "modern" zu verstehen (wie dies Odysseus tut). Die (funktionale) Moderne war wesentlich von einer Kontextlosigkeit bestimmt. Typische moderne Zeilenbauten konnten in Prag genauso stehen wie in Saarbrücken oder Bern. Das gilt auch für die "Vertriebszentren am Rande von Kleinstädten". Sie entstehen typischer Weise auf der grünen Wiese und sind schon deswegen vollkommen kontextlos, ohne räumliche oder geschichtliche Spuren.


    Genau das aber hat mit dem Suhrkampbau nichts zu tun, denn er ist in höchstem Maße kontextsensibel und, zumindest In diesem Sinne, radikal nachmodern. Das wird aus dem Grundriss m. E. sehr deutlich:


    bildschirmfoto2019-12e5kxp.png

    (Quelle: Bundschuh Architekten, https://bundschuh.net/project/linienstrasse-34/)


    Um nur einige Aspekte zu nennen (sie wurden in diesem Strag wiederholt und präziser ausgeführt): Der nördliche und der südliche Teil knüpfen passend an die östlichen Nachbarn an, der Bau schmiegt sich zudem an den spezifischen Straßenverlauf (spitzer Winkel). Der Verzicht auf eine Blockrandbebauung an der Rosa-Luxemburg-Straße ist keine unsensible Missachtung des Stadtraums, sondern gerade dadurch entsteht ein kleiner, begrünter und potentiell sehr attraktiver Platz; zudem (und durch den kleinen Mittelbau) verschattet der Bau den Innenhof des Nachbarn nicht vollständig, nimmt auf ihn Rücksicht. Hinzu kommen historische Anleihen an die ehemalige Firmenzentrale in Frankfurt a. M.. Aus diesen räumlichen und historischen Bezugnahmen resultiert eine Form, die man, ohne diese Kontexte zu kennen, überhaupt nicht verstehen würde und auf die man nie kommen würde. Nur ein unvoreingenommener Blick auf den Grundriss sollte daher m.E. reichen, den Gegensatz zu einer kontextlosen modernen Architektur zu erfassen.

  • Davon abgesehen finde ich es etwas schwierig, wenn man an gefühlt jedem dritten Projekt die große Grundsatzdebatte über moderne Architektur abarbeitet. Natürlich ist das in einem Architekturforum irgendwo nahe liegend aber irgendwann ermüdet es in dieser inflationären Form auch hier, sodass mE wenig Bereicherndes dabei herauskommt. Daher würde ich das Allgemeine kurz halten und die Einordnung und Bewertung des Konkreten betonen wollen.

    Ich fühle mich durch deinen Beitrag einfach mal angesprochen. Wenn ich Beiträge verfasse, überlege ich mir vorher sehr genau, ob ich nur bei dem spezifischen Projekt bleiben soll oder ob man dem Ganzen eine überkontextuale Bedeutung gibt. Ich gebe selbst zu, dass es manchmal ermüdend ist, wenn man sich öfters wiederholt und auf immer ähnliche Phänomene aufmerksam machen muss. Aber man muss dies auch aus einer anderen Perspektive sehen. Es gibt im aktuellen Architekturbetrieb eine herrschende Meinung. An Universitäten, im Feuilleton, bei den Eliten, generell wird immer das Thema Gleichberechtigung und Toleranz eingefordert und propagiert. Nur ist meine Erfahrung leider, dass die Toleranz und Gleichberechtigung dort aufhört, wo der eigene Gedankenkosmos verlassen wird.


    Und dann bleibt der Minderheit nichts anderes übrig, als immer wieder auf die Probleme hinzuweisen, immer wieder Missstände anzubrangern und nicht locker zu lassen, auch wenn es manchmal ermüdet, auch wenn es manchmal unbequem ist. Aber ohne das bewegt sich nichts. Veränderung lebt auch von Beharrlichkeit und Ausdauer. Daher ist mein Wunsch, dass sich auch der Kultursektor öffnet und bereit ist, andere Meinungen und Ansätze zu akzeptieren und ihnen auch eine Chance auf praktische Umsetzung zu geben. Aber bis dahin ist es noch ein Stück Weg. Und solange hier weiter kritische Stimmen nötig sind, werde ich diese formulieren, auch wenn sich der ein oder andere damit schwer tut.


