Achtung! Urschleim-Alarm!
Ich versuch's mal der Reihe nach.
Zum 'Gefallen durch das Nicht-Fachpublikum'. Das habe ich im Wesentlichen dieser Passage entnommen: "Nun stellen sich die Fragen, für wen wurde das Gebäude errichtet, was soll es wem gegenüber nach außen hin ausdrücken, wie soll es das Stadtbild mitprägen, soll es auch zukünftigen Wert behalten, für die Allgemeinheit oder nur für ein Fach-Publikum usw. Hierin unterscheiden sich nun tatsächlich viele historische Gebäude von den meisten überwiegend "modernen" Gebäuden." War das fehlinterpretiert?
Vielleicht mal etwas Grundsätzliches, um dem offensichtlichen Mißverständnis zu begegnen, ich würde strikt zwischen 'Fachpublikum' und 'Laie' trennen: Ich unterscheide eher zwischen fundierten Darlegungen, bloßen Meinungsäußerungen und vehement vorgetragenen Behauptungen, die so in den Rang von Tatsachen gehoben werden sollen. Ich kenne selbst genügend Architekten, die sich nicht die Bohne für den historischen Kontext interessieren, oft einfach deshalb nicht, weil sie damit nie konfrontiert werden, etwa, weil sie mit den Anforderungen von heute vollends ausgelastet sind (und eher in selteneren Fällen, weil ihr Ego das nicht zulässt - und Du darfst mir glauben, in solchen Fällen fahre ich wirklich aus der Haut, das letzte Mal erst vor zwei oder drei Wochen passiert). Andererseits gibt es auch genügend 'Laien', die sich mit den Begebenheiten auseinandersetzen, oder die z. B. auf Grund ihres Alters oder ihrer Erlebnisse schon am eigenen Leib erfahren haben, wie häufig sich vermeintlich unumstößliche Wahrheiten als Irrwege erwiesen haben (der hochfrequente Paradigmenwechsel der vergangen Jahrzehnte hat das sicher noch befördert; und auch da gab es in jeder Epoche Mehrheiten für alles Mögliche und vermeintlich wasserfeste Argumentationen). Ich halte niemandem vor, dass seine Interessenlagen andere sind oder dass ihm Erfahrungswerte fehlen. Wenn ich hier in manchen Augen vielleicht den arroganten Schnösel mime (wie die anonyme Kommentarfunktion mir nahelegt), dann ist das aus meiner Sicht etwas zu kurz gegriffen. Ich betrachte das 'Oberlehrerhafte' in einigen meiner Beiträge meistens als Reaktion auf mindestens ebenso arrogant verfasste Äußerungen anderer. So etwa, wenn es entgegen den eruierbaren Fakten heißt, dieses und jenes ist so und so, das muss man so machen, das gilt, alle unfähig etc. Die dazu gehörigen Begründungen entstehen fast immer im Hirn und sind komischerweise selten abfragbar. Vom Thema mangelnder Toleranz nicht zu reden (aber das scheint eh umgekehrt proportional zum Intellekt zu sein) Die Klugscheißerbeiträge vom letzten Kommentator hier sind dafür wunderbare Beispiele (Paradefall Nürnberg-Thread) dreimal wöchentlich schlaue Ratschläge und Blödheitsbezichtigungen, aber selbst reicht's gerade mal für eine erbärmliche Fotomontage und ein, unter dem Deckmantel der Lustüschkeit vekauftes, Nikolaushaus - dabei ist er weder zeitlichen, noch finanziellen Beschränkungen unterlegen und muss auch sonst keine Vorgaben beachten (gilt ähnlich auch für andere Kandidaten und erst recht für manche Kreationen im APH-Forum, bei denen sich selbst Patzschkes noch im Grabe umdrehen würden).
Wieder zum Thema: natürlich sollte ein Gebäude im städtischen Kontext bestehen, lokal verwurzelt sein, Identität stiften, wenig zum moralischen Verschleiß neigen (was man leider häufig nur experimentell erfahren kann) und es sollte eine ausgewogene Wechselbeziehung zwischen Solitären und dem Stadtkörper geben (meine Meinung, die ich hier heute nicht zum ersten Mal erwähne). Das entstammt aber der Rubrik 'Wünsche' und wird in den erwähnten Verordnungen naturgemäß nur im Rahmen des Möglichen eingefordert und mit anderen, mindestens ebenso essentiellen Aspekten abgewogen. Wenn ich also von den realen Erfordernissen spreche, dann hat das nichts mit meiner 'Einstellung' zu tun, sondern ich beschreibe damit die, in unserer Welt vielfach notwendigen, Sachzwänge. Du solltest es Dir nicht so einfach machen und glauben, nur weil jemand Deine Wünsche für unrealistisch hält, sei er komplett anderer Meinung. Es gibt hier übrigens allerhand Beiträge, in denen ich gerade machtgeile Bürokraten als wesentlich verantwortlich für die aktuelle städtebauliche Misere erachte. Daher würde ich mich persönlich besonders ungerne in diese Ecke gestellt sehen. Übrigens ist selbst die Berliner Traufhöhe quasi eine dieser 'Bürokraten'-Auflagen. Sie entstammt einer Revisionierung der Bauordnung aus 1872 (für kurze Zeit durfte man hier auch höher bauen, ein paar erhaltene Häuser finden sich vor allem noch im nördlichen Mitte). Da ging es um die Höhe der damaligen Feuerwehrleitern - und nicht um das von Schinkel postuilierte optimale Straßenraumprofil, wie manch einer heute gerne annimmt. (auch die Mindestgrößen der arg engen Höfe wurden wegen des Wendekreises dieser Drehleitern erhöht, nicht etwa, weil die Bauherren ihren Mietern besondere Schönheit im Hof präsentieren wollten!)
'Bin der Meinung, die Erbauer vieler historischer Gebäude haben auch geplant, dass ihre Bauwerke einem breiten Publikum auf Dauer gefallen sollten. Bin weiterhin der Meinung, dass die meisten historischen Gebäude auch heute noch einem breiten Publikum gefallen.' Jetzt mal ernsthaft, hältst Du das für eine Frage der Meinung? Die Intentionen für die Gestaltung einzelner Bauten waren auch in der Vergangenheit viel zu unterschiedlich, als dass man darüber so pauschal urteilen könnte. Für die letzten 200- 300 Jahre sind die jeweiligen Beweggründe recht gut erforscht. Auch wenn das wieder oberlehrerhaft klingt: Du solltest berücksichtigen, dass die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und kulturellen Erfordernisse sowie die technologischen Möglichkeiten einem permanenten Wandel unterliegen. Wir haben keine, von Monarchen eingesetzte, geheimen Oberbauräte mit weitreichenden Befugnissen mehr und derzeit auch keinen Zuwanderungsdruck in den Städten, der zu einer Nivellierung von Nachfrag und Angebot auf hohem Niveau führen könnte (was die Grundvoraussetzung für anspruchsvolle, mondäne Architektur ist, die den Vergleich mit den besten Exemplaren vergangener Epochen nicht scheuen braucht). Dafür haben wir heute die "dollsten" Möglichkeiten der industriellen Vorfertigung, wir haben den ersten und zweiten Förderweg (neben sonstigen sozialen Absicherungen, deren Aufwendungen u. a. zur Unbezahlbarkeit mancher handwerklichen Leistung führt) und die so ziemlich jedem deutlich mehr als ein Dach über dem Kopf garantieren, wir haben sozial bedingte Unruhen weitgehend eliminiert, wir haben heute so viele Möglichkeiten wie nie zuvor, uns zu verwirklichen, beruflich erfolgreich sein und zu repräsentieren (die Fixierung auf die gebaute Umgebung ist somit wesentlich geringer ausgeprägt als früher) und wir haben heute genügend Freizeit, um uns in Internetforen in die Haare zu kriegen - statt an unseren Palästen zu werkeln und sie uns gegenseitig vorzuführen. Alles das (und noch viel mehr) sorgt dafür, dass die Welt von 1889 heute nicht mehr reproduzierbar ist - Wünsche hin oder her!
