Stadtgespräch Berlin / dies und das

  • Bisher befürchte ich nach wie vor, dass man sich extrem viel vornimmt und letztlich vermutlich deutlich weniger bei rum kommt bzw. man sich im schlimmsten Fall verzettelt oder sogar Dinge abwürgt, die vorher noch funktioniert haben.


    Man muss es wenigstens versuchen. Die Sache sich selbst zu überlassen, klappt jedenfalls nicht; das hat die Erfahrung der vergangenen Jahre gezeigt. Deshalb hege ich Sympathien für die wohnungspolitischen Vorhaben des neuen Senats und drücke Lompscher und Holm feste die Daumen. Was die Erfolgsaussichten angeht, bin aber auch ich eher skeptisch: Es ist eine Illusion zu glauben, die Politik könne alles richten, wenn nur die richtigen Leute am Drücker sind und das Richtige wollen.


    Zweifellos hat sich Holm so intensiv mit dem Berliner Wohnraumproblem auseinandergesetzt wie kaum ein anderer. Das heißt aber noch lange nicht, dass er es auch lösen kann. Zum einen ist er kein Politiker, sondern Wissenschaftler - er wäre nicht der erste ausgemachte Fachmann, der im Politbetrieb untergeht. Zum anderen (und vor allem) muss er gegen den Trend einer wachsenden Immoblienblase in einer wachsenden Stadt ankämpfen. Das ist eine Sisyphos-Aufgabe, wenn nicht unmöglich.


    Lass Dir den Sekt schmecken, Klarenbach. Ich fürchte nur, wir müssen früher oder später wieder auf Selters umsteigen... :keineahn:

  • Die Probleme in Berlin sind lokal, müssen aber "global", also auf Bundesebene, angegangen werden.


    Eines der größten Probleme am deutschen Immobilienmarkt ist durch alle Immobilienzyklen hindurch immer gewesen, dass der Staat durch seine Gesetzgebung gewerbliches Immobilieneigentum, zur Vermietung, bevorzugt und privates Immobilieneigentum, zur Selbstnutzung, benachteiligt. Das beginnt damit, dass Kommunen bevorzugt große Baugrundstücke an einzelne Investoren veräußern, einfach weil es einfacher ist und höhere Erlöse zu erzielen sind, als zB mit einem Einheimischen- und Familiengrundstücksprogramm. Das geht dabei weiter, dass für gewerbliche Bauherren KEINERLEI Auflagen bzgl. Eigenkapital gelten - 100 % Fremdfinanzierung plus aller Baunebenkosten ebenso in der Fremdfinanzierung sind bei gewerblichen Wohnungsunternehmen häufig. Das ist es ja auch, was hierzulande die Preise so treibt, durch die Niedrigzinsen am Kapitalmarkt drängt alles ins Betongold.


    Umgekehrt gab es hierzulande schon immer lächerlich hohe Eigenkapitalvorschriften, die auch bei größter Solvenz gelten - a lá Verbeamtung auf Lebenszeit im gehobenen Dienst, schuldenfrei, makellose Schufa - und somit eine Vollfinanzierung für Privatleute gewöhnlich ausschließen. Das alte Motto "Wer einen Kredit will, muss Geld haben" gilt bei der Immobilienfinanzierung für private Häuslebauer (oder auch Eigentumswohnungserwerber) ganz im Gegensatz zu gewerblichen Bauherren/Immobilienkäufern, sehr strikt.


    Und wurde von der Bundesregierung kürzlich sogar noch weiter verschärft. Inzwischen darf nicht einmal, das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen, der Wert der Immobilie als "Sicherheit" mit berücksichtigt werden. In der Tilgungsberechnung darf die Bank nur noch das tatsächliche Einkommen berücksichtigen, muss dies sehr konservativ auf die nächsten 25 Jahre hochrechnen, dabei sind dann auch Spekulationen wie "Haben Sie vor noch Kinder zu bekommen? Dann ist ja nicht gesichert, dass Ihre Frau weiterhin berufstätig bleibt und ein Einkommen hat..." allen ernstes relevant. Wer als Privatmann vor 5 Jahren einen Immobilienkredit bekam, der bekäme ihn oft gar nicht mehr, ohne, dass sich an seiner Bonität etwas geändert hat. Denn wenn die Bank nicht so rigoros und restriktiv prüft, dann ist sie im Zweifel (schon im Zweifel!) in der vollen Haftung, wenn es doch, was immer einmal passieren kann, zum Ausfall kommt. So wollte es der deutsche Gesetzgeber.