    Der nördliche und der südliche Teil knüpfen passend an die östlichen Nachbarn an, der Bau schmiegt sich zudem an den spezifischen Straßenverlauf (spitzer Winkel). Der Verzicht auf eine Blockrandbebauung an der Rosa-Luxemburg-Straße ist keine unsensible Missachtung des Stadtraums, sondern gerade dadurch entsteht ein kleiner, begrünter und potentiell sehr attraktiver Platz

    Danke für deinen differenzierten und fachlich bereichernden Beitrag. Deine Analyse ist durchaus zutreffend, in der Bewertung des Ganzen komme ich aber zu einem völlig anderen Schluss als du. Und das möchte ich begründen. Wir haben hier ein Ensemble, was von der Torstraße aus geplant wurde. Ja, es nimmt in Teilen die Struktur des Grundstücks auf, in wesentlichen Teilen aber auch nicht. Sowohl in der Rosa-Luxemburgstraße als auch in der Linienstraße gibt man den Blockrand weitgehend auf. Als erstes stellt sich mir die Frage, warum überhaupt der Bedarf nach einem weiteren Plätzchen besteht, denn die Grünanlage rund um die Volksbühne ist nur ein paar Meter entfernt. Auch am Schnittpunkt Rosa-Luxemburgstraße und Almstadtstraße sind bereits Bäume vorhanden.


    Ja, Stadt lebt auch immer von schönen Parks und einzelnen Grünflächen, zuallererst ist Stadt aber nunmal bebaute Fläche. Ich kann nicht einsehen, warum man die klassische Stadtstruktur aufgibt, um ohne Sichtachsen und eine übergeordneten Grünflächenkonzeption überall diese Mikroplätze zu schaffen. Dies mag in einem singulären Fall noch funktionieren, nur in Westdeutshcland ist man genau diesen Weg ja schon in den 70-ern gegangen. Diese Inszenierung, wie es der Suhrkamp-Verlag macht, funktioniert ja nur solange, wie der Blockrand in der direkten Umgebung erhalten bleibt. Doch was passiert, wenn der nächste Nachbar dies dann auch tut, und dann der nächste, und und und. Das hat man in der BDR doch gemacht. Das Endresultat ist dann kein städtebauliches Konzept mehr, sondern Stadt wird selbst in den Kerninnenstädten zu einer diffusen Fläche, weil ab einem gewissen Punkt die Effekte, die bei diesem Bau als positv beschrieben werden, nicht mehr eintreten, sondern im Gegenteil, sie verkehren sich in das Gegenteil.


    Jetzt kann man sagen, als singuläres Projekt verträgt eine Stadt das. Da gehe ich völlig mit. Nur zeigt die Geschichte, dass es nicht dabei bleibt. Der nächste will dann auch und soweiter. Und da es heute keine übergeordnete Planung von Stadtquartieren mehr gibt, in denen eine zentrale Steurungsinstanz darauf Acht gibt, dass solche Projekte eine Ausnahme bleiben, muss man auf die Gefahren solcher Entwürfe hinweisen.


    Denn wenn diese Bauwerke dann in der Presse gehypt werden, dann wollen andere das auch. Dann geht aber irgendwann der Charakter der europäischen Stadt, wie wir sie kennen, verloren. In der BRD kann man in Teilen sehen, wie destruktiv sich Städte dadurch verändern, mit all den verheerenden Begleiterscheinungen. Daher sollten diese Art Bauten Einzelfälle bleiben und kein Modell sein, wie man Städte in Zukunft weiter entwickelt.

  • Ich kann nicht einsehen, warum man die klassische Stadtstruktur aufgibt, um ohne Sichtachsen und eine übergeordneten Grünflächenkonzeption überall diese Mikroplätze zu schaffen.

