Potsdam: Garnisonkirche - Der Diskussionsthread

  • Die Nazis nannten sie ihre "Geburtstätte des Nationalsozialismus".


    Was konnte die Kirche dafür, dass sie von den Nazis hierfür missbraucht wurde und das den Wiederaufbaugegner nun als billiges Argument gegen einen Wiederaufbau dient?

  • Sie sind leider nicht auf der Höhe des aktuellen historischen Wissenstandes. [...] Die Nazis nannten sie ihre "Geburtstätte des Nationalsozialismus".


    Das halte ich für ein Gerücht.


    Die sogenannte "Hauptstadt der Bewegung" war bekanntermaßen München, und seit dem gescheiterten Putsch vom 9. November 1923 sakralisierte die NSDAP den Ort, an dem diesem Spuk ein Ende gesetzt worden war, die Münchner Feldherrnhalle:


    https://de.wikipedia.org/wiki/Hitlerputsch


    Sie können den Wiederaufbau der Garnisonkirche ja gerne ablehnen, aber mit dem "aktuellen historischen Wissensstand" hat das, was Sie hier verbreiten, nicht viel zu tun.


    Wir sind uns doch alle einig, dass gerade an diesem Ort Erinnerungs- und Versöhnungsarbeit wichtig ist. Ist aber eine Vollrekonstruktion dafür geeignet? Ich sehe es ganz ähnlich wie Bischof Dröge oder die Beauftragte der EKBBO für Erinnerungsarbeit Marion Gardei, die sagen, es kann nur gelingen, wenn der Bruch mit der Geschichte am Gebäude [...] sofort sichtbar und die Absicht dessen auch erkennbar ist.


    Also, ich erinnere und versöhne mich immer gerne, aber ich kann diese elenden baulichen "Brüche", mit denen erstklassige Gebäude ohne Not verhunzt werden, nicht mehr sehen. Eine Gedenktafel und eine Ausstellung tun es auch. Wer dafür keine Zeit hat, dem wird es mit dem "Erinnern und Versöhnen" auch nicht so wichtig sein. Nicht das Gebäude ist historisch problematisch, sondern der "Tag von Potsdam", für den es missbraucht wurde.

    2 Mal editiert, zuletzt von Carlo ()

  • [...]Die Postdamer Garnisonkirche verkörpert wie kein anderer Kirchenbau die Verknüpfung von Monarchie, Militär und erzkonservativen später nationalsozialisten Eliten des Preußischen Staates. Diese Rolle wurde dem Gebäude übrigends schon der jeweiligen Epoche zugeschrieben und nicht etwa erst von späteren Generationen hineininterpretiert.


    Monarchismus und Erzkonservatismus passen schonmal überhaupt nicht mit Nationalsozialismus zusammen. Dass eine Garnisonkirche in der Residenzstadt eines Staates kein Hort für umstürzlerische Ideale oder republikanischer Gesinnung ist, liegt nahe. Ist aber mit Sicherheit nicht spezifisch preußisch.



    Man könnte sogar soweit gehen, zu sagen, dass die Hof- und Garnisonkirche inhaltlich und architektonisch für diesen Zweck konzipiert wurde.


    Aha, barocke Vorboten des Nationalsozialismus? Mutige These. :lach:



    Die Nazis nannten sie ihre "Geburtstätte des Nationalsozialismus".[....]


    Achso und dann muss das stimmen? Tut mir leid, aber das ist schlichtweg lächerlich.

  • Sie sind leider nicht auf der Höhe des aktuellen historischen Wissenstandes. Die Postdamer Garnisonkirche verkörpert wie kein anderer Kirchenbau die Verknüpfung von Monarchie, Militär und erzkonservativen später nationalsozialisten Eliten des Preußischen Staates.


    Haha, "aktueller historischer Wissenstand", von einem Ulbricht-Honecker-Gedächtnis-Institut oder was? Also bitte. Das ist plumpe DDR-Propaganda. Möglichst alle ideologischen Feindbilder verknüpfen, um sich daraus ein Weltbild zu zimmern, und selber als "Guter" dazustehen.



    [..] erzkonservativen später nationalsozialisten Eliten des Preußischen Staates


    Purer Unsinn, solch eine Stringenz hat es nie gegeben. Das ist immer die Mär, die Kommunisten gerne verbreiten: Der Nationalsozialismus sei dem Bürgertum und Adel entsprungen. Stattdessen haben vor allem Arbeitern und Bauern die NSDAP gewählt. Genau das gleiche Klientel der Kommunisten. Für jeden Kommunisten ist es wohl immernoch eine Schmach, wie Goebbels in kurzer Zeit aus der tiefroten Berliner Arbeiterschaft eine tiefbraune gemacht hat. Nach dem Krieg aber sind die Kommunisten eben auf die ehemals NSDAP-wählenden Arbeiter und Bauern angewiesen, um ihre glorreiche DDR zu gründen. Dann wäre es taktisch unklug gewesen, jenen Vorwürfe über ihre Vergangenheit zu machen. Da bietet sich dann natürlich "die preußische Elite" als Schuldiger an, und die Garnisionkirche ist nunmal Projektion dafür.


    Tatsächlich aber sind 1954 9% der SED-Mitglieder ehemalige NSDAP-Mitglieder. Das wird natürlich lieber vertuscht, lieber Schuldzuweiseungen an die "faschistische BRD" etc. Eine Entnazifizierung in DDR bleibt aus. Das ewige Rumreiten auf der Garnisonkirche dient wohl auch dem Selbstbelügen, um der eigenen, unaufgeklärten Vergangenheit nicht gewahr werden zu müssen.

  • Die Postdamer Garnisonkirche verkörpert wie kein anderer Kirchenbau die Verknüpfung von Monarchie, Militär und erzkonservativen später nationalsozialisten Eliten des Preußischen Staates.


    Jein. Die Verbindung von Kirche und Monarchie/ Machteliten ist für die gesamte damalige Zeit ja erst einmal nicht außergewöhnlich, sondern charakterisierend. Könige werden damals schon seit Jahrhunderten in Kirchen gesalbt und auch wieder in den Kirchen beigesetzt - auch wenn sie Kriege führen. Das ist nicht nur in ganz Preußen so, sondern überall in Europa. Und wenn der Monarch noch immer eng mit der Kirche verbandelt ist, dann setzt sich das auch auf sein Militär und seine Kriegszüge sowie weitere Bereiche seiner Politik fort (so wie generell alles von Geburt bis Tod im Rahmen der Religion abgehandelt wird). Natürlich ist eine Garnisonkirche noch mal ein etwas spezieller Fall aber grundsätzlich ist daran überhaupt nichts ungewöhnlich für diese Zeit, in der diese Sphären nicht getrennt werden. Gewiss ist die Garnisonkirche hierfür umgekehrt ein guter Zeitzeuge, was erst einmal überhaupt nicht schlecht sein muss. Da wir inzwischen längst keine Monarchie mehr haben, allgemein kein kriegstreiberischer Staat sind und davon abgesehen Staat und Religion getrennt sind, verstehe ich da nicht Deine Befürchtungen. Im rot-rot-regierten, von zahlreichen Atheisten bevölkerten, Brandenburg muss man sich doch wegen so einer harmlosen Reko keine Sorgen machen, dass nun plötzlich (im Zuge einer Verfassungsreform?) alte Zeiten auferstehen. Eher kann es uns helfen, zu verstehen und zu lernen. Und wenn tatsächlich irgendwelche lächerlichen Gidas etc durch die Gegend ziehen wollen, werden sie so oder so eine passende Kulisse finden. Hier wie dort muss man sich dem widersetzen. Dagegen beschreibst Du doch selbst, wie es anders geht:


    Ironischerweise fand die Kirche erst zu einer "normalen kirchlichen Nutzung" zu DDR Zeiten im Zuge der Heilig-Kreuz-Gemeinde. Und ja, der Abriß der Ruine war ein Kulturfrevel.


