Als Befürworter der Maßnahme an sich, kann ich die Frustration mit und die Kritik an der Berliner Politik und Verwaltung völlig nachvollziehen, auch wenn die Bedingungen komplexer und schwieriger sind, als es in gewohnt provokanter Manier in Presseartikeln und Forumsbeiträgen dargestellt wird. Zu der ohnehin schon lahmen Verwaltung kamen ein Wahlkampf und coronabedingte Krankenstände und Prioritätenverschiebungen, was die Prozesse natürlich nicht einfacher gemacht hat.
Aber das man es zwei Jahre lang nicht hinbekommt, mehr umzusetzen als Baustellenmarkierungen und behelfsmäßige Sitzgelegenheiten, ist ein Armutszeugnis. Prozesse hin oder her, man kann eine solch zentrale und prestigeträchtige Straße nicht über so lange Zeit vor sich hin gammeln lassen. Ich wage zu behaupten, dass man sowas an vergleichbarer Stelle in Paris, Kopenhagen oder Wien nicht sehen würde. Und ein glasklarer Indikator für die schlechte Arbeit aus dem Hause Jarasch ist, dass man die Einzelhändler vergrault hat. Deren Kooperation ist nun mal ganz zentral und obwohl sie anfangs der Maßnahme offen gegenüber standen, haben sie sich mit der Zeit abgewandt, was nachvollziehbar ist.
Für mich zeigt sich hier nicht ein Scheitern des Vorhabens und ganz sicher nicht der oben so genannten "grünen Verkehrswende", sondern nur ein weiteres, deprimierendes mal die Ineffizienz der Berliner Politik und Verwaltung. Nicht das es umgesetzt wurde sondern wie es bisher umgesetzt wurde, ist das Problem. Es gibt Beispiele ohne Ende, dass Verkehrsberuhigung und PKW-Sperrung zu Belebung und steigenden Umsätzen im Einzelhandel führt, aber das geht halt nicht mit Europaletten, globaler Pandemie und Berliner Verantwortungsdiffusion.
Das ganze Gaga der grünen Verkehrswende wird daran sichtbar, dass man sich an ein paar hundert Meter Friedrichstrasse abarbeitet - aber die Leipziger links liegen lässt
Das ist nicht richtig. Auch an der Leipziger Straße ist man schon länger dran, wobei die aktuellen Brückendiskussion zeigt, dass der Drops noch lange nicht gelutscht ist:
Straßenbahnneubaustrecke Alexanderplatz – Potsdamer Platz/Kulturforum - Berlin.de
Es gibt im ganzen Stadtgebiet etliche Verkehrsprojekte im Rahmen der Verkehrswende, in unterschiedlichen Umsetzungsstadien. Der Eindruck des "Abarbeitens" an einzelnen Konfliktthemen ergibt sich aus der medialen Ausschlachtung derselben.
"Verkehrswende" wird als plakatives Wort in die Arena geworfen, aber außer werbeträchtigen Inszenierungen habe ich bis heute nicht verstanden was dieses Wort beinhalten soll. Hier fehlt das Fundament, worauf es sich bezieht (z. B. pro dies oder gegen das, dann aber mit alternativem Angebot)
Das ist schwer nachzuvollziehen. Schließlich werden Art und Weise sowie das Für und Wider seit Jahren rauf und runter diskutiert. Vielleicht als grober Einstieg:
Verkehrswende – Wikipedia
Wie das laut Meinung der gegenwärtigen Regierung in Berlin umgesetzt werden soll, steht auf 13 Seiten im aktuellen Koalitionsvertrag:
Koalitionsvertrag 2021 - 2026 - Berlin.de
Wo ich dir allerdingst zustimme, ist beim Thema Öffentlichkeitsarbeit. Mobilität ist zum identitätspolitischen Schlachtfeld geworden. Das liegt aber nicht nur daran, dass Springer & Co. in gewohnt billig-polemischer Art und Weise dagegen wettern, sondern auch an einer zu positivistischen, konfrontativen und besserwisserischen Kommunikation mancher Verfechter der Verkehrswende. Es bedarf einer größer angelegten Kommunikationskampagne die die diversen Vorhaben anschaulich darstellt, die Leute mitnimmt und die, die sich nicht mitnehmen lassen wollen, zumindest informiert.