Ich halte es in einer halbwegs urbanen Mittelschichtsstadt wie Leipzig auch durchaus für etwas "en vogue" sich auf einer Demo gegen rechts zu bekennen. Da trifft man Gleichgesinnte, hat gute Gespräche und das gute Gefühl sich in der Abneigung gegen die wirklich unappetitliche Rechtstruppe und ihrer Hintersassen zeigen zu können.
Ohne das Leipziger Engagement zu schmälern: Wenn sich in Altenburg 1000 Leute auf den Marktplatz stellen, so kann das in der Woche danach durchaus soziale Folgen haben. Von mißgünstigen Blicken über Geschnittenwerden im Kollegenkreis bis hin zu noch mehr Schweigen in Familien, wenn es mal konkret werden müßte. In Leipzig wird es derlei vergleichsweise selten geben, deswegen ist die Schwelle, zum Protest zu gehen, auch durchaus geringer. Protest äußert sich dann immer leicht, wenn man weiß, dass man mit der gesellschaftlichen Mehrheit einer Meinung ist. In Altenburg, Rochlitz, Spremberg, Gera usw. kann man sich dessen in keiner Weise sicher sein. Ich rechne das Engagement dort doppelt an!
Sich unter Gleichgesinnten der Übereinstimmung zu versichern ist leicht, aber am Stammtisch gegen 4 Skatbrüder mit rassistischen Gemeinplätzen einfach mal zu sagen "Leute, jetzt reichts aber!" verlangt ungleich größeren Mut. Oder an der ach so harmonischen Kaffeetafel den verachtungsvollen Sprüchen der Verwandschaft konkret die eigene Meinung entgegensetzen. Bekennt man sich oder hält man wie Hunderte Male vorher um des lieben (Familien)friedens wieder mal den Mund?
Diejenigen, die dann im Brustton der Überzeugung sagen "Aber natürlich muss man gegen rechts eintreten" haben meist keine wirkliche Erfahrung mit der Verbreitung und Tiefe rassistischer und chauvinistischer Meinungen in der deutschen Gesellschaft.
Sage ich mit frischer Erinnerung an ein durch und durch logikfreies Rechts/Verschwörungs/Orban/Trump-Weltbild eines Gastes einer Familienfeier in einem Leipziger Vorort, den ich am Samstag einige Stunden zuhören durfte. Liebenswürdiger Opa und kalt menschenfeindliche Sprüche in einer Person.