Stuttgart 21 (Verkehrsprojekt, Teile I & II)

  • @derstuttgarter


    Bei soviel Kritik an den umfangreichen Planungen stellen sich mir folgende Gegenfragen:


    - In die Planungen sollen schon ca. 300 Mio (meinetwegen inkl. Wendlingen-Ulm) geflossen sein. Haben die soviel geplant, um am Ende so ziemlich alles zu wenig, zu eng oder zu lang geraten zu lassen ?


    - Die Bahn muß hinterher die erstellt Infrastruktur selbst nutzen und betreiben. Welchen Sinn machen dann derart nachteilige Planungen, wenn sie hinterher selbst die Geschädigte ist ?


    - Die Bahn ist ein Unternehmen, will gar an die Börse. Schon deshalb kann sie kein Interesse an schlechten Nachrichten der Art "Fehlplanung" inklusive deren Konsequenzen wie hohe Betriebskosten oder mangelnde Zukunftsfähigkeit haben, oder?


    - Falls die Mängel alle stimmen: Ist die Bahn an sich total bescheuert oder nur alle ihre Mitarbeiter ?



    Natürlich ist die Geschichte der Bahn auch eine der Kostensteigerungen, Bsp. ICE-Strecke Frankfurt-Köln. Andererseits sind die Kontrollinstanzen Parlament, Verkehrsausschüsse, Medien und Öffentlichkeit und inzwischen auch die Bahn selbst ganz anders sensibilisiert als früher.

  • Zitat von derstuttgarter

    Leider geht das zu Lasten der Wirtschaftlichkeit und Funktionalität.

    Vieles an der Beschreibung des politischen (Entscheidungs)Prozesses ist nachvollziehbar. Was allerdings Wirtschaftlichkeit und Funktionalität angeht, ist grundsätzlich ein Kopfbahnhof aus heutiger Sicht deutlich im Nachteil. Gut, die Tunnelstrecken sind teuer, in diesem Fall eröffnen sie jedoch immerhin die Chance auf hochwertigen zentrumsnahen Flächengewinn in einer der wenigen verbliebenen wirtschaftsdynamischen Großstädte Deutschlands, so daß Aussicht besteht, Investoren für die Freiflächen zu finden. Der Flächenverkaufserlös dient der Refinanzierung.


    Die Bahn schadet sich nicht, da sie sich nur noch um den Fernverkehr kümmern muß. Der Betrieb des Regionalverkehrs ist Verantwortung der Region.

    Soviel ich gelesen habe, sei das Hauptproblem (Contra-seitig) die Fernverkehrkapazität zu Spitzenzeiten mit den "nur" 8 Gleisen. Von Problemen im ÖPNV-Bereich ist mir nichts bekannt und die mir bekannten Pläne sehen diesbezüglich auch nicht kritisch aus. Tatsächlich würde ÖPNV mindestens durch die neue U12 und die Direkt-S-Bahn Feuerbach-Cannstatt sogar netzmäßig verbessert.


    Wahrscheinlich habe ich da etwas übersehen.
    Was meinst Du genau ?



    Übrigens hat Frankreich jüngst begonnen, die TGV-Strecke Paris-Straßburg zu bauen. :daumen: Der erste Schritt zur Realisierung der Magistrale Paris-Straßburg-Stuttgart-München-Wien-Budapest. Geschwindigkeit 320 km/h. Deutsche Hochgeschwindigkeitsstrecken sind m.E. für 250-300 km/h ausgelegt. Nicht daß mir das nicht reichen würde, aber eben wieder so etwas, an das man sich erst noch gewöhnen muß, wenn man es nicht schon geschluckt hat.

  • Zitat von derstuttgarter

    Mit der Nutzung der freiwerdenden Flächen von S21 werde ich nicht besonders glücklich, da alle im inneren Stadtgebiet liegen und die Infrastruktur fürs Auto heute schon nicht ausreicht. Man weist Flächen mit hoher Nutzung aus, sorgt aber nicht für die notwendige Infrastruktur. Die Zahl der Pendler wird erhöht und daß alle mit der Bahn kommen ist Illusion.

    Ja, das Problem sehe ich auch. Eine ausgebaute Wolframstraße wird das nicht komplett abfangen können. Es ist ein Grundproblem der Stuttgarter Lage. Du hast Dir ja diese Einbahnstraßenlösung ausgedacht. Mit "konventionellen" Straßenbaumaßnahmen, wird sich diese Situation evtl. nie ohne starke Beeinträchtigung des Stadtbildes (Verbreiterung B27 & B14) lösen lassen.