    Ich kann nachvollziehen, dass sich manche hier eine Schließung des Bockrandes gewünscht hätten, aber es gibt, wie ich und andere zu begründen versuchten, gute Gründe dafür, sich über den entstandenen kleinen Platz zu freuen. Das gilt für die zukünftige Möglichkeit, dort zu verweilen, unter Bäumen etwas zu trinken oder zu essen, und das gilt für die Nachbarn, die sich freuen, wenn ihr Innenhof dadurch nicht vollkommen verschattet sein wird.


    Nur zeigt die Geschichte, dass es nicht dabei bleibt. Der nächste will dann auch und soweiter.

    Ich halte das für nicht stichhaltig, denn es liegt i.d.R. im Verwertungsinteresse der Bauherren, möglichst die gesamte bebaubare Fläche maximal zu nutzen. Deswegen wird ja z.B. die sehr charmante Möglichkeit, Fassaden auch einmal zurückzusetzen, so selten realisiert.

  • Das Thema mit dem Blockrand bzw. dem bewusst gebrochenen Blockrand ist sicherlich ein Aspekt über den man hier sprechen kann und die Meinungen hierzu sind ja auch mehrfach ausführlich ausgetauscht worden. Da kommen wir mE zu keinem Konsens und ich würde das jetzt so stehen lassen. Zumindest sollte man mE jetzt auch erstmal abwarten, wie der Hof angenommen und (wichtig!) wie er gepflegt wird.


    Ein anderer ebenfalls schon besprochener Aspekt ist natürlich die Anknüpfung an die Umgebungsbauten und dies ist rein von der Kubatur her wohl weitgehend vertretbar. Zugleich ist es aber auch nachvollziehbar, dass ein Unternehmenssitz sich inszenieren will und dies in diesem Falle (ganz im Sinne des Selbstbildes von Suhrkamp) eher nicht über konventionelle Gestaltungsmittel leistet.


    Konkret ist die gewählte grobflächige Außenstruktur und ihre Materialität ein gewisser Bruch mit dem Umfeld, obgleich die Architekten zuvor auch schon einen ähnlichen Bau daneben platziert hatten. Und eben diese Oberflächenstruktur sagt mir nicht wirklich zu:


    1) Die riesigen Fenster wirken tagsüber ohnehin nicht wirklich transparent und verschwinden oft genug gar noch mehrheitlich hinter hellen Rollos, die farblich kaum einen Kontrast zu den Aluminiumelementen leisten. Das wirkt in der Summe wie eine riesige glatte, farb- und leblose Fläche oder Mauer auf mich. Monoton ohne Ende. Da hilft auch ein leichter Knick oder sonst ein "feiner" Kniff nicht mehr viel. Und das relativiert auch erheblich die Relativierung der Bunkerkritik: "Aber es gibt neben dem Beton doch riesige Fensterflächen oder einhundertsoundsoviel Einzelfenster." Realität: Weißliche Wand neben grauer Wand = Abschottung oder Bunkeroptik. Traurigerweise erinnert das sogar (ungewollt?) an den kurzen Übergang, wo gar nicht erst echte Scheiben eingesetzt wurden, sondern gleich nur noch Blenden - und der hier mW auch kritisiert wurde. Wirklich ironisch ist dann, dass man die riesigen Fenster (Fenster = nominelle Öffnungen einer Gebäudehülle) verhüllt und dafür die winzigen Alu-Elemente (nominelle Hülle des Baus) schräg aufklappt, um überhaupt eine - obgleich funktional kümmerliche- Öffnung zu haben. Das ist für mich ästhetisch wie funktional großer Murks. Wie sinnvoll das energetisch ist, wäre dazu auch noch die Frage. Normal sind Fensterflächen energetisch nie optimal und wenn sie dann noch nicht einmal entsprechend genutzt werden... Ist jetzt nicht mehr zu ändern aber vielleicht könnte man im Zuge der nächsten Sanierung wenigstens ein etwas spannenderes Farbkonzept für die Sonnenrollos entwerfen.


    2) Auch die Betonfläche hält für mich leider nicht das, was die Visualisierungen versprachen. Das war damals schon meine große Sorge (dass die Fensterfront so enttäuschend ausfällt, hatte ich damals dagegen noch gar nicht antizipiert und war insgesamt sogar eher vorsichtig optimistisch). Aber gerade Beton wirkt eben leider selten so strukturstark wie damals dargestellt. Die Realität ist jetzt viel glatter und für mich subjektiv auch farblich langweiliger. Hier hoffe ich noch, dass die Patina vielleicht sogar hilft oder man es mit Graffiti oder vertikaler Begrünung etc. versucht.


    In der Summe ist meine positive Neugier eher in Skepsis umgeschlagen. Noch muss man dem Ganzen aber eine Chance geben, sich einzuwachsen und ggf. auch noch nachgebessert zu werden. Die sterile Wirkung wird dann hoffentlich etwas relativiert. Sonst gibt es halt immer noch den Gewöhnungseffekt, der bei mir oft eher für solche Bauten arbeitet, ohne dass ich sie dann wie einige hier feiern kann.

  • ^ Was Du kritisch über die großen Fenster sagst, (Rollos mit geringem farblichen Kontrast, energetische Fragen etc.), finde ich überzeugend, wobei das nicht nur dieses Gebäude betrifft, sondern sehr viele andere, die gerade gebaut werden, denn große Fenster (häufig mit Rollos in beigen, matten Farben) sind aktuell sehr beliebt. Auch in der Linienstraße, übrigens, weshalb man hierbei zumindest nicht von einem Bruch mit dem Umfeld reden kann. (Die von Dir attestierte "Bunkeroptik" kann ich hingegen nicht nachvollziehen.) Die zu öffnenden Alu-Elemente finde ich als Idee interessant, ich habe das bisher noch nicht anderswo gesehen, aber ganz überzeugend scheint mir die Idee nicht. Gleichwohl müsste man das mit anderen Gebäuden mit ähnlich großen Fenstern vergleichen. Kann man die denn öffnen? Wenn nicht, ist mir die Lösung hier lieber.


    Auf dem Grundstück stand vor dem Krieg übrigens eine Blockrandbebauung des Architekten Hans Poelzig. Leider konnte ich dazu weder im Internet, noch in meinen Berlin-Architekturbüchern und selbst in Julius Poseners Hans Poelzig. Sein Leben, sein Werk aufschlussreiche Bilder finden. (Vielleicht weiß jemand hier im Forum mehr?) Das Einzige, was ich fand, war ein Grundriss...




    ...und ein Bild mit einer Andeutung des Gebäudes am linken oberen Bildrand.



    bildschirmfoto2019-1279jhk.png

    (Quelle für beide Bilder: Julius Poseners Hans Poelzig. Sein Leben, sein Werk , Vieweg 1994, S. 224.)



    Bemerkenswert und interessant ist dabei auch die hier erkennbare geplante, aber nicht realisierte Umbauung der Volksbühne von Poelzig. Zwar ist die Fläche zum Teil bebaut und vor mehreren Jahren mit EU-Mittel umgestaltet, mittelfristig wird man hier nicht viel tun können. Da mir der gegenwärtige Zustand westlich und östlich der Volksbühe aber nicht gefallen will, ich ihn eigentümlich unpräsent und unattraktiv finde, fände ich eine Bebauung mit Anleihen an Poelzig langfristig doch erwägenswert.


    Hier der aktuelle Zustand:


    2019-12-2414.46.34zvki0.jpeg

    Bild von gestern & von mir & gemeinfrei.

    Einmal editiert, zuletzt von ElleDeBE ()

  • Die beiden geschwungenen Blöcke links und rechts der Volksbühne sind nicht gebaut worden.


    Luftbild 1933


    Von rechts 1940


    In ElleDeBe's Skizze handelt es sich um Block 2 von Poelzigs Entwurf für die Neugestaltung des Bülowplatzes. Eine bessere Auflösung gibt es hier. Einen Grundriss hier (links oben) und eine Ansicht hier, als Entwurfszeichung (links oben)


    Das müsste ein Foto des Gebäudes sein, vorne sieht man die Gitter des U-Bahn-Eingangs, rechts die Rückseite der Volksbühne.

