Leipzig: Areal Deutrichs Hof

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    Unter den Leipzigern ist die Bezeichnung "Stadt" im Sinne von "Wir gehen in die Stadt" gebräuchlich, als Kurzform von Innenstadt. Seit 1990 etabliert sich auch "City". Altstadt taucht im mir bekannten persönlichen und medialen Umfeld nicht auf.


    Eine Neustadt hat Leipzig "indirekt", der Stadtteil "Neustadt-Neuschönefeld" weist auf die Bebauung der Schönefelder Flur hin (also die wirtschaftliche Ausbeutung der Ebersteinschen Güter).


    Das geringe Alter der Bausubstanz wird im Buch "Wie Leipzigs Innenstadt verschwunden ist: 150 verlorene Bauten aus 150 Jahren" deutlich (ISBN-13: 978-3948049003)


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  • C.S. hat recht - seit ich denken kann wird Stadt als Synonym für Innenstadt verwendet. Würde mich mal interessieren ob es andere (Groß-)Städte gibt bei denen das ähnlich ist. Besagtes Buch habe ich zufälligerweise erst gestern wieder zur Hand genommen - sehr informativ für Gehypezigte.


    Um auf Birtes Frage einzugehen warum die Debatte um Deutrichs Hof so emotionalisiert muss man glaube ich mehrere Umstände berücksichtigen. Zum einen handelte es sich bis zum Abriss um das älteste verbliebene größere Bürgerhaus der Stadt (1653-1655 Baumeister Andreas Egger - laut Leipzig Gestern, Heute und Morgen, Ameli Möbius). Dabei wurden Teile der Fassade und Reste des Galeriehofes geborgen um einen späteren Wiederaufbau möglich zu machen. Diese Reste sollen im Grassimuseum lagern. Man sieht hier also, dass bereits zu DDR-Zeiten ein Wiederaufbau angedacht war. Bei der Planung von GMP-Architekten aus den 90ern war die Einbettung der Fassade ja ebenfalls vorgesehen. Es besteht also schon mal eine etwas andere Voraussetzung als zum Beispiel bei der wiederhergestellten Roßbach-Fassade vom Melia-Hotel. Hier war ja nichts mehr vorhanden und man begründete die Reko mit dem prominenten Namen. Ich hielte es persönlich ebenfalls für "ideologisch" bedenklich eine Fassade eines unbedeutenden Allerweltbaus zu rekonstruieren, bei der nichts mehr vorhanden ist nur um eine historische Kulisse zu implementieren. Dies ist im vorliegenden Fall aber nicht so. Ich glaube außerdem, dass bei vielen Rekobefürwortern die Sorge umgeht, dass an dieser prominenten und viel fotografierten Ecke ein unangepasster Neubau entsteht, der dem schönen Riquethaus nicht gerecht wird - so wählt man dann die scheinbar sichere Bank Altbaufassade bei der man weiß was man bekommt.

  • Ich freue mich über die lebhafte Diskussion!


    Ob man nun Altstadt sagt oder nicht, bringt uns, glaube ich, nicht weiter. Der Begriff ist in Leipzig nicht sehr üblich. Andererseits stehen viele Bauten unter Denkmalschutz, auch Webers Hof, der hier als Beispiel für die Problematiken von Rekos angeführt wurde, aber umgekehrt ein Beispiel ist, wie natürlich sich Rekos ins Stadtbild einfügen können und - außer von Spezialisten - als solche nicht mehr wahrgenommen werden.


    Dass in der Gründerzeit viel abgerissen wurde, ist mir bekannt. Dagegen hätte ich mich hoffentlich gewehrt, hätte ich damals gelebt. Aber deshalb die Gründerzeit-Bauten wegen ihres Stil-Pluralismus schlechtzureden, finde ich nicht richtig. Sie werden doch offensichtlich heiß geliebt! Heute zu bauen wie es vor 100 Jahren das Bauhaus vorgemacht hat, finde ich, wie gesagt, auch historistisch.


    Was jetzt arrogant klingt, ist es nicht. Denn die Architektur verlangt auch ab, dass der Entwurf von den Menschen ausgehalten werden kann. Darum entwirft ja niemand unkundiges herum.

    Und das finde ich eben eine technokratische Sicht, die nicht in unsere Gesellschaft passt. Auch das Argument, der Architekt solle in seinen künstlerischen Freiheiten nicht eingeschränkt werden, ebenso wie ein Maler oder Musiker, zieht m. E. nicht. Abgesehen von der Außenwirkung, die bei Architektur eben eine andere ist, kann der Architekt auch nicht so frei arbeiten wie ein Musiker. Es ist doch offensichtlich: Riesigen Einfluss auf einen Entwurf übt z. B. der Investor mit seinen Vorgaben aus, der wahrscheinlich auch nicht Architektur studiert hat und wahrscheinlich auch nicht in Leipzig wohnt. Das Argument, Hinz und Kunz hätten keine Ahnung von der Materie, ist ein sehr undemokratisches. Schließlich dürfen zur Bundestagswahl oder bei Volksentscheiden auch nicht nur Juristen und Politikwissenschaftler wählen gehen.


    Rekonstruktionen erbeblich größerer überregionaler Bedeutung sind die Dresdner Frauenkirche oder die polnischen Altstädte nach der Kriegszerstörung. Letztere fußten auf der Notwendigkeit, das Selbstwertgefühl einer zerstörten und territorial verschobenen Nation auch baulich wieder zu verankern. Solche Gründe braucht es in Leipzig nicht, der Stadtkorpus ist trotz allerlei Brüche intakt und wird als solches erlebt.

    Da haben wir es wieder, Rekos müssen ihre Berechtigung beweisen und dabei höhere Hürden nehmen als andere Neubauten. Und da frage ich mich: Wo sind diejenigen heute zu hören, die einen Wiederaufbau der Frauenkirche damals aufs Schärfste kritisiert haben? Sind die damaligen Argumente nicht die selben, die heute immer noch wieder und wieder angeführt werden?


    Wir reden hier darüber, ob unter hundert Neubauten zwei Rekonstruktionen erlaubt sein dürfen. Den Widerstand dagegen kann ich mir sachlich nicht erklären. Ebenso wie ich es nicht verstehe, dass ein großer Teil Gestaltungselemente und Traditionen völlig aus der Architektursprache verschwunden sind und allein das Bauhaus als ästhetischer Maßstab gilt. Darin erkenne ich exakt die "Annahme, man hätte alle Stile erfunden und erlebt und kann jetzt in die Trick- oder Mottenkiste greifen" (C. S:). Ein Neubau neben dem Riquet, der so viel kostet wie eine Reko kosten würde, und der Elemente wie Giebel, Erker, Figurenschmuck, Sprossenfenster eigensinnig interpretieren würde, bei dem auch Handwerker und Künstler einbezogen würden, ja das wäre doch was! Dafür wäre ich zu begeistern.


