Ähnlich kritisch zu betrachten sind in diesem Zusammenhang übrigens auch Einkaufszentren, die ebenfalls Unmengen an Verkehr erzeugen, wie es die kleinen und dezentralen Läden in den Einkaufsstraßen nie getan haben. Letztere werden nämlich meist von Bewohnenden der Umgebung frequentiert und das oft zu Fuß. Die Turmstraße bei mir um die Ecke ist da ein gutes Beispiel. Desto mehr kleine Läden aber von den großen und mit viel Kapitalaufwand errichteten Einkaufszentren verdrängt werden, desto größer wird die Notwendigkeit, mit dem ÖPNV oder sogar Auto die nun weiter entfernten Einkaufszentren für den täglichen Bedarf anzusteuern, was wiederum Verkehr erzeugt, der vorher so nicht da war.
Die heutigen Strukturen erzeugen im Vergleich zu früher also ungemein mehr Verkehr und dieser Verkehr und seine ganzen volkswirtschaftlichen Auswirkungen erzeugt vor allem eines, CO². Ohne genaue Zahlen zu kennen behaupte ich, dass alte Stadtstrukturen, wie es sie in Berlin und in anderen Großstädten vor dem Krieg gab, deutlich energieärmer waren, als heutige Strukturen mit den oben genannten Eigenschaften. Und in Zeiten, in denen Mensch lernen muss, dass Energie eben keine unendliche Ressource ist, müssen wir auch unsere Städte vermutlich sehr massiv umkrempeln. Das beinhaltet u.a. den Verkehr, aber eben auch die Art, wie wir leben, in was für Gebäuden, wie diese aussehen und wie sie zueinander angeordnet sind. Dazu müsste man das Rad aber eben gar nicht neu erfinden, da die noch existenten alten Strukturen, die den Umwälzungen des 20. Jahrhunderts standgehalten haben, uns bereits zeigen, wie es besser geht.
Dabei sollte man keine Angst vor Dichte haben, aber genau das beobachte ich, wenn man in den Zeitungen von Projekten zur Nachverdichtung liest. Da wird so gut wie immer von Anwohnenden berichtet, die Angst haben, dass alles zu dicht, zu ungemütlich, zu laut, zu eng und zu unlebenswert werden könnte. Dabei sind es die sogenannten modernen Strukturen, die unlebsame Orte und Viertel haben entstehen lassen. Hier gibt es wahrnehmungstechnisch interessante Doppelstrukturen, denn fragt man Bewohnende von dichten Altbauvierteln, wie sie die Dichte in ihrem Viertel empfinden, dürfte diese Dichte als völlig normal und Teil des positiven Lebensgefühl des Viertels empfunden werden. Die selbe Dichte, vor der Bewohnende eher aufgelockerter Viertel zurückschrecken, wenn man ihnen mit Nachverdichtung "droht". Hier muss die Politik, Architekten oder auch Stadtplaner und Soziologen noch einiges an Überzeugungsarbeit leisten, bevor diese teils absurden Wahrnehmungsunterschiede ausgeglichen werden können.
Ein weiteres, krasses und absolut abstoßendes Beispiel ist die Gegend zwischen Alexa, Ostbahnhof, Stadtbahntrasse und Karl-Marx-Allee, womit ich meine erste Vision mit euch teilen möchte.
https://www.google.com/maps/@5…60631,1237m/data=!3m1!1e3
Macht euch mal den Spaß und spielt in der Gegend mit der tollen 1928-Karte des Tagesspiegels mit Schieberegler, um zwischen damals und heute wechseln zu können.
https://1928.tagesspiegel.de/
Kaum eine Gegend dürfte sich so zum negativen verändert haben, wie diese. Nicht nur von oben, sondern erst recht, wenn man dort mal per Rad gemütlich durchfährt. Gruselig, ein absoluter Unort, tot, kalt und trist. Dort dürfte zudem heute nur ein Bruchteil der Menschen leben wie 1928. Selbst dann noch, wenn man die damalige bauliche Dichte mit der heutigen durchschnittlichen Bewohnerzahl pro Wohnung annimmt. Sonst würde so ein Vergleich nie fair sein, wenn man sich die Mietskasernen der Arbeiterviertel anschaut, wo sich wie oben beschrieben 10 Menschen eine Wohnung unter unwürdigen Bedingungen teilen. Ich habe mal etwas mit Paint gespielt und meine Vorstellungen für so eine Ecke skizziert.
Zur Orientierung, im Norden befindet sich die Karl-Marx-Allee, im Südwesten das Alexa. Orange schraffierte Flächen wären Neubauten. Ergebnis ist hier ein deutlich dichteres Viertel mit großzügigen Innenhöfen, die deutlich mehr Tageslicht in den Wohnungen zulassen, als es bei vielen Altbauvierteln der Fall ist, wo Wohnungen zu den Innenhöfen hin vor allem im unteren Teil meist recht dunkel sind. Die Erdgeschosse zu den Straßen hin hätten hier reichlich Platz für Einzelhandel und Gastro, was die Gegend derzeit praktisch nicht zu bieten hat. Ein Grund dafür, dass die Ecke so tot und unlebendig wirkt. Fläche für Büros ist natürlich auch vorgesehen. Insgesamt dürfte die Anzahl der so realisierbaren Wohnungen den aktuellen Bestand deutlich übersteigen, was dem Ziel der Berliner Politik, Wohnraum zu schaffen, deutlich zuträglich wäre. Vorteil wäre auch, dass hier kein neues Bauland erschlossen werden müsste, sondern jegliche Infrastruktur, sei es technische oder verkehrliche Infrastruktur, bereits vorhanden ist.