    Die Frage ist: Darf das Stuttgarter Zentrum deshalb nicht mehr wachsen? Darüber kann man diskutieren. Nur kann es dann sein, daß Stuttgart langfristig den Ruf der Verschlafenheit und Undynamik erhält mit abstoßender Wirkung auf Investoren. Porsche, DC & Bosch müssen in 30 Jahren nicht mehr so gut dastehen wie heute. Erst dann wird man den Chancen nachtrauern. Ich vertraue lieber darauf, daß Leute, die häufig im Stau stehen, andere Zeiten wählen - so sie dies können - oder auf den ÖPNV umsteigen. Und auf weitere "intelligente" Lösungen, die vielleicht schon allein durch die steigenden Spritpreise ausgelöst werden.



    Zitat von derstuttgarter

    Ich sehe keine Erhöhung der Kapazität des Stuttgarter Bahnhofes. Es wird bewiesen, daß mit 8 Durchgangs-Gleisen das selbe Programm abgewickelt werden kann wie mit 16 Kopfgleisen. Dafür der ganze Aufwand fürs selbe Programm? Ein Vorteil ergibt sich nur aus der Durchbindung.

    Also, da muß ich widersprechen! Ohne Quellenangabe aus dem Gedächtnis:
    - OB Schuster soll von 75 % höherer Kapazität gesprochen haben
    - S 21-Gegner Boris Palmer hingegen soll behaupten, daß nur 12 % Steigerung relevant seien, weil man die Spitzenlast betrachten müsse
    => Ich interpretiere das so: Insgesamt über 24 h ergibt sich 75% Mehrkapazität. Allerdings sind in der Hauptverkehrszeit nur 12 % möglich.
    => Evtl. ist bei einer Modernisierung des Kopfbahnhofs und zusätzlichen Gleisen nach Cannstatt zu Spitzenzeiten mehr als diese 12 % möglich


    Sollten also diese Zahlen stimmen, dann sprechen wir doch über eine ganz beträchtliche Kapazitätssteigerung.



    Zitat von derstuttgarter

    Das gab's früher aber auch. Die Vorortzüge aus Ludwigsburg fuhren nicht zurück sondern erst mal nach Esslingen u.u.

    Das betrifft aber nur der kleinste Teil, nämlich v.a. die S-Bahn Feuerbach-Cannstatt. Der Durchgangsbahnhof hat die größten Streckenvorteile im Fernbereich.



    Zitat von derstuttgarter

    Probleme mit dem Nahverkehr? Sowohl S-Bahn als auch Regionalzüge sind an der Grenze. Höhere Kapazitäten, dichtere Zugfolgen sind kaum mehr möglich. München plant eine zweite S-Bahn-Trasse durch die Stadt, keine Tangente. Hier in Stuttgart wird das totgeschwiegen.

    Was wäre die Lösung, Parallelstrecke zu Hbf-Schwabstraße?


    Grundsätzlich halte ich das für ein separates Problem. S 21 ist in erster Linie ein Fernbahnprojekt. Natürlich bei begrenzten finanziellen Mitteln kommt eine Konkurrenzsituation zustande. Aber wenn sich S 21 langfristig rechnet, dann ist diese Konkurrenzsituation nur kurzfristig, langfristig wäre S 21 dann sogar positiv für den ÖPNV, weil weniger Mittel in den Betrieb des Kopfbahnhofs fließen müssen.

  • Zitat von derstuttgarter

    Für eine weitere S-Bahn-Trasse würde zwei Schneisen freihalten. Einmal der geplante S21-Ast durch S-Ost. Leider führt die Geologie dazu, daß der Tunnel sehr tief gegraben werden wird und eine Haltestelle Gablenberger Hauptstraße dann zu tief liegt. Die andere Trasse im Zuge der Königstraße - Marienplatz - Möhringen.
    Ich nehme nicht an, daß dies in den nächsten Jahrzehnten gebaut wird. Aber auch für andere Verkehrswege wurde der Platz über 50 Jahre freigehalten. Leider glaubt man heute eine endgültige Lösung zu kennen und verbaut sich alles.

    Sehr interessant. Stehen die Pläne bzw. Trassenverläufe irgendwo im Web?