    Für mich sind neben dem Unrecht des Abrisses das Riquet und der Blick vom Markt der Grund, warum ich den Ort emotional wichtig finde. Und das Wissen, dass die aktuelle Baukultur nicht in der Lage ist, sich ästhetisch am Rathaus, der Börse, dem Riquet, Steigenberger und Specks Hof zu orientieren, sonders dass in der Wettbewerbsbegründung wieder stehen wird, der Neubau orientiere sich ganz toll an den nebenstehenden Plattenbauten und habe außerdem eine vermittelnde Farbigkeit / strenge Fassadengliederung / Präsenz zum Platz usw... Formulieren können die Experten ja.

    Unabhängig davon würde ich persönlich einen Deutrichs Hof sicher als schön und zum Riquethaus passend empfinden. Doch Entwerfen ist eben nicht der Jägerzaun ums heimelige Häuschen sondern ein harter Prozess an Entscheidungen.

    Eine Reko durchzusetzen, ist der härteste Entscheidungsprozess, den ich mir denken kann. Zumal es nur um einen kleinen Teil der Fläche geht und für die Entwerfer immer noch genügend zu tun wäre. Die Fassade von Deutrichs Hof ist kein Jägerzaun und man kann ruhig mal dazu stehen, dass man etwas schön findet, auch wenn das aktuell nicht in den ideologischen Mainstream passt.

    meist wird in erster Linie im Sinne der Bewohner gehandelt und nahezu in allen Fällen gefällt es dann auch den Besuchern

    Dazu hätte ich wirklich gern eine Datenbasis. Wenn Birtes Aussage zutrifft, brauchten weder Stadt, noch Investoren noch Architekten Angst vor mehr Bürgerbeteiligung und Volksmeinung zu haben. Haben sie aber offenbar, sonst würden sie die Entscheidungsprozesse nicht so abschotten.


    Ich kann nur als nebenberuflicher Gästeführer sagen: Sowohl Leipzigerinnen als auch Touristen (Ja, das sind keine verschiedenen Spezies Mensch) wollen Altbauten sehen und beschweren sich bei den Führungen über die vielen misslungenen Neubauten- großartige Ausnahmen werden auch gewürdigt. Und es ist den Leuten dabei egal, ob die vermeintlichen Altbauten vor 60, 40 oder 5 Jahren rekonstruiert wurden.


    Im Übrigen hätte ich von dir, Birte, gern noch eine Begründung, warum bei Neubauten alle möglichen wirtschaftlichen Interessen berücksichtigt werden sollen, die harmonische Wirkung an den touristischen Hotspots aber nicht ausschlaggebend sein darf. Ist Tourismus etwa kein bedeutender Faktor für Leipzig? Sollen die Touristen ihr Geld hier lassen, ansonsten aber keine Ansprüche äußern? Meinst du wirklich, dass es keine Leipzigerinnen gibt, die auch als Touristen in ihrer eigenen Stadt unterwegs sind?

  • ^ Na wenn ich schon direkt angesprochen werde: Natürlich ist der Tourismus ein bedeutender Faktor. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass die meisten Touristen nicht in erster Linie wegen der Architektur nach Leipzig kommen.


    Wir sind hier ja in einem Architekturforum. Architektur entwickelt sich weiter - ein Abziehbild eines vor über 50 Jahren abgerissenen Gebäudes zu errichten, ist in meinen Augen ein Rückschritt.

    An der Stelle ein dem Standort würdiges modernes Gebäude zu errichten, das sollte das Ziel sein.


    Die gewünschte Datenbasis liegt in der Bevölkerungsentwicklung und den Tourismuszahlen.

  • ^Architektur entwickelt sich weiter, das soll und darf sie auch. Dennoch verbinden die meisten Menschen bestimmte Städte mit bestimmten Bauwerken. Und genau diese Identifikation mit der Stadt muss weitestgehend erhalten oder eben wiederhergestellt werden. Ansonsten wäre eine Stadt völlig beliebig, in einer solchen Stadt würde ich nicht leben wollen (da gibt es genügend Beispiele in den westlichen BL). Und ja, ich kann es bestätigen: Man hört häufig Kritik an Leipzig, dass es viel zu viele und zu häufig auch misslungene Neubauten innerhalb der Innenstadt gibt. Das beschämt mich zum Teil, weil es nicht abwegig ist. Insofern sehe ich die eine oder andere Reko an bedeutenden Punkten durchaus als gerechtfertigt.

  • Ich stelle mal eine sehr vereinfachte Rechnung auf: Leipzig hat das historische Glück über einen vergleichsweise hohen Altbauanteil zu verfügen. So gesehen ist das unter den deutschen Halbmillionenstädten ein Alleinstellungsmerkmal. Dies trifft vor allem auf die innenstadtnahen Bereiche aber auch auf die Innenstadt selbst zu. Darüber hinaus durchziehen die Stadt eine schier endlose Anzahl an Baulücken und Brachflächen die allerdings peu a peu bebaut werden. Bis dato schien das Verhältnis gefühlt pro Altbausubstanz was jedoch über die Zeit und die Neubauaktivität immer mehr zu "kippen" scheint. So wünschenswert die Bebauung von Brachen ist sollte man dennoch darauf achten das Stadtbild hinsichtlich seiner Attraktivität nicht nach und nach zu erodieren. Bei Städten wie .... (passende Stadt einsetzen), die im Vergleich über viel weniger Vorkriegsbebauung verfügen ist es nicht so schwerwiegend wenn mal der weiße Styrobomber neben dem 50er-Jahre-Bau landet. Auch wenn man in jenen Städten natürlich genauso andere Ansprüche hat und Stadtreparatur mehr leisten sollte. Es macht aber schon einen Unterschied ob ich wie in Leipzig langfristig eine Stadt voller Brüche habe weil es statistisch eben viel wahrscheinlicher ist neben einem Altbau neu zu bauen. Darum ist es teilweise auch so frustrierend zu sehen wie ignorant hier manchmal Neues entsteht (siehe aktuell mal wieder im Wohnungsbauthread). Es scheitert so oft an den simpelsten Dingen wie z. B. der Verzicht auf mausgraue oder polarweiße Fassaden. Das Ergebnis sind dann Straßenzüge durchsetzt mit farbenfrohen und überwiegend toll sanierten Altbauten und dazwischen thront das blanke Grau(en). Ich möchte damit keinesfalls propagieren nun sämtliche Lücken mit Rekofassaden zuzustellen - aber wie es Nuperus schon angemahnt hat sollte man an neuralgischen Stellen durchaus darüber nachdenken dürfen Rekos ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Die Reichsstraßenseite von Deutrichs Hof wäre so eine neuralgische Stelle. Einige weitere würden mir einfallen... histor. Dachgestaltung Stadtbibliothek, Turm und 20Jahre-Fassade vom Volkshaus, Turm der alten Markthalle (integriert in einem Neubau)....