Deine Ausführungen, die ja implizieren, früher habe man schön gebaut, heute tue man das nicht mehr, greifen hier m. E. deutlich zu kurz. Ich habe nicht umsonst auf die Geschmacksbildung hingewiesen. Glaubst Du wirklich, dass sich die Intentionen so gewandelt haben? Warum setzt Du Deine Empfindungen mit den Aussagen der jeweiligen Baumeister auf eine Stufe? Ist das Empfinden für die Schönheit des Alten vielleicht auch dessen Wahrnehmung als etwas Gegebenes, was die Gesellschaft schon lange begleitet? Und besitzt ein altes Haus, dessen Entstehung man kaum ad hoc nachvollziehen kann, nicht eh viel mehr Potential zur Verklärung, als es bei heutigen Bauten der Fall ist, deren mglw. verworrene Initiierung, deren Vorgänger und deren Nutzer man komplett umreißen kann? Sind bestimmte stilistische Merkmale, die als attraktiv empfunden werden, nicht vielleicht nur Begleiterscheinungen, also die Mittler zwischen dem verheißungsvollen Alten und dem unbefriedigenden Neuen? Das würde immerhin erklären, weshalb viele Leute, die die Moderne und ihre Nachfolger entschieden ablehnen und das oft sehr glaubhaft emotional bis sachlich darlegen können, bei der Bewertung der Merkmale vergangener Epochen urplötzlich völlig undiffenrenziert alles in den Himmel loben, sobld es als Gegenthese zum Hier und Jetzt auslegbar ist? (Ich denke, da passt auch die aktuelle Ziegeldach-Debatte im Berliner Unterforum mit hinein. Wenn's gegen die Neuzeit geht, spielen der kulturelle Background und der Genius loci auf einmal eine untergeordnete Rolle; Oder siehe viele Wohnparks: die dämlichsten und unpraktischsten Fensterformate, die wohl so manchen Bauherren zu Kaisers Zeiten brotlos gemacht hätten und deren gefakte Kleinteiligkeit höchstens einen Bezug zum Geodreieck kennt, scheint einigen noch allemal lieber zu sein als etwas, dass man wohlmöglich mit dem Heute in Verbindung bringen könnte).
Wie schon tausende Male erwähnt: dass vieles einem Bedeutungswandel unterliegt, manche Werte erst zu spätem Ruhm kamen (und dies teilweise den Errungenschaften der Neuzeit mit ihren negativen Randerscheinungen verdanken) streite ich nicht ab! Daraus lässt sich aber noch lange kein algemeingültiger Wertekanon ableiten. Auch wir werden nicht die Letzten sein, die Wertmaßstäbe verschoben haben. Nach meiner Auffassung gibt es in der Architektur eh eine ähnliche Abfolge von These und Antithese, wie in vielen anderen Bereichen auch. Nur wird das hier auf Grund der wesentlich längeren Zyklen (gegenüber z. B. der Musik- oder Modetrends) nicht auf Anhieb erfahrbar. Ich wäre Dir wirklich sehr dankbar, wenn Du Dich ernsthaft mit den Ursachen für manche gestalterische Beweggründe beschäftigen würdest. Ich halte das für notwendig, da eine weitere Argumentation, die auf reinen Mutmaßungen fußt und bei deroft der Wunsch der Vater des Gedankens zu sein scheint, m. E. ziemlich sinnfrei ist.
Übrigens erachte ich es eigentlich für selbstverständlich, dass man nicht sofort dem erstbesten und bequemsten Erklärungsversuch für seine jeweilige Meinung erliegt (und dafür notwendigenfalls sogar alle möglichen Verschwörungstheorien bemüht oder über Dinge befindet, die einem allein nie zustehen können, z. b. den mangelnden Intellekt heutiger Planer betreffend). Ich habe aber den Eindruck, diese Herangehensweise wird hier immer populärer. Fatal finde ich aber die Ansicht, von einem 'konsistenten Geschmacksempfinden' zu sprechen! Sicher, es gibt Proportionen und Formen, die von der Natur vorgegeben sind und deshalb universeller als andere funktionieren. Aber die wenigsten davon finden sich in der Architektur wieder. Ausserdem ist es nach meiner Kenntnis selbst denen, die sich damit erwerbsmäßig beschäftigen, noch nicht gelungen, hier die kulturelle Komponente zweifelsfrei von der 'biologischen' Seite zu trennen und gegebene Entfremdungsprozesse exakt zu erkunden. Immerhin gibt es auch genügend Zeitgenossen ohne besonderen Hang zur Architektur, die mit klassischen Bauten überhaupt nichts anfangen können. Willst Du unterstellen, diese seien irgendwie degeneriert oder besäßen einen Gen-Defekt? Mir ist auch nicht aufgefallen, dass diese Leute (die scheinbar gegen den Trend leben) alle einer auffälligen sozialen Schicht angehörten. Eine seriöse Quelle wäre für diese Aussage daher sehr wünschenswert! Ich hoffe, da kommt etwas Verwertbares. Bei Deiner merkwürdigen, scheinbar zum Gesetz erhobenen Abstraktion: Glas plus Beton gleich unmenschlich (ergo Tonziegel plus Mörtel plus Putz gleich menschlich; muss man nur noch die ach so menschlichen Entstehungsbedingungen vieler alter Häuser ausklammern, fertig) habe ich da leider wenig Hoffnung.
