Stadtgespräch Berlin / dies und das

  • Dexter, DaseBLN: Klar, für eine Region, die sich wirtschaftlich ohnehin schon auf eher niedrigem Niveau bewegt, ist die Rezession nicht so stark zu spüren. Ich kann ja auch irgendwie verstehen, dass in Berlin durch die verhältnismäßige Unabhängigkeit von konjunkturellen Schwankungen eine gewissen „Ruhe“ entsteht, die man genießt. Dazu kommen noch die günstigen Mieten, die vielen Grünflächen, das riesige Angebot etc. etc. Genau das ist es ja, was Toursisten und Wahlberliner an der Stadt schätzen.


    Ich finde es aber unpassend, diese Entwicklung als „solide“ und als Vorbild für andere Städte darzustellen. Denn so richtig genießen können diese Ruhe nur bestimmte Bevölkerungsgruppen (Studenten, Rentner, öffentliche Angestellte oder wohlhabende Zweitwohnsitzler). Für die meisten Berliner hat sich die Lage in den letzten Jahren weiter verschlechtert, wie eine aktuelle Untersuchung des Senats zeigt: http://www.taz.de/regional/ber…rennts-auch-am-stadtrand/


    Diese „Armut“ wird ja derzeit gerne als sexy schöngeredet...trotzdem glaube ich, dass es viele Menschen gibt, die „Lebensqualität“ auch oder gerade über berufliche und wirtschaftliche Perspektiven definieren (auch wenn sie dabei vielleicht ein höheres soziales Risiko eingehen). Diesen Menschen helfen auf Dauer keine Grünflächen und günstigen Mieten.

  • @ iconic



    natürlich will ich nicht die lage sozial schwacher mit den positiven seiten berlins wegreden. an deinem punkt ist ja auch leider durchaus was dran. natürlich wäre es für berlin wichtig, auch mehr arbeitsplätze im "realen lohnbereich" auf dem stadtgebiet zu haben.



    aber das sind nun mal dinge die nicht die politik sondern die wirtschaft regelt. insgesamt befindet sich deutschland an nem schwierigen übergang von der industrie- zur postindustriellen gesellschaft. in solchen zeiten baut man keine werke mehr im eigenen land, vorallem nicht in einer stadt in der dafür kein fachpersonal lebt.


    der zug ist weitestgehend für berlin abgefahren. das vor allem süddeutschland (münchen, stuttgart, auch meine heimatstadt nürnberg) da so gut aufgestellt sind, liegt an dem günstigen zeitpunkt der entwicklung dort vor rund 40 jahren, gleich nach kriegsende. als sich die schwerindustire im westen langsam darnieder legte, baute man im süden die zukunftsträchtigen, weil hochtechnologisierten bereiche zusammen mit der infrastruktur kräftig aus.


    aber wie gesagt, auf den zug, der sich auch schon tot gelaufen hat (wie die versuche selbiges in den 90ern in dresden und leipzig zu wiederholen) gezeigt haben, ist es zu spät aufzuspringen.





    berlin muss seine stärken, und das bedeutet zuerst seine lebensqualität und sein image vermarkten. das geht ebenso mit einem langsamen veränderungsdruck in der sozialstruktur der stadt einher. ich finde die derzeitigen verantwortungsträger in politik und verwaltung machen da alles in allem einen super job.


    andere städte scheinen sich davon auch langsam so manches abzuschauen. alleine das sprechen von "quartiersmangement" oder generell von stadtplanung als aufgabe zwischen privaten und staatlichen akteuren war in berlin aufgrund des unglaublichen renovierungsbedarfs zuerst entwickelt worden.


    das know-how vor ort was die sanierung von plattenbaugebieten anbetrifft, ist vorbild für viele osteuropäische städte. auch der abschied von wachstum als motor der stadtpolitik (durch viele finanzielle staatliche richtlinen wie festgemeiselt) wurde in berlin aufgrund des jähem absturzes aus dem diepgenschen wolkenkuckucksheim schnell verinnerlicht.


    in sofern ist die stadtentwicklungspolitik in berlin meines erachtens schon im 21. jahrhundert angekommen während andere städte sich noch an den glauben an stetiges wachstum (v.a. bevölkerung) klammern, auch wenn es real schon seit jahren abhanden gekommen ist. als krasse beispiele kann man da vorallem ruhrpotstädte wie Duisburg nennen.



    D.

