Stadtgespräch Berlin / dies und das

  • Berlin braucht m.E. die Ausweisung neuer Flächen für den Wohnungsbau, sowohl entlang der Bahntrassen, als auch ausserhalb von S und U Bahnlinien.


    Wenn es weit von den S/U-Bahnlinien sein sollte, wie sollten dann die Leute in die Stadt kommen? Ja, ich weiß, der Kollege Kleist sagt immer, mit den Autos - aber Staus hat Berlin genügend? Da der Bau neuer Linien Jahrzehnte dauert, sollte man am bestehenden Netz nachverdichten. Möglichkeiten gibt es reichlich - Berlin leistet sich z.B. den Luxus, den Ex-Flughafen Tempelhof nicht zu bebauen, obwohl eine U-Bahn-Linie nicht weit weg ist. Bürgerbegehren hin oder her - ich bin gespannt, ob sich in Berlin einer findet, der sich gegen Nimby-tum, Wutbürgertum und postfaktische Politik durchsetzen kann. Sollte einer in dieser Hinsicht sehr erfolgreich sein, sehe ich vielleicht gar über die hier angedeutete Stasi-Vergangenheit hinweg.


  • ^^In den genannten Bezirken sind in letzter Zeit dafür ganz schön viele Bauvorhaben verwirklicht worden. In manchen Vierteln wohnen kaum noch Leute die schon vor 15 Jahren da gewohnt haben. Für wen da Politik gemacht wurde sehe ich anders.


    Bisher hatten die Linken ja auch nicht das Sagen. Veränderungen in der Mieterschaft wird es immer geben. Kurioserweise kämpfen aber gerade jene Kräfte, die Berlin ohne Unterlass als bunt, weltoffen und vielfältig propagieren, am stärksten für die Einfrierung der sozialen Verhältnisse in den "Kiezen". In der Provinz würde man für ähnliches Engagement gegen Veränderungen als reaktionärer Dunkeldeutscher durchgehen.

  • Ich sehe einen Unterschied zwischen dem Einfrieren sozialer Verhältnisse und einer Mietenexplosion. Es ist keine Frage dass andere Menschen hierherziehen. In unserem Haus wohnen mittlerweile sehr viele Leute die kein oder kaum deutsch sprechen. Das stört mich überhaupt nicht. Worüber ich mir Sorgen mache ist dass bei Neuvermietung die gleiche Wohnung wie unsere mittlerweile mehr als das doppelte kostet. Wenn dagegen vorgegangen wird kann ich das nur unterstützen. Schließlich können wir uns keine andere Wohnung in der Umgebung mehr leisten und rücken zusammen. Das hat auch A. Holm festgestellt. Da ist es mir auch egal ob er mit 19 seinen Wehrdienst bei der Stasitruppe oder der NVA angefangen hat. Schließlich muss man hauptsächlich nach vorne sehen.

  • Im Koalitionsvertrag gibt es zur Wohnungsfrage eine Strategie aus drei Elementen:
    -1.Die Nutzung aller rechtlichen Möglichkeiten, um Mietsteigerungen im vorhandenen Wohnungsbestand zu beschränken.
    -2.Den Ankauf von Wohnungen durch landeseigene Wohnungsunternehmen, vor allem in der Innenstadt, damit diese preiswerte Wohnungen anbieten.
    -3.Den Neubau von bezahlbaren Wohnungen. Diese sollen vor allem in elf neuen Quartieren errichtet werden:
    -Blankenburg Süd
    -Buch
    -Buckower Felder
    -Wasserstadt Oberhavel
    -Gartenfeld
    -Europacity
    -Michelangelostraße
    -Flughafen Tegel
    -Johannisthal/Adlershof
    -Köpenick
    -Lichterfelde Süd
    Ich denke, dass ist eine sinnvolle Strategie, um die sozialräumliche Polarisierung zumindest zu bremsen. Inwieweit die Instrumente greifen, werden wir sehen.


    Ansonsten finde ich es schade, dass das DAF wieder mal zum Schauplatz von Schlammschlachten wird. Einen Staatssekretär schon zu verurteilen, bevor er überhaupt eine Amtshandlung vollzogen hat, ist widerwärtig und führt natürlich dazu, dass das Klima im DAF vergiftet wird. Daher bitte ich doch sehr, zu sachlichen Formen der Debatte zurückzukehren. Sie bewirken ja ohnehin meist das Gegenteil, wie die Kampagnen gegen Frau Lüscher gezeigt haben.