    In genau diesem Sinne wird sie ja auch wiederhergestellt. Und wenn da irgendwelche problematische Gestalten politisches Kapital draus schlagen wollen, müssen sich Kirchengemeinde und Umfeld eben wie gesagt entsprechend wehrhaft zeigen. Diese Deutungskämpfe entscheiden sich aber generell nicht an irgendeinem Gebäude. Die entscheiden sich eher in den Elternhäusern, Schulen und Freundeskreisen etc Wer einmal nachhaltig politisch geprägt ist, zeigt sich laut diesem Geo-Artikel meist entsprechend verbohrt.


    Um ihr Argument der "unschuldigen Steine" aufzunehmen. Ja man kann im Sinne einer verantwortungsvollen Erinnerungsarbeit diese existierenden Steine "umwidmen". Das funktioniert, da es authentische Ort sind. Es gibt genügend Beispiele erfolgreichem Umganges mit diesen Orten. Aber wie sieht es mit Rekonstruktionen aus?


    Bei authentischen Orten siehst Du diese Möglichkeit also als durchaus gegeben. Zugleich beschreibst Du ja wie auch die Garnisonkirche bereits einmal entsprechend umgewidmet wurde, sodass Du den Abriss sogar als Frevel bezeichnest. Grundsätzlich ist es dann doch nicht mehr so weit zu der Zuversicht, dass dies auch bei der Reko gelingen kann und wird. Zumal die Menschen doch zu 90% bald gar nicht mehr mal wissen, was Reko ist und was nicht. Dass sie WEGEN dem Wiederaufbau anders empfinden und denken werden, erscheint mir ehrlich gesagt unwahrscheinlich. Entsprechende Informationenstafeln etc kann und sollte man so oder so anbringen. Die Reko zwanghaft baulich als solche kennzeichnen muss man hingegen mE nicht, da es ggf nur inauthentisch wäre. Wenn es natürlich einen wirklich guten Einfall dazu gäbe, der über eine bloße Verunstaltung hinausgeht, habe ich auch nichts dagegen.


    Der Vergleich zum Olympiastadion erscheint mir sehr hypothetisch, eben weil weder nach dem Krieg noch jetzt ein entsprechender Kostenaufwand realistisch erscheint. Da reden wir über ganz andere Dimensionen. Wirklich schön ist dieser Monumentalbau auch nicht, noch fügt er sich harmonisch ins Stadtbild wie die Potsdamer Garnisonkirche (im Gegenteil sollte Berlin ja erst weiträumig abgerissen und in diesem Stil neu errichtet werden). Dennoch hat er seine Besonderheiten, sodass der Erhalt unter Denkmalschutz insgesamt doch plausibel erscheint. Dass es in der Tat Konflikte mit dem Hauptmieter Hertha gibt, hat jedoch nicht zuletzt mit ebenjenem Denkmalschutz zu tun, was bei einer Reko anders zu lösen gewesen wäre. Und ein solcher Konflikt zeigt sich für die Garnisonkirche überhaupt nicht.

  • Der Nationalsozialismus sei dem Bürgertum und Adel entsprungen. Stattdessen haben vor allem Arbeitern und Bauern die NSDAP gewählt.


    Langsam ist gut mit den interessierten Halbwahrheiten, die hier fröhlich gesammelt werden. Also mal Butter bei die Fische, "Fakten, Fakten, Fakten" (H. Markwort):


    1. "Entsprungen" ist die NSDAP dem rechtsradikalen Milieu der Freikorps, Anhänger gefunden hat sie bis 1933 vor allem im kleinbürgerlichen Mittelstand von Handwerkern, einfachen Geschäftsleuten und Angestellten sowie unter Landarbeitern; weniger unter den städtischen Industrie-Arbeitern, die in ihrer großen Mehrheit in der Gewerkschaft waren und SPD oder KPD wählten. Konfessionell waren es die Protestanten, die für den NS offen waren, während die Katholiken ziemlich lange immun blieben und das Zentrum wählten. Die letzten nicht-braunen Flecken bei den Wahlen 1932 waren dementsprechend die roten im Ruhrpott, in Berlin, Hamburg und Sachsen und die lilafarbenen im Rheinland, in Bayern und in Schlesien (was, by the way, keineswegs zufällig auch die Farben der alten "Reichsfeinde" der Bismarckzeit sind).


    Es stimmt, das große Teile der Industrie-Arbeiterschaft nach 1933 unter dem Einfluss von Terror und Versprechungen zu den Nazis überliefen oder abtauchten. Ihre unverhohlene Freude über "die Schmach der Kommunisten", Herr Fritz, ist da allerdings vollkommen unangebracht: Es ist eine der großen Katastrophen der Geschichte, dass der Widerstand gegen Hitler so schnell zusammenbrach, und die Mehrheit der Deutschen fortan mit dem Führer marschierte, bis alles in Scherben fiel.


    2. Das Bürgertum hat überwiegend national-konservativ und deutschnational gewählt – anti-republikanische Parteien, die spätestens ab 1930 mehr oder weniger offen die Rückkehr zur Monarchie anstrebten und 1933 Hitlers Koalitionspartner stellten. Eine enge Zusammenarbeit zwischen deutschnationalen Bürgerlichen, alten Militaristen und erklärten Faschisten gab es schon 1931 in der Harzburger Front. Die bürgerlich-liberalen Parteien, die in den "guten Jahren" der Republik mit der SPD die "Weimarer Koalition" bildeten, waren da schon bedeutungslos. Und ohne die Spenden von Großindustriellen und Wirtschaftsverbänden, ohne die Propaganda des Hugenberg'schen Presseimperiums wäre der Aufstieg der NSDAP ab 1930 in dieser Form kaum möglich gewesen – um das zu wissen, muss man nicht der (unhaltbaren) Dimitroff-These anhängen, wonach Hitler eine Marionette des Großkapitals gewesen sei.


    3. Der preußische Landadel, die sogenannten Junker, waren sich lange zu fein für die Nazis, am Ende fungierten sie aber als deren Steigbügelhalter. Ohne Leute wie von Hindenburg, von Papen und von Schleicher wäre Hitler nicht Reichskanzler geworden. Und dass sie das nicht als Einzelpersonen taten, sondern im Namen ihres ganzen Standes, dafür steht symbolisch der "Tag von Potsdam": Während die SA in Berlin politische Gegner zu Tode foltert, tritt Paul von Hindenburg in kaiserlicher Uniform und Pickelhaube aus der Gruft Friedrichs II. vor die Garnisonkirche und reicht Hitler die Hand.


    Der greise Repräsentant des preußischen Militäradels schlägt die Brücke vom alten in das neue Reich. Es ist der Jahrestag der Reichsgründung von 1871 und in den Straßen weht die schwarz-weiß-rote neben der Hakenkreuz-Fahne. Die Fahnen der Republik, deren gewählter Präsident Hindenburg formal noch ist, sind bereits verschwunden. Die Reichswehr marschiert gemeinsam mit den Braunhemden auf, und Kronprinz Wilhelm von Preußen überbringt den Glückwunsch des Hauses Hohenzollern.