    Selbst jetzt, wo die Mieten in Ballungsräumen soviel schneller als die Immobilienpreise gestiegen sind, dass sich eine große Zahl von Beziehern mittlerer Einkommen mit ihrer Kaltmiete bereits rechnerisch eine Vollfinanzierung mit mittlerer Tilgung leisten könnten, bleibt es beim beschriebenen Schema. Protegiert wird von der Politik der Immobilieninvestor, der Betongeld erwirbt, um auf die Kosten noch seine Profitspanne aufzuschlagen und somit die Wohnkosten der Masse, die man gleichzeitig "alternativlos" von der Mietwohnung abhängig gemacht hat (siehe oben), weil sie de facto keinen Zugang zu Wohneigentum hat solange sie nicht erbt, in die Höhe zu treiben.


    Die Spitze setzte die Politik dem ganzen noch mit der sog. Mietpreisbremse auf, die eigentlich in der Wirkung eine Staffelmiete für alle unbefristeten Mietverträge bedeutet. Denn zuvor galt, solange keine Mietstaffel vereinbart ist muss ein Vermieter, alle geläufigen Begriffe wie "ortsübliche Vergleichsmiete" zum Trotz, einen Mieter verklagen, wenn dieser einer Mieterhöhung nicht zustimmt. Mit allen damit verbundenen Kosten und dem Prozessrisiko. Klagen auf Mieterhöhung sind nämlich mit die unsichersten Klagen überhaupt gewesen, sodass in der Rechtsberatung regelmäßig Vermietern davon abgeraten werden musste diesen Weg zu beschreiten, sich stattdessen lieber mit den Mietern außergerichtlich zu einigen. Das hielt die Mieten im Bestand einigermaßen stabil.


    Nun ist es aber so, dass sich aus der Mietpreisbremse nicht nur eine Obergrenze ergibt, sondern auch eine klare gesetzliche Grundlage für den Vermieter, die Miete bis zu dieser Mietpreisbremse erhöhen zu können. Will ein Mieter sich dagegen wehren sind seine Chancen, aufgrund der klaren gesetzlichen Regelung, jetzt ziemlich schlecht. Daher haben sich mit diesem neuen Gesetz de facto alle normalen Mietverträge dank dem Gesetzgeber in Staffelmietverträge verwandelt und solange die Vermieter die - durchaus verdammt großzügigen - Obergrenzen der Mietpreisbremse einhalten können sie munter erhöhen, erhöhen, erhöhen. Diese Obergrenzen liegen weit jenseits jeglicher Lohnsteigerung oder Inflation der letzten 30 Jahre, somit ist damit die Grundlage gelegt, dass Wohnen zur Miete hierzulande auch weiterhin immer teurer und teurer wird.


    Von im Detail unsinnigen Regelungen des Bundes z. B. zur Energieeinsparverordnung, die Neubauten unter 10€/sqm reinen Baukosten nicht mehr möglich machen, fange ich da noch gar nicht an.


    All das kann man lokal in Berlin nicht angehen, wenn man einmal davon absieht, dass die Kommune mehr Baugrund an Privathaushalte als Bauherren verkaufen könnte. Das bietet sich jedoch gerade in Berlin kaum als wirkungsvolle Strategie an, da es kaum unbebaute Brachen im Besitz öffentlicher Hand gibt, zu wenig, um damit eine Wirkung am Immobilienmarkt zu erzielen und umgekehrt Berlin sich weigert, im Außenbereich neue Wohngebiete zu erschließen, solange im Innenbereich noch Nachverdichtung möglich ist. Die Ausnahme "Tempelhofer Flugfeld" ist zwar ausnahmsweise sogar eine Reservefläche im Innenbereich, die auch der öffentlchen Hand gehört, diese darf aber aufgrund der Hipsterspleens nicht bebaut werden. Mehr als Symbolpolitik geht da nicht, Architektenkind.

  • Dann drücken wir Andrej Holm doch mal die Daumen. Seine neue Aufgabe bietet ja äußerst große Profilierungsmöglichkeiten. Er könnte der erste Kommunist werden, der das Wohnraumproblem löst, statt es bestenfalls zu verlagern.

  • Zu Andrej Holm: Sicher ist seine Ernennung zum Staatssekretär ein Experiment, das auch scheitern kann. Auf der einen Seite hat er sehr viel Ahnung von Gentrifizierungsprozessen und Möglichkeiten einer sozialen Stadtpolitik. Er erforscht dieses Thema nicht nur im Elfenbeinturm, sondern er verfolgt auch ganz praktische Ansätze, mit denen Städte auf dieses Problem reagieren. Daher denke ich schon, dass er alle Hebel in Bewegung setzen wird, um bezahlbares Wohnen in der Innenstadt zu sichern. Auf er anderen Seite hat er natürlich keine Verwaltungserfahrung, daher kann es sein, dass er von der Verwaltung ausgebremst wird. Aber wir werden sehen.