  • Ansonsten finde ich es schade, dass das DAF wieder mal zum Schauplatz von Schlammschlachten wird. Einen Staatssekretär schon zu verurteilen, bevor er überhaupt eine Amtshandlung vollzogen hat, ist widerwärtig und führt natürlich dazu, dass das Klima im DAF vergiftet wird. Daher bitte ich doch sehr, zu sachlichen Formen der Debatte zurückzukehren.


    Für jemanden, der noch vor wenigen Tagen Andersdenkende in diesem Forum in charakteristischer Diktion als "die kleinen Pinscher von der Rekolobby" bezeichnet hat, ist das ein bemerkenswertes Maß an Scheinheiligkeit:


    http://www.deutsches-architekt…d.php?p=547815#post547815


    Zur Berufung von Andrej Holm:


    Sie werden damit leben müssen, dass man die persönliche und fachliche Eignung von Politikern zu jedem Zeitpunkt in Frage stellen darf - das unterscheidet eine echte Demokratie von den Pseudo-Demokratien des Ostblocks unseligen Angedenkens wie z. B. der DDR.


    Die persönliche Eignung Andrej Holms wird aufgrund seiner Stasi-Vergangenheit sogar in Kreisen bestritten, die Rot-Rot-Grün durchaus wohlgesonnen sind (wie z.B. Tagesspiegel, Zeit, Süddeutsche Zeitung). Dass Holm fachlich für die Leitung einer Behörde qualifiziert ist, darf angesichts fehlender Erfahrung in Verwaltung oder Wirtschaft bezweifelt werden.


    Insgesamt ist Holm eine schwache Besetzung, mit der erneut "Schaufensterpolitik" betrieben wurde, anstatt auf echte Kompetenz zu setzen. Wowereits Berufungen hatten mehrheitlich ein anderes Format als die Müllers.

  • "die kleinen Pinscher von der Rekolobby"


    Ich erinnere mich an Ihre kürzlich ausgeführte Argumentation, wonach Klarenbachs – tatsächlich ziemlich plumpe – Wortwahl "kleine Pinscher" Ausdruck einer gar totalitären Stasi-Kommkunikationsstrategie sei. Tatsächlich ist der Urheber der Beleidigung "kleine Pinscher" der CDU-Bundeskanzler Ludwig Erhardt, der mit diesen Worten das politische Engagement von Schriftstellern wie Günter Grass diskreditieren wollte.


    Holms "Stasi-Vergangenheit" will ich überhaupt nicht rechtfertigen, aber sie reduziert sich bei näherem Hinsehen auf zwei, drei Monate militärische Grundausbildung eines 18-jährigen.


  • Ansonsten finde ich es schade, dass das DAF wieder mal zum Schauplatz von Schlammschlachten wird. Einen Staatssekretär schon zu verurteilen, bevor er überhaupt eine Amtshandlung vollzogen hat, ist widerwärtig und führt natürlich dazu, dass das Klima im DAF vergiftet wird. Daher bitte ich doch sehr, zu sachlichen Formen der Debatte zurückzukehren. Sie bewirken ja ohnehin meist das Gegenteil, wie die Kampagnen gegen Frau Lüscher gezeigt haben.


    Die Debatte ist überhaupt nicht "vergiftet". Sie wird es höchstens durch so absurde Bezeichnungen wie "widerwärtig". Carlo hats schon angemerkt. Nicht nur im DAF sondern auch in der Politik und in der Öffentlichkeit wird die Personalie Holm rege diskutiert.
    Welpenschutz ist nun wirklich das Allerletzte, was man für einen ehemaligen Stasi-Mann, der stets offen seine Sympathie für Linksautonome bekundet hat und ohne jegliche Arbeitspraxis ins gut dotierte Beamtenverhältnis des Staatssekretärs gehievt werden soll, erwarten kann. Selbst wenn der Protest wirkungslos bleibt, so ist er dennoch richtig. Die Linken bekommen zu spüren, dass es sich nicht um eine normale Personaltscheidung handelt und das ist angesichts der zahlreichen Ex-MfSler in der Partei ein wichtiges Zeichen.

