Beiträge von Milan

    Genau, nicht nur, aber vorallem. Dass es eine ganz andere Baukultur gab, die auch die Qualität der Entwürfe selbst durch Laien und Maurermeister nach unten abfederte, ist nochmal ein anderes Thema. Zweitens verkennst du völlig die Stärke der Eingriffe, die auch im Kaiserreich und sogar davor versucht wurden. Diese sind zwar regelmäßig gescheitert aber die Parallele sozial - mehr Einmischung langt nicht hin. Und daher auch die Behauptung: Die Vorzeichen haben sich sicherlich verändert, die Methodik jedoch nicht. Ergo Kontinuität (und damit sind wir schon im anderen Thema angekommen).


    Außerdem käme ich nie auf die Idee, zu behaupten der Markt regle irgendwas. Wo hast du das nur her?


    Aber obwohl ich glaube, dass wir uns hier großartig und zu beiderseitigem Amüsement streiten können, sprengen wir langsam den Thread.


    Liebe Grüße, Milan

    Die vielbeschworene Schönheit von Gründerzeitvierteln gründet sich auf gelungener Stadtgestaltung und Infrastruktur, deren Kosten auf die Privateigentümer abzuwälzen (abgesehen von den Straßenbaukosten bei den direkten Anliegern) regelmäßig unmöglich war. Darin hat die Stadt seit dem Hobrechtplan investiert und zwar nicht zu knapp.
    Die Segnungen des Intensivkapitalismus begannen hinter der Bauflucht und das ging oft nur die ersten Meter gut.

    Es ging zwar hauptsächlich um den preußischen Staat von 1815 bis 1918 aber die Kontinuität ist natürlich vorhanden. Jedenfalls auf struktureller Ebene. Das war sie dann auch durch die Weimarer über die böse Zeit, die nicht genannt werden darf, weiter über die BRD bis heute. Natürlich sind das ganz andere Menschen und die Haltung zu vielem hat sich geändert. Ich sehe allerdings wenig Anzeichen, dass in der grundsätzlichen Methodik der Verwaltung irgendwas anders wäre. Und nur um das klarzustellen: Nein, ich vergleiche hier nicht das Reich des Schreckens mit Frau Lüscher, auch wenn die Dame auf ihre Weise auch ein bisschen schrecklich ist, sondern ich behaupte ganz frech, dass grundsätzliche Verwaltungsmethoden historische Tradition haben. Wenn ich, was durchaus vorkommt, Architektenhandbücher von 1885 lese und es da um Bauämter und öffentliche Bauaufgaben geht, hört sich das ganze jedenfalls nicht gerade exotisch an.

    Erstmal muss man ja sagen, dass mehr als 50 % der heutigen Berlin nach 1990 zugezogen sind. Von irgendwelchen "preußischen" Traditionen kann da nicht viel geblieben sein.


    Doch, und zwar in der Verwaltung und Politik.



    Zum Mangel an konkreten Vorschlägen, möchte ich sagen, dass es durchaus konkrete Ideen beim Dialogprozess gab. Ich habe auch nicht übel Lust daraus einen vorzeigbaren Entwurf zu machen. Eine Handzeichnung habe ich schon. Und heute morgen hab ich meine Idee tatsächlich in der taz wiedergefunden, die über die Bürgerwerkstatt berichtet hat. Das wirkte zwar nicht sehr begeistert, aber dass es überhaupt erwähnt wurde, bauchpinselt mich schon.
    Der Punkt ist eher, dass ich nicht glaube, dass sich irgendjemand Entwürfe ansehen will. Wenn Wettbewerb, dann vermutlich sowieso ein beschränkter und das heißt es gibt aus gutem Grund die gleichen Ideen wie schon seit Jahrzehnten, weil auch die befragten Architekten die gleichen sind. Und im schlimmsten Fall habt ihr Recht und es ist rein technisch sowieso nichts mehr zu machen.


    Viele Grüße,
    Milan

    Eine wirklich gute Möglichkeit, Blockrandbebauung effizienter zu machen, sind imho T-förmige Dreispänner. Die ermöglichen bei geringer Verkehrsfläche Querlüftung und zweiseitige Belichtung für drei Parteien und können daher relativ kompakter werden als mit Seitenflügeln wünschenswert wäre und bieten, trotz zentralem Treppenhaus, sehr große zusammenhängende Erdgeschossflächen für Gewerbe. Wenn man dann, sagen wir mal 18 Wohnungen erschließt, wird auch moderner Komfort wirtschaftlich. Und dabei kann man sogar sehr gut sehr verschiedene Wohnungsgrößen und auch Ansprüche so durchmischen, dass für alle was dabei ist. Da ist nur diese kleine rechtliche Sache...

    Tendenziell übernehmen dann die Bürger die Rolle der Opposition und verhindern im Zweifel die Vorhaben der Verwaltung. Spart wohl zuweilen viel Geld. Die unterlegene Seite wird jedenfalls in der Regel sehr unzufrieden sein mit dem Prozedere.


    Klar, und zwar immer dann wenn alle nur Maximalforderungen stellen und sich am Ende einer mit seiner Sache durchsetzt. Das ist eben das Problem mit Mehrheitswahlen. Komischerweise funktioniert das in der Wirtschaft ganz anders. Oder hat man schonmal erlebt, dass Firma A Firma B anfragt, ob sie ein bestimmtes Teil so wie es ist zum Preis x liefern könnte und Firma B antwortet dann schlichtweg: "Nein"?
    Ohne Verhandlungen geht nichts.