    Ich interpretiere (aber hart an den Fakten): So wenig vom Alten Fritz ein gerader Weg über Wilhelm Zwo zu Hitler führt, so wenig kam die NS-Ideologie aus dem Nichts. Das Nazi-Reich war kein historischer Betriebs-Unfall, sondern konnte auf ein ideologisches Potential aufbauen, das in der deutschen National- und der preußischen Militärgeschichte begründet liegt. Und die Erben des Kaiserreichs haben geholfen, der Barbarei das Tor zu öffnen – am Tag von Potsdam, als sie feierlich das Bündnis von Mob und Elite besiegelten.


    Tatsächlich aber sind 1954 9% der SED-Mitglieder ehemalige NSDAP-Mitglieder. Das wird natürlich lieber vertuscht, lieber Schuldzuweiseungen an die "faschistische BRD" etc. Eine Entnazifizierung in DDR bleibt aus.


    So einfach ist das nicht, aber die Rede von der DDR als dem "antifaschistischen Teil Deutschlands" ist natürlich fromme Legende. Neben der stalinistischen Zurichtung der SED und der sowjetischen Oberhoheit ist die uneingestandene Prägung der ostdeutschen Gesellschaft durch die NS-Zeit einer der Gründe, warum der Laden von Anfang an so furchtbar autoritär und unfrei war. Nur ist es lächerlich, die Bundesrepublik in Sachen Entnazifizierung als positives Gegenbeispiel hinzustellen. Dass der BND von einem ehemaligen Nazi-Agenten (Gehlen) mit Hilfe von Gestapo-Personal aufgebaut wurde, hat sich die SED nicht ausgedacht. Ebenso wenig den Umstand, dass Adenauers Kanzleramts-Chef ein Kommentator der Nürnberger Rassegesetze war (Globke).


    Alte Nazis waren Ministerpräsidenten (Filbinger, Kopf), Bundeskanzler (Kiesinger) und Bundespräsidenten (Carstens). In den Parlamenten saßen hunderte ehemalige NSDAP-Mitglieder (Bundestag hier), große Teile des Justizapparates und der Ministerialbürokratie wurden einfach übernommen. Wer wissen will, wie es noch in den 1960er-Jahren in westdeutschen Gerichten zuging, der lese mal eine Biographie über den Staatsanwalt Fritz Bauer, der Naziverbrechen verfolgte und dafür von Richtern und anderen Staatsanwälten gehetzt und gemobbt wurde: Außerhalb seines Büros sei er in Feindesland, hat er gesagt.


    Ich interpretiere wieder hart an den Fakten: Es stimmt nicht, dass die DDR nazifreie Zone gewesen wäre und es keinerlei Durchlässigkeit zwischen NS- und SED-Staat gegeben hätte. Völlig absurd ist es aber, eine ideologische Identität "roter und brauner Extremisten" zu konstruieren, während man auf der anderen Seite das Bürgertum und mit ihm die ganze Bundesrepublik als Musterbeispiele liberal-demokratischer Gesinnung hinstellt. Es gab in der alten Bundesrepublik ein jahrzehntelanges "Nachleben des Faschismus in der Demokratie" (Adorno), wie man es sich heute nur noch schwer vorstellen kann.


    Das ewige Rumreiten auf der Garnisonkirche dient wohl auch dem Selbstbelügen, um der eigenen, unaufgeklärten Vergangenheit nicht gewahr werden zu müssen.


    Das unterstellt, wer die Garnisonkirche kritisiere, stehe auf Seiten der SED und beschäftige sich nicht mit deren Geschichte. Was natürlich Humbug ist: Ich habe mich viel damit beschäftigt, und Ulbrichts Vergangenheit ist gewiss nicht "meine eigene".

    3 Mal editiert, zuletzt von Architektenkind () aus folgendem Grund: Ergänzung vorgenommen

  • Dass der agressive preußische Expansionsdrang in einem ersten Schritt ("2. Reich") die "kleindeutschen" Staaten übernahm und erst im zweiten Schritt ("3. Reich") "großdeutsch" wurde und sich so dann über die Grenzen ausbreitete ist schon ein gewisser Kausalzusammenhang, das 3. Reich wäre ohne das 2. Reich Bismarcks nicht möglich gewesen. Der Holocaust ist nochmal ein Kapitel für sich, das war zu Anfang gar nicht so unumstritten unter den Rechtsnationalen, der preußische Expansionsdrang, wie auch das preußische Kulturprimat innerhalb der deutschsprachigen Länder, war jedoch unumstritten und die einende Basis dieser Leute (zu Anfang bildeten sich die "gemäßigteren Nationalisten" ja noch ernsthaft ein Hitler kontrollieren zu können, sobald sie ihm zur Macht verholfen haben, ähnlich einer politischen Marionette, entsprechende Zitate sind verbürgt).


    Aus gutem Grund haben die Aliierten nach dem Krieg Preußen von den Landkarten getilgt und fast ausschließlich dem ehemaligen Preußen Gebiete abgenommen. Da kann München hinterher noch so sehr "Hauptstadt der Bewegung" geworden sein, in München wurde der erste Versuch der Machtergreifung, der noch außerparlamentarisch war, jedenfalls gestoppt, auch wenn seine Amigos ihn dann doch aus der bayerischen Haft holten, nachdem er dort Zeit hatte sein Buch zu schreiben. Der katholische Süden war zu Anfang mehrheitlich gegen Hitler und die Oberschicht in den Gebieten, in denen Hitler Sympathisanten hatte, war ebenfalls mehrheitlich gegen Hitler. Er richtete sich als Manipulator an die einfachen Arbeiter, daher ja auch der Name "Arbeiterpartei", er hat fein beobachtet wie die Kommunisten z. B. in der russischen Revolution für ihre Zwecke aufwiegelten.


    Dieses soziale Opium der Nestwärme und materiellen Leistungen und Gemeinschaftsgeist ("du bist nichts dein Volk ist alles" könnte umformuliert auch das Motto sehr linker Kommunisten gewesen sein) hat er dann mit seinem Gedankengut und seinem Nationalismus kombiniert und heraus kam die NSDAP und alles, wofür sie stand.


    Wenn man so will, dann war das alte Preußen für die Militaristen einfach das stärkste "Wirtstier" in Mitteleuropa, später das preußifizierte "Großdeutschland". Wie wenig diese Leute ihr eigenes Geplapper der Herrenrasse ernst nahmen sah man ja am Ende, als GröFaZ sinngemäß daraufhin angesprochen, dass die Deutschen den Krieg verlieren und er das Land, dessen Regierungschef er ist, gerade zu Grunde richtet, sagte, dass die Deutschen sich dann als schwächere Volk erwiesen hätten und es gar nicht anders verdient hätten, als zu verrecken. Das erinnert schon sehr an einen Parasiten, der sich eines Wirtskörpers für seine Zwecke bemächtigt und den Wirtskörper fallen lässt, wenn er ihn nicht mehr gebrauchen kann.


    Dieser parasitäre Geist der braunen Weltenzerstörer nahm, so anachronistisch und militaristisch das alles rückblickend für uns Nachgeborene erscheinen mag, aber keinesfalls irgendwie den Anfang an oder in oder um die Garnisonkirche. Der Handshake war nicht mehr als ein photo op für die damalige Presse (Hitler war ein Meister in dem, was man heute als PR bezeichnet).


    Oder um aus Moby Dick zu zitieren:

    He piled upon the whale's white hump the sum of all the general rage and hate felt by his whole race from Adam down; and then, as if his chest had been a mortar, he burst his hot heart's shell upon it.