    Ansonsten erhoffe ich mir vom neuen Senat vor allem mehr Partizipation. Der alte Senat hat dazu ja schon ein paar hoffnungsvolle Ansätze unternommen, wie das vielgelobte Beteiligungsverfahren für das Fernsehturm-Gebiet. Solche Verfahren erhoffe ich mir auch für andere Orte. Und solche Aktionen wie die Ausbremsung des Bürgerbegehrens zum Mauerpark durch Geisel wird es mit Katrin Lompscher sicher nicht geben.


    Zudem dürfte es klug sein, wenn rot-rot-grün eine integrative Politik betreibt, die auch die CDU-Klientel einbezieht. Beispielsweise sollte die City West mindestens genauso viel Aufmerksamkeit erfahren wie die City Ost, auch sollte sich der neue Senat für den Erhalt Westberliner Institutionen, wie der Kudamm-Bühnen, einsetzen. Und vielleicht gelingt es ja doch, noch in dieser Legislaturperiode mit der ICC-Sanierung zu beginnen.


    Auch sollten wir nicht jeden Tag Sekt trinken, aber an solch einem Tag sollten wir uns etwas Freude gönnen. Ich hätte jedenfalls vor einem Jahr nicht gedacht, dass sich alles so gut entwickelt.

  • Zu Andrej Holm: Sicher ist seine Ernennung zum Staatssekretär ein Experiment, das auch scheitern kann.


    So kann man es auch sagen, wenn ein Mann zum Staatssekretär gemacht werden soll, der:


    - ... noch 1989 eine Stasi-Verpflichtungserklärung unterschrieb und nach Auskunft von Hubertus Knabe, Direktor der Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen, hauptamtlicher Mitarbeiter der Stasi war und 1989 "unmittelbar an der Unterdrückung der DDR-Opposition" in Berlin beteiligt gewesen ist;


    - .. nach Auffassung des Bundesgerichtshofs (BGH) eine "linksextremistische Einstellung" hat und in die entsprechende Szene in Berlin eingebunden ist. (So im Urteil zur Haftaufhebung aus dem Jahr 2007, als der BGH ein Ermittlungsverfahren wg. Verdachts auf Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung einstellte und die Haftentlassung Holms anordnete.)


    Die Berliner Presse von mitte-rechts (Welt) bis mitte-links (Tagesspiegel) reagiert klar ablehnend auf die Berufung Holms, DDR-Opferverbände und ehemalige Bürgerrechtler sind entsetzt.


    Nach Ansicht von Thomas Hollitzer, ehem. Bürgerrechtler und Leiter des Leipziger Stasi-Museums, geht von Berlin die Botschaft aus, dass "Rot-Rot-Grün [...] die Aufarbeitung der [SED-Dikatur] gleichgültig" ist.


    Es wird sich zeigen, wie groß der Handlungsspielraum von jemandem sein wird, der - m. E. aus guten Gründen - auf so breite Ablehnung stößt.


    Quellen:


    https://www.welt.de/politik/de…aatssekretaer-werden.html
    http://www.tagesspiegel.de/ber…asi-problem/14960522.html
    https://de.wikipedia.org/wiki/Andrej_Holm

  • (So im Urteil zur Haftaufhebung aus dem Jahr 2007, als der BGH ein Ermittlungsverfahren wg. Verdachts auf Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung einstellte und die Haftentlassung Holms anordnete.)


    Zu dieser Räuberpistole gehört die Erklärung, warum man Holm überhaupt verdächtigte: In Bekennerschreiben der sog. "militanten gruppe" (mg) waren Worte wie "Gentrifizierung" und "Prekariat" aufgetaucht (die 2007 anscheinend noch nicht so verbreitet waren wie heute). Die ermittelnden Beamten fanden dieselben Worte via Internetrecherche in wissenschaftlichen Texten Holms und schlossen messerscharf, bei ihm müsse es sich gewissermaßen um den Chefideologen der "mg" handeln.


