Saxonia: Genauso ist es, deshalb habe ich die Bedeutung des Neumarktes ja auch so hervorgehoben.
Stahlbauer
1. Du glaubst doch nicht, dass in irgendeiner anderen Stadt auch nur eine der auf dem Zerstörungsbild erkennbaren, völlig demolierten Strukturen in irgendeiner wie auch immer historischen oder vereinfachten Form aufgebaut worden wäre? Mit hoher Wahrscheinlichkeit würde es noch einige, sicher aber nicht mehr alle der alten Straßenzüge geben, gesäumt von solch tollen Bauten wie in Kassel, Darmstadt oder Nürnberg. Da bin ich mir ehrlich gesagt auch nicht sicher, was nun gruseliger ist: DAS oder der Ist-Zustand...?
Auch in Leipzig sieht es in den erheblich kleineren Totalzerstörungsarealen ja wohl kaum besser aus (Wilhelm-Leuschner-Platz, Gebiet um den Bayrischen Bahnhof...)
2. Mir ist relativ unklar, was Du mit Deiner Neumarktaussage eigentlich zum Ausdruck bringen willst. Es ist nicht richtig, dass der Neumarkt "eine einzige Brache" gewesen sei. Das war er vielleicht oberflächlich, bei flüchtiger Betrachtung. In der Mitte erhob sich aber bis zum Wiederaufbau immerhin die Ruine der Frauenkirche, und, was für den Aufbau ebenso wichtig ist, die historischen Straßenzüge, Pflaster, Fußwege haben die DDR weitgehend überlebt und mussten erst der Tiefgarage der jüngsten Geschichte und dem Neubau weichen. Daneben gab es die noch erhaltene Randbebauung, die den Maßstab und die Anleitung für den Wiederaufbau setzen konnte: Das Polizeipräsidium an der Schießgasse/Landhausstraße, das Johanneum am Jüdenhof, die am Originalstandort verbliebenen Denkmale, der Türkenbrunnen auf dem Jüdenhof, die Augustusstraße mit Langem Gang und dem gegenüberliegenden Ständehaus, die Ruine des Residenzschlosses. Die unbebaute Münzgasse, die Schlossstraße, die Rampische Straße und die einseitig durch das Ständehaus flankierte Brühlsche Gasse wurden nie aus dem Stadtplan getilgt, Töpfergasse und Terrassengasse mit dem Bau des Hotels Dresdner Hof 1988 bis 1990 wieder angelegt. Dieser Anfang der 1990er Jahre weitgehend ungefüllte Rahmen ermöglichte erst den Wiederaufbau in historischer Form, und die Frauenkirche hat hierfür natürlich die Initialzündung gegeben. Der Neumarkt ist also keine völlige Neuschöpfung, er hat, zumindest am Rand, in den Bodenstrukturen (auch in den leider weitgehend abgeräumten Kellern) und vor allem durch die Ruine der Frauenkirche sowohl physisch als auch im Bewusstsein der Stadt überlebt. Ich selbst bin Jahrgang 1975, und ich bin, wie viele Dresdner, mit den Bildern der alten Stadt und diesem Bewusstsein aufgewachsen. Eine arrogant anmutende Außensicht, die dem Wiederaufbau des Dresdner Stadtzentrums und den dortigen Rekonstruktionen jede historische Substanz und Legitimation abspricht, möchte ich, tut mir Leid, so nicht akzeptieren.
3. Bezüglich Canaletto-Blick: Die Festungsanlage (Terrasse) ist Renaissance, der Hausmannsturm des Schlosses frühbarock (und nicht gründerzeitlich überformt), die Frauenkirche was auch immer (barock kann sie ja Deiner Lesart nach nicht sein), der Kreuzkirchenturm frühklassizistisch, die Semperoper und die Gemäldegalerie Neo-Renaissance. Die neue Augustusbrücke orientiert sich in ihrer Formensprache am Vorgängerbau, die Sekundogenitur an der des Dresdner Barock. Als echte Gründerzeitschöpfungen wilhelminischer Prägung bleiben daher nur die Kunstakademie und das Ständehaus, die, zu Erbauungszeiten genau deshalb stark kritisiert, heute in ihrer Bedeutung für das Stadtbild nicht hoch genug eingeschätzt werden können.