  • Um noch einmal auf den Vergleich Phoenix - Berlin zurückzukommen: ich glaube es ist unbestritten, dass Phoenix in den letzten beiden Jahrzehnten einen unglaublichen Zuzug an Menschen erlebt hat, seit 1990 immerhin fast 600.000 laut Forbes und Wikipedia. Dass in diesem Zusammenhang die suburbane Fläche gewaltig gewachsen ist und in dem Zeitraum tatsächlich wesentlich mehr Eigenheime gebaut worden sind als in Berlin und dass zusätzlich Phoenix nun stärker unter der Immobilienkrise leidet ( z.B. http://edition.cnn.com/2009/PO…02/17/obama.foreclosures/) - auch das ist unbestritten.


    Dass sich die Stadt - als Stadt, d.h. im weitesten Sinne als dichter Kulturraum - mehr entwickelt hätte als Berlin, würde ich vehement bestreiten, auch ohne jemals vor Ort gewesen zu sein. Dank Google Earth kann man die städtische Entwicklung von Phoenix gut verfolgen.


    Ein Beispiel aus der unmittelbaren, nördlichen Innenstadt: links der Zustand 1992, rechts der Zustand 2009 ... also ungefähr dem Zeitraum, in dem Phoenix unglaublich gewachsen ist.


    Bilder: Google Earth
    [/URL][URL=http://img522.imageshack.us/img522/4702/phoenix2009.jpg]


    Wie man sieht, so gut wie keine Verdichtung hat stattgefunden, riesige Brachen existieren seit über einem Jahrzehnt.
    Das ist kein schwierig zu findendes Beispiel und kann von jedem mit GE sofort und unmittelbar gesehen werden.


    Diese Stadt als Gradmesser für die Entwicklung Berlins seit 1992 zu sehen, halte ich für sehr bedenklich, wenn nicht gar falsch.

  • Man muss sich in Deutschland prinzipiell von der Vorstellung lösen, dass "Bevölkerungs- & Wirtschaftswachstum einer Stadt" nur innerhalb der politisch definierten Stadtgrenzen dargestellt werden kann.


    Was in Expertenkreisen als Metropolregion beschrieben wird scheint mir in der öffentlichen Wahrnehmung noch nicht angekommen zu sein.


    Die Metropolregion Berlin Brandenburg hat in der Zeit nach 1989 Zuwachs verzeichnet.

  • Phoenix sollte ein Beispiel für eine dynamische Stadtentwicklung seit 1990 sein. Seit dieser Zeit stieg dort die Einwohnerzahl von 960.000 auf 1.600.000. Entsprechend gab es einen Stadtbauboom, mit dem sich Berlin nicht mal am Rande messen kann. Obendrein stieg dort nicht nur die Einwohnerzahl, sondern auch das Pro-Kopf-Einkommen um 1/3. In Berlin stagnierte, grob betrachtet, beides. Dass Berlin vor diesem Hintergrund, relativ gesehen, eine lahme Entwicklung hinlegt, kann nicht wundern. Dass US Städte sich meist nach eigenen, mir selbst auch eher unsympathischen, Mustern entwickeln ist offensichtlich. Aber eine ganz andere Frage.


    Ich will eigentlich auch nicht Phoenix diskutieren. Alle Vergleiche hinken immer irgendwie. Mich hat nur überrascht, mit welcher Binnenperspektive einige Berliner die (Städtebau-)Entwicklung hier, relativ zum Rest der Welt, völlig übertrieben einordnen. Und mit welcher Nonchalence so Mancher es gar nicht schlimm findet, dass selbst in zentralen Bereichen (wie Leipziger Platz) der Städtebau stagniert. Wäre hier die Entwicklungsdruck so gross wie in wirklich dynamischen Städten, wäre der Bereich längst bebaut. Das ist der Punkt den ich versuchte zu machen. Das hat Ursachen (Einwohnerentwicklung, ProKopfEinkommen) und wiederum Auswirkungen (Einwohnerentwicklung, ProKopfEinkommen). Berlin ist lustig für alle, die feiern oder abgesichert sind (Staatsjobs, Renten). Für den Rest ist die Perspektive bescheiden. Menschen, die in (Achtung Klischee) Biberach einen normalen Job haben, und deren Kinder dort auf eine vernünftige staatliche Schule gehen, vegetieren hier generationenübergreifend und bildungsfern in Hartz4-Grossiedlungen.


    Um zum Ausgangspunkt der Diskussion zurückzukommen: Für das "sich Zeit lassen" zahlen viele Leute einen hohen Preis. Wie gesagt: Mit der Mentalität wäre Berlin heute noch ein märkisches Dorf. Unsere Vorfahren in dieser Stadt waren da ganz anders drauf.