    Gablenberger Hauptstraße dürfte wirklich sehr schwer werden. Schon die Schwabstraße hat ellenlange Rolltreppen. Irgendwann stimmt da die Energieeffizienz nicht mehr.

  • Zitat von Thomas1893

    Die angebliche Kostensteigerung war also doch nur heißer Wind im OB-Wahlkampf.


    Da verliert die Heldentat eines Kandidaten-Rückzugs einiges an Glanz. Der Verhandlungerfolg hat gerade mal 6 Tage überdauert. Dafür bleibt das Ende der Bebauung Rohrer Weg als Triumph für den Kandidaten der Grünen. Die Zustimmung dazu hat man wohl geopfert, aber nicht Stuttgart 21.



    Palmer wies auf den angestrebten Bürgerentscheid zu Stuttgart 21 in Stuttgart hin: „Der Bürgerentscheid ist eine im OB-Wahlkampf erreichte zusätzliche, hohe Hürde für die Stadt, wenn sie mehr Geld als geplant für die Tieferlegung des Bahnhofs zuschießen will. Zugleich ist das Land mit den Mehrkosten finanziell heillos überfordert. Damit sind beide potenzielle Finanzierungswege verschlossen. Mein Fazit ist klar: Stuttgart 21 hat keine Zukunft.“
    http://www.bawue.gruene-frakti…art_21_ruiniert_die_l.htm


    Der Bürgerentscheid hat sich damit erledigt.

  • Der Finanzierungspoker startet:


    http://www.stuttgarter-nachric…n/page/detail.php/826755:

    Bei Stuttgart 21 sind sich Kenner der Materie einig, dass die Mehrkosten von 216 Millionen Euro zu schultern seien. "Das halten wir für lösbar", hofft man seitens der Bahn. Vor allem das Land und die Stadt werden gefordert sein. Ob sich der Bahnkonzern, der den Börsengang nicht aus den Augen verloren hat, zu der gewaltigen Investition durchringen kann, hängt vom Ergebnis der derzeitigen Wirtschaftlichkeitsberechnung ab. Außerdem gilt bei der Bahn nach wie vor das Gesetz, dass große Investitionsentscheidungen definitiv erst nach Abschluss des Planfeststellungsverfahrens getroffen werden. Das wäre hier frühestens 2006 der Fall.


    Bei der ICE-Strecke und deren 525 Millionen Euro Mehrkosten schaut alles nach Berlin. "Die zentrale Frage ist, ob der Bund bezahlt", heißt es in der Landesregierung.

    Weiß jemand, ob die ICE-Strecke überhaupt ohne Stuttgart 21 Sinn macht?
    Die Züge müssten dann von Plochingen nach Wendlingen fahren, oder?

  • Zitat von derstuttgarter

    Die Neubaustrecke Stuttgart-Ulm ohne S21 geht durchaus. Diese Lösung wird von den Grünen favorisiert. Als Übergangslösung ist ein Schlenker Wendlingen -Plochingen möglich, so wird zwar eine Entlastung der Filstalstrecke zu Gunsten des Regionalverkehrs, aber kein Fahrzeitgewinn erzielt. Auf Dauer muß aber ein anderer Weg gefunden werden. Das wäre dann das endgültige Aus für S21.

    Das sehe ich genau umgekehrt. Wendlingen-Ulm ist ohne Fahrzeitgewinn kaum wirtschaftlich. Okay, es entfällt die Geislinger Steige für den Fernverkehr, aber so wild kann das auch nicht sein, wenn wie Du sagst kein Fahrzeitgewinn resultiert.


    Wenn die Strecke also in Wendlingen endet, dann ist das immer wie eine zur Schiene gewordene Mahnung zum Bau von Stuttgart 21 ;)


    Und wie soll Stuttgart später dann anders als mit Stuttgart 21 an Wendlingen angebunden werden? Ein neuer Hauptbahnhof außerhalb der City? Das wäre manchen fast zu wünschen...

  • Zitat von derstuttgarter

    Die Grünen haben einen Abstecher von der Filder herunter ins Neckartal etwa bei Esslingen vorgeschlagen und sind der berechtigten Meinung, daß ein Umweg über Cannstatt auch nicht länger dauert als über den Flughafen.

