Kleist, ich würde dich gerne dazu einladen, mit deinem Auto an einem Werknachmittag aus der Bochumer Innenstadt in die Essener Innenstadt zu fahren.
Subjektiv ist meine Lebensqualität niemals so gering wie in diesem Irrsinn aus Staus, Baustellen und Idioten auf Rädern.
Konsequenz daraus ist, dass ich um diese Zeiten das Autofahren vermeide. Wählen zu können, ob ich ins Auto steige, oder eben doch laufe / Fahrrad/ Bahn fahre, das empfinde ich als Ausdruck individueller Lebensgestaltung.
Solange die Alternativen unattraktiv sind, bin ich mehr oder weniger gezwungen, an diesem Irrsinn teilzunehmen. Und dafür auch noch teuer zu bezahlen, von Anschaffung eines Mobils über Steuern, Pflichtversicherung bishin zu Wartungen und Reperaturen, und dem immer teuerer werdenden Sprit.
Ich benutze als Einheit zu Verkehr einfach die auch von Turner [pdf] in der eingangs erwähnten Studie, weil ich denke, dass diese die tatsächlichen Gegebenheit am besten abbildet. (Beispiel: ein parkendes Auto macht 0 VKT verlängert einen Stau nicht, ein Auto, dass sechsmal die gleiche Strecke fährt macht sechmal X VKT und kann den gleichen Stau sechsmal um ca. fünf Meter verlängern.)
Und mehr Straßen führen auch deshalb zu mehr Verkehr, weil sie neue Strukturen schaffen. Es gab eine Zeit, da versorgte man sich im Tante-Emma-Laden, oder im Fachgeschäft. Dann kamen die Supermärkte in die Stadtteile. Weil aber die großen Läden auf der grünen Wiese neben der neu gebauten Autobahn mit breiterem Angebot lockten, noch dazu einfach mehr Geld für Marketing hatten / haben, dünnte die Nahversorgung aus. Mittlerweile wird für jede Tüte Milch der Motor angeworfen, weil es den Edeka gegenüber nicht mehr gibt. Noch ein paar weitere VKT, die es ohne die neue Autobahn nicht gegeben hätte. Auf kurze Sicht ist das breite Angebot des Supermarktes natürlich toll. Nun brauche ich aber mehr Zeit zum Einkaufen als früher, weil's ja nicht mehr anders geht, als durch den Stau zum Gigamarkt zu fahren.
Und dann gibt es die interessante Spirale der Suburbanisierung. Immer mehr VKT in der Stadt führten zu breiteren Straßen (die im Stadtraum hässliche Schneisen und nahezu unüberwindbare Hindernisse darstellen), zu mehr Lärm und Abgasen. Das Wohnen in den Vorstädten, der nunmher ruhigen Lage, wurde attraktiver. Wenn immer eine neue Straße aus der Stadt gebaut wird, wurde der fade Acker daneben plötzlich sexy. Und da es Steuern bringt, kann kaum eine Kommune widerstehen, diesen als Bauland auszuweisen. Es entstanden reihenweise Reihenhäuser. Und schon kam es zu mehr VKT.
Mit den (noch sehr populären) Maßstäben Kleists gemessen, ist das ja auch kein Problem.
Nur, dass das Maßstäbe sind, die die Realität nur zum Teil abbilden, und es eben doch ein Problem gibt. Volkswirtschaftlich ist dieser Stauirrsinn nämlich sehr schädlich. Er begründet und fördert wirtschaftlicher und politische Abhängigkeiten (2012 hat Deutschland 93,4 Mio Tonnen Rohöl importiert, das meiste aus Russland), er kostet Gesundheit und Menschenleben, er kostet Geld (15 % des Nettoeinkommens eines Durchschnittshaushaltes fließen in den Verkehr, das Auto hat hier den Löwenanteil). In der Zeit, in der wir im Stau stehen, sind wir weder besonders produktiv, noch besonders erholt, also verpufft dadurch auch noch Produktivität en masse. Das sind nur ein paar messbare Effekte. Laut und dreckig bleiben Autos obendrein.
Vergleichbar ist das Auto mit dem Alkohol. Ein Weinglas zum guten Essen oder ein Bier mit Freunden ist kein Problem. Wenn es aber ohne nicht mehr geht, und man immer größere Opfer in Kauf nimmt, sich die negativen Effekte schönredet oder sie ausblendet und man immer mehr Stoff (=VKT) braucht, um den gleichen Effekt zu erreichen, man seine Gesundheit schädigt, dann sollte man darüber nachdenken, ob das nicht schon eine ausgeprägte Sucht ist.
Gut, zugegeben, man fühlt sich so frei, wenn man berauscht ist....
Darum, in aller Herrgottsnamen, soll es zurückgedrängt werden!