    ... so verfahren wir mit dem baulichen Erbe unserer Vorfahren. Genauso wenig, wie Ahab an einem "unschuldigen" Tier wirklich Rache üben oder dieses Tier zur "Verantwortung" ziehen konnte, das sind menschliche Projektionen auf den zu Moral oder Schuld unfähigen Wal gewesen, so projezieren wir all unsere Scham, Wut und Reue auf das zu Moral oder Schuld unfähige bauliche Erbe unserer Vorfahren (ggf. auch eine Ersatzhandlung, um nicht Papa oder Opa fragen zu müssen "Warst du ein Nazi?" [und wenn er ja sagt, verachte ich ihn dann? Aber er ist doch mein lieber Opa... nein, Fragen, deren Antwort ich nicht hören will, stelle ich besser nicht, was mache ich aber dann mit meinem Schuldgefühl des Nachgeborenen?] mit allen Konsequenzen für die familiären Bindungen, aber ich will hier nicht in Küchentischpsychologie abdriften, diesen Eindruck hatte ich lediglich oft, wenn ich mir anschaue, wie die Nachkriegsgeneration mit ihrer deutschen Identität umging).


    Unserer Vorfahren die, egal welche historischen Kausalzusammenhänge man nachträglich erkennt (vielfach ggf. auch einfach hinein interpretiert), mit 2. Weltkrieg und Holocaust und all dem einfach nichts zu tun hatten, als sie bis 1735 diese Kirche errichteten. Und deren Andenken einfach aus der Geschichte zu löschen war eine Barbarei und ich sehe mich als Nachgeborener nicht nur in der Verantwortung zum Gedenken und Versöhnung bzgl. der Taten unserer Vorfahren gegenüber anderen Völkern. Ich finde, wir müssen auch Wiedergutmachung gegenüber unseren eigenen Vorfahren und deren Erbe leisten, auch im Interesse unserer Kinder, die nie Schuld auf sich geladen haben und auch mit keiner "Erbsünde" geboren werden und das Recht haben, nicht nur in Demut und Verantwortungsgefühl für die Schattenseiten der Geschichte ihrer Vorfahren aufzuwachsen, sondern auch die positiven Seiten ihrer Kultur kennenzulernen. Ein schöpferischer Höhepunkt unserer Kultur war neben der Weimarer Klassik in der Literatur sicherlich die Baukunst des Barock. Keine Generation hat oder hatte das Recht, dieses zu verwerfen. Das ist das kollektive Erbe aller Generationen und auch der gesamten Menschheit.


    Dieser Verantwortung kommen wir nach, wenn wir die Bilderstürmerei der Nachkriegszeit punktuell korrigieren und Wiedergutmachung leisten. Auch das können nur Annäherungen sein. Aber ich sehe uns in der Pflicht, uns dahingehend zu bemühen und nicht so verdammt egoistisch zu sein und nur unseren eigenen privaten Tellerrand einer Privatmeinung ("Ich finde, dass die Kirche X ist und deswegen [nicht] wiederaufgebaut werden sollte") zu sehen, sondern unsere historische Verantwortung, Wiedergutmachung für die Dummheit unserer Vorfahren zu leisten und unseren Nachfahren dieses bauliche Erbe neu zugänglich zu machen. So gut wir das eben können. Niemand hat das Recht, Seiten aus dem Buch der Geschichte herauszureißen! Und wir haben die Pflicht, diese Seiten so gut wir können zu restaurieren und zu rekonstruieren.


    Wenn ich die Rekonstruktion aus einer politischen Erwägung befürworte, dann aus Verantwortungsgefühl, das über meine Person und meine Lebzeit oder auch die letzten paar Jahrzehnte hinaus geht. Die gigantische Leistung unserer Vorfahren, die mit zig Handwerkern und Künstlern dieses Gesamtkunstwerk des Barock entwarfen und errichteten, darf nicht ignoriert oder dafür genutzt werden, Vergangenheitsbewältigung bzgl. dessen zu betreiben, was viele Generationen später geschah. Das klärt man besser mit den Menschen, nicht mit Steinen.

    2 Mal editiert, zuletzt von Pumpernickel ()

  • 1. "Entsprungen" ist die NSDAP dem rechtsradikalen Milieu der Freikorps, Anhänger gefunden hat sie bis 1933 vor allem im kleinbürgerlichen Mittelstand von Handwerkern, einfachen Geschäftsleuten und Angestellten sowie unter Landarbeitern; weniger unter den städtischen Industrie-Arbeitern, die in ihrer großen Mehrheit in der Gewerkschaft waren und SPD oder KPD wählten. Konfessionell waren es die Protestanten, die für den NS offen waren, während die Katholiken ziemlich lange immun blieben und das Zentrum wählten. Die letzten nicht-braunen Flecken bei den Wahlen 1932 waren dementsprechend die roten im Ruhrpott, in Berlin, Hamburg und Sachsen und die lilafarbenen im Rheinland, in Bayern und in Schlesien (was, by the way, keineswegs zufällig auch die Farben der alten "Reichsfeinde" der Bismarckzeit sind).


    Das Heranziehen von Wahlergebnissen zur Messung von ideologischer Übereinstimmung bestimmter Bevölkerungsteile ist eine gängige Methode, im Falle der NSDAP aber aus meiner Sicht vielfach ungeeignet. Die NSDAP ist bis 1929 fast überall im Reich eine absolute Splitterpartei und politisch völlig marginalisiert. Zwar gibt es allerorten völkische und auch antisemitische Strömungen, insbesondere im Bürgertum, aber die ordnen sich keineswegs der faschistischen und als proletarisch empfundenen Hitler-Partei unter.
    Das plötzliche und auch für die Zeitgenossen überraschende Anschwellen der NSDAP auf 40 und mehr Prozent nach 1929 ist aus meiner Sicht ein absolutes Krisensympton. Die Leute sind ja nicht innerhalb von 2 Jahren überzeugte Nazis geworden. Dafür spricht auch der deutliche Stimmenverlust für die NSDAP im November 1932 angesichts einer sich langsam verbessendern Wirtschaftslage und offensichtlichen Enttäuschung einiger Protestwähler. Ohne die politischen Ränkespielchen, an deren Ende Hitlers Kanzlerschaft stand, hätte sich der Abstieg in der Wählergunst wohl fortgesetzt.
    Interessanter ist daher meines Erachtens, wo die NSDAP denn vor 1929 stark abgeschnitten hat und da sind wir u.a. im katholischen Bayern. 17% für die Nationalsozialisten alias "Völkischer Block" bei den bayerischen Landtagswahlen 1924 sind ein Spitzenwert für diese Zeit. In München kam man sogar auf 25%. Also diese süddeutschen Milieus würde ich als deutlich wichtiger für die ideologische Entwicklung der NSDAP einschätzen, als Regionen, in denen die NSDAP erst nach 1929 zur Protest- und Massenpartei geworden ist.
    Dass dann nun gerade in katholischen Gegenden die NSDAP eher schlecht Abschnitt, liegt wohl fast ausschließlich an der starken Präsenz der katholischen BVP bzw. außerhalb Bayerns der Zentrumspartei. Eine allgemein akzeptierte Konfessionspartei gab es auf protestantischer Seite nicht.

  • 17% für die Nationalsozialisten alias "Völkischer Block" bei den bayerischen Landtagswahlen sind ein absoluter Spitzenwert für diese Zeit. In München kam man sogar auf 25%.


    Auch mit 25 % ist man immer noch 3/4 von einer Mehrheit entfernt. Das wissenschaftlich erarbeitete Historische Lexikon Bayerns (Betreiber Bayerische Staatsbibliothek) sagt zum Völkischen Block in Bayern, dass sich nur ein Teil der späteren NSDAP anschloß und der VBIB löste sich dann auch über interne Richtungsstreits auf. Auch hätten sich im VBIB vorwiegend vaterländisch denkende Akademiker, Beamte oder Honorationen engagiert, welche von der "rabaukenhaften" oder national-bolschewistischen Agitation der NSDAP Anhänger abgestoßen waren.