  • Ich muss mich gleich selbst zitieren…


    Zitat von Architektenkind

    Holms "Stasi-Vergangenheit" will ich überhaupt nicht rechtfertigen, aber sie reduziert sich bei näherem Hinsehen auf zwei, drei Monate militärische Grundausbildung eines 18-jährigen.

  • Gut für ihn. In der Sache ändert es wenig. Wer sich im September 1989 für eine langfristige Karriere bei der Stasi entschied, war absolut von der Sache überzeugt. Und Holm war eben nicht nur beim Wachregiment sondern hatte sich schon darüberhinaus verpflichtet. Das ist ein Unterschied. Nicht jeder angeworbene Soldat des Wachregiments machte dann auch Karriere im Ministerium. Ich habe in Erfurt beim BStU für eine Ausstellung einige Akten von angeworbenen Männern einsehen können. Außerdem spricht seine anschließenden Betätigung in der linksautonomen Szene nach 1990 überhaupt nicht für eine wirkliche ideologische Kehrtwende.

  • Tatsächlich ist der [...] Urheber der Beleidigung "kleine Pinscher der CDU-Bundeskanzler Ludwig Erhardt, der mit diesen Worten das politische Engagement von Schriftstellern wie Günter Grass diskreditieren wollte.


    Das ist richtig. Erhardt wurde aber damals genau deshalb kritisiert, weil er sich der Sprache von Goebbels und Co. bediente (so wie jetzt hier auch unser Freund K., der lustigerweise seinerseits in jeder Kritik "Hetze" sieht).


    Holms "Stasi-Vergangenheit" will ich überhaupt nicht rechtfertigen, aber sie reduziert sich bei näherem Hinsehen auf zwei, drei Monate militärische Grundausbildung eines 18-jährigen.


    Rechtfertigen willst Du nichts, aber verharmlosen schon ganz gerne, oder?


    Andrej Holm wollte hauptamtlicher Mitarbeiter der Stasi werden. Dass ihm die Wende 1989/90 (und die damit einhergehende Auflösung des MfS) bei dieser ganz speziellen Karriereplanung einen Strich durch die Rechnung machte, so dass es bei einigen Monaten im Dienst blieb, wird man ihm kaum als Ausdruck eines Sinneswandels durchgehen lassen können. Der Laden wurde halt dichtgemacht, und das lag bestimmt nicht an Holm.


    Aber lassen wir das und warten ab, wie sich der Mann in seinem ersten Verwaltungsjob schlägt. Dass weite Teile der Öffentlichkeit ihn für persönlich ungeeignet halten, wird seinen Handlungsspielraum jedenfalls nicht vergrößern.

  • Architektenkind: Ich habe erst jetzt vor kurzem ein paar Dinge zu Holm recherchiert, da ich vorher sehr wenig über seine Vita wusste. Selbst nicht einschlägig konservative Zeitungen bezeichnen Holms kurze Stasikarriere eher nicht als harmloses Experiment eines naiven, formbaren Jünglings. Er soll schon sehr überzugt gewesen sein und zumindest in einzelnen Punkten bis zuletzt Kritiker des Systems scharf zurechtgewiesen haben. Und zu seinem Einstieg lag schon einiges gegen dieses System auf dem Tisch. Als intelligenter Mensch wird er das entsprechend reflektiert haben. Seine BRD-Laufbahn als Hausbesetzer und recht radikaler Linksaktivist klingt dann ja auch weniger nach einer klaren Wandlung (immerhin blieb er seinen Überzeugungen treu und hat offenbar nichts groß geheuchelt). Aber gut, Joschka Fischer hat ja auch einen Aufstieg vom Steineschmeißer zum Außenminister geschafft. Allerdings bringt Holm neben seiner "Vorbelastung" und seiner offenbar nicht gerade einfachen Art wirklich wenig Erfahrung für den Job mit. Was genau die Linke damit bezweckt und ob es aufgeht, bleibt abzuwarten. Zu hoffen ist es natürlich! Auf jeden Fall sind Holm und Chebli klare Reizfiguren und es sollte besser eine gut durchdachte Motivation für ihre Einsetzung geben...