  • ^ Aber ist es nicht irgendwie die Aufgabe dieser Generation, das Stadtbild weiter zu entwickeln, wenn es um die Bebauung von Brachen geht - und nicht, es auf einen alten Stand zurückzuführen?

  • ^ In der Tat, dass ist die Aufgabe einer jeden Generation. Aber warum sollte man es ideologisch verunmöglichen punktuell (!) auf ein Konzept zurückzugreifen, welches anscheinend bei großen Teilen der Bevölkerung funktioniert und aufgrund einer originären Bedeutung (sei es nun architektonisch oder geschichtlich) für ausgewählte Standorte passend erscheint. Oder anders gesagt: Worin besteht der Unterschied einen Rückgriff vorzunehmen bei dem die Architektursprache in einem Fall sagen wir 300 Jahre und im anderen 100 Jahre alt ist. Im Grunde müsste man dann bei jedem neuem Projekt an die Grenzen der Kreativität gehen um ja im Sinne der baukünstlerischen Entwicklung zu handeln. Bei vielen Entwerfern habe ich jedoch so meine Zweifel hinsichtlich der Weite der Kreativitätsgrenzen. Denn wenn ich mir viele Neubauten landauf landab so anschaue wandeln die eher auf 100 Jahre alten Bauhausspuren mit dem Unterschied, dass der Großteil nur ein minderwertiger Abklatsch ist und dessen ursprüngliche Qualität in keinster Weise erreicht. Gut, dann bauen wir halt dekonstruktivistisch - ach nein, geht ja nicht - ist ja seit mind. 20 Jahren out. Dann halt biomorph - obwohl, dass ist eigentlich auch schon wieder ausgelutscht. KANN DENN NIEMAND MAL WAS NEUES ERFINDEN...? Was ich damit sagen will: Architektur ist im Grunde immer Rückgriff auf bestehendes in individuelle "Sprache" übersetzt so wie ein Maler immer die gleichen Materialien und Farben verwendet. Ein Michael Triegel bedient sich auch einer Bildsprache, die eher an Renaissance-Maler erinnert. Kein Mensch käme hier auf die Idee zu fordern mal was radikal neues zu probieren und anstatt dem Jesus am Kreuze eine explodierende Sülze zu malen. Im Grunde ist doch alles schon erfunden worden. Ob nun in der Malerei, Plastik, Photographie, Tanz, Theater, Musik und Architektur. Radikale Entwicklungen wird es in diesen Bereichen zukünftig nur durch die Digitalisierung geben. Und bis wir am Deutrichs Hof die transmorphe Projektion eines wie auch immer gearteten Bauwerks über unsere KI-Kontaktlinsen empfangen wäre es ganz cool wenn man bis dahin nicht irgendeinen peinlichen Bauhausabklatsch ertragen müsste.

  • Die gewünschte Datenbasis liegt in der Bevölkerungsentwicklung und den Tourismuszahlen.

    Verzeihung, das ist unlogisch. In der Einleitung zu behaupten, die Touristen kämen "nicht in erster Linie wegen der Architektur nach Leipzig" - Und dann auf meine Frage, ob es Daten zur Zufriedenheit der Menschen mit städtebaulichen Entscheidungen und Fassadenentwürfen gibt, auf die steigenden Tourismuszahlen verweisen.


    Falls nur wenige Touristen wegen der Architektur nach Leipzig kommen (bzw. wiederkommen), darf man das nicht hinnehmen. Dann muss die Architektur besser werden. Gute Architektur ist nämlich durchaus ein wichtiger Faktor für Tourismus. Wäre Dortmund schöner, würden dort auch mehr Menschen ihren Urlaub verbringen wollen. Und das Motto der Ruhrpottler wäre nicht "Woanders ist auch scheiße".

    Architektur entwickelt sich weiter - ein Abziehbild eines vor über 50 Jahren abgerissenen Gebäudes zu errichten, ist in meinen Augen ein Rückschritt.

    An Architektur, bei der eine signifikante, kreative Neuerung zu erkennen ist, habe ich auch meine Freude. Fassaden wie beim Snohetta-Entwurf am Bayrischen Bahnhof oder der Uni von Egeraat wären vor 50 Jahren nicht gebaut worden. Aber es gibt eben viele, viele Gebäude, die erinnern sehr an die 1970er. Der Neubau, der neben St. Tetris entstehen soll, ist ein solches Beispiel.


    Wie LEonline schreibt, kann nicht in jeder Lücke ein großer Wurf entstehen.


    Der Grundfrage wird aber ausgewichen. Birte und andere behaupten einfach, Rekonstruktionen seien ein Rückschritt und verzichten auf eine Begründung. Die Architekturgeschichte entwickelt sich und Rekonstruktionen sind einer ihrer Entwicklungsschritte im 20. Jahrhundert. Architektur muss auch sozial oder beispielsweise ökologisch gedacht werden und wenn es in relevanten Bevölkerungsteilen ein Bedürfnis nach rekonstruierten Fassaden gibt, muss dem Rechnung getragen werden. Viel zu oft haben Architekten die Bedürfnisse von Nicht-Architekten ignoriert. Und warum soll man Altes nicht aufgreifen, wenn es gut war? Das gibt es in anderen Lebensbereichen doch auch.


    Letzten Endes sehe ich eine demokratische Lösung: An wichtigen Bauplätzen, vielleicht dort, wo Bürger es aktiv einfordern, sollte die Bevölkerung in den Gestaltungsprozess einbezogen werden. Dabei kann es einen Wettbewerb geben, aber Wettbewerbe führen nicht automatisch zu mehr Qualität. Zu Deutrichs Hof könnte zum Beispiel eine Ausstellung im Neuen Rathaus gezeigt werden diskutieren, ob eine Mehrheit eine Reko oder Neubau will. Mit der Fassade von Deutrichs Hof als Konkurrenz im Wettbewerb geben sich vielleicht auch zeitgenössische Architekten mehr Mühe. Warum sind Ausschreibungen so anonym? Könnten die Büros sich nicht vorher mit den Wünschen von Bürgern auseinandersetzen und diese in ihre Entwürfe aufnehmen? Den Wünschen der Investoren müssen sie schließlich auch Rechnung tragen.