    Siehe mehr unter https://www.historisches-lexik…_in_Bayern_(VBl),_1924/25


    Deine These ist somit für mich ein Fall von nachträglich hineingedeutetem Zusammenhang, der in sich schlüssig klingen mag, aber schon bei einem Blick in ein Lexikon so nicht haltbar ist.


    Der katholische Süden wäre wegen seiner militärischen und wirtschaftlichen Schwäche auch schlicht untauglich für die Zwecke des "harten Kerns" um Hitler gewesen. Womit hätte Bayern schon Angriffskriege führen sollen? Mit den Böllerschützen der Kirchweih? "Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin", das war das Motto der NSler. Es führt kein Weg daran vorbei, dass all das so nicht möglich gewesen wäre, hätte nicht vorher das militaristische Preußen mit seinem Hegemonialstreben solch ein großes, zusammenhängendes Territorium aufgebaut und solch einen verwurzelten Militarismus eines stehenden Heeres über Generationen entwickelt. Auch eine noch so fanatische Bewegung kann sowas nicht über Nacht und auch nicht binnen weniger Jahre aus dem Nichts erzeugen. Die Grundlagen waren da schon lange gelegt und die waren nun mal im früheren Preußen.


    Selbst wenn du Preußen historisch respektierst, es war ja auch nicht alles schlecht, kannst du das nicht ernsthaft negieren.

  • Auch mit 25 % ist man immer noch 3/4 von einer Mehrheit entfernt. [...]


    Siehe mehr unter https://www.historisches-lexik…_in_Bayern_(VBl),_1924/25


    Deine These ist somit für mich ein Fall von nachträglich hineingedeutetem Zusammenhang, der in sich schlüssig klingen mag, aber schon bei einem Blick in ein Lexikon so nicht haltbar ist.[...]


    Es geht dabei überhaupt nicht um Mehrheiten oder personelle Deckungsgleicheit. Tatsache ist, dass extrem völkische Gruppierungen in Bayern und insbesondere in München beträchtliche Erfolge erzielten, während das andernorts noch nicht der Fall war und schon gar nicht in Preußen oder gar Berlin und Potsdam.
    Die Hochburgen im Süden wahren insbesondere nach dem gescheiterten Putsch existentiell für die Nationalsozialisten. Demgegenüber war die "Hitler-Bewegung" in weiten Teilen des Reiches fast schon in Auflösung begriffen. Als Goebbels 1926 in Berlin Gauleiter wurde, befand sich der Parteiverband bekanntlich in einem desolaten Zustand. Erinnert sei auch an den Stennes-Putsch von 1931.
    Kurzum, Brandenburg und Preußen hatten keinen wirklich entscheidenden Anteil an der Genese der NSDAP, wie sie dann ab 1929 Erfolge errungen hat. Dem NS irgendwie auf spezifisch preußische Ursachen zurückzuführen, ist ein später Erfolg nationalsozialistischer Propaganda, die der NSDAP im größten und wichtigsten deutschen Staat natürlich auch eine gewisse Legitimation verschaffen wollte. Mit Betonung süddeutscher Eigenarten wäre das wohl weniger gelungen.


    "Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin", das war das Motto der NSler.


    Logisch, immerhin war Berlin die deutsche Hauptstadt. Mussolini hat seine Macht auch durch den Marsch auf Rom errungen. Aber weder hat der Faschismus dort seiner Wurzeln noch hatte Mussolin dort außergewöhnlich viel Unterstützung.



    Es führt kein Weg daran vorbei, dass all das so nicht möglich gewesen wäre, hätte nicht vorher das militaristische Preußen mit seinem Hegemonialstreben solch ein großes, zusammenhängendes Territorium aufgebaut und solch einen verwurzelten Militarismus eines stehenden Heeres über Generationen entwickelt.


    Ein völlig hanebüchener Erklärungsversuch. Er läuft im Grunde darauf hinaus, schon in der Reichsgründung oder gar im preußischen Staatswesen die Grundlage für die spätere NS-Herrschaft zusehen. Total absurd. Weder ein großes Staatsgebiet noch eine militaristische Gesellschaft führen zwangsläufig in den Nationalsozialismus. Stehende Heere gab es in ganz Europa seit dem 17. Jahrhundert.


    Auch eine noch so fanatische Bewegung kann sowas nicht über Nacht und auch nicht binnen weniger Jahre aus dem Nichts erzeugen. Die Grundlagen waren da schon lange gelegt und die waren nun mal im früheren Preußen.


    Der Anschluss des total unpreußischen Österreichs verlief diesbezüglich absolut reibungslos.

  • Das Heranziehen von Wahlergebnissen zur Messung von ideologischer Übereinstimmung bestimmter Bevölkerungsteile ist eine gängige Methode, im Falle der NSDAP aber aus meiner Sicht vielfach ungeeignet.


    Es ging nicht darum, ideologische Übereinstimmung nachzuweisen, sondern einfach um die Frage: Wer wählte wen am Ende der Weimarer Republik.


    Das plötzliche und auch für die Zeitgenossen überraschende Anschwellen der NSDAP auf 40 und mehr Prozent nach 1929 ist aus meiner Sicht ein absolutes Krisensympton.


    Natürlich ein Krisensymptom, was sonst? Ohne 1929 hätte die Weimarer Republik allmählich die Versailler Verträge revidieren können und Europa wäre höchstwahrscheinlich wieder in ruhigeres Fahrwasser gekommen. Der Siegeszug der NSDAP war aber auch in der Krise kein Automatismus. Es bedurfte reicher Gönner und Unterstützer unter den alten Eliten, damit sie zur stärksten Partei aufsteigen konnte.

    Interessanter ist daher meines Erachtens, wo die NSDAP denn vor 1929 stark abgeschnitten hat und da sind wir u.a. im katholischen Bayern.


    Das verwundert nicht, der Verein kam nun mal aus München, und bis Mitte der 1920er waren die Nazis eine bayerische Partei mit Ablegern in außerbayerischen Städten. Beim Putschversuch 1923 ergänzten sich der traditionelle, bayerische Vorbehalt gegen die "Saupreußen" mit dem Hass auf die "Novemberverbrecher", die in Berlin das Sagen hatten. Das wurde aber später anders: Ihren ersten Minister stellte die NSDAP nicht im Süden, sondern im norddeutsch-protestantischen Land Braunschweig.


    Dass dann nun gerade in katholischen Gegenden die NSDAP eher schlecht Abschnitt, liegt wohl fast ausschließlich an der starken Präsenz der katholischen BVP bzw. außerhalb Bayerns der Zentrumspartei. Eine allgemein akzeptierte Konfessionspartei gab es auf protestantischer Seite nicht.


    Was kein Zufall ist: Im Reich von 1871 hatten zwei Bevölkerungsgruppen eine Art Paria-Status. Das waren die Industrie-Arbeiter, die noch nicht in die bürgerliche Gesellschaft integriert waren und revolutionären Ideen anhingen, und die Katholiken, die sich als "Ultramontane" nicht nur dem Kaiser in Berlin, sondern auch dem Papst in Rom verpflichtet fühlten. Diese beiden Gruppen waren unter Bismarck politisch verfolgt (Sozialistengesetze bzw. Kulturkampf) und standen dem Reich enstprechend distanziert gegenüber – ich denke, die Nachwirkungen dieser Distanz trugen zwei Generationen später einiges bei zur relativen Immunität gegenüber der Hitler-Euphorie.