    Natürlich hat es Gründe, warum Berlin nicht mehr auf die Beine gekommen ist. Viele wurden im Thread genannt. Aber immer nur solche, die externe Faktoren sind. Krieg und Nachkrieg. Ich bin der Meinung: Es gibt auch viele interne, hausgemachte. Ich bin auch der Meinung: Es war nicht zwingend, dass sich die Prognosen zu Bevölkerungsentwicklung, die es für Berlin direkt nach der Wiedervereinigung gab, so gar nicht erfüllt haben. Da sind nicht immer nur die anderen und die Geschichte schuld.

  • Ich bin der Meinung: Es gibt auch viele interne, hausgemachte.


    Die da wären ? In bezug auf Bevölkerung und Wirtschaft ?


    Sicher man könnte der Bundesregierung vorwerfen nicht vollständig umgezogen zu sein um damit 10000 mehr hochqualifizierte Arbeitnehmer und Steuerzahler in Berlin anzusiedeln. Nicht zu vergessen die UNO Einrichtungen in Bonn, die auch nach Berlin/Potsdam könnten.


    Man könnte der Bundesregierung vorwerfen anstatt 60 Millionen € in die Filmwirtschaftsförderung zu geben nicht 1 Mrd. für den dt. Film bereitzustellen, der aus Berlin das Hollywood Europas machen würde.


    Man könnte Siemens fragen, warum sie nicht ihren Hauptsitz nach Berlin verlagert haben und einen 300 Meter hohen Firmensitz errichtet haben.


    Man könnte auch fragen warum ca. 3 Jahre verschenkt wurden mit dem Flughafenaufbau (BBI), weil man zu lange davon ausgegangen ist, dass Ganze von privater Hand finanzieren zu lassen. Meinst Du solche Versäumnisse ?


    Ich vermute nein, ich vermute dass Deine Kritik höchstwahrscheinlich auf die hiesige regionale Verwaltung (Berliner Senat / ROT-ROT !) abzielt, die jedoch nur ein Faktor und vielen darstellt.

  • @ lothar


    ich persönlich betrachte Berlin alles andere als aus einer Binnenperspektive. Ich betrachte es als Bewohner einer Stadt, die gerade 20 jahre des Booms (anders als der rest Russlands) hinter sich hat. Hier in moskau ist die bevölkerung aufgrund der hohen gehälter im verlgeich zu anderen regionen explodiert. Da Moskau strukturell durchaus als europäische stadt einzuordnen ist (mit gewissem, oft überzeichnetem sonderweg zu sozialistischen zeiten) macht die stadt zu einem guten verlgeichsobjekt mit berlin.

    der boom in zahlen liest sich dabei atemberaubend.
    der anwuchs an qm in büro-, handels- und wohnfläche ist schier astronomisch. die realen löhne sind stark gestiegen und haben westeurpäisches niveau teils sogar überhohlt. Die infrastruktur wurde in vielen megaprojekten ausgebaut die sich andere europäische nicht im ansatz in dieser windeseile leisten könnten.

    moskau hatte an der zahl der milliardäre und millionäre letztes jahr sogar New York hinter sich gelassen und wurde in diesem sinne nr1 weltweit. in moskau herrscht ausserdem vollbeschäftigung, viele ausländer aus dem westen versuchen (oder versuchten) hier ihr glück.


    aber:

    die gestiegenen löhne der breiten masse werden durch die exorbitanten preise für mieten und lebensmittel mehr als aufgefressen. alleine von 2005 auf 2006 haben sich die preise für wohnraum um 60% (!!!) erhöht.
    und daher ist moskau (vielleicht im gegensatz zu berlin) ein absoluter horror für menschen die ihr geld im staatsdienst oder durch renten (was in der hauptstadt ne menge sind) bekommen. die leben jeden tag am rande ihrer existenz weil deren löhne kaum gestiegen sind.