    Beim neuen Stadtviertel hinter dem Hauptbahnhof hat Bürgerbeteiligung zu guten Ergebnissen geführt. Die Zeiten, als Leipzig den Bauherren einen roten Teppich ausrollen musste, sind ohnehin vorbei.

    Aufgabe dieser Generation, das Stadtbild weiter zu entwickeln

    Das ist ein sehr hehres Ziel, das mitnichten automatisch eingelöst wird, nur weil eine zeitgenössische und keine rekonstruierte Fassade entsteht. Es gibt auch negative Entwicklungen. Im Vordergrund stehen meistens ökonomische Interessen, heute krasser denn je. Rekos mit ihrem erhöhten baulichen Aufwand sind dazu ein Gegenentwurf. Und sie sind ein Fenster, das uns etwas von den Traditionen und dem Können früherer Entwerfer zeigt. Ich lese Goethe doch auch nicht nur in der Originalausgabe, sondern in einem Nachdruck und komme dem Werk trotzdem nah.


    Wo ist das Problem, unter 100 Neubauten drei oder zehn Rekonstruktionen zu haben, an denen sich 90 Prozent der Menschen erfreuen? Kann mir das mal bündig erklärt werden? Gibt es nur Schwarz oder Weiß?

  • Birte nochmal: Es geht ja mitnichten darum keine Entwicklung mehr anzustreben auch wenn scheinbar schon alle Stile erfunden sind. Über die Grenzen zu gehen muss auch in der (Bau-)Kunst immer das Ziel sein. Diesen Prozess können aber im Vergleich zur Gesamtzahl nur wenige Architekten (oder sollte man besser sagen "Baukünstler") voranbringen. Das Gros der Architektenzunft ist dazu nicht in der Lage. Sei es aus wirtschaftl. Zwängen, weil man wenig Talent hat oder die Rahmenbedingungen anderweitig nicht passen. Die Avantgarde stellt einen sehr geringen Prozentsatz dar - dass sind die Leute, die eine tiefe Begeisterung für ihre Berufung hegen + ausreichend Talent mitbringen und wo auch sonst die Rahmenbedingungen zuträglich sind. Dass kann die 19jährige Studentin sein, die ganz am Anfang steht oder der 100jährige Stararchitekt. Leute wie die genannten Snøhetta oder ein Oscar Niemeyer, bei dessen Kirow-Projekt nachfolgende leipziger Generationen Stolz sein werden, dass einer der größten Architekten des 20. Jahrhunderts ein Werk in der Stadt hinterlassen hat. Aber diese Projekte stellen die absolute Ausnahme dar - die vielen angesprochenen Baulücken werden zum ganz großen Teil die anderen Architekten beplanen. Und da sollte der Maßstab eben nicht adaptiertes Bauhaus ohne Talent und unter kostenoptimierten Zwängen sein.

  • ^ + ^^ - Reko-Gegner und Reko-Befürworter werden nie zusammen kommen. Die Argumente sind hundertfach an vielen Stellen ausgetauscht, beleuchtet, verworfen oder gefeiert worden, ohne dass es große Veränderungen in den Lagern gab. Möglicherweise liegt es einfach an unterschiedlichem Geschmack, möglicherweise an einer anderen Definition der Stadt.


    Die Entscheidung hierüber treffen jedenfalls andere. Ich bin gespannt, was man sich für das Grundstück einfallen lässt.

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    Das stimmt wohl. Ästhetik und Baukunst sind Geschmackssache. Was modern sein will, muss nicht gut sein und was historisch anknüpfen will, das kann genauso misslingen.


    In meinen Augen ist deshalb oftmals die Funktionalität ein vernünftiges Kriterium zur Bewertung von Architektur. Ein Bau, der seiner Funktion in jedem Maße gerecht wird hat ein großes Potential auf Langlebigkeit und Akzeptanz. Jedenfalls ein größeres Potential als ein Bau, der die Funktionalität einer Mode bzw. Ästhetik opfert. Ein historistisch nachgebauter Büroneubau mit 5 Meter Deckenhöhe ist dabei genauso unsinnig wie ein Wohnhaus-Glaspalast mit vollem Einblick.


    Im Idealfall finden Nutzen und Ästhetik ein sinnvolles Miteinander. Und - meine persönliche Meinung - selten (aber manchmal doch) entspricht die Ästhetik des 19. und frühen 20. Jahrhunderts den zeitgemäßen funktionalen Anforderungen an Architektur.


    Aber, was die wichtigsten funktionalen Anforderungen sind bestimmt der Bauherr / der Geldgeber und nicht die Allgemeinheit. Raumausschöpfung, Kosten, Grundrissgestaltung, Energieeffizienz, Arbeits- und Wohnkomfort sind heute oftmals entscheidendere Faktoren als Repräsentation (welcher Art auch immer). Nur wenn letzteres die Hauptfunktion des Neubaus ist, kann in unseren Tagen aus dem Baumeister ein Baukünstler werden ...


    ... nur dann lässt sich ernsthaft und sinnvoll über Geschmack streiten.

  • in der Tat eine fruchtbare Debatte über ein wichtiges Thema. Allerdings halte ich das nicht für "ausgelutscht" oder sattsam beendet. Auch unterschiedliche Standpunkte sind ja nichts schlimmes. Verständnis und Nachvollziehbarkeit haben auch Einfluss.


    - Gute Architekten schaffen es, den Auftraggeber zu beraten, so dass die Vorgaben auch angepasst werden können. Das ist nicht einfach, gerade in Wettbewerbsphasen, doch der Anspruch verhindert reine Rendite-Investitionen

    - ganz streng genommen ist die Gründerzeit, welche in Leipzig eine Ensemblequalität und keine singulärer herausragende Qualität hat, erst in heutiger Zeit beliebt. Vor hundert Jahren gab es Überbelegung, fehlende Hygiene, Gewerbe in den vollgebauten Höfen, Asche, Ruß und Dreck und entsprechend Krankheiten. Die Gartenstadtbewegung suchte den Ausweg und musste - Achtung - die Renditeerwartungen der hochgezüchteten Gründerzeit mit abbilden können. Als auch damals gaben Investoren den Ton an.

    - Die Gründerzeit hat auch radikal die vorher gehenden Strukturen überformt. Renditegründe übrigens.... Einige Brüche gibt es noch in der Dieskaustr. usw.