    Das Ganze war damals ein ziemlicher Skandal: Zahlreiche Kollegen – unter Ihnen der New Yorker Soziologe und Bestsellerautor Richard Sennett – forderten eine sofortige Freilassung. Die Bezichtigung des BGH, Holm sei ein "Extremist" klingt jedenfalls arg nach Rechtfertigungsstrategie, damit die Eröffnung des Verfahrens nicht arg so peinlich wirkt, wie sie es tatsächlich war. ist, dass Holm nichts mit einer "terroristischen Vereinigung" am Hut hatte – auch wenn Kollege Carlo diesen Umstand hier elegant verschweigt.

  • Zu dieser Räuberpistole gehört die Erklärung, warum man Holm überhaupt verdächtigte:


    Das ist nun wirklich absurd: Ein Verfahren, das beim Bundesgerichtshof (BGH) landet, ist alles, nur keine "Räuberpistole".


    [...] ist, dass Holm nichts mit einer "terroristischen Vereinigung" am Hut hatte – auch wenn Kollege Carlo diesen Umstand hier elegant verschweigt.


    Das ist schlicht die Unwahrheit. Ich habe ausdrücklich erwähnt, dass das entsprechende Verfahren gegen Holm eingestellt wurde:


    (So im Urteil zur Haftaufhebung aus dem Jahr 2007, als der BGH ein Ermittlungsverfahren wg. Verdachts auf Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung einstellte und die Haftentlassung Holms anordnete.)



    Das alles ändert aber nichts an Holms Stasi-Vergangenheit und seiner - nach Ansicht des BGHs - erwiesenen "linksextremistischen Einstellung".


    Meiner Meinung nach haben ehemalige hauptamtliche Mitarbeiter der Stasi in hohen staatlichen Ämtern ebenso wenig verloren wie (Links- oder Rechts-)Extreme, und Leute die sowohl das eine waren als auch das andere sind, schon gar nicht.


    Quellen: s. o.

  • Man kann es drehen wie man will. Mit Holm zeigt die LINKE abermals, dass sie keine Berührungsängste mit ehemaligen Stasi-Leuten hat. Solang sie sich offen dazu bekennen (und das tut Holm) bekommen sie von der Partei die Absolution erteilt. Warum sich allerdings die Grünen, die ja offiziell immer noch das DDR-Bürgerrechtler Kürzel "Bündnis 90" im Namen tragen, für solche Tabubrüche hergeben, bleibt ihr Geheimnis. Holms unzweifelhaftes Engagement und Fürsprechen für die autonome und linksradikale Szene setzt dem Ganzen ja noch die Krone auf. Getreu dem Motto "Ich bereue nichts!".

    Einmal editiert, zuletzt von Saxonia ()

  • Warum sich [...] die Grünen, die ja offiziell immer noch das DDR-Bürgerrechtler Kürzel "Bündnis 90" im Namen tragen, für solche Tabubrüche hergeben, bleibt ihr Geheimnis.


    Nicht nur die Grünen, auch die SPD hat das Anti-Totalitäre einmal ganz hoch gehalten, gerade in (West-) Berlin (und kann m. E. stolz darauf sein). Es sei an Namen wie Ernst Reuter und Willy Brandt erinnert ... .


    Auch wenn das nicht meine bevorzugte Konstellation ist, spricht das nicht per se gegen Koalitionen mit der Linken heute - unter der Voraussetzung, dass die SED-Diktatur konsequent aufgearbeitet wird und Leute, die sich nicht von ihrem Handeln damals distanzieren, nicht in Führungsämter berufen werden. In Thüringen soll das nach Angaben des bereits oben zitierten WELT-Artikels so laufen, in Berlin nicht:


    https://www.welt.de/politik/de…aatssekretaer-werden.html

  • Die BZ von heute bringt ein langes Interview mit Katrin Lompscher, in der sie ihre Vorstellungen erklärt. Ein paar Punkte sind:
    -Konzentration der Neubaugebiete an den S- und U-Bahntrassen. Das jetzt gestoppte Wohngebiet Elisabethaue würde jenseits dieser Trassen liegen, daher wäre es stadtstrukturell problematisch.
    -Die Planung der Hochhäuser am Alexanderplatz soll noch einmal überprüft werden, wobei sie für den Hines-Turm und den Monarch dafür wenig Chancen sieht.
    -Die Bürgerleitlinien für das Fernsehturm-Gebiet, die im vorigen Jahr bei einem Bürgerbeteiligungsverfahren erarbeitet wurden und die noch das alte Abgeordnetenhaus am 9. Juni dieses Jahres parteiübergreifend beschlossen hat, sollen umgesetzt werden. Darin eingeschlossen ist der Verbleib des Neptunbrunnens an seinem jetzigen Standort, der von der Mehrheit der Bürger gewünscht wurde.
    -Schließlich will Frau Lompscher im Gegensatz zu Herrn Geisel auf Unternehmensspenden verzichten. Sie sieht sich ganz dem Gemeinwohl verpflichtet.