    Die öffentlichen verkehrsmittel, die im Maßstab zu den meisten europäischen metropolen recht üppig bemessen sind, kommen jeden tag an den rand ihrer leistungsfähigkeit. die metro ist mit 10 millionen fahrgästen jeden tag (!!!) die am stärksten frequentierteste der welt.
    die straßen sind vom verkehr so verstopft, das das atmen schwer fällt, das wasser wegen der starken chlorszusätze ungenießbar. das grün wegen der gifte in der stadt ist so belastet, das man nach bäumen, die mehr als 20 jahre alt, sind förmlich suchen muss.

    wohnraum ist trotz der unglaublichen bautätigkeit im wohnraumsektor zu knapp weil man das zuzugsproblem nicht in den griff bekommt. die hauseingänge sind im winter daher von obdachlosen, die dort zum leidwesen vieler nächtigen, überfüllt. migranten, die hier ihr glück im erwerbsleben suchen, leben teils in zelten in parks oder container in hinterhöfen.

    so sehen die kehrseiten eines booms hier in europa aus.
    der "entwicklungsdruck" trägt eben bei zu großer intensität eben recht unmenschliche züge.


    was ich damit sagen will:

    die probleme berlins mögen aus deutscher sicht enorm wirken, aus internationaler betrachtung sind sie luxusproblemchen. das der entwicklungsdruck aus berlin kein moskau macht, ist aus meiner sicht leicht zu verschmerzen. trotzdem kann ich dir insofern recht geben, dass auch ich mir ein größeres, aber organisatorisch steurbares wachstum für berlin wünsche.

    und mit dem argument, nur staatssubventionierte (studenten, rentner) hätten in berlin chancen, wäre ich auch vorsichtig. nirgends ist die möglichkeit ein eigenes kleines business im handwerk oder dienstleistungsbereich so gern angenommen worden wie in berlin.

    die stadt entwickelt sich zu einem ort der menschen chancen gibt! nicht einschränkt. das weiß auch jeder berliner, sonst würde er vielleicht in das von dir erwähnte biberach ziehen. trotzdem bleibt berlin ne großstadt und wird nie ein heimeliges dorf oder ne nette kleinstadt.

    ich fürchte jede bewohner der boomtown moskau würde sofort nach berlin ziehen wenn er es könnte...


    D.

  • Lothar


    Ich sehe nicht das Leute für "sich Zeit lassen" (ich verstehe darunter: eine Situation abzuwägen, die richtigen Schlüsse zu ziehen, sich den Verhältnissen unter Einberechnung von Prognosen anzupassen) einen hohen Preis zahlen müssten.


    Nach der oben genannten Argumentation, müsste es sich nämlich in einem fiktionalem märkischen Dorf Berlin besser leben lassen; die Leute würden "normale" Jobs haben und ihre Kinder auf "vernünftige" Schulen gehen, wie in Biberach, vermeintlich.

  • @ Lothar:


    Für mich ist es völlig unverständlich, warum du den 2. Weltkrieg aus Berliner Perspektive als externen, nicht "hausgemachten" Faktor bezeichnest. Wer, wenn nicht die Deutschen, zu denen die Berliner Bevölkerung eindeutig zählt, sollte diesen Krieg denn deiner Meinung nach "hausgemacht" haben? Auch die Nachkriegszeit ist eine direkte Folge bzw. Konsequenz dieses "hausgemachten" Krieges und damit auch ein interner Faktor der Stadtentwicklung Berlins. Dass diese Faktoren nachteilig für die heutige Dynamik der Entwicklung Berlins sind steht außer Frage. Aus Sicht der Tourismusbranche ist die ehemalige Teilung Berlins jedoch durchaus ein positiver Faktor, da viele Touristen genau an diesem Teil der Berliner Geschichte interessiert sind.

  • Ich denke, dass Lothar mit "hausgemacht" die Ursachen meint, die die jetzige politische Führung oder die der letzten 15 Jahre zu verantworten hat. Das "Haus" von jetzt ist ja irgendwie nicht mehr das Haus von 1940.

  • Da hier Madrid und Berlin kurz verglichen wurden, möchte ich folgendes, recht interessantes aus dem Buch "Die europäische Stadt im 20. Jahrhundert" von Friedrich Lenger und Klaus Tenfelde (Sammelband 2006) zitieren:



    zu Madrids Lage 2006:
    "Der Boom hat freilich auch einen Preis. Sein sichtbarstes Zeichen ist neben dem alltäglichen Verkehrsinfarkt wieder einmal der Wohnungsmarkt. Im Großraum Madrid stehen derzeit 290 000 Wohnungen leer, die Preise haben sich in den letzten Jahren verdreifacht und die meisten Käufer sind erheblich verschuldet. Sollten die Zinsen steigen und die Immobilienblase platzen, hat nicht nur die Stadt ein Problem".



    übrigens lebten in Madrid noch 1973 etwa 35 000 Menschen in Hütten am Stadtrand. Mit dieser Hintergrundinfo verbietet sich ein Vergleich mit Berlin weitestgehend.