Für Deine Behauptungen zum Gipsstuck hätte ich auch gerne mal eine Quellenangabe. Dass er im Vergleich zu konkurrierenden Materialien nenneswert haltbar sei, widerspricht sowohl der Intention der Bauherren während seiner Verbreitungszeit, als auch zeitgenössischen Berichten. Die Kopplung der Verwendung an die mangelnden Natursteinvorkommen erscheint mir so lange plausibler. Haltbarer Gipsschmuck, der über eine flache Ornamentik hinaus geht, wurde im Übrigen genau wie Natursteinschmuck mit Wandankern aus Stahl befestigt. Das Gewichts-/Verwendungsmöglichkeiten-Argument lasse ich daher nicht gelten (wie gesagt, bis auf seriöse Widerlegung).
Abschließend zum Weltbild: Im Wesentlichen erkenne ich dieses 'Weltbild' vor allem bei Dir. Du brauchst mir nicht erzählen, wozu ich neige! Dass ich wohl weit eher Fakten als Du abbilde, sollte Dir die Realität tagtäglich beweisen! Du solltest den Spieß nicht umdrehen, schließlich schlägst Du hier auf (und mit dir einige andere) und willst gerne erklären, wie einfach alles sei und wie man die gebaute Umwelt verbessern könnte. An stichhaltigen Belegen, warum ausgerechnet Du zu den 'Guten', zu den 'Schlauen' (oder was weiß ich) gehörst, die uns mit ihren Eingebungen diesmal endlich in eine strahlende Zukunft führen, habe ich noch nicht viel gelesen. Ich akzeptiere Deine geschmackliche Ausrichtung, die sicher eine recht große Schnittmenge mit meiner besitzt (und würde das wohl auch tun, wenn wir völlig gegensätzliche Vorstellungen von Architektur und Städtebau besäßen). In den Grenzen der Erhaltung (bzw. Wiedererlangung) eines Gemeinsinnes - zu dem weit mehr als ein paar geschichtsschwangere Hüllen gehören - soll meinetwegen jeder nach seinen Vorstellungen glücklich werden. Ich akzeptiere aber keine Universalvorschläge, die mit totalitären Anwandlungen einhergehen, indem versucht wird die eigene Vorstellung anderen als die einzig Wahre Lösung überzuhelfen, wo Geschmacksfragen als Fakten verkauft werden und wo alle, die den steinigeren Weg gewählt haben um sich entsprechnend einzubringen, von schierer Masse oder Ignoranz erschlagen werden sollen! Es haben sich schon so viele Leute mit Hingabe daran vesucht, die Akzeptanz der gebauten Umwelt zu erhöhen (wieder die blöde Oberlehrerhaftigkeit: was u. a. zum aufkommen der Moderne führte!) uind sind daran gescheitert. Warum sollte das nun ausgerechnet jemandem gelingen, der gegen den verstrahlten Müll mit Omas Staubsauger anrückt? Spielt doch überhaupt keine Rolle, wie nett die Oma immer war (die nur ihre Kinder verprügelte, aber nicht ihre Enkel).
So, das war's bis hier. Ich freue mich natürlich über eine erneute Rote-Pünktchen-Kanonade von beleidigten Leberwürsten, die es nicht vertragen können, wenn man sie aus ihren Träumen reißt, und die aus Mangel an Argumenten auf diese Art ihren Frust ablassen müssen! 