    - Wenn damals auch ein großer Drang zur Reko gewesen wäre, sähen unsere Städte heute putzig aus.

    - Auch damals wurden neue Projekte angefeindet und herab gewürdigt (hier im Fachforum werden einige zurecht als Styrobomber oder Schäbige Kiste entlarvt! In allgemeinen Kommentaranhäufungen (social media) wird von der Bevölkerung alles neue herab gewürdigt. Frühere Angriffe musste z.B. das Kaufhaus Ebert (später Topas, heute Commerzbank aushalten, 1905 von Schmidt & Jolige gebaut)

    - ich habe zwar noch nicht viele aber einige Stadtführungen gehört oder erlebt - das ist aus eigener Erfahrung Suggestion. Der Augustusplatz wurde nach Umbau vor 20 Jahren massiv kritisiert (Milchtöpfe) und hat sicher auch seine Mängel. Doch die Menschen haben den einfach erobert und genießen den Stadtraum in einem Maße, der nicht zur Kritikschärfe passt. Wie suggestiv beeinflusst werden kann, zeigen eben Touristische Führungen. Diese "glauben" dem Erzähler erst mal alles. Selbst habe ich Reisegruppen an Stellen geführt, die alles andere als Postkartenidyllisch waren, logisch, das waren Themenführungen. Doch die Begeisterung der Zuhörer lag u.a. auch darin, dass das kleine Leipzig wirklich alles zu bieten hat. Vom Bauernhof mitten in Stünz bis zur Hochhaus-Siedlung.

    - Deshalb muss man mancherlei Kritik ignorieren (ohne ignorant zu sein) und andere Hinweise wiederum ernster nehmen. Mir fehlen bei Neubauten weniger Farben (die wären schön...) eher Traufkanten oder Dächer, die stadttypisch wirken oder Dächer, die Landschaft / Versiegelung ersetzen (Begrünung)

    - Lückenfüller schließen einen hinein gebombten Bruch. Da dürfen auch abweichende Architekturen sein. Darf nur nicht zum Manirismus verflachen. der KPMG Neubau ist hochwertig (von Schneider & Schumacher), doch wenn alles Glasbauten werden, dann wird es gruselig.

    - Offenbar lebt eine urbane Stadt doch von Mixtur und Abwechslung, also von zeitlichen und gestalterischen Brüchen. Dadurch, dass es flächendeckend ca. 20.000 Gründerzeitbauten gibt, alle mehr oder weniger gut saniert - halten diese das auch aus. Die Wirkung als Ganzes geht hin zu den Blockstrukturen. Darin darf und kann auch mal etwas anderes sein.

    - Seit tausenden Jahren stellen Bauwerke die Weiterentwicklung, den Fortschritt dar und sicher. Dieser Umstand wird in der Tat mittels einer REKO gestoppt. Dafür braucht es verständlicherweise sehr triftige Gründe. Im gleichen Atemzug verlangt auch niemand, dass man sich aus REKO und Designqualitätsgründen einen alten Ford T oder Wartburg 311er kaufen muss, nur weil dessen Ästhetik durchaus gelungener war als manch Kampfwagen von heute. ;)


    - Die Reichsstraße ist baulich eine Fortentwicklung im Zentrum. Statt 100 jahre alter Häuser stehen dort nun 50 oder 20 oder 4 Jahre alte Bauwerke. Diese gehören genauso zur Stadtgeschichte wie die älteren. Geschichte ist erst mal geschmacksneutral. Eine Beräumung auf eine Lieblingsgeschichte hin halte ich für ein fatales Zeichen und genau darin liegt das Risiko der Reko. Denn der Ursprung mag eine schäbige Holzhütte vor 1000 Jahren gewesen sein.

    - Mich treibt angesichts des Motel One durchaus die Angst um, dass eine minderwertige Schachtel diese prominente Fläche besetzen kann. Ja, das wäre fatal. Doch ich finde es förderlicher einen Mechanismus gegen diese Qualitätsentgleisung zu suchen (Wettbewerblich...usw) als in panischer Angst nach dem bekannten zu greifen. Die erhaltenene Elemente aufzugreifen (wie beim Fürstenerker) ist übrigens auch eine Option.

    - Für eine qualitativ neutrale Bewertung ist die Eignung als Optischer Fangpunkt des Salzgässchen wichtig, DER wichtige Blick vom Markt aus.


    - Das "Heraushalten" der Bevölkerung aus Entwurfsprozessen ist kein gefordertes Dogma meinerseits. Doch zeigen fast alle öffentlichen Debatten, dass darin verständlicherweise eher Gefühle als Kritiken zum Ausdruck kommen. Vermutlich auch der Wunsch nach Konstanz und Beständigkeit. Denn Veränderungen (meistens jedenfalls) werden nicht als Verbesserungsmöglichkeit begriffen sondern als lästiger Eingriff in die persönlichen Gewohnheiten. So ziemlich alle Neubau-Vorhaben oder große und inzwischen berühmte Bauvorhaben (Sanierung Hbf) wurden massiv diskreditiert. In fast allen Äußerungen schwingt auch große Unkenntnis mit. Hier in einem Fachforum (und thematisch in anderen Fachforen) ist das nicht so, da wird vielschichtig und schlüssig eine Meinung geäußert. Doch wonach sollen sich Entscheider richten? Nach der Masse mit Verlaub ohne Ahnung oder nach den Äußerungen einiger weniger mit Tiefenwissen? Woran erkennt "man" diese? Keine leichte Aufgabe, bestärkt mich jedoch darin, dass Volksabstimmungen KEIN Mittel wären, mehr Qualität zu erhalten. Und ja, das wirkt erst mal undemokratisch. Doch die Prozesse einer Entscheidung (Wettbewerbsverfahren) und/oder die Repräsentanten werden demokratisch legitimiert. Damit ist es nicht mehr undemokratisch, wenn die Abläufe sind wie sie sind. Nur korrekt und transparent müssen sie sein. Einschränkend ist noch, dass es neben der Bevölkerung und den wenigen Interessenten (zu jeder Art Fachthema) eine dritte Gruppe gibt: Die Lobbyisten mit dem Geldkoffer.


    - Für Deutrichs Hof wünsche ich mir in aller erster Linie eine mehr als nur einetagige öffentliche Nutzung (Café, Ausstellung usw.), einen Anblick, der von Nah und Fern (Markt) wirkt, der zeigt, dass dies mal Inspiration einer Epoche war und gern mit Elementen daraus zitiert. Ob eine Reko das schafft? Es klingt sonst mehr nach einer Postmoderne, welche nicht kitschig daher kommen sollte. Doch das ist nur mein Anspruch...