    Das Kapitel des oben benannten Sammelbandes aus dem das Zitat stammt:
    "Madrid und Rom. Hauptstädte ohne eigenes wirtschaftliches Fundament?" von Christof Dipper.



    D.

  • "Hauptstädte ohne eigenes wirtschaftliches Fundament?" - klingt eigentlich eher wie eine Beschreibung Berlins...
    Ich verstehe nicht ganz wieso so viele Wohnungen leer stehen und die Preise sich trotzdem verdreifacht haben. Das müsste der Markt doch eigentlich von allein korregieren, oder ist genau das die angesprochene Blase? Wenn ja, dann muss mir mal einer erklären, wie es dazu kommen kann...

  • Die Wohnungspreise sind nicht (immer nur) durch Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage bedingt. Da gibt's viele andere Faktoren die Einfluss auf die Preisentwicklung haben wie Fundamentals wie Realisierungskosten, Landkosten, etc., steigenden Qualität, Mieteentwicklung, Demographie, Zinssätze, oder auch politische Anreize (Steuern), allgemeine Schocks wie Deregulierung, Kreditbedingen, Einkommensveränderungen, Inflations Hedging oder schlichtweg Spekulation.
    Mit Fundamentals ist der krasse Preisanstieg in Spanien nicht zu erklären. Höchstens steigene Qualität könnte, denke ich, einen signifikanten Einfluss haben. Zwar sind auch Erstellungskosten gestiegen, aber das kann den Anstieg in dem Maße nicht erklären. Nachfrage ist ein Grund weshalb viele Wohnungen erstellt wurden, die jetzt nicht bezogen werden können wegen des Preisanstiegs (seit 1996 immerhin inflationsbereinigt verdoppelt bis sie 2006 wieder fallen anfingen). Der Gründe sind deshalb wahrscheinlich steigendes Angebot nach Immobilien als Investment, aufgrund niedriger Zinssätze, bzw. Spekulation.
    Dass dabei die Gewinne evtl. zurückgehen (wegen hoher Leerstände) wurde aufgewogen mit niedrigem Risiko (Gewinne-Risiko ist ja der entscheidende TradeOff): die Volatilität fiel von noch 8% in den frühen 80igern auf 4% in den frühen 2000ern im Aggregat von Industriestaaten. Für Spanien weiß ich zwar jetzt keine konkrete Zahl, ihre Volatilitätsveränderung wird aber eher Treiber des Durchschnittsaggregats als Bremser gewesen sein, behaupt ich mal jetzt ganz salopp.

    2 Mal editiert, zuletzt von Andi_777 ()

  • Der Titel "Madrid und Rom. Hauptstädte ohne eigenes wirtschaftliches Fundament?" bezieht sich auf frühere Entwicklungen.
    Tatsächlich haben weder Madrid noch Rom jemals eine nennenswerte Industrialisierung erfahren (ganz anders als Berlin).



    Der hohe Zustrom an Landbewohnern war nie (wie in Berlin maßgeblich) durch attraktiveren Erwerbsmöglichkeiten verursacht, sondern einfach durch die krasse Armut auf dem Land und dem starken Gefälle zugunsten der Residenzstädte. Vor allem in Spanien, das bis Mitte der 50er bürgerkriegsgezeichnet war, kaum Infrastruktur besaß (ausnahme Katalonien) und wirtschaftlich wie politisch isoliert war.



    Das Madrid als Wohnort attraktiv erschien , lag an dessen Hauptstadtfunktion in einem zentralistisch organisierten und noch dazu bettelarmen Staat. Da die spanische Regierung immer klamm bei Kasse war, blieb die Wonungsfrage bis in die späten 70er ungelöst. Es gab ab den 60ern Wohnbauprojekte, aber die waren angesichts des anhaltenden Zustroms Makulatur.
    Daraus ergibt sich eine schwache Rolle der Stadt/des Staates bei der Wohnungspolitik bzw. Regulierung der Preise. Die seit Mitte der 50er steigenden Reallöhne gingen oftmals zuerst in den Bau eines Hauses oder den Kauf einer (neu errichteten) Wohnung. Daher ist die Baubranche lange jahre DAS Rückrad der spanischen Wirtschaft gewesen und wurde politisch gepäppelt.