  • Joschka Fischer würde sich bedanken, mit Herrn Holm verglichen zu werden....
    Ich sehe da schon Unterschiede. Herr Holm hat sich bewusst für ein totalitäres System entschieden, während Herr Fischer totalitäre Ansätze bekämpft hat, nur so nebenbei.


    Ich denke die Berufung Herrn Holms von der Linkspartei hat natürlich den Zweck alten SED Anhängern zu suggerieren, dass Stasitätigkeit usw. in Ordnung ist und nach 25 Jahren keine Rolle mehr spielen darf.
    Letztendlich hat sie sich immer ambivalent zur DDR Vergangenheit gezeigt.
    Ihr geht es um das Prinzip dass die DDR eben kein Unrechtsstaat war. Es geht um die Identität dieser Partei, die genau weiß dass diese Diskussionen um Herrn Holm ihr nicht schadet sondern die eigenen Wähler solidarisiert und ihnen wieder einmal das Gefühl gibt, völlig ungerechtfertigerweise verunglimpft zu werden. Das stärkt das Gemeinschaftsgefühl.


    Die Linkspartei hat es nie geschafft sich von ihrer Vergangenheit zu lösen, weil sie es einfach nicht will, da nun mal 80 Prozent ihrer Wähler für diese Vergangenheit (DDR) nicht das mindeste Unrechtsbewusstsein empfinden sondern sich nur als Opfer sehen, letztendlich sind diese Wähler die Existenzberechtigung der Linkspartei.

  • Außerdem spricht seine anschließenden Betätigung in der linksautonomen Szene nach 1990 überhaupt nicht für eine wirkliche ideologische Kehrtwende.


    Seine BRD-Laufbahn als Hausbesetzer und recht radikaler Linksaktivist klingt dann ja auch weniger nach einer klaren Wandlung (immerhin blieb er seinen Überzeugungen treu und hat offenbar nichts groß geheuchelt).


    Lassen wir das mit Holm. Man wird tatsächlich abwarten müssen, was er leistet. Und wie er heute zum MfS steht, wird man ihn in den kommenden Wochen sicher häufiger fragen. Auch wenn er damals ein Hundertprozentiger war und sich immer noch als Linker versteht, kann er sich mit seiner Vergangenheit gründlich auseinandergesetzt haben. Ich erinnere z.B. an Anetta Kahane oder Angela Marquardt (wobei letztere wohl von Anfang an eher Opfer als Täterin war).


    Aber folgendes Missverständnis will ich noch aufklären: Das autoritär-stalinistische MfS und die antiautoritär-anarchistische Hausbesetzerszene stehen bzw. standen ideologisch nie auf der selben Seite, sondern völlig konträr zueinander. Die Hausbesetzerszene in Ost-Berlin ist nach der Wende aus Punk- und Künstlerkreisen der DDR hervorgegangen, die von der Stasi überwacht und verfolgt worden waren. Schon vor der Wende gab es enge Kontakte zur Anarcho-Szene in West-Berlin. Hausbesetzungen quasi als Fortführung einer Stasi-Karriere mit anderen Mitteln zu betrachten, ist geradezu absurd.


    Ich denke die Berufung Herrn Holms von der Linkspartei hat natürlich den Zweck alten SED Anhängern zu suggerieren, dass Stasitätigkeit usw. in Ordnung ist und nach 25 Jahren keine Rolle mehr spielen darf.


    Hältst Du es vielleicht eventuell für möglich, dass er nicht nur ausschließlich und allein wegen seiner Stasi-Vergangenheit berufen wurde, sondern ganz am Rande ein kleines bisschen auch, weil er ein profilierter, linker Stadtsoziologe ist? Im Ernst: Ich halte Deine These für völlig aus der Luft gegriffen. Die Linke hat immer wieder Amts- und Mandatsträger in ihren Reihen, die auf die eine oder andere Weise mit dem MfS zu tun hatten. Aber jede öffentliche Debatte darüber ist ein Imageschaden für die Partei – sie versucht, das Thema unter dem Deckel zu halten und beruft niemanden weil er bei der Stasi war. Manchmal allerdings trotzdem.


    da nun mal 80 Prozent ihrer Wähler für diese Vergangenheit (DDR) nicht das mindeste Unrechtsbewusstsein empfinden sondern sich nur als Opfer sehen, letztendlich sind diese Wähler die Existenzberechtigung der Linkspartei.