    Leider ist die Berliner Bevölkerung, wie vielleicht die gesamte ehedem preußische, insofern tatsächlich obrigkeitsstaatlich geprägt, dass sie auch nichts von sich aus wagen. Hier wird immer auf den weisen Ratschluss gewartet. Das ganze ist ein ernsthaftes Problem, da Menschen, die angehört werden, aber keine wirkliche Macht haben, also etwa so wie im Preußischen Konstitutionalismus, keine Verantwortung übernehmen müssen. Leute, die nur so eine Art von Regieren kennen, haben es auch sehr schwer, den Nutzen von Respekt, Zurückhaltung, Kompromissbereitschaft und Verhandlung zu lernen. Bei der Bürgerwerkstatt lief alles ganz gut, aber es war auffällig (und im Stadtforum letztens noch viel mehr), dass einige sehr lautstark und sehr unproduktiv auf Extremmeinungen verharren, obwohl Ihnen klar sein müsste, dass sie jedes Fortkommen behindern und damit effektive Bürgerbeteiligung unmöglich machen.


    Das ist dann natürlich auch das Standardargument gegen sie. Das Volk ist eben uneinsichtig, deswegen funktioniert Beteiligung nie ganz. O-Ton "Demokratie ist gut, aber am Ende muss einer entscheiden", wie selbst meine im Schwange der 68er großgewordene Frau Mutter neuerdings gerne sagt - wohl aus der Erfahrung der letzten 30 Jahre heraus. Das tragische ist, dass das auch nicht mehr geht. Im langen 19. Jahrhundert war eine hocheffektive, eigentlich meritokratische Verwaltung für den preußischen König unerlässlich, schon allein um die militärische Schlagkraft aufrecht zu erhalten. Heute ist die Verwaltung träge und ineffizient. Weil niemand, der Macht hat, ein lebenswichtiges Interesse am Gegenteil hat.


    Es gibt viele Auswege aus der heutigen politischen Stagnation in Berlin und anderswo, aber jede beginnt mit Verantwortung und Verantwortlichkeit und wer will sich schon auf diese Weise angreifbar machen? Und das liegt nicht an den verlotterten Zeiten oder am Internet. Sondern daran, und hier schließt sich der Teufelskreis, dass Menschen, die keine Verantwortung übernehmen dürfen, eben auch nicht lernen, dass gute Lösungen nur entstehen, wenn alle auf einander eingehen, statt herumzukrakeelen.


    Die Dauerempörung bei gleichzeitig geringem Interesse ist das Ende aller Gestaltungsfähigkeit. Und deswegen waren bei der Bürgerwerkstatt am Ende auch nur etwa 100 Menschen, während 1000 gerade meckern (Edit: oder in der B.Z. lesen), dass alles Mist ist.


    Grüße
    Milan

    Meine Anmerkung sollte eher darauf hinweisen, daß bei einer "künftigen" Ausschreibung der historische Denkmalsockel nicht erwünscht ist, also quasi auch wieder eine gewisse (Vor-) Festlegung trotz "laufendem Beteiligungsverfahren zur Mitte".


    Unterm Strich sind wir uns (wenn ich dich richtig verstanden habe) wohl einig, daß die "ehrenwerte" Frau Lüscher ein Beteiligungsverfahren höchst medienwirksam vorheuchelt und im Gegenzug eine zukünftige Entwicklung (in welcher Form auch immer) durch ihr tatsächliches Handeln auf das übelste hintertreibt.


    Ich war am Samstag in der Bürgerwerkstatt und kann, ohne die Hintergründe genau zu kennen, den Eindruck nur bestätigen. Es schien mir so als ob die Veranstalter sich redlich Mühe geben, das ganze aber doch zum Scheitern verurteilt wurde, ganz egal, was dabei rauskommt.
    Ich bin sehr gespannt auf das Halbzeitforum, bei dem wir mit den Vertretern, das heißt "Botschaftern" der Fachkolloquien sprechen werden. Ich bin mir relativ sicher, dass wir erst da so richtig merken, welche Würfel schon alle gefallen sind.
    Aber man soll ja nicht alles schlecht reden. Immerhin lief die Bürgerwerkstatt auf einem angenehm konstruktiven Niveau ab, das alleine ist schon was wert.


    Viele Grüße, Milan

    Guten Tag, DAF

    Guten Tag, wertes Forum. Ich bin ein Architekturstudent aus Charlottenburg und Spandau im schönen Westberlin. Normalerweise lese ich hier nur sehr interessiert mit, aber zu einigen Themen, die ich hier gestern und heute durchgeschmökert habe, muss ich doch etwas sagen. In jedem Fall freue ich mich, an Bord zu sein.


    Zum Thema Nationalsozialismus und Architektur:


    Die hier geäußerten persönlichen und fachlichen Meinungen finde ich auf jeder Ebene etwas befremdlich, zumal es eigentlich garnicht um Architektur geht. Stattdessen werden die Verbrechen verschiedener Vertreter (!) politischer Ideologien mit dem Wesen dieser Ideologien und dann, im noch falscheren Rückschluss, mit dem Wesen der zur jeweiligen Zeit auftretenden Architektur gemein gemacht.
    Kurz und bündig: Ja, die Nazis waren Verbrecher und Mörder. Die Kommunisten auch. Gut. Beide hielten sich außerdem für große Ideologen. Die Kommunisten waren das sicher. Die Nazis... waren sehr begeisterungsfähig. Lasst es mich vorsichtig formulieren. Der Nationalsozialismus ist das große Schreckgespenst aller Deutschen und hat die absolute Katastrophe Deutschlands durchgeführt. Aber die Nazis als ideologische Strömung waren nicht annähernd so ideologisch konsistent oder im Schaffen konsequent, wie sie es dargestellt haben. Das sollte einem eigentlich schon der Name National-Sozialismus sagen. Wenn man diese beiden Ideologien sich überschneiden lässt, bleiben als Gemeinsamkeit Materialismus und Machtfreude in überbordