Leipziger Kaffeeklatsch (plaudern, träumen, ankündigen)

  • ^^
    Nocheinmal, auch wenn ich Gefahr laufe mich zu wiederholen: Soll die Anzahl der Touristen pro Jahr ein Gradmesser sein für gute Architektur? Wenn es danach gehen würde, so müßten wir überall auf die grüne Wiese Schlösser a la Neuschwarnstein klotzen und die Touristen kämen in Scharen.
    Oder auch nicht? Wie bereits erwähnt, wenn Touristen nur die altbackene Architektur lieben; warum ist z.B. Berlin dann auf Platz 1 was die meisten Touristen betrifft?


    Qualitätsvolle Architektur muss nicht historisch sein!

  • Wie bereits erwähnt, wenn Touristen nur die altbackene Architektur lieben; warum ist z.B. Berlin dann auf Platz 1 was die meisten Touristen betrifft?


    Berlin ist ein wenig größer, Hauptstadt, Mythos, sexy und was weiß ich nicht alles, gilt aber garantiert nicht als Magnet auf Grund seiner qualitätsvoller, moderner Architektur.



    Qualitätsvolle Architektur muss nicht historisch sein!


    Seh ich ganz genauso. Ich glaub auch das Leipzig da gar nicht so schlecht da steht, Fakt ist aber und das sag ich aus meiner Erfahrung als Stadtführer, dass die Leute weit mehr das Alte bejubeln.

  • Phoenix:
    bist du dir sicher, dass die meisten touristen überhaupt wegen der architektur nach berlin kommen?


    dass qualitätvolle architektur nicht historisch sein muss, ist doch wohl hoffentlich konsens. es ist wirklich nicht nötig, einen "barocken" flughafen zu entwerfen.


    ich denke, zumindest unterschwellig geht es um die sehnsucht, in austauschbaren stadtlandschaften unverwechselbares zu finden. dafür wurden in deutschland in den letzten 60 jahren zu wenige möglichkeiten geschaffen. im osten widersprach es dem gleichheitsprinzip, im westen dem prinzip der gewinnmaximierung. heraus kamen dabei zu viele kisten und kästen, die viele leute inzwischen einfach satt haben.


    das ist völlig legitim - und hierin liegt auch eine grosse chance: die sensibilisierung für architektur kann dazu beitragen, architekten wieder grössere gestalterische freiheiten zu verschaffen.

  • Berlin ist ein wenig größer, Hauptstadt, Mythos, sexy und was weiß ich nicht alles, gilt aber garantiert nicht als Magnet auf Grund seiner qualitätsvoller, moderner Architektur.


    Das ist, mit Verlaub, totaler Unsinn. Berlin hat jede Menge Highlights moderner Architektur zu bieten, vom Hauptbahnhof über über das GSW-Hochhaus, die Pei-Erweiterung des DHM, die Kuppel des Sony-Centers, Das Trias oder Die Nordischen Botschaften, um nur einige herauszugreifen (sieh dir einfach mal die Berlin-Galerie von User Beschty an). Ich habe übrigens in Berlin nebem dem Studium selbst einige Jahre Stadtführungen gemacht und dabei viele begeisterte Reaktionen erfahren können, wobei interessanterweise ausländische Touristen viel stärker angesprochen haben als Deutsche. Der Grund für Debatten wie diese hier liegt meines Erachtens nach eher darin begründet, daß einerseits viele Deutsche immer noch ein gestörtes Verhältnis zur eigenen Identität haben, andererseits ein zunehmender Phantomschmerz über die Verluste des II.WK und der Nachkriegszeit wahrnehmbar ist.

  • Phoenix:
    bist du dir sicher, dass die meisten touristen überhaupt wegen der architektur nach berlin kommen?


    Eben nicht nur aus diesem Grunde; da spielen noch diverse andere Gründe eine wichtige Rolle !

  • @ Stadtplaner


    Keine Frage, dass Berlin einige moderne Highlights hat, aber kommen denn die Leute tatsächlich, und darum ging es, wegen Hauptbahnhof, der Pei-Erweiterung des DHM oder auf Grund der modernen nordischen Botschaften?

  • Phoenix: Allgemeingültigkeit lässt sich doch nicht auf Bau-Epochen (ich verwende diesen Begriff der Einfachheit halber mal) beschränken, dass habe ich auch nicht gemeint, sondern eher, ob eine bestimmte Form oder Farbe usw. eine "positivere" Wirkung auf den Betrachter hat als eine andere, und inwiefern die sich beeinflussen und interferieren, und ob das in der Architektur der Vergangenheit (nicht auf Historismus beschränkt) unbewusst möglicherweise stärker beachtet wurde (oder z.B. bei Hundertwasser?), weshalb, und da bin ich mir trotz der Subjektivität ziemlich sicher, aber gut, sie die Menschen eher anspricht als moderne oder postmoderne (ausgenommen womöglich dekonstruktivistische), von Sichtbeton, Glas, Metall und rechten Winkeln dominierte Gebäude. Und so richtig weiterentwickelt hat sich das Bauen nur partiell, oder nicht?

  • Warum fahren so viele Touris nach Berlin?

    Ich denke, die Touristen zieht's in erster Linie wegen der kulturellen (bzw. auch subkulturellen) Highlights und der Kunst nach Berlin sowie in den Reichstag nebst Regierungsgelände, das man am Besten mittels einer Spreefahrt erkundet. Die Architektur, sei sie historisch oder modern, ist da sicher erst einmal zweitrangig. Und Berlin gilt, auch wenn man's nicht mehr hören kann, weltweit als kultig und sexy. Dagegen kann Leipzig nun mal leider nicht anstinken...

  • also da ich zur pyronale erst kürzlich in berlin war und ein typisches "touri-wochenende" hatte, kann ich meine meinung als standard-tourist schildern. schön mit stadtrundfahrt etc. und mein eindruck war das berlin mehr vom mythos als hauptstadt und vom kalten krieg lebt. gerade was ausländische touristen angeht. und ich kann meinen vorrednern nur recht geben, dass zwar die moderne architektur auch viele gelungene bauwerke hervorgebracht hat (ja, ich hab was bei der rundfahrt gelernt, in keiner europäischen stadt wurde wärend der 90er soviel gebaut wie in berlin ^^ gibt n bienchen ins mutti-heft), die breite masse sich auch darüber freut, aber nicht deswegen nach berlin gekommen sind. die wollen den reichstag, das brandenburger tor, die museumsinsel (wenn kulturell interessiert), fernsehturm (zählt auch mit zur moderne), von mir aus noch den dom sehen, aber nur selten die saudi-arabische botschaft. und das einzige aus den nachwendeseiten, was ich mir gezielt angeschaut hab war nicht saturn oder galaria-kaufhof am alex sondern der potsdamer platz. aber sonst fällt mir nichts ein, was ich unbedingt sehen wollte. auch der "super" hbf haut mich nun nicht vom hocker. dann find ich den frankfurter schöner.

  • Ergänzen würde ich noch Clubtouristen, die einen großen Teil der 18-30-jährigen Besucher ausmachen. Die nehmen dann noch die Mauer mit und das Brandenburger Tor, kommen aber hauptsächlich deswegen, weil jeden Abend was los ist. Auch die Galerienszene lockt Viele an.


    Wie man sieht, die Gründe nach Berlin zu kommen, sind durchaus ambivalent, Ursprungsfrage war aber, ob mehr Besucher kommen, wenn hübscher gebaut wird. Und das kann man doch recht eindeutig verneinen, sowohl für Leipzig, Dresden als auch Berlin.

  • Ursprungsfrage war aber, ob mehr Besucher kommen, wenn hübscher gebaut wird. Und das kann man doch recht eindeutig verneinen, sowohl für Leipzig, Dresden als auch Berlin.


    Hm, soweit ich den Diskussionsstrang verfolgt habe, verstand ich die Eingangsfrage vielmehr dahingehend ob es in der Bevölkerung einen Konsens bei der Beurteilung von Bauwerken hinsichtlich ihrer Schönheit gibt.


    Bei den beiden sächsischen Metropolen scheint es mir durchaus der Fall zu sein, dass Touristen explizit in diese beiden Städte kommen, weil sie sich an der Vorkriegsbebauung begeistern, bzw. an der Art und Weise wie diese in den beiden letzten Jahrzehnten restauriert und z. T. rekonstruiert wurden.


    Von mir selbst, der ich in den 90ern in Leipzig studiert habe, kann ich sagen, dass ich bereits bei meinem allerersten Aufenthalt dieser Stadt in glühender Verehrung erlegen bin, um es mit ein wenig Pathos zu formulieren. Meine Verbundenheit mit Pleissen-Athen ist selbstverständlich nicht allein auf städtebauliche Aspekte zurück zu führen, aber doch zu einem grossen Teil. Und es sind mitnichten Augustusplatz, Bildermuseum, Petersbogen, Galeria Kaufhof, LZB Sachsen-Thüringen usw., welche diese Bindung bei mir einst ausgelöst hatten.


    Sicherlich gibt es in Leipzig auch sehr gelungene Beispiele aktueller Architektur, „Breuninger“ am Markt z.B.


    Tatsächlich bin der Auffassung, dass es für die Stadt Leipzig, welche mehr und mehr als attraktive Großstadt wahrgenommen wird, immens wichtig ist auf eine qualitätvolle und harmonische Neubebauung im Kernbereich zu achten.


    Dies gilt ebenso für viele Städte in „Mitteldeutschland“ (Erfurt, Weimar, Jena, Bautzen, Görlitz etc.), die sich seit der Wende wunderbar entwickelt haben, so weit ich das beurteilen kann.


    Da auch die vermeintlichen ostdeutschen Musterbundesländer Sachsen und Thüringen nach wie vor unter strukturellen Nachteilen leiden gegenüber vergleichbaren Gebieten im Westen, sind die attraktiven Stadtkerne umso mehr ein wichtiger Konkurrenzvorteil, welchen man nicht zu gering schätzen sollte.

  • ^ Vom ursprünglichen Thema war hier eh schon abgekommen, ich bezog mich eher auf die Tourismusdiskussion in den letzten beiträgen. Alle hin- und hergetauschten Argumente können die Ausgangsbehauptung, die Bevölkerung im Allgemeinen würde ältere Baustile höher schätzen, jedch nicht untermauern. Mehr als mutmaßen können wir nicht, solang dies dann nicht als Fakt hingestellt wird, ist das ja auch vollkommen okay.

  • Ich weiß nicht ob die Beobachtungen ein rein deutsches Phänomen sind, aber sie ließen sich dann eventuell folgendermaßen erklären:


    Durch die teils flächendeckenden Zerstörungen deutscher Großstädte im Zuge des 2. Weltkrieges und dem anschließenden rein modernen Wiederaufbau (inkl. absoluter Verstümmelung von Altbauten) bis heute, sind öffentliche Profanbauten sowie geschlossene Altbaustraßenzüge in vielen Großstädten zur absoluten Mangelware verkommen. Aufgrund ihrer Seltenheit sind sie für die meisten Deutschen zu etwas Besonderem geworden. Die moderne Architektur dagegen kennen die meisten aus ihrem täglichen Leben. In allen möglichen Formen, Farben und Größen. Die moderne Architektur ist zu etwas Gewöhnlichem geworden. Man könnte auch sagen sie hat sich abgenutzt. Ob da noch mehr Verspieltheit und Dekonstruktivität hilft? Ich wage es zu bezweifeln.


    Solange dieser Mangel nicht in gewissem Maße behoben ist, wird wahrscheinlich auch das Bedürfnis danach bestehen.