    Alles in allem klingt das doch ziemlich vernünftig. Es ist kein radikaler Kurswechsel, sondern es gibt ein paar behutsame Korrekturen bei einer Fortsetzung sinnvoller Ansätze des alten Senats.


    http://www.bz-berlin.de/landes…ertig-sind-frau-lompscher

  • Holms Stasivergangenheit war mir nicht bewusst und klingt nicht so harmlos. Müller hat mit einer offenbar schariafreundlichen und islamisten"nahen" Staatssekretärin auch schon heftige Proteste ausgelöst und ausgerechnet einen muslimischen Parteigenossen dazu veranlasst, mit Parteiaustritt zu drohen. Anderswo wurde kritisiert, dass Berlin künftig generell mit Abstand die meisten Staatssekretäre aller Bundesländer beschäftige (Bayern übrigens die wenigsten). Alles in diversen Zeitungen nachzulesen. Klingt holprig, um es mal vorsichtig auszudrücken. Drei Parteien, mehr Ministerien und zig Staatssekretäre - darunter einige gehörige "Querköpfe" mit womöglich fragwürdiger Auffassung zu Demokratie und Verfassung. Dazu on top ein schon im Ansatz in vorher mW nie da gewesenem Maße umfangreicher und komplexer Regierungsvertrag.


    Und nach wie vor scheint es mir, als wenn man es krampfhaft überall ganz anders machen und es wirklich jedem (abgesehen vom konservativen bis rechten Spektrum) recht machen will. Da werden sich - hoffentlich - viele AFD-Wähler kräftig in den Hintern beißen, dass sie das mit ermöglicht haben aber auch innerhalb der SPD könnte der Gegenwind noch gehörig zunehmen. Zugleich ist die SPD anders als von der relativ handzahmen Henkel-CDU gewohnt gegenüber Linken und Grünen erpressbar und unglaublich schwach. Könnte noch sehr spannend werden. Meine anfängliche Skepsis nimmt weiter zu, meine zarte Hoffnung weicht zunehmend echten Bauchschmerzen. Ich hoffe, diese Konstellation erweist sich dennoch als tragfähig und vor allem besonnen oder aber scheitert krachend, bevor zu viel Schaden entsteht...


    Übrigens traue ich der neuen Regierung durchaus zu, dass sie der AFD trotz oben genanntem Paradoxon (rechts wählen bringt ultralinke Regierung) noch mehr Zulauf bescheren wird. Schon, dass sie pauschal gegen Abschiebungen sind, wird kaum kollektive Begeisterung auslösen und das Versprechen bezahlbarer Mieten, leistungsfähigerer Schulen und Verwaltungen etc nicht leichter machen...

  • Auch wenn man aus der Vergangenheit weiß dass ein neuer Senat nicht viel ändern kann bleibt doch die Hoffnung dass die Gentrifizierung wenigstens etwas gebremst werden kann. Mit A. Holm ist ja einer dabei der sich damit auskennt.

  • Da bin ich äußerst skeptisch.
    Gentrifizierungsprozesse wie sie derzeit in Berlin ablaufen, sind meines Erachtens nicht zu stoppen. Wir vergessen einfach, dass - auch wenn es viele nicht wahrhaben möchten - Berlin immer noch eine Art Nachholeffekt hat.
    Klar die Mieten steigen extrem, aber zum grossen Teil deshalb weil einfach das Preisniveau bis 2008 extrem niedrig war.


    Hinzu kommt, dass Rot rot grün mehr Bürgerbeteiligung propagiert. Das heißt nichts anderes, als Bauvorhaben zu verhindern. Vor allem in den Plattenbaugebieten in Fhain usw., die nachverdichtet werden sollen, wird die Linke alles daran setzen ihre Klientel nicht zu verschrecken und jedes Bauvorhaben kippen oder minimieren.


    Und das Grundproblem bleibt. Sozialer Wohnungsbau kostet ein Vermögen.
    Es besteht einfach die Gefahr, dass Berlin wieder in die Schuldenfalle wie in den 90gern gerät, wenn hier nicht aufgepasst wird und das wäre letztendlich auch nicht hilfreich.