    Diese Behauptung war in den 90er-Jahren nicht falsch, wird es allmählich aber immer mehr. Bei den letzten Wahlen hat die Linkspartei in Berlin von allen Altersklassen Stimmen in ähnlichem Umfang erhalten. Bei den über 60-jährigen lag der Zuspruch bei 16 Prozent, bei den unter 30-jährigen (die also 1989 vier Jahre alt oder jünger waren) bei 17 Prozent (Quelle). Sind das auch alles verbitterte SED-Greise, die sich den Erich zurückwünschen? Wohl kaum. Man sollte sich schon mal die Statistik anschauen, bevor man solche Behauptungen aufstellt.

    8 Mal editiert, zuletzt von Architektenkind ()

  • Beruhigt euch mal. Jeder hat eine zweite Chance im Leben verdient, zumal wenn man bei einer ggf. nicht so klugen Entscheidung noch ein Teenager war. Juristische Volljährigkeit hin oder her. Da ist es halt schon ein Unterschied, ob man zum fraglichen Zeitpunkt ein Teenager war, entsprechend noch in der Ausformung der Persönlichkeit und leicht durch die "Erwachsenenwelt" beeinflußbar oder ein gestandener Mann von 38, der genau wusste oder wissen musste, wofür er sich da hergab (diesen Unterschied mache ich im Übrigen nicht nur bei Linken oder Sozialisten oder der DDR oder Stasi, sondern zB ganz genauso bei Teenagern, die mit NS Gehirnwäsche aufwuchsen und dann als "Kindersoldaten" Kriegsverbrechen begingen, sich mit gerade mal 18-19 Jahren in der SS einspannen ließen usw.). Es muss einfach einen Unterschied machen, ob ich noch ein halber Junge bin oder ein gestandener Mann, wenn meine Taten bewertet werden. Das sieht nicht zuletzt unsere Rechtsordnung so, vgl. Jugendstrafrecht.


    Und dabei kann man es auch einfach bewenden lassen und den Mann an seinen heutigen Taten messen. Und wir haben seit der Wende ganz andere "alte Kader", die zu DDR Zeiten gereifte Erwachsene waren und somit sehr wohl wussten, was sie da taten, in der aktiven Politik gehabt, da hat sich keiner so aufgeregt.


    PS: auch die BZ ist mal als prägnante Informationsquelle gut


    http://www.bz-berlin.de/berlin/die-stasi-akte-andrej-holm


    so habe er mit seinen Eltern im Alter von 14 Jahren (!) eine Bereitschaftserklärung unterschrieben, sich in den Dienst des SED Systems zu stellen. Wie frei wird diese Entscheidung wohl gewesen sein und wie reif und überlegt und eigenständig? Da war doch schon der Werdegang der nächsten Jahre vorgeprägt, man müsste schon übermenschliche Resilienz besitzen, um sich nach solch einer Selbstverpflichtung und diesem vorgeprägten Werdegang und offenbar auch gegen den Willen der eigenen Eltern dann doch noch komplett vom Staatsdienst abzuwenden und anders zu entscheiden - zumal das ja, milde gesagt, vom SED System nicht gerade honoriert worden wäre. Bis zum tatsächlichen Mauerfall war nicht sicher, dass das System nicht doch noch viele weitere Jahrzehnte bestehen würde. Einem Teenager kann ich auch nicht zum Vorwurf machen, "Mitläufer" gewesen zu sein.


    Das zeichnet nicht das Bild eines Überzeugten, sondern eines Getriebenen, der sich in das gefügt hat, was Elternhaus und andere Autoritäten (Staat, Schule) ihm von Kindesbeinen an aufzwingen wollten. Nach einer unbeschwerten Jugend klingt das nicht. Er hat eher mein Mitleid, als meine Ablehnung, für mich ist er ein Opfer des SED Systems gewesen, das ihn zum Werkzeug machen wollte. Wozu er noch hätte werden können, hätte es die Wende nicht gegeben, ist indes pure Spekulation. Das ist hier nicht "minority report". Wenn, dann wirft das ein seltenes Schlaglicht, in der ansonsten doch eher von Ostalgie und Apologeten geprägten Berichterstattung auf die Endphase der DDR. Was für ein perverses, pardon, Schweinesystem ist das denn gewesen, schon Kids mit 14 Jahren solche Verpflichtungserklärungen zur Unterschrift vorzulegen. Es sind solche perfiden Details, die das Bild eines Unrechtsregimes zeichnen und so wichtig für die historische Aufarbeitung sind.