  • Andererseits stehen viele Bauten unter Denkmalschutz, auch Webers Hof, der hier als Beispiel für die Problematiken von Rekos angeführt wurde, aber umgekehrt ein Beispiel ist, wie natürlich sich Rekos ins Stadtbild einfügen können und - außer von Spezialisten - als solche nicht mehr wahrgenommen werden.

    Das ist dann aber auch ein Problem. Rekos werden teilweise stark wahrgenommen, während gleichzeitig Originale verfallen. Man kann sie ja später als Rekos wiedererstehen lassen.

  • Möglicherweise liegt es einfach an unterschiedlichem Geschmack, möglicherweise an einer anderen Definition der Stadt.


    Die Entscheidung hierüber treffen jedenfalls andere.

    was die wichtigsten funktionalen Anforderungen sind bestimmt der Bauherr / der Geldgeber und nicht die Allgemeinheit

    Na, das klingt ja beides beinahe so, als könnten Investoren in der Stadt nach eigenem Gutdünken bauen. Das wird ja nun wirklich keiner behaupten wollen. Die Stadt - und damit wir - hat schon große Einflussmöglichkeiten.


    Veränderungen (meistens jedenfalls) werden nicht als Verbesserungsmöglichkeit begriffen sondern als lästiger Eingriff in die persönlichen Gewohnheiten. So ziemlich alle Neubau-Vorhaben oder große und inzwischen berühmte Bauvorhaben (Sanierung Hbf) wurden massiv diskreditiert.

    Ja, Kritik gibt es immer. Kritik gab es am Umbau des Hbf, an den Entwürfen für die Leipziger Uni bei Wettbewerb 1 und bei Wettbewerb 2, am Wiederaufbau der Frauenkirche, an der Sprengung der Unikirche usw. Kritik, öffentliche, auch scharfe, emotionale, führt oft zu besseren Ergebnissen. Es zwingt die Beteiligten dazu, überzeugendere Lösungen anzubieten. Das ist, wie gesagt, die demokratische Grundidee, der Meinungsäußerungen von jedermann in jedem Sachgebiet schützt und einfordert.


    Dass sich etwas etabliert hat, heißt natürlich nicht, dass nichts Besseres möglich gewesen wäre. Das Motel One gegenüber der Nikolaikirche bezeichnest du, C. S., als "minderwertige Schachtel". Zum Augustusplatz schreibst du: "Doch die Menschen haben den einfach erobert und genießen den Stadtraum in einem Maße, der nicht zur Kritikschärfe passt." Ist das konsistent? Könnte man nicht erwidern: "Die Touristen im Motel One sehen glücklich aus, das Gebäude wird angenommen und hat deshalb eine tolle Fassade"...


    Natürlich können nicht alle die gleiche Meinung haben. Daher ist es wichtig, Kompromisse zu finden oder dort eine Mehrheitsmeinung zu eruieren, wo ein Gebäude Bedeutung für eine große Zahl an Menschen hat. Dass wirkliche, avantgardistische Kunst auch die Gemüter spalten kann, steht auf einem anderen Blatt. Das betrifft kaum 1% der Neubauten. Und auch ein tolles Kunstwerk wie der Ufa-Palast von Coop Himmelb(l)au in Dresden kann z. B. am falschen Platz stehen und berechtigte Kritik entzünden.

    Offenbar lebt eine urbane Stadt doch von Mixtur und Abwechslung

    Genau das ist mein Punkt. Es geht mir aber nicht nur um die Abwechslung zwischen verschiedenen Gebäuden, sondern auch innerhalb einer Fassade. Fast alle Neubauten weisen schlichtweg viel zu wenige gestalterische Ideen pro Meter auf. Bei Gebäudemassen wie z. B. bei den Hotels in der Goethestraße fällt das besonders auf. Der Verweis auf die Gründerzeit als kapitalistische Epoche ist interessant, zeigt sie doch, dass es auch anders geht. Auch heute noch sind anspruchsvolle Fassaden in Relation zu den Gesamtkosten finanzierbar. Ich gehe sogar noch weiter. Der Wohlstand in unserem Land wächst und wächst und in der Immobilienbranche mit am stärksten- An den ärmlichen Häusern, die neu gebaut werden, ist das aber nicht ablesbar.


    Eine Rekonstruktion ruft einen Standard ins Gedächtnis, der verloren gegangen ist. Sie zeigt, dass es auch heute noch möglich ist, aufwändige Fassaden zu bauen. Sie ist ein Signal an Bauherren und Architektinnen, dass sie ihre Leistungen steigern müssen, um an exponierten Orten bauen zu dürfen. Sie ist ein Symbol für den Wunsch vieler Menschen, dass ihr Begriff von Schönheit nicht abgewertet wird.

    Seit tausenden Jahren stellen Bauwerke die Weiterentwicklung, den Fortschritt dar und sicher. Dieser Umstand wird in der Tat mittels einer REKO gestoppt. Dafür braucht es verständlicherweise sehr triftige Gründe.

    Ich finde es einfach unfair, dass auch hier wieder ein Maßstab angelegt wird, den andere Neubauprojekte nicht fürchten müssen, so als sei etwas schon dadurch fortschrittlich, dass es keine Reko ist. Das genannte Motel One stellt m. E. keine Weiterentwicklung der Architektursprache dar. Vielmehr "blockiert" es einen Bauplatz, der für einen anspruchsvollen Entwurf hätte genutzt werden können. Wer fordert für die vielen zeitgenössischen Entwürfe, dass sie ihre Orientierung am Bauhaus mit "sehr triftigen Gründen" rechtfertigen? Ich finde es auch absurd zu behaupten, dass eine Handvoll Rekos irgendetwas stoppt.


    Und ist Weiterentwicklung überhaupt das höchste aller Güter, dem sich alles andere absolut unterzuordnen hat? War nicht genau dies das Argument, mit dem Altbauten zu allen Zeiten, ob 1900 oder 1960 abgerissen wurden? Auch hier wieder mein Hinweis: Es gibt nicht nur Schwarz und Weiß, Fortschritt oder Rückschritt.


    Rekos werden teilweise stark wahrgenommen, während gleichzeitig Originale verfallen.

    Ebenso könnte man sagen, Neubauten dürfen nicht errichtet werden, bis alle Altbauten saniert sind. Ich könnte auch heulen, wenn ich an herrlichen, aber verfallenden Häusern vorbeikomme. Es handelt sich dabei aber um zwei Paar Schuhe.