  • Ähnlich wie zu DDR Zeiten war unter dem NS Regime die Kirche auch ein Ort der Opposition. Gerade fromme Menschen haben nun einmal ein transzendentes, "überweltliches" Wertesystem und sind deshalb, wie alle Menschen mit sehr gefestigter Weltanschauung, kaum für andere Weltanschauungen zugänglich. Das ist vielleicht nicht immer "chic" im Sinne des Zeitgeistes, kann aber in dunklen Zeiten ein gewisses "Immunsystem" bieten.


    Da wir hier ja kein P-Seminar Zeitgeschichte haben nur einige Stichpunkte aus dem Wikipedia-Artikel Widerstand gegen den Nationalsozialismus:


    "Der Kreuzkampf im Oldenburger Land des Bistums Münster war ein seltener Fall offenen Volkswiderstandes gegen die Nationalsozialisten. Nach dem Verbot der Kreuze in den Schulen brach 1936 ein derartiger Proteststurm aus, dass dieses Verbot schließlich wieder aufgehoben werden musste. Zu ähnlichen Ereignissen kam es nach dem Schulkreuzerlass des bayerischen Innenministers und Gauleiters Adolf Wagner 1941 in ganz Ober- und Niederbayern. Auch hier wurde der Erlass wenig später wieder zurückgenommen."


    "Der Katholische Jungmännerverband (1938 aufgelöst) bezog im Wahlkampf 1933 gegen die NSDAP Stellung und widersetzte sich dem erzwungenen Rückzug aus dem Kirchenleben."


    "Die Württembergische Pfarrhauskette, organisiert durch Theodor Dipper, war eine Untergrundorganisation evangelischer Pfarrer zur Rettung von Juden."


    "Der Kölner Kreis war ein ziviler Widerstandskreis aus dem Umfeld des politischen Katholizismus."


    "Junger Bundschuh war eine Fluchthelfergruppe, die hauptsächlich aus Katholiken bestand."


    "Die Mitglieder der Weißen Rose (Hans Scholl, Sophie Scholl, Christoph Probst, Willi Graf, Alexander Schmorell) druckten und verteilten vom Juni 1942 bis zum Februar 1943 Flugblätter. Sie handelten nach eigener Aussage aus christlicher Überzeugung."


    Auch die christliche Motivation einzelner Oppositioneller wie Dietrich Bonhoefer ist verbürgt und er wurde für seinen Widerstand letztlich auch im KZ ermordet.



    Es kann einfach, wie man es dreht und wendet, nicht so getan werden, als sei die Kirche, gar dieses eine Kirchgebäude, williges Werkzeug der NS Zeit oder des Militarismus gewesen, ja gar eine Geburtsstätte davon. Wenn man sowas pauschal behauptet, dann, mit Verlaub, spuckt man all den Widerständlern, die damals aus christlicher Überzeugung gegen die Nazi-Barbarei antraten und dafür ihr Leben ließen, (metaphorisch gesprochen) ins Gesicht. Wenn ich dann in Facebook-Kommentaren zur Garnisonkirche irgendwelches Stammtischgepolter a lá "Nazikirche" hervorblubbern sehe, dann kommt mir da einfach die Galle hoch.

  • ^ Nun ja, von den Deutschen Christen hast Du aber schon gehört, oder? Der protestantische Mainstream in Deutschland war 1935 so begeistert für Hitler und die göttliche Mission der arischen Rasse, wie er 1985 für Umweltschutz und Weltfrieden war.


    Richtig ist allerdings, dass die Nazis nach einem erfolgreichen Krieg keine Verwendung mehr für die Kirchen gehabt hätten. Vermutlich wäre es auf eine Unterdrückung der christlichen Institutionen hinausgelaufen, aber nicht auf eine Christenverfolgung.

  • ^
    Kirchliche Institutionen wurden schon während des dritten Reiches unterdrückt. Protestantische wie Katholische. Zum Beispiel fanden Veranstaltungen von Staats- und Parteiorganisationen bewusst zeitgleich mit Kirchenveranstaltungen statt. Es war klar, wo man zu erscheinen hatte, wollte man keine Nachteile erfahren.

  • Langsam ist gut mit den interessierten Halbwahrheiten, die hier fröhlich gesammelt werden. Also mal Butter bei die Fische, "Fakten, Fakten, Fakten" (H. Markwort):


    Aha, so geht Selbstbeweihräucherung also :cool:



    Eine enge Zusammenarbeit zwischen deutschnationalen Bürgerlichen, alten Militaristen und erklärten Faschisten gab es schon 1931 in der Harzburger Front.


    Das gemeinsame Ziel war der Sturz Kanzler Brünings. Ansonsten gibt's nicht viel gemeinsames, weswegen sich die einzelnen Gruppierungen wenig später wieder gegenseitig bekämpft haben. Bereits am ersten und einzigsten Tag der Zusammenarbeit hat sich Hitler klar von der anderen Gruppierungen distanziert, um die Eigenständigkeit der NSDAP zu betonen. Die anderen Gruppierungen waren nicht bereit, sich der NSDAP unterzuordnen. Mit "enger Zusammenarbeit" hat das nichts zu tun. Ihre Aussage, Architektenkind, ist kein , gehört eher zu den "alternativen Fakten".



    Konfessionell waren es die Protestanten, die für den NS offen waren,


    Das ist eine sinnlose Verallgemeinerung; sicher gab es die "Deutschen Christen", aber das sind nicht alle Protestanten. Und nur weil das Kirchenleitungspersonal gewisse Entscheidungen trifft, heißt das noch lange nicht, dass die Gläubigen das auch so sehen. Andere Christen wurden durchaus bedrängt, christliche Jugendverbände verboten und gleichgeschaltet ...


    Nochmal zurück zu den frühen Tagen der NSDAP. Hitler hat es geschaft, viele kleine nationale, völkische und sozialistische Arbeiterparteien unter seiner Herrschaft zu vereinigen. Wie sehr dieses Konstrukt auf die Person Hitlers angewiesen ist zeigt die relative Schwäche während Hitlers Haftzeit. Gleichwohl gab es unter Hitler Richtungskämpfe in der Partei, bei denen sich letztendlich die nationalen, völkischen gegen die sozialistischen durchsetzen konnten. Dennoch steht das "sozialistisch" nicht ohne Grund in dem Namen der Partei. Als politische Schlägetruppe dient die SA. Dort sammeln sich auch viele Freikorpsmitglieder. Freikorps können aber nicht der "preußischen Elite" zugerechnet werden. Etwa 1930 erreicht die SA ein Mitgliederzahl von 100.000. Der Machtübernahme in Deutschland steht Hitler die Reichswehr im Weg. Militärisch ist die SA zu schwach, weswegen ein anderer Weg gewählt werden muss. Hier passt das Sprichwort: If you can’t beat them, join them!


    Und die Reichswehr wird nunmal dominiert durch die national-konservativen Eliten. Was hat Hitler mit diesen gemeinsam: den Hass auf den Versailles Vertrag.


    (Hitler war ein Meister in dem, was man heute als PR bezeichnet).


    Genau das wird halt häufig außer Acht gelassen: Hitlers Talent ist das Manipulieren von anderen Menschen. Somit spielt er den Bürgerlichen, besucht Generale und konservative Politiker, schenkt deren Frauen Blumen, trägt Frack und Zylinder. Er weiß genau, wem er welches Häppchen vorwerfen und wem er Honig um den Mund schmieren muss.