  • @Pumpernickel: Grundsätzlich gebe ich Dir zwar Recht. Aber Holm war bei der Umsetzung des Elternwillen knapp 19 und traf seine Karriereplanung zu einem Zeitpunkt, wo u.a. viele Gleichaltrige immer offener und heftiger gegen das System und ggf die eigenen Eltern protestierten und das Faule am System immer deutlicher zu Tage trat. Da noch einmal mit einer langfristig angelegten Entscheidung äußerste Linientreue zu beweisen und sich mit Kritikern anzulegen passt kaum zu der Behauptung erleichtert über den Zusammenbruch des Systems gewesen zu sein und das demokratischere System der BRD klar zu bevorzugen.


    Weiterhin: Was sucht so ein befreiter, erleichterter Geist dann ausgerechnet in einer radikalen, linksextremen Szene? Das Verfahren ergab, dass er sich über verschlüsselte Kommunikation heimlich und wohl bewusst ohne Mitführung seines Handys mit Mitgliedern der "militanten Gruppe" mg traf, die wegen zu geringer Gefährdung der BRD nur als kriminelle und nicht als terroristische Vereinigung eingestuft wurde. Mitglieder der Vereinigung erhielten Haftstrafen von 3 bis 3,5 Jahren wohingegen Holm trotz nachweislich affiner Gesinnung nichts nachgewiesen werden konnte. Übrigens mag jeder selbst entscheiden, ob Nähe zu SO einer Gruppe so harmlos ist:


    In Deutschland tätige linksradikale militante Untergrundorganisation, die im Jahre 2001 erstmals in Erscheinung trat. Sie fasste Anschläge als legitimen Bestandteil ihres „revolutionären Kampfes“ auf, den sie „auf einer sozialrevolutionären und antiimperialistischen kommunistischen Grundlage“ führte. Im Raum Berlin, Brandenburg und Sachsen-Anhalt werden ihr Brandanschläge und Versendung von scharfer Munition zur Last gelegt. Des Weiteren initiierte sie innerhalb der linksradikalen Zeitschrift Interim eine „Militanzdebatte“.


    Quelle: Wikipedia


    Zu MfS kommt also noch mg und das übrigens im zarten Alter über 30.

  • Jugendgerichtsgesetz
    § 1 Persönlicher und sachlicher Anwendungsbereich
    (1) Dieses Gesetz gilt, wenn ein Jugendlicher oder ein Heranwachsender eine Verfehlung begeht, die nach den allgemeinen Vorschriften mit Strafe bedroht ist.
    (2) Jugendlicher ist, wer zur Zeit der Tat vierzehn, aber noch nicht achtzehn, Heranwachsender, wer zur Zeit der Tat achtzehn, aber noch nicht einundzwanzig Jahre alt ist.


    § 2 Ziel des Jugendstrafrechts; Anwendung des allgemeinen Strafrechts
    (1) Die Anwendung des Jugendstrafrechts soll vor allem erneuten Straftaten eines Jugendlichen oder Heranwachsenden entgegenwirken. Um dieses Ziel zu erreichen, sind die Rechtsfolgen und unter Beachtung des elterlichen Erziehungsrechts auch das Verfahren vorrangig am Erziehungsgedanken auszurichten.
    (2) Die allgemeinen Vorschriften gelten nur, soweit in diesem Gesetz nichts anderes bestimmt ist.



    § 6 Nebenfolgen
    (1) Auf Unfähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen oder in öffentlichen Angelegenheiten zu wählen oder zu stimmen, darf nicht erkannt werden. Die Bekanntgabe der Verurteilung darf nicht angeordnet werden.
    (2) Der Verlust der Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden und Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen (§ 45 Abs. 1 des Strafgesetzbuches), tritt nicht ein.