    6 Mal editiert, zuletzt von Cavendish ()

  • In Deutschland hat sich ein durch die mehrdeutige Semantik des Wortes "modern" entstandenes Missverständnis über den Architekturstil "Moderne "" verbreitet. Seit über einem halben Jahrhundert glauben die dt. Hochschullehrer , dass "moderne Architektur" grundsätzlich modern (im zeitgenössischen Sinne) sein muss.


    Zitat gekürzt.

    Bato


    Das sind wahre Sätze. Moderne und Zeitgenossenschaft müssen sich beileibe nicht decken, da zeitgenössiche Architektur nur die Summe der zu unserer Zeit entstehenden Architektur umfasst. Das Humboldtforum, die Frankfurter Altstadt und das Museum Barberini in Potsdam gehören deshalb unzweifelhaft zur zeitgenössichen Architektur. Das lateinische "modernus" heisst ja nur "heutig, jetzig".


    In der Regel ist aber die abstrakte Moderne gemeint, wenn heute von "moderner Architektur" gesprochen wird, also das was der Architekturtheoretiker Prof. Peter Stephan "revolutionäre Moderne" nennt, weil sie sich in Proportion, Maßstab und Bauweise gegen die Baukunst vor ihr wendet. Zu Unrecht vernachlässigt wird aber die "evolutionäre Moderne", die diesen Bruch gerade nicht mitmacht. Vertreter wären hier Pölzig, Mendelssohn u. a. - alle ebenso unzweifelhaft modern.


    Daß zeitgenössische Architekten ihr eigenes, mitunter fünklassiges Oevre durch framing ("modern") versuchen zu adeln ist nicht neu. Trotzdem erkennt jeder, der Seine optischen Sinne beieinander hat, die Durchschnittlichkeit des Suhrkamp-Baus, der auch als Bürobau eines Rasenmäherherstellers an einem Kreisverkehr in Bielefeld stehen könnte.


    Zudem bleibt sicher nicht "abzuwarten", wie der Sichtbeton altert. Das ist bekannt.

  • ^ Fünf(t)klassig? Warum nicht gleich zwölf- oder siebenundzwanzigklassig? Ich kann den ersten zwei Absätzen einiges abgewinnen. Der dritte ist arrogantes Gewäsch und verlogen obendrein – Du willst den Suhrkampbau verhöhnen, weil Du ihn nicht magst und es Dir zu anstregend ist, ihn zu kritisieren.


    Eigentlich schätze ich Deine Expertise und Deinen Geschmack (der nicht unbedingt meiner ist). Aber spare Dir bitte solche dummen Metaphern (Rasenmäher, Kreisverkehr, Bielefeld). Das ist unter Deinem Niveau.

  • ^ Abgesehen von den Unsachlichkeiten: Ich bin auch von der Trennschärfe der Unterscheidung "revolutionäre" versus "evolutionäre" Moderne nicht überzeugt. Der von Konstantin als Beispiel einer "evolutionären Moderne" genannte "Pölzig" (und wenn damit der Architekt Hans Poelzig gemeint ist) hat eben auch Projekte entworfen, bei denen mir der Bruch mit der Vergangenheit nicht ganz unerheblich zu sein scheint:


    3558zyj98.jpg


    Quelle: Architekturmuseum, Inventarnummer 3558, https://architekturmuseum.ub.tu-berlin.de/P/117317.php

  • Eigentlich schätze ich Deine Expertise und Deinen Geschmack (der nicht unbedingt meiner ist). Aber spare Dir bitte solche dummen Metaphern (Rasenmäher, Kreisverkehr, Bielefeld). Das ist unter Deinem Niveau.

    Auch wenn ich hier nicht angesprochen war: "Bielefeld" war exakt das, was mir in den Sinn kam, als ich das letzte Foto in Beitrag #282 sah, insbesondere auch in Verbindung mit der Bimmelbahn-Haltestelle davor. Um niemanden aus Bielefeld zu provozieren, habe ich in meiner Einschätzung des Gebäudes bewusst nur von einer "mittleren Stadt" gesprochen. :) Vielleicht könnte man auch Witten nennen? Jedenfalls eine Stadt mit Straßenbahn und einer Fußgängerzone, in der eine Betonkugel oder etwas ähnliches herumsteht.