    (zu Anfang bildeten sich die "gemäßigteren Nationalisten" ja noch ernsthaft ein Hitler kontrollieren zu können, sobald sie ihm zur Macht verholfen haben, ähnlich einer politischen Marionette, entsprechende Zitate sind verbürgt).


    Die national-konservativen Parteien stecken in den Kriese, sind durch gescheiterte Regierungen, interne Skandale und Affären geschwächt. Dann die fatale Entscheidung, ein Kabinet Hitler zu bilden. Der klägliche Versuch, durch deutlich mehr DNVP-Minister in der Regierung Hitler für die eigenen Zwecke nutzen zu können.
    Es folgt der "Tag von Potsdam", eine Inszenierung von Goebbels. Ziel: Hitler als Nachfolger von Friedrich dem Großen, Bismarck, Hindenburg, den Großen der deutsch-preußischen Geschichte, darzustellen (Wie man sieht glauben heutzutage immer noch etliche Leute diese Geschichte). Hitler, in Frack und Zylinder, demütig vor Hindenburg. Genau die Bilder, welche die NS-Propaganda braucht, um deutschnationale Monarchieanhänger auf ihre Seite zu ziehen. Dann noch ein paar schöne Worte von Hitler, in denen er Wahrung der Rechte von Parlament, Präsident und Reichsrat gelobt, eine Lüge. Das Ermächtigungsgesetz liegt bereits in der Schublade. Spätestens der Tod des Reichspräsidenten Hindenburg im folgenden Jahr und Hitlers neue Bezeichnung als Reichkanzler und Führer zeigt wohin die Reise gehen soll. Hitler trägt natürlich nie wieder Frack und Zylinder oder gibt den Gentleman. Sein wahres Gesicht kommt wieder zu Tage, die gespielte Rolle kann er wieder ablegen.



    Der greise Repräsentant des preußischen Militäradels schlägt die Brücke vom alten in das neue Reich. Es ist der Jahrestag der Reichsgründung von 1871 und in den Straßen weht die schwarz-weiß-rote neben der Hakenkreuz-Fahne. Die Fahnen der Republik, deren gewählter Präsident Hindenburg formal noch ist, sind bereits verschwunden.


    Noch am Rande: Das ist wieder eine falsche Aussage: Die Straßen waren voll von schwarz-rot-goldenen Fahnen und eben kaum Hakenkreuzfahnen. Passt natürlich nicht in die NS-Propaganda, weswegen sowas natürlich gerne vernachlässigt wurde.





    Vielleicht zurück zur Garnisonkirche. Bei an Gottesgnadentum glaubenden Herrschern besteht prinzipiell eine Nähe zwischen Religion, Monarchie und Militär. Doch inwiefern spielte das bei der Garnisonkirche eine Rolle?


    Die Wurzeln der Kirche liegen bei deren Auftraggeber Friedrich Wilhelm I. Die Kirche lies er als Gläubiger für das Seelenheil seiner Soldaten in Potsdam errichten. Bekanntermaßen hat Friedrich Wilhelm I. keinen Krieg geführt, sodass kein irgendwie gearteter Verbindung zwischen Kirche und Krieg auf die Kirche abfärben kann. Die Kirche dient als Grabstätte Friedrich Wilhelm I.


    Nächster Herrscher war Friedrich der Große, welche viele Kriege führte, aber als Freigeist wenig mit Religion und Kirche am Hut hatte: Jeder soll nach seiner Fasson seelig werden. Die Kirche bleibt weitgehend unbeachtet, die Eroberungen Friedrich II. können nicht auf die Kirche abfärben. Gegen seinen Willen wird Friedrich der Große in der Garnisonkirche beigesetzt.


    Berühmt wird die Kirche durch den "Besuch" Napoleons bei dessen Eroberungszug durch Europa, als er am Sarg Friedrich des Großen verweilt, und dessen vermeindlichen Degen klaut.


    Die ersten wirklichen militärischen Elemente kommen 1816 in Kirche: Fahnen und Standarten von besiegten französischen Einheiten während der Befreiungskriege gegen Napoleon. Die Befreiungskriege können aber wohl kaum dem oft zitierten "preußisch-deutschem Imperealismus" zugeordnet werden.


    Erst ab 1867 kommen weitere Fahnen und Standarten aus den Einigungskriegen gegen Dänemark(1848 und 1864), Österreich(1866), Frankreich(1870) hinzu. Die Garnisonkirche wird gewissermaßen zur Schaustellung von Trophäen genutzt. Der einst karge Innenraum wird dem wilhelminischem Repräsentationsbedürfnis gemäß prächtiger ausgestattet.


    Nach dem ersten Weltkrieg verschwinden die Trophäen und werden durch Standarten untergegangener preußischer Regimenter ersetzt.


    Die Garnisonkirche hatte also im Zusammenhang mit den Einheitskriegen eine gewissermaßen "militärisch-kirchliche" Gemeinschaftsnutzung, wie sie heutzutage noch bspw. in der Cathédrale Saint-Louis-des-Invalides in Paris vorzufinden ist: erbeutete Standarten besiegter feindlicher Truppen in einer Kirche. Und das im laizistischen Frankreich. Eine Verbindung zwischen Kirche und Militär ist also auch nichts typisch preußisches oder deutsches.

  • ^ Nun ja, von den Deutschen Christen hast Du aber schon gehört, oder? Der protestantische Mainstream in Deutschland war 1935 so begeistert für Hitler und die göttliche Mission der arischen Rasse, wie er 1985 für Umweltschutz und Weltfrieden war.


    Darum habe ich mich, Eigenzitat, ja auch lediglich gegen Pauschalurteile über "die Kirche" oder "die Christen" gewandt:


    "Es kann einfach, wie man es dreht und wendet, nicht so getan werden, als sei die Kirche, gar dieses eine Kirchgebäude, williges Werkzeug der NS Zeit oder des Militarismus gewesen, ja gar eine Geburtsstätte davon. Wenn man sowas pauschal behauptet (...)".


    ...von Pauschalurteilen sind dann eben auch die kirchlichen Widerstandsgruppen oder die christlich motivierten Widerständler betroffen. Und das ist ungebührlich.


    Einander zu zeigen wie pflichtgemäß wir die Geschichte des 20. Jahrhunderts verinnerlicht und uns dabei über Deutungsnuancen zu streiten ist aber auch gar nicht der Punkt hier. Der Punkt, worin wir uns wohl mehrheitlich einigen können ist, dass es eine absolut übertriebene Projektion ist, die Garnisonkirche zu einem Ursprung der NS Herrschaft o. ä. zu stilisieren, wie es jene Reko-Gegner verschiedentlich tun, die versuchen das Projekt dadurch unmöglich zu machen, indem sie es versuchen in einen NS-Kontext zu rücken. Das erscheint vielen offenbar wirksamer zu sein, als nur mit der Privatmeinung zu argumentieren, im Sinne von "Ich denke, dass...".


    Und das ärgert mich nicht nur, weil diese Deutungen bzgl. der Garnisonkirche so unzulässig und nicht sachlich zu untermauern sind, es ärgert mich auch, weil es sich eigentlich verbietet dieses Kapital der Geschichte für solch politisches Klein-Klein einzuspannen (denn bei aller Liebe, die Frage ob der Turm der Garnisonkirche rekonstruiert wird oder nicht, das ist letztlich Klein-Klein). Das ist übrigens auch der rechtspolitische Grund, warum z. B. die Verwendung des Hakenkreuzes hierzulande in den meisten Kontexten unter Strafe steht.