    Man stelle sich die deutschen Großstädte im Jahre 1920 vor. Nur Altbauten. An jeder Ecke der ganzen Stadt. Keine großflächigen Glasfassaden und -elemente. Wenn heute noch jede deutsche Großstadt nur aus historischer Bebauung bestehen würde, wäre das wohl für die meisten ebenso eintönig und mehr Menschen würden sich über die heute bekannten modernen Farbtupfer erfreuen. Aber die Geschichte wollte es ebenso, dass es heute fast genau andersherum ist.


    Inwiefern meine Vermutung schlüssig ist, kann ich natürlich auch nicht sagen. Das müsste wohl wirklich mal wissenschaftlich erforscht werden. Aber das Aufkeimen der Vielzahl an heutigen Rekonstruktionsbemühungen in vielen deutschen Städten mit der entsprechenden großen Unterstützung aus der Bevölkerung (inkl. Spenden, usw.) muss ja irgendeinen völlig natürlichen und menschlichen Grund haben.

  • Na sicher. Stichwort "Mangelware": Die einzigen Altbauten, die es in meiner 80er-Jahre-Kindheit gab, war unsere durch Umbau (nicht Krieg!) verstümmelte vorgründerzeitliche Kirche und unsere (sehr unspektakuläre) Gründerzeit-Schule („Alte Schule“), in der wir 1 Jahr lang Unterricht hatten. In dem ganzen Bau gab es eine alte Innentür, verdammt breit gemessen an den ganzen neueren Türen. Es war für mich eine architektonische Sensation, wenn wir meine Tante besuchten, die in einem gewaltigen gründerzeitlichen (Gemeinde-)haus in einer süddeutschen Stadt mit einer großen Eingangshalle eine 5-Zimmer-Wohnung bewohnte, das außerdem auch noch gut erhalten war. Mit Blick auf eine ebenfalls geniale alte Kirche. Was mir freilich schon als 6jährigem aufgefallen ist (die Tante zog kurz darauf in einen 70er-Jahre-Eigentumswohnungsbau).


    Ohne Krieg sähen die größeren Deutschen Großstädte wahrscheinlich vielfach ähnlich aus wie das heutige Wien: etwas angegraut, dicht und durchaus mit einzelnen modernen Neubauten dazwischen. Was aber wäre der Wiener Heldenplatz, wenn das berühmte neugotische Rathaus ähnlich geglättet wäre wie jenes in Dresden, jedes zweite der übrigen öffentlichen Bauten ein Nachkriegsneubau wäre wie die Oper in Leipzig oder Dortmund und die Wohnhäuser den Charme des heutigen Kölner Kaiser-Wilhelm-Rings hätten?

  • INSIDER-INFO


    Abgesehen davon, das ich der Insider bin :D


    Im Neuen Rathaus, 5. Etage, findet demnächst eine Ausstellung zu einem Fassadenwettbewerb für das Gasometer/Panometer statt. Hatte es von einer ehemaligen Kollegin zuhören bekommen, die sich jedoch nicht mehr ganz erinnern konnte und auf den Entwürfen die ich heute sah, konnte ich auch nicht erkennen, ob es das Gasometer im Stadtwerke-Viertel oder das Panometer (kleines vermutlich) ist. Der Wettbewerb beinhaltet aber auch innerliche Umgestaltungen.


    Auf jeden Fall sieht es sehr viel-versprechend aus...

  • Gute Frage...


    auf einem Entwurf sah ich, das irgendeiner vorschlägt, im Panometer (sag ich jetzt mal), einen gläsernen Kegel, ähnlich dem des Bundestags, aufzustellen.


    Mehr konnte ich nicht erkennen, da ich in Eile war...

  • Das wäre mal ne gute Sache...das Gasometer an der Roscherstraße wäre dann auch mal dran. Das, was sie in Wien gemacht haben, ist ja auch ne tolle Idee.

  • Wollte den Gasometer in der Roscherstrasse nicht die "Olsenbande" kaufen und daraus ein Hotel machen? Das wär auch eine schöne Idee gewesen, schade das es nicht umgesetzt wurde.