    Ich mag Meinungsbeiträge (Architekturkritik ist im Wesentlichen Meinungsäußerung), die etwas gewürzt ist. Daran ist überhaupt nichts auszusetzen. Wer da so empfindlich ist, sollte sich nicht in einem öffentlichen Forum tummeln. Immerhin hat Konstantin nicht den Berliner Senat kritisiert, hier kann man ja häufig die Minuten zählen, bis Du intervenierst.

  • Daß es zwischen der revolutionären und der evolutionären Moderne eine 100-prozentige Trennschärfe gibt hat niemand behauptet. Wir sind alle Kinder unserer Zeit, das trifft auch für Poelzig, Mendelssohn und weitere Vertreter der Frühmoderne zu. Und nicht jede gezeichnete Architekturfantasie ist maßgeblich - wir beurteilen Schinkel hate auch nicht nur nach seinen romantischen Märchenschloßfantasien.


    Im Kern aber glaube ich, daß die Unterscheidung richtig bleibt, weil der eine eben bewußt brechen, der andere fortentwicklen will (ob er es immer schafft ist eine andere Diskussion). Bei dem Suhrkamp-Bau kann ich strukturell keine Weiterentwicklung zu den Investorenbauten der 1990er-Jahre erkennen (anbei Foto eines Bürobaus der Zeit in Wilmersdorf). Besonders auffällig ist immer die Kontinuität in der Unfähigkeit innerstädtische Erdgeschosszonen mit Bezug zur Öffentlichkeit zu entwickeln.


    m Grunde ist die revolutionäre Moderne misantroph.


    https://model2.de/light/6177/qtgk7a.jpg

    I


    Wegen mangelnder Quellenangabe geurtlt.

  • ^ Solltest Du den Suhrkamp-Bau der "revolutionären Moderne" zurechnen, dann ist Deine Argumentation inkohärent. Zur rev. Moderne sagtest Du zuvor, dass sie sich in "Proportion, Maßstab und Bauweise gegen die Baukunst vor ihr wendet". Genau das trifft aber, gemäß Deiner eigenen Aussagen, gerade nicht für den Suhrkamp-Bau zu, hier kannst Du nämlich "keine Weiterentwicklung" zu den Investorenbauten der 1990er-Jahre erkennen, sondern vielmehr "Kontinuitär". Kontinuität ist aber das Gegenteil von revolutionär.

  • Bevor Cavendishs wertvoller Hinweis auf #309 hinter wenig weiterführenden bloßen Geschmacksbehauptungen verschüttet wird, möchte ich das vom ihm verlinkte Bild vom Vorgängerbau an der Stelle des heutigen Suhrkamp-Baus hier posten und ihm das heutige Pendant gegenüberstellen. Ich habe dabei versucht, den gleichen Winkel zu finden, was aber nicht möglich ist, da der Suhrkamp-Bau weiter in die Torstaße hineinragt und höher ist. Auch die Lichtverhältnisse sind sehr unterschiedlich, was eine Angleichung schwierig machte. Dennoch finde ich den Vergleich interessant:


    f_17797nk6r.jpegArchitekten: Hans Poelzig, Max Krajewsky, Quelle: Architekturmuseum TU Berlin Inv. Nr. F 1779, http://architekturmuseum.ub.tu-berlin.de/P/116903.php


    2019-12-2914.08.581zxjrc.jpeg

    Bild von heute & von mir

  • Den Poelzig-Bau um zwei Stockwerke höher und den Anbau + 1 Etage hätte ich an dieser Stelle als optimal empfunden.
    Den Putz in Sonnengelb oder Bordeaux-rot.


    Tja...

  • Der Suhrkamp-Bau ist keine "revolutionäre Moderne" sondern einfach schlechte Architektur.