    Nimm´s mir nicht krumm, aber bei mir klingeln die Alarmglocken, wenn Grüne Verkehrsplanung über des Radwegenetz hinaus betreiben. Die haben immer so supertolle theoretische Konzepte, in denen Gott und die Welt berücksichtigt wird. Nur nachdem sie inzwischen 6 Jahre Verkehrspolitik im Bund mitgestalten, muß ich sagen: Satz mit X war wohl nix. Noch nicht mal mit der Verlagerung von Verkehr auf die Schiene und das trotz ÖKOsteuer.


    Wußtest Du, daß es Verträge zwischen dem Bund und der Schweiz gibt, wonach Deutschland mehrere Eisenbahnstrecken bis zu einem bestimmten Jahr ausbauen muß? Zielsetzung ist die Vermeidung von LKW-Verkehr durch die Alpen! Was soll ich sagen, die Deutschen sind zeitlich hinterher, weil sie zuwenig Mittel freigegeben haben.
    Stell Dir vor, die Schweiz hat sogar angeboten einen beträchtlichen Teil (ca. 100 Mio €) einer dieser Strecken in Deutschland zu finanzieren!, was wohl ausgeschlagen wurde, weil man im Haushalt andere Prioritäten legt (oder weil es nicht in den neuen Ländern gebaut wird, Herr Stolpe...).
    Dann ist man sich europaweit einig, daß die Achse Paris-Budapest eine leistungsfähige Schiene bekommen soll. Die Franzosen haben letzten Monat mit dem Bau Paris-Straßburg begonnen.


    Und jetzt kommt´s: Ich denke nach, welche Parteien in der Schweiz und in Frankreich regieren. Mein Gott ist das alles konservativ ungrün! Präsident wie Regierung!


    Ich unterstelle sogar, daß einige unserer sog. Umweltschützer das Argument Schienenausbau nur solange im Mund führen, wie es geeignet ist, Straßenbau zu verhindern. Sind die Gelder dann fix für Schiene verplant, kommt die nächste Stufe: Verhinderung oder Reduzierung des Schienenprojekts. :Nieder:



    Zitat von derstuttgarter

    Auf jeden Fall ist damit sichergestellt, daß zumindest ein Teil der Planungen unumstritten ist und hoffentlich verwirklicht wird. Das ist doch schon etwas.

    Schön wär´s also. Allein mir fehlt der Glaube, s.o. . Mag sein, daß ein baden-württembergischer Landtagsverkehrsexperte von den Grünen das so sieht, weil er gern alternativ plant. Aber im Bund interessiert diese Planung niemand, wenn man eine wirtschaftliche Bahn an dei Börse bringen will und das nächste Neubauprojekt erst Mal in der Wendlinger Wüste endet. Da werden weder Hermann, Roth, Shlauch noch Kuhn helfen, eher gibts von der SPD eine Retourkutsche...
    Noch schlimmer, bei der Bahn interessiert diese Planung noch niemander :lach: Der Bund mag ein Veto GEGEN Pläne einlegen können, aber er kann der Bahn noch nicht vorschreiben, wie sie en detail bauen muß, schon gar nicht nachdem schon Investitionen von 300 Mio in die Planung flossen.


    Angenommen S21 kostet bis Wendlingen 2,8 Mrd. Die Modernisierung S-Hbf mit allen Gleisanlagen kostet 1 Mrd (bekanntlich wird dieser Wert noch höher angesetzt, was ich aber auch nicht ganz glauben kann).
    Eine neue teils Tunnelstrecke ES-Wendlingen kostet 800 Mio (schon wieder eher nachteilig für S21 geschätzt), dann kostet der Durchgangsbahnhof nur noch 1 Mrd. mehr. Und das bei ganz sicher auftretenden netzmäßigen Vorteilen und v.a. enormen Verkaufserlösen der ehemaligen Bahngleisflächen. Von Stadtentwicklung ganz zu schweigen, ist ja auch nicht Bahnaufgabe.

  • Zitat von derstuttgarter

    muß ich Dir uneingeschränkt recht geben. Die Bad.-Würg. Landesregierung ist jetzt schon zu grün um das Notwendige für die Infrastruktur zu tun.


    Die Landesregierung und auch die Bundesregierung haben das Grundprinzip im Umgang mit den Grünen erkannt. Man muss ihnen ihre grünen Vorzeigeprojekte lassen, dann mischen sie sich in wirklich wichtige Fragen nicht ein. Bestenfalls inszenieren sie ein Abstimmungstheater, das zwar knapp ausfällt, in seinem Endergebnis aber eine Koalition nie gefährden würde. In diesem Punkt sind die Grünen eine absolut verlässliche Größe.