Die vorhandenen Plattenriegel mit den Nummern 1 bis 6, die heute die Gegend dominieren, müssten weichen, ebenso wie die Flachbauten 7 bis 10. Hier zeigt sich natürlich schon die erste Schwierigkeit, denn die vielen Wohnungen, die erstmal abgerissen werden müssten, um danach eine deutlich höhere Zahl von Wohnungen neu zu bauen, fehlen während einer vermutlich recht langen Abriss- und Neubauphase vorerst. Das ist in Berlin natürlich zur Zeit und auch zukünftig ein kitzliges Thema. Aber wenn man wirklich nachhaltig Wohnraum schaffen will, der nicht am Stadtrand oder im Umland liegt, wird man nicht drumherum kommen, hier und da auch vorhandenen Wohnraum zu beseitigen, um nachher mehr Wohnraum auf der selben Fläche realisieren zu können. Da haben uns vorige Generationen leider einen Bärendienst erwiesen, als sie dermaßen platzverschwenderisch und ineffizient bauten. Wie platzverschwenderisch zeigt das nächste Bild der selben Gegend aus einer anderen Perspektive, mit Blick nach Süden. Orange ist die Umrandung des bearbeiteten Gebiets, die Nummerierung ist identisch mit dem ersten Bild.
Alleine die Fläche zur Abstellung von Autos ist nicht ohne. Zukünftig können wir uns einen derartigen Umgang mit dem begrenzten Platz in einer Stadt nicht erlauben, wenn gleichzeitig Wohnraum in der Innenstadt fehlt. Ich würde als minimalen Ausgleich (denn Ziel muss ja nach wie vor die massive Verringerung von Autos in der Stadt sein) die Schaffung von Tiefgaragenplätzen unter den Neubauten vorsehen, halb so viele Stellplätze wie Wohnungen geschaffen werden. Diese sollten kostenfrei für MieterInnen der Neubauten zu Verfügung stehen und durch ein System von Zugangscodes durch Weitergabe auch Besuchern der Bewohnenden das Parken ermöglichen. Öffentlicher Raum soll hier aber nicht mehr für Autos zur Verfügung stehen. Man könnte hier einen Bogen zum in jeglicher Hinsicht nahe liegenden Strang Frankfurter Allee schlagen, wo ja gerade der Wegfall sämtlicher Parkplätze auf dem Mittelstreifen wegen Begrünung heiß diskutiert wird. Ein Modell begrenzter Schaffung von Tiefgaragenplätzen unter Neubauten könnte man sicherlich auf viele Ecken der Stadt übertragen, die eine Nachverdichtung wie hier skizziert bitter nötig hätten. Sollte die Anzahl der Autos irgendwann mal so stark gesunken sein, dass viele dieser teuer errichteten Parkplätze unter der Erde obsolet werden, können diese sofort in sichere Fahrradstellplätze umgewandelt werden. Diese sollten natürlich so oder so von Anfang an vorgesehen sein, mindestens ein Fahrradstellplatz pro geschaffener Wohnung.
Wo wir schon mal beim Thema Frankfurter Allee sind, habe ich im entsprechenden Strang bereits meine Meinung dazu geäußert und kann das hier nur noch mal unterstreichen. So schön und vorbildlich es ist, dass in einem demokratischen Prozess die Bewohnenden der Gegend nach ihrer Meinung gefragt wurden und ihr Wunsch nach Erhalt der Parkplätze auf dem Mittelstreifen beachtet wurde, so ehrlich muss man auch sein, dass dies ganze 6 Jahre her ist und sich seit dem sehr viel verändert hat. Die Notwendigkeit, unsere Städte auch oder vor allem unter ökologischen Gesichtspunkten umzubauen, war damals noch nicht so absehbar. Jetzt dagegen ist Handeln akuter denn je. Soll man daher trotzdem aufgrund bloßer Bürgerbeteiligungs-Besoffenheit nun wie geplant bauen, Parkplätze auf dem Mittelstreifen anlegen und dann ein jahrelanges neues Verfahren inklusiver erneuter Bürgerbeteiligung beginnen, weil die umgesetzte Planung nicht mehr zeitgemäß ist? Um dann erneut zu bauen und ein zweites Mal Steuergelder für die selbe Ecke auszugeben? Das ist der Allgemeinheit dann auch nicht mehr zu vermitteln. Der ökologische und stadtgestalterische Aspekt wiegt für mich hier deutlich wichtiger als die Meinung einiger Anwohnenden.
Die Stadt braucht eine massive Umverteilung des Stadtraums. Weniger für Autos, mehr für Mensch, Umwelt, Grün, entsiegelte Flächen (versiegeln rückgängig gemacht) zum Versickern von Starkregen etc.
Dem entspricht die Verkehrsverwaltung in diesem Fall recht konsequent, was ich grundsätzlich begrüße. Wir brauchen mehr Entschlossenheit und weniger Verzagtheit beim Anpacken der Herausforderungen, die uns in unseren Städten bevorstehen.