    "Schlechte Architektur" bestreite ich, aber dass der Bau keine Moderne ist, da sind wir uns einig. Deshalb finde ich es ja so frustrierend, dass sie ständig bemüht wird, um den Bau zu verreißen – sei es assoziativ ("Zeilenbau", "Siebzigerjahre", "Brutalismus") oder direkt, wie von ArtyDeco, der den Bau hier der "architekturideologischen Philosophie" der Moderne zurechnet. Da gehört er aber nicht hin: Die Moderne als Epoche ging vor rund 40 Jahren zuende, ohne dass ein neues Leitbild an ihre Stelle trat. Auch für die Architektur gilt: Mit der Moderne scheint die Zeit der klar definierbaren Epochen vorbei zu sein.


    Dafür ist der Suhrkamp-Bau ein gutes Beispiel. Einerseits besitzt er mit Glas, Metall und Sichtbeton eine kühle, technische Anmutung, die als Gestaltungsmittel von der (Nachkriegs-)Moderne entwickelt wurde. Andererseits nimmt das Gebäude bezug auf die gewachsene Stadtstruktur und ist in vielfältiger Weise in sein Umfeld eingebettet. In den Sechzigern hätte man ein großes Verlagshaus freistehend gebaut und mit Grünflächen umgeben (und notfalls durch Abriss den Platz dafür geschaffen). Außerdem hat das Haus zur Torstraße hin einen völlig anderen Charakter als zum Luxemburgplatz – zur Straße streng und dominant durch die hohe, glatte Fassade und den spitzen Winkel an der Kreuzung; zum Platz hin lockerer und zurückgenommen durch die versetzten Staffelgeschosse, die kleinen Terrassen und die unterschiedlichen Gebäudeteile. Dass es dennoch keine Hierarchie zwischen vorne und hinten gibt, sondern zwei gleichwertige Schauseiten, findet man selten (und garantiert nicht an einem Kreisverkehr in Bielefeld). Ich werte das als Eigenständigkeit gegenüber modernen wie älteren Vorbildern, die oft rundherum gleich aussehen oder ein starkes Gefälle zwischen Front und Rückseite aufweisen.


    "Modern" ist der Suhrkamp-Bau nur im Sinne von "zeitgenössisch", und "zeitgenössisch" meint hier nur "aktuell". Es bezeichnet, wie Konstantin zu recht schrieb, "die Summe der zu unserer Zeit entstehenden Architektur". Die einordnende Nebenbedeutung des Wortes, nämlich "zeitgemäß", geht verloren, weil es keinen Maßstab mehr gibt, welche Architektur als zeitgemäß gelten kann. Die Moderne hatte – wie jede Stil-Epoche – ein halbwegs stabiles Bewertungsraster ausgebildet, nach dem sich Gebäude beurteilen ließen. Auf dieses Raster konnte sich jeder beziehen, der über Architektur streiten oder nur sein Urteil schärfen wollte. Es bot Befürwortern wie Gegnern eine verbindliche Diskussionsgrundlage. So etwas fehlt heute, weil die Nachmoderne keine eigenen Bezugssysteme ausgebildet hat. In der Folge hat sich der allgemeine Diskurs (nicht nur) über Architektur in zahllose Partikular-Diskurse aufgelöst, die mangels gemeinsamer Kriterien nicht mehr auf einen Nenner kommen.


    Für mich ist der Suhrkamp-Bau zeitgemäß, weil ich ihn für eine gelungene Mischung aus moderner Anmutung, Stadtreparatur und Selbstdarstellung halte. Für andere ist er anachronistisch, weil er mit Sichtbeton arbeitet und den Block offenlässt, obwohl man doch längst erkannt hat, dass Urbanität vom geschlossenen Blockrand abhängt. Für mich ist der Neo-Historismus á la Patzschke anachronistisch, weil er eine schon 1890 als entleert kritisierte Formensprache mit handwerklich und ästhetisch untauglichen Mitteln wieder aufwärmt. Für andere ist der Neo-Historismus zeitgemäß, weil er Wunden heilen soll, an denen Berlin seit bald 80 Jahren blutet. Ich glaube kaum, dass sich diese Gegensätze durch einen neuen Epochenbegriff aus der Welt schaffen ließen. Aber vielleicht würden wir hier dann nicht mehr so oft aneinander vorbeireden.