    Kann man hier im Forum auch private Nachrichten schreiben? Wer Lust hat, eine Bürgerinitiative zur Rekonstruktion von Deutrichs Hof zu gründen, kann sich gern bei mir melden!

  • Ja, Kritik gibt es immer. Kritik gab es am Umbau des Hbf, an den Entwürfen für die Leipziger Uni bei Wettbewerb 1 und bei Wettbewerb 2, am Wiederaufbau der Frauenkirche, an der Sprengung der Unikirche usw. Kritik, öffentliche, auch scharfe, emotionale, führt oft zu besseren Ergebnissen. Es zwingt die Beteiligten dazu, überzeugendere Lösungen anzubieten. Das ist, wie gesagt, die demokratische Grundidee, der Meinungsäußerungen von jedermann in jedem Sachgebiet schützt und einfordert.

    Das ist eben etwas zu verallgemeinert. Mir liegt etwas an der Unterscheidung im Umgang mit der Kritik. Denn wenn du es nüchtern betrachtest, werden ca. 80% des Bevölkerungsechos leider wenig substanziell sein außer ein persönliches (und zulässiges!) Gefällt mir / gefällt mir nicht auszudrücken. Schön und gut, nur ist das Reagieren darauf auch ein Verwässern eines Entwurfs.


    Dass sich etwas etabliert hat, heißt natürlich nicht, dass nichts Besseres möglich gewesen wäre. Das Motel One gegenüber der Nikolaikirche bezeichnest du, C. S., als "minderwertige Schachtel". Zum Augustusplatz schreibst du: "Doch die Menschen haben den einfach erobert und genießen den Stadtraum in einem Maße, der nicht zur Kritikschärfe passt." Ist das konsistent? Könnte man nicht erwidern: "Die Touristen im Motel One sehen glücklich aus, das Gebäude wird angenommen und hat deshalb eine tolle Fassade"...

    Ganz so trivial ist es eben nicht. Der Augustusplatz wurde zwar massiv in der Stadtgesellschaft kritisiert, doch bei Lichte betrachtet ist der Entwurf so schlecht nicht (unter den Parametern des damaligen Wettbewerbs). Die Kritik daran war eben emotional-individuell und deshalb schrieb ist vom Kontrast der Annahme durch diejenige Bevölkerung, welche das eben nicht so sieht. Beim angesprochenen Motel One Nikolaikirchhof ist es sachlich betrachtet ein mäßiger bis schlechter Entwurf (unabhängig vom persönlichen Geschmack), so dass die Kritik mit Veränderungs/Beseitigungswünschen auf ganz anderer Basis steht.


    Eine Rekonstruktion ruft einen Standard ins Gedächtnis, der verloren gegangen ist. Sie zeigt, dass es auch heute noch möglich ist, aufwändige Fassaden zu bauen. Sie ist ein Signal an Bauherren und Architektinnen, dass sie ihre Leistungen steigern müssen, um an exponierten Orten bauen zu dürfen. Sie ist ein Symbol für den Wunsch vieler Menschen, dass ihr Begriff von Schönheit nicht abgewertet wird.

    Das greift zu kurz. Zum einen gibt es ca. 20.000 historische Gebäude in LE, welche den Bürgern 20.000 mal schon zeigen, wie Fassaden von 100 oder mehr Jahren aussahen. Diesen Bedarf nach Botschaften gibt es hier nicht. Die Fassade der Alten Nikolaischule ist beispielsweise alles andere als aufwändig. Dennoch ist es ein wertvolles historisches Gebäude. Aber nur weil es eben das Original ist!


    Die qualitative Leistung der Entwurfsverfasser kann man auch an einem Neubau steigern. Eine REKO ist ja gerade das Gegenteil einer Steigerung, nur ein Abmalen vormaligen Bestandes. Also keine Leistung. Der Begriff von Schönheit ist individuell. Und die Prägung einer Stadtgesellschaft durchaus medial als Erstbesetzung wichtig.


    Zitat von C. S. Seit tausenden Jahren stellen Bauwerke die Weiterentwicklung, den Fortschritt dar und sicher. Dieser Umstand wird in der Tat mittels einer REKO gestoppt. Dafür braucht es verständlicherweise sehr triftige Gründe.


    Ich finde es einfach unfair, dass auch hier wieder ein Maßstab angelegt wird, den andere Neubauprojekte nicht fürchten müssen, so als sei etwas schon dadurch fortschrittlich, dass es keine Reko ist. Das genannte Motel One stellt m. E. keine Weiterentwicklung der Architektursprache dar. Vielmehr "blockiert" es einen Bauplatz, der für einen anspruchsvollen Entwurf hätte genutzt werden können. Wer fordert für die vielen zeitgenössischen Entwürfe, dass sie ihre Orientierung am Bauhaus mit "sehr triftigen Gründen" rechtfertigen? Ich finde es auch absurd zu behaupten, dass eine Handvoll Rekos irgendetwas stoppt.

    Das ist zu verallgemeinert. Ein Entwurf eines Neubaus ist immer eine Entwicklung / Weiterentwicklung. Auch irre schlechte Entwürfe zählen da hinein, dann ist die Weiterentwicklung halt doof. Ein Wiederaufbau ist zwar planerisch anspruchsvoll, doch eben Stillstand in einer Entwicklung. Es ist nichts neues. Komischerweise wird nur bei Gebäuden nach Altem gerufen. Bei PKWs zum Beispiel nicht. Da gab es "früher" auch wesentlich bessere Designs als heute. Die Entwicklung ist also eine schlechte. Dennoch wird nur Neues konsumiert. Bei der Musik ebenso. Warum? Weil Menschen innerlich nach Neuem streben. Nach dem Weiter. (Urgesellschaft = Wanderbevölkerung = neue Siedlungsmöglichkeiten, neue Nahrungsquellen; Das hat sich bis heute gehalten)


    Zitat von C. S. Offenbar lebt eine urbane Stadt doch von Mixtur und Abwechslung


    Genau das ist mein Punkt. Es geht mir aber nicht nur um die Abwechslung zwischen verschiedenen Gebäuden, sondern auch innerhalb einer Fassade. Fast alle Neubauten weisen schlichtweg viel zu wenige gestalterische Ideen pro Meter auf. Bei Gebäudemassen wie z. B. bei den Hotels in der Goethestraße fällt das besonders auf. Der Verweis auf die Gründerzeit als kapitalistische Epoche ist interessant, zeigt sie doch, dass es auch anders geht. Auch heute noch sind anspruchsvolle Fassaden in Relation zu den Gesamtkosten finanzierbar. Ich gehe sogar noch weiter. Der Wohlstand in unserem Land wächst und wächst und in der Immobilienbranche mit am stärksten- An den ärmlichen Häusern, die neu gebaut werden, ist das aber nicht ablesbar.