    Keine Partei hat ein Rezept dagegen und deshalb denke ich werden die Mieten und Kosten für Wohnungen weiter steigen.
    Allein für Flüchtlinge und den wirklich sozial Gefährdeten Wohnungen zu verschaffen, wird eine schwierige und wohl vordringlichste Aufgabe sein.
    Rot Rot Grün will unbedingt investieren und Geld ausgeben sozusagen als Gestalter glänzen, Klientelpolitik betreiben. Der Fokus sollte aber mindestens genauso darauf gerichtet sein die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu verbessern, die Infrastruktur zu erneuern (ICC, A100, Ubahnbau anstelle der völlig schwachsinnigen Strassenbahnen zum Potsdamer Platz, usw.) aber das alles wird ignoriert und um mindestens eine Legislaturperiode verschoben.


    Was die Stadtentwicklung betrifft, muss man schon froh sein, dass Regina Lüscher uns erhalten bleibt, auch wenn das die meisten hier anders sehen.
    Ich hoffe sie kann das schlimmste verhindern, dass nämlich die Linke ihr ganzes Ostberlin (oder zumindest jeden Plattenbau) am liebsten unter Denkmalschutz stellen würde und jede moderne Bebauung verhindern wird. (Alexanderplatz, Mitte, usw usw) Ich hoffe nur, dass diese Legislaturperiode (oder solange dieses Bündnis hält) einigermassen schadensfrei für Berlin vorbeigeht, im besten Fall also verlorene Jahre.

  • Gentrifizierung wurde hier auch oft zum sachfremd verwendeten Kampfbegriff. So als sei das alles nur pure Spekulation von Immobilienhaien o. ä.


    Es ist doch so, dass aus Berlin durch die Besetzung und Unterteilung in vier Sektoren nicht nur die Industrie, einst der ganze Stolz Berlins, vertrieben wurde, sondern auch Mittel- und Oberschicht und Akademiker in Massen. Die aus dem Osten machten über Westberlin in den Westen rüber, zumindest solange es ging, danach wurde das (Bildungs)Bürgertum ohnehin ideologisch in der DDR bekämpft und zersetzt, die aus Westberlin konnten ohnehin ungehindert den Rückzug antreten. "Mit der Fabrik verschwand auch der Fabrikdirektor, der Ingenieur und sogar der Buchhalter", etwas salopp ausgedrückt.


    Wenn man sich das so vor Augen führt kehrt Berlin eigentlich sukzessive zu seinem Normalzustand zurück, der durch Krieg und Kriegsfolgen bedingte Ausnahmezustand ist zu Ende. Das lässt sich nicht einfach als Immobilienspekulation abtun.


    Wer an die Politik also die Erwartung hat, dass Berlins Epitom weiterhin schlurfige Jogginghose, Dosenbier und rotzige Aussprache sein könnte (Whywolf_Larry nennt es hier im Forum immer "Cyberpunk"), wenn man nur die "richtigen" Leute im Amt habe, der irrt. Berlin wird vermutlich nie wieder der industrielle, kulturelle und gesellschaftliche Nabel Deutschlands werden, wie es das einst war. Aber inzwischen ist jeder vierte Einwohner mit Hauptwohnsitz in Berlin schon ein Akademiker. Das wird die Stadt auch weiter verändern. Und Potzblitz, auch diese Menschen haben in Berlin Wahlrecht und einen legitimen Anspruch, dass auch für sie Politik gemacht wird, was mir gelegentlich vergessen zu werden scheint. Sozial Schwache und Lebenskünstler sind gewiss als Bürger nicht weniger wert, aber eben auch nicht mehr! Anstatt sich gegen die letztlich legitimen Interessen einer wachsenden Mittel- und Oberschicht zu stemmen muss die Politik sich lieber aktiv um die Abgehängten kümmern. So mangelt es zB am Stadtrand nicht an Platz.


