Hier noch ein paar unsortierte Gedanken:
Ich finde die beiden Gebiete Gerbergemeinde und Viehweidengemeinde sind ein herber Verlust, schon vor dem Krieg. Diese Individualität fehlt heute in der Stadt.
Zitat von antonstädter
Wenn man heute die Architektur des Schützenplatz-Quartiers kritisiert, muss man sich immer diesen Zustand des totalen Verfalls und der gähnenden Ödnis vergegenwärtigen, um den aktuellen Zustand der "Viehweide" erst richtig schätzen zu können. Bei aller gebotenen Kritik halte ich den Wiederaufbau der letzten Jahre aus städtebaulicher Sicht für durchaus gelungen.
Ich bin da extrem hin- und hergerissen.
Auf der einen Seite gefällt mir natürlich das "pittoreske" dieser Gegend (vor allem im ursprünglichen Zustand). Gerade auch der Zustand der Nachwendezeit hatte - für mich(!) - einen ausgeprägten, etwas morbiden Charme. Gleichzeitig trug die Gegend in sich ein ungeheures Potenzial. Und es ist ja immer schön, über ein großes Potenzial zu verfügen, wenn man das niemals wirklich unter Beweis stellen muss...
Auf der anderen Seite weiss ich natürlich auch, dass die ursprüngliche Wohnqualität dieser Gebäude (vorsichtig gesagt) problematisch war; und auch bei Sanierungen gibt es da Grenzen. Das ist ja auch bei vielen anderen im doppelten Sinne "vor-städtischen" Gegenden so, wie z.B. bei den alten Dorfkernen. Richtig hell sind viele Wohnungen nicht zu bekommen; viele Decken sind doch sehr niedrig; und und und...
Insofern kann ich durchaus verstehen, dass man bei diesen Gegenden nicht gerade zimperlich gewesen ist, was Abriss etc. anging.
Ich glaube, man kommt auch nicht umhin, das Kernproblem dieser Gegenden anzusprechen: Sie waren oft (in Relation zum Wohnungsangebot) hoffnungslos überbevölkert. In diesen relativ kleinen Häusern und Wohnungen lebten ja viel mehr Menschen, als wir das heute für normal halten. Beispiel: Meine erste eigene Wohnung in Pieschen hatte ca. 30 qm; in den 20er Jahren wohnten dort wohl regelmäßig 8 bis 10 Leute.
Gegenden wie Gerbergemeinde oder Viehweidengemeinde zu menschenwürdigen Wohnquartieren umzugestalten hätte einen massiven neu-Wohnungsbau erfordert (um die Bevölkerungsdichte dort zu entlasten bzw. mehr Wohnfläche pro Einwohner bereitzustellen). Nun kann man sicher anderswo neue Viertel hochziehen. Aber die Frage steht schon, inwieweit so was opportun ist, um den Charakter dieser "vor-städtischen" Gegenden zu erhalten. Liegt es da nicht nahe, die vorhandene Bebauung zu schleifen und stattdessen Häuser mit mehr Wohnfläche zu errichten?
Insofern ist das Verschwinden der Altbebauung für mich gut nachvollziehbar.
Was nun den gelungenen (ich verzichte mal auf Gänsefüßchen) Wiederaufbau rund um den Schützenplatz angeht: Ich verstehe das nicht wirklich. Da wird in Gestalt der Schützengasse eine Straßensituation hergestellt, die man heute so eigentlich nicht mehr herstellen würde (sehr enge Straße bei vergleichsweise hoher Bebauung). Da wird ausgerechnet das Flurstück zu Bauland umgewidmet, das schon seit Ewigkeiten Parkanlage und Gartenland war (Herzogin Garten). Da wird auf die Schützengasse diese Columbus-Scheußlichkeit mitten in den Straßenraum geklatscht (ich meine das Haus hinter der Hochschule; keine Ahnung, ob das von Anfang an zu Columbus gehörte).
"Lebendig" ist dieser ganze Bereich aus meiner Sicht nicht; auf mich wirkt er merkwürdig retortenhaft und steril. Die ganze Bebauung rund um das Schützenhaus herum (also auch insbesondere Trabantengasse etc.) wirkt auf mich, als ob sie dort nicht hinpasst. Für mich fühlt sich das ein bisschen so an, als ob man auf Rügen eine Almhütte baut.
Wie gesagt - ich verstehe das nicht wirklich. Aber das sagt natürlich in erster Linie etwas über mich aus, nicht über das Viertel.