    Mieten ist in Spanien kaum üblich, der Markt daher unregulierter als der deutsche. Da Madrid auch lange kaum funktionierende Flächenplanung kannte, explodierte der Immobilienmarkt Madrids schon in den 60ern wie in keinem anderen Land Europas. Die Käufer von Grundstücken (die noch gar nicht zu einer Nutzung bestimmt waren (wohnen, Gewerbe) errichteten oft über nacht Hütten um die Behörden vor vollendete Tatsachen zu stellen. Da Wohnraum so knapp war, drückten die dann eben meist ein Auge zu.



    de facto:
    - extrem hohe Immobilienpreise, auch durch mangelnde Planungsarbeit offzieller stellen bei der Flächennutzungsplanung.
    - kein echter Mietmarkt, da in Spanien eben Wohnraum gekauft wird
    - kaum Regulierung des Mietermarktes
    - kaum staatliche Wohnbauprogramme


    = verzerrter Markt zu Lasten der breiten Masse der Bewohner der Stadt. 290 000 leerstehende Wohnungen (das muss man sich mal ausmalen!) bei gleichzeitiger Wohnraumknappheit ist das offensichtliche Resultat gescheiterter Stadtpolitik.



    man sollte sich also vor atemberaubenden Wachstumsraten nicht so schnell blenden lassen. Erst heute wurde in der SZ berichtet, das viele Käufer der überteuerten Immobilien in Spanien nun ihren Konsum radikel einstelllen müssen, um die Zinsen für ihre Kredite zu bezahlen. Nicht ohne Grund ist Spanien innerhalb der Eurozone (ich meine die Währungsunion)wohl neben Irland das von der Finanzkrise am härtesten getroffen Land und gesamtwirtschaftlich in eine gefährliche Abwärtsspirale geraten.



    D.

  • Nur mal so zwischendurch: Ein wichtiges Fundament der Berliner Wirtschaft ist der Tourismus. Es handelt sich bei diesem Sektor um keinen Nebenerwerb oder zu vernachlässigende Branche. Die Hotelbetreiber und Kongressveranstalter können seit nunmehr 5 Jahren einen Dauerboom vorweisen.


    Man könnte argumentieren, dass die Attraktionen der Stadt über Jahrhunderte aufgebaut wurden und demnach Tradition haben. Darüber hinaus wirkt die weltweite Berichterstattung über die anziehende Metropole als zusätzliche Werbung und kann als permanenter Standortvorteil gewertet werden; Stichwort: "Wo alle hinwollen, will auch ich leben und arbeiten" (oder ein Unternehmen gründen).


    P.S.
    Die anonyme Administratoren Gestapo hat das erträgliche Maß an Eingriffen überschritten.

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  • Früher und heute

    Hallo zusammen, bin heute mal, da es nur 5 Minuten von mir entfernt ist, losgezogen und habe zu der, wie ich meine, nicht ganz unbekannten Aufnahme das heitige Pendant gesucht-und gefunden.
    Es handelt sich um Bülowstraße/Dennewitzstraße, heute eher trostlos...


    Tja, leider hat es mich nicht so froh gestimmt... :nono:




    Quelle:http://upload.wikimedia.org/wi…ra%C3%9Fe_Berlin_1905.jpg



    Quelle: Ich

  • Hilfe, der Anblick von heute tut ja einmal richtig in meinen Augen weh.
    Ich bin geschockt wie weinig von der alten Straßenführung und der alten Bebauung vorhanden ist. Aber es ist glücklicher weise ein Ort der nicht im "Zentrum" steht ,dass ist aber auch der einzge Trost.

  • Hanseat
    Ja, das ist wirklich ein trauriger Anblick. Soll ja ne richtige Touristenattraktion gewesen sein. Schade, dass das Projekt des Generalzuges damals nicht den ursprüngl. Plänen entsprechend realisiert wurde. Wäre das bestimmt eine tolle Sache geworden, hätte man die Hochbahn noch dazu als U-Bahn gebaut...


    Habe die Beiträge #510ff aus dem Aktuelles|Sonstiges-Thread hierher verschoben und Bens Beitrag themenspezifisch geteilt.
    Bato

  • Das ist dochmal ein Gebäude der Moderne(Zukunft)! Solche ähnlichen könnten sie in Berlin auch bauen. Übrigens ich habe mal eine Frage weiß jemand warum es festgelegt wurde das in Berlin "Wolkenkratzer" nur 150m hoch sein dürfen? Das ist ja dann gerade mal ein Wolkenkratzer(ab 150m) wobei das in anderen Großstädten Deutschlands(Hamburg, München,Köln oder Frankfurt) egal wäre wie hoch das Gebäude wird!