    Wieso nicht komplett neue Stadtviertel errichten, mit sozialer Durchmischung, aber Mieten zum Selbstkostenpreis und vom Staat subventionierter Freiflächengestaltung für möglichst hohe Lebensqualität. "Ghettos" entstanden ja auch dadurch, weil man einfach Punkthäuser hingeknallt hat, deren Raum dazwischen nur von Mülltonnenaufstellplätzen, Parkplätzen, Feuerwehrzufahrten und reizlosem Abstandsgrün geprägt war, eigentlich sollten diese Punkthäuser, so waren in der Nachkriegszeit die Ursprungsplanungen, in aufwändige Landschaftsparks eingebettet werden, flankiert von allerlei Nahversorgung und kulturellen Einrichtungen wie Stadtteilbüchereien und kleinen Nachbarschaftskulturzentren, alles aus Kostengründen gestrichen worden. Auch viele Leute mit guten Einkommen leben bewusst lieber am Stadtrand, es wird immer so getan, als sei dies ein "Schicksal", gleich einer "Zumutung", als wäre jeder aus der Stadt "herausgedrängt", der nicht den Blockrand bewohnt. Berlin braucht schlicht mehr Wohnraum, die Privatinvestoren bauen fleißig (auch in Randlagen und im Umland!), aber wenig überraschend profitorientiert. Das Land Berlin setzt dem nur homöopathische Bautätigkeit auf eigene Rechnung entgegen. Na welch Überraschung, dass sozial Schwache dabei massiv hinten runter fallen, aufgedrückte Sozialwohnungsquoten für Private hin oder her. Daher ist für mich viel von dem Herumgehacke auf "Gentrifizierung" durch Lokalpolitiker auch eine Ablenkung von eigener Untätigkeit.


    Statt sich verbal (kostet nix) gegen Veränderungen zu stemmen oder gar befremdliche Erhaltungsverordnungen für Plattenbauten zu erlassen (kostet auch nix), die schon lange in der Hand von Ferienwohnungsvermietern sind, muss massiv in neue Stadtviertel mit möglichst aufwändiger Gestaltung aber auch deren Erschließung investiert werden. Berlin wächst in jeglicher Hinsicht, aber 0 km neue U-Bahn sind auch nur geplant. Die Politik pennt einfach und verteilt, auch weil sie weiss auf welch fruchtbaren Boden das in Berlin fällt, nur fleißig Klassenkampf-Placebo um sich über die nächste Legislatur zu retten. Geldmangel ist ebenfalls kein Argument. Der Bund zeigt ständig seine Bereitschaft Berlin besonders zu pampern, ja er drängt Berlin sogar mitunter ungefragt Gelder auf, siehe das Umfeld des Humboldtforum. Ich traue mich jede Wette, würde Berlin einen neuen Masterplan auflegen, bestehend aus neuen Stadtvierteln, Bebauung der verbliebenen Brachen (inklusive der alten Rollbahn plus Wiese genannt "Tempelhofer Freiheit"), flankiert von neuer U-Bahn, usw., dann würde der Bund hier ordentlich mithelfen seine Hauptstadt zu fördern, wie schon bei der "Kanzler U-Bahn". Noch hat der Bund reichlich Cash übrig. Aber sowas wird nicht einmal diskutiert. Die Lokalpolitik sitzt in Berlin auf ihren Händen und führt stattdessen Diskussionen über die Nichtgestaltung des "Rathausforum" und Klarenbach nennt das "Fortsetzung sinnvoller Ansätze des alten Senats" und der uns einst versprochene "Aufbruch" von RRG im Koalitionsvertrag erschöpft sich darin Unter den Linden autofrei zu machen (so sehr ich das auch im Einzelnen begrüßen mag). Bravo.

    7 Mal editiert, zuletzt von Pumpernickel ()

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    Mit Cyberpunk meinte ich die Morphologisch/Ästhetische representation einer Foucoltschen Heterotopie im Architektonischen Schwerpunkt. Die von dir beschriebene Chantall und Ronny Kultur gehört zwar auch dazu es allerdings darauf zu reduzieren ist wohl dann etwas vermessen.
    Ansonsten teile ich eher deine Befürchtung im groben. Solange keine Landesplanung und das verhältniss Brandenburg und Berlin geklärt und reguliert ist wird jeder Stadtansatz ein tropfen auf dem heissen Stein.

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    Mit Cyberpunk meinte ich die Mosphologisch/Ästhetische representation einer Foucoltschen Heterotopie im Architektonischen Schwerpunkt. ...


    ...sehr schön und freundlich von Dir, dass Du uns dass noch einmal so klar und griffig erklärst.


    ...Chantall und Ronny Kultur...


    :lach:


    Berlin braucht m.E. die Ausweisung neuer Flächen für den Wohnungsbau, sowohl entlang der Bahntrassen, als auch ausserhalb von S und U Bahnlinien.


    Und es bedarf einer Zusammenarbeit mit Brandenburg, damit im Umland auch entsprechend Bauland ausgewiesen wird. Zum Beispiel das Brandenburgische Gebiet südlich von Lichterfelde. Am Ende der Osdorfer Straße, nur wenige hundert Meter hinter der S - Bahnstation ist abrupt Schluß, es folgen Felder / Freiflächen bis zur B 101 / Heinersdorf. Dort könnte man tausende Wohnungen im Siedlungs und Einfamilienhaus Stil bauen. Die Entfernung ins zentrale Berlin ist geringer als von Grünau bzw. manchen südöstlichen Berliner Stadtgebieten.
    Ebenso rund um Frohnau im Norden. Nur wenige hundert Meter hinter der S -Bahnstation Frohnau wächst Mais. Auf der Fläche zwischen Frohnau und dem Golfclub Stolperheide könnten auch Häuser wachsen. Geld für die Erschliessung muss in die Hand genommen werden, die Bebauung, einschließlich Supermärkten etc. kann man weitgehend privaten Bauherren überlassen.

  • Dafür steht die Personalia Holm ja leider überhaupt nicht. Es steht zu befürchten, dass man sich an konfliktreichen Bauprojekten in sogenannten Szenekiezen aufreibt und das große Ganze aus den Augen verliert. In Kreuzberg, Prenzlauer Berg oder Friedrichshain wird ja beinahe jedes größere Bauvorhaben von Anwohnerinitiativen bekämpft. Für solches Klientel hat man sich Holm ins Haus geholt. Das betrifft aber letztlich nur einen verschwindend geringen Teil der Menschen, für die Wohnungspolitik betrieben werden müsste. Es darf nicht nur Politik für die gemacht werden, die schon da sind, sondern auch für die, die nach Berlin ziehen wollen und auf den Wohnungsmarkt drängen. Das ist ja das "Problem".

  • Vorbild 1920er Jahre

    Berlin braucht m.E. die Ausweisung neuer Flächen für den Wohnungsbau, sowohl entlang der Bahntrassen, als auch ausserhalb von S und U Bahnlinien.


    Das ist mit Sicherheit richtig.


    Was Berlin aber vor allem braucht, sind realisierbare Ziele und Macher, die wissen, wie man sie erreicht. Da kann Ex-Stasi-Mann Holm noch so viele Papers zum Thema Gentrifizierung geschrieben haben: Dass er ohne praktische Erfahrung in der Bauwirtschaft oder -verwaltung in der Lage sein wird, "mit Masse" bezahlbaren Wohnraum zu schaffen und Gentrifizierungsprozesse zumindest zu verlangsamen, darf bezweifelt werden.


    In der Regel ist es eine gute Idee, zurückzuschauen und zu überlegen, was in der Vergangenheit funktioniert hat und was nicht. Das ist zugegebenermaßen eine konservative Herangehensweise, die revolutionär bewegten Zeitgenossen wie Holm fremd sein dürfte. Dafür ist sie aber bewährt.


    Gut funktioniert hat in Berlin der großflächige Bau von bezahlbarem Wohnraum durch kommunale Träger und Genossenschaften im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts, vor allem in den 1920er Jahren. Damals ist massiv Wohnraum geschaffen worden, die Bauten sahen überwiegend gut aus und prägen das Stadtbild bis heute.


    Wenn das in wirtschaftlichen Krisenzeiten wie den 1920ern möglich war, sollte das auch heute zu schaffen sein. Immobilieneigentümern administrativ Stöckchen in die Speichen zu werfen, wird dagegen das Mengenproblem (das daraus resultiert, dass die Bevölkerung schneller wächst, als erforderlicher Wohnraum fertiggestellt wird) nicht lösen.

  • ^Jemanden zu diskreditieren bevor derjenige noch nicht mit seiner Arbeit angefangen hat finde ich hier unpassend.


    Der Neubau von bezahlbarem Wohnraum für Normalverdiener und die Verdrängung von Mietern durch Androhung oder Durchführung von Luxussanierungen sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Dafür gibt es bestimmt verschiedene Spezialisten.


    ^^In den genannten Bezirken sind in letzter Zeit dafür ganz schön viele Bauvorhaben verwirklicht worden. In manchen Vierteln wohnen kaum noch Leute die schon vor 15 Jahren da gewohnt haben. Für wen da Politik gemacht wurde sehe ich anders.

  • ^Jemanden zu diskreditieren bevor derjenige noch nicht mit seiner Arbeit angefangen hat finde ich hier unpassend.


    Ich "diskreditiere" Holm nicht, sondern bezweifele, dass er - ohne jede nennenswerte administrative Erfahrung - der richtige Mann ist, um eine Behörde zu leiten (dass tun Staatssekretäre).


    Abgesehen davon finde ich allerdings schon, dass Holm durch seine Stasi-Vergangenheit politisch kompromittiert ist und deshalb keine staatlichen Führungspositionen ausüben sollte. Das ist aber eine andere Frage und hier auch nur am Rande von Belang.