    Nicht etwa, so der Populärglaube, weil man sozusagen "die Nazis verbieten" oder "Nazi-Propaganda verbieten" wolle, sondern weil man mit dem Verbot verhindern will, dass die Verwendung dieser Symbole zur Alltäglichkeit und Banalität wird bzw. zu Beginn dafür sorgen wollte, dass diese Symbole wieder aus dem Alltag verschwinden und keine Banalität mehr sind (deswegen werden üblicherweise auch jene bestraft, die ganz offenkundig nicht mit NS Ideologie sympathisieren, wenn sie z. B. ein durchgestrichenes Hakenkreuz auf einem Button oder einer Fahne o. ä. benutzen und damit ja sogar "Anti-NS-Propaganda" betreiben, wobei hier in der Praxis die Ordnungshüter meistens schon beide Augen zu drücken, aber strafbar ist es trotzdem und entsprechende Strafurteile gab es auch schon).


    Dieses Kapitel unserer Geschichte hat einfach nichts in alltäglicher Banalität und im alltäglichen Klein-Klein verloren. Wer gegen die Reko ist, der soll sich gerne an der Debatte mit seiner Privatmeinung und seinen persönlichen Standpunkten beteiligen. Aber der Versuch das Projekt in eine NS Ecke zu rücken um es dadurch unmöglich zu machen, das ist eine Art von Instrumentalisierung die bei mir, wie ich schon sagte, einfach die Galle hochkommen lässt.

  • Aha, so geht Selbstbeweihräucherung also :cool:


    Wenn Sie ein extra gekennzeichnetes und völlig hirnloses Markwortzitat aus einer Focus-Werbung nicht als Ironie erkennen, kann ich nicht helfen.


    Mit "enger Zusammenarbeit" hat das nichts zu tun. Ihre Aussage, Architektenkind, ist kein , gehört eher zu den "alternativen Fakten".


    Die Harzburger Front wurde in Bad Harzburg begründet, weil diese Stadt im Freistaat Braunschweig lag und dort bereits seit 1930 eine "Bürgerliche Einheitsliste" (inkl. DNVP und DVP) gemeinsam mit der NSDAP die Regierung stellte. Ob man eine Koalition als "enge Zusammenarbeit" bezeichnen kann, überlasse ich dem Urteil der werten Leserschaft.


    Nochmal zurück zu den frühen Tagen der NSDAP. Hitler hat es geschaft, viele kleine nationale, völkische und sozialistische Arbeiterparteien unter seiner Herrschaft zu vereinigen.


    Die marxistisch geprägte Arbeiterbewegung, sprich Industriegewerkschaften, SPD und KPD waren neben den Juden das wichtigste, innenpolitische Feindbild der NSDAP. Das bringen Sie mit ihrer kleinen Attribut-Aufreihung elegant zum Verschwinden.


    Genau das wird halt häufig außer Acht gelassen: Hitlers Talent ist das Manipulieren von anderen Menschen.


    Weshalb bekanntlich außer Hitler eigentlich alle anderen Opfer waren. Sind halt übelst manipuliert worden. Dass die NS-Propaganda in ihrer Zeit geradezu Avantgarde war, stimmt natürlich. Nur entbindet das den Einzelnen nicht von seiner Verantwortung, und die Eliten der Republik schon gar nicht. Hindenburg wusste genau, wer Hitler war, und er hat sich von dessen eventbezogenem Cutaway-und-Zylinder-Outfit am "Tag von Potsdam" wohl kaum täuschen lassen. Wir sind hier nicht bei My fair lady.


    Die Straßen waren voll von schwarz-rot-goldenen Fahnen und eben kaum Hakenkreuzfahnen.


    Sagt zumindest Wikipedia. Wenn das stimmt, habe ich mich an dieser Stelle geirrt und danke für die Richtigstellung.

    6 Mal editiert, zuletzt von Architektenkind () aus folgendem Grund: Missverständlche Formulierung geklärt.

  • Im Reich von 1871 hatten zwei Bevölkerungsgruppen eine Art Paria-Status. Das waren die Industrie-Arbeiter, die noch nicht in die bürgerliche Gesellschaft integriert waren und revolutionären Ideen anhingen, und die Katholiken, die sich als "Ultramontane" nicht nur dem Kaiser in Berlin, sondern auch dem Papst in Rom verpflichtet fühlten. Diese beiden Gruppen waren unter Bismarck politisch verfolgt (Sozialistengesetze bzw. Kulturkampf) und standen dem Reich enstprechend distanziert gegenüber – ich denke, die Nachwirkungen dieser Distanz trugen zwei Generationen später einiges bei zur relativen Immunität gegenüber der Hitler-Euphorie.


    Das ist in dieser Pauschalität nicht richtig.


    Bekämpft hat das Kaiserreich Ende des 19 Jahrhunderts "sozialistische" (tatsächlich: sozialdemokratische und gewerkschaftliche) Organisationen und Teile der Funktionseliten der katholischen Kirche, aber weder Industriearbeiter noch Katholiken per se. (Es sei in diesem Zusammenhang daran erinnert, dass die Sozialgesetzgebung des Kaiserreichs, die eine weltweite Vorreiterrolle genoss, viel zur inneren Nationsbildung beitrug.)


    Von einer "relativen Immunität" von Industriearbeitern und Katholiken gegenüber dem Nationalsozialimus kann keine Rede sein.


    Zwar ist richtig, dass die Stammwählerschaft der NSDAP in den 1920er Jahren vor allem Kleinbürger waren. Das änderte sich aber mit der Reichstagswahl 1930 und endgültig in den beiden Wahlen von Juli und November 1932. Von 1933-45 war die Industriearbeiterschaft nicht gerade ein Hort des Widerstands gegen das Naziregime.


    Der Unterschied in der konfessionellen Unterstützung für die NSDAP war weitaus geringer als behauptet und lag bei durchschnittlich höchstens 5 Prozentpunkten mehr Zustimmung in protestantischen als in katholischen Gegenden in den Wahlen von 1932, was sich weitgehend durch die Existenz von Zentrum und BVP (Bayrische Volkspartei) als Konfessionsparteien erklären lässt. Ähnliche Konfessionsparteien gab es auf protestantischer Seite nicht. Auch SPD und KPD schnitten daher in katholischen Gegenden in vergleichbaren sozialen Milieus immer schlechter ab als in protestantischen Regionen. Außerdem waren Katholiken in der Führung der NSDAP aufgrund ihres oberbayrischen Hintergrundes bis zum Ende des Krieges eher über- als unterrepräsentiert.


    Aber diese ganze Diskussion ist hier zugegebenermaßen off-topic. Revenons à nous moutons.

  • Auch wenn man sich in die Diskussion eigentlich mit eigenen content einbringen sollte, hier doch zwei Hinweise zu Thema:


    - das aktuelles Referat von Prof. Dr. Manfred Gailus zur Garnisonkirche. Gehalten auf der Tagung am 18. März 2017 auf der Tagung der BI "Christen brauchen keine Garnisonkirche" und der Martin Niemöller Stiftung [hier]


    - hier ein kleiner Hinweis welchen Beinamen die Stadt Potsdam ihrer Garnisonkirche schon mal gab. [foto]

  • Irgendwie schaffen es die Gegner der Garnison-Kirche es immer wieder, die Befuehrworter einer Reko in eine Ecke zu draengen, aus der sie sich rechtfertigen muessen.
    Aber, das ist doch Unsinn. Ulbricht und seine Kulturbanausen haben im Nachkriegs-Deutschland Schloesser, Kirchen und Denkmaeler abgerissen. Wenn man nun einige dieser Frevel rueckgaengig macht, sollten man sich nicht rechtfertigen muessen.
    Im Gegenteil ich wuerde die PDS zur Kasse bitten und sie die Wiederaufbaukosten tragen lassen.