    Das ist die Wertung unserer Rechtsordnung, mithin die verbindliche Werteordnung in diesem Land, bzgl. Fehlverhalten von Jugendlichen und Heranwachsenden. Diese Wertung kann man getrost analog auf Fehlverhalten jenseits der offiziellen Strafbarkeit anwenden.
    Nein, du kannst einem 18-19 Jahre alten Heranwachsenden seine Handlungen nicht derart zum Vorwurf machen, wie einem Erwachsenen. Nicht die Strafe sondern die Erziehung steht hier im Vordergrund und explizit sollen Jugendliche und Heranwachsende nicht von öffentlichen Ämtern ausgeschlossen werden können.


    Die Wertung ist eindeutig - er war in einem Alter, in dem man Fehler machen darf, ohne sich diese später vorhalten lassen zu müssen. Damit erübrigen sich alle weiteren Debatten 26 Jahre später IMHO einfach.


    wohingegen Holm trotz nachweislich affiner Gesinnung nichts nachgewiesen werden konnte.


    Damit erübrigt sich auch diese Debatte. Die Unschuldsvermutung ist ein Kern unserer Rechts- und Werteordnung.

  • @Pumpernickel: Für DICH erübrigt sich hier vielleicht die Debatte. Ich finde das Gefasel von einer zweiten Chance vor so einem Hintergrund völlig scheinheilig. Und nur weil man Holm hier keine konkrete Beteiligung an einer direkten kriminellen Handlung nachweisen kann, ist das mE kein Persilschein. Sich überhaupt mehrfach heimlich mit solchen Leuten zu treffen, deren grundsätzliche Ideologie man zudem noch eindeutig teilt, lässt eine gewisse Einordnung des vermeintlich geläuterten Systemfeinds durchaus zu. Hier geht es übrigens nicht um ein Gerichtsurteil oder um eine juristische Anfechtung der Ernennung, sondern um eine menschliche Einordnung.


    P.S.: Ich empfehle Dir eine ausgiebige Auseinandersetzung mit dem Film "Der Junge Törless". Dass Heranwachsende durch Instanzen wie Elternhaus, Schule, Staat usw usf geprägt werden, steht gar nicht zur Diskussion. Aber völlig arglos sind sie deshalb noch lange nicht. Gerade in der Jugendphase entscheidet sich sehr viel, inwiefern die Werte der vorangehenden Generation übernommen oder ersetzt werden. Und wenn die Zeichen auch viele Jahre später auf Kontinuität statt auf Wandel stehen, ist Deine Darstellung mE weder logisch stringent noch lebensnah. Du wirkst in Deiner Argumentation manchmal derartig verkopft, dass Du das Offensichtlichste nicht mehr siehst.

  • Der Begriff Persilschein stammt aus der Entnazifizierung, als Erwachsene Deutsche kurz gesagt den Entlastungsbeweis erbringen mussten, keine NS Verbrechen begangen zu haben.
    Holm muss keinen Entlastungsbeweis erbringen. Er gilt solange als unschuldig, bis das Gegenteil bewiesen ist, nicht umgekehrt. Damit ist, mit Verlaub, dein Kreuzzug hier "Gefasel".
    Und die Kategorie einer "menschlichen Einordung" ist "mE" schlicht lächerlich, da weder du noch ich Herrn H. persönlich kennen, somit verbietet sich auch die Anmaßung, diesen "menschlich" be- oder gar verurteilen zu können. Es geht hier um die Debatte, ob Herr H. als Amtsträger tragbar ist. Es gibt keinerlei rechtlichen Grund dagegen, "mE" auch keinen moralischen (vgl. "Jugendsünde") und eine "menschliche Einordnung" verbietet sich hier schlicht in Ermangelung persönlicher Bekanntschaft, "Ferndiagnosen" über die Presse sind gewiss keine valide Grundlage für eine "menschliche Einordnung", eher ganz im Gegenteil.


    Sorry, aber das erinnert mich hier alles doch sehr an Stammtischgepolter.

  • @Pumpernickel: Einen Entlastungsnachweis habe ich nicht gefordert (und wer sich an jedem Wort aufhängt, sollte nicht mit dem Begriff "Kreuzzug" anfangen, der hoffentlich wie der Persilschein nicht im verengten Wortsinn zu verstehen war). Ebenso spreche ich hier nicht von einer juristischen de facto Nichteignung für ein Amt. Dennoch erlaube ich mir eine menschliche Einordnung. Politische Personen kann man praktisch NUR aus der Ferne beurteilen oder wie formst Du Dir eine Meinung über Politiker?