    Architektur ist nicht nur Fassade. Gebäude von heute müssen irrsinnig komplexen Ansprüchen genügen. Die Fassade ist dafür eine Hülle. Und Fassadenarchitektur ist kein Fasching mit ausgesuchten historischen Kostümen, welche man nach Belieben überstülpt. sondern sollte eine konsquente Innen-Außen-Beziehung herstellen. (Marktgalerie wäre da ein Beispiel) Große Gebäude können auch große Fassaden haben. (Specks Hof hat auch eine große vereinheitlichte Fassade ;) ) Das wäre ehrliche Architektur. Irgendetwas vortäuschen was dahinter kaum noch zutrifft, ist unehrliche Architektur. Klar, damit erntet man Beifall oberflächlicher Betrachter. Doch so funktioniert das eben nicht. Richtig ist, dass die Gestaltungsansprüche zu wünschen übrig lassen. Lochfassaden fehlt es momentan an guter Strukturiertheit. Somit entsteht auch keine gewünschte Urbanität. Und meine größte Sorge ist, dass der Leuschnerplatz wenig urbane Qualität bekommt, dass der Matthäikirchhof graulich geklotzt wird usw.

  • Irgendetwas vortäuschen was dahinter kaum noch zutrifft, ist unehrliche Architektur. Klar, damit erntet man Beifall oberflächlicher Betrachter. Doch so funktioniert das eben nicht.

    Als architektonisch zugegeben wenig Bewanderter würde ich einwenden, dass das so seit mehreren hundert Jahren funktioniert.

    Sind nicht die Haussman'schen Fassaden in Paris bloß pure Show, die Individualität, Historie und Kleinteiligkeit vorgaukeln sollen, während dahinter die Sequenz regiert?

    Sind nicht die heute beim gemeinen Bürger hochgeschätzten Gründerzeitbauten lediglich industrieller Ziegel-Serienbau nach dem Motto: "Welche Fassade hättens denn gern?"

    Es wird vorgetäuscht, was dahinter kaum noch zutrifft, und es erntet seit Jahrhunderten den Beifall "simpler Geister", die ganz ohne Begriff sofort die Schönheit dieses Bauens erkennen können.

  • Darum ging es mir aber nicht.


    Nuperus meint vermutlich auch etwas - in Nuancen- anderes.

    Ich denke, viele Leipziger wünschen sich durchaus die eine oder andere Reko mehr in unserer Stadt. ....


    ...Leipzig sollte meiner Meinung nach durchaus öfter einmal den Mut zur Reko haben. Der Dresdner Neumarkt macht es erfolgreich vor. Niemanden interessiert es am Ende, ob es saniert oder rekonstruiert ist - ausgenommen vielleicht einige Architekten und Fachleute, resp. Mitglieder dieses Forums

    In einigen Städten entstehen kleine, ganz kleine Rekoinseln, die sich großer Aufmerksamkeit erfreuen. Ist schon in Ordnung.


    Wenn, ja wenn es da nicht ohne größere Widerstände gleich daneben gnadenlos entkernt werden würde:



    20200507.Blockhaus (Dresden).-011

    Bybbisch94, Christian Gebhardt / CC BY-SA (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0)


    Schöne Fassade - glatter Beton...

  • ^Das Blockhaus wurde leider im Krieg stark zerstört. Es wurde zwar schon zu DDR Zeiten renoviert aber nur äußerlich rekonstruiert. Auf einen originalen Aufbau des Dachgeschosses wurde ganz verzichtet. Somit wurde wahrscheinlich auch im inneren nur bedingt der orginal Zustand wiederhergestellt.

    2013 wurde es erneut flutgeschädigt und Ende 2013 geschlossen.

    Deswegen gab es wohl keine größeren Wiederstände gegen die jetzige Entkernung ;) da Sie einfach notwendig war (Baurechtlich oder Sicherheitstechnische Vorschriften oder so).

    Wichtig wird am Ende das Resultat der jetzigen Rekonstruktion sein und darauf freu ich mich schon :)

  • ^

    Ich denke, viele Leipziger wünschen sich durchaus die eine oder andere Reko mehr in unserer Stadt. Und im Anschluss an das abgehackt wirkende Eckgebäude des Riquet Cafés halte ich einen harmonischen Übergang zu einer "Fototapete" für durchaus angemessen - zumindest den direkten Anschluss betreffend. Wie "etwas Neues, was des Standorts würdig" ist am Ende ausgehen kann, zeigt sich in Leipzig an anderer Stelle zur Genüge. Leipzig sollte meiner Meinung nach durchaus öfter einmal den Mut zur Reko haben. Der Dresdner Neumarkt macht es erfolgreich vor. Niemanden interessiert es am Ende, ob es saniert oder rekonstruiert ist - ausgenommen vielleicht einige Architekten und Fachleute, resp. Mitglieder dieses Forums ;) Und wenn ich einmal beim Fettnäpfchen bin: Die Reichsstraßenplatte gehört m.M.n. rückgebaut, um eine gescheite Blockrandbebauung zu ermöglichen.

    Guter Städtebau hat selbstverständlich keinen Fixpunkt in der Vergangenheit. Wie auch? Wird ja sogar bei besagten "Reko-Inseln" in Frankfurt und Dresden selbst im "Rekonstruieren" anachronistisch gearbeitet. In dem man eben nicht nur explizit die Bauten vor der Zerstörung kopiert sondern dort noch einmal in diversen Epochen wildert. Für mich sehr absurd und alleine der Ansatz alles andere als ein "Erfolg". Ich denke zumindest ein Mix wäre besser gewesen. Mit Identitätsbauten (wie Frauenkirche in DD) und neuen Interpretationen in den alten Straßenmustern zum Beispiel.



    Ich bin sehr froh, dass man in Leipzig zum Beispiel eine Verdichtung mit dem MdbK und den Winkeln hinbekommen hat. Ähnliche Ansätze wären für die Reichsstraße und den Markt mit Salzgässchen wünschenswert. Ich hätte es auch befürwortet, wenn man die kriegsbedingte Freifläche vor der Thomaskirche auch wieder bebaut worden wäre. Aber hier will man halt den Aufenthaltswert und den "guten Blick" auf die Kirche nicht verbauen. Und genau das ist der Punkt, welche eben die "Rekos" so fragwürdig macht. Es ist die vermeintlich schöne Ansicht. Ein inhaltliche Auseinandersetzung mit städtischen Raum findet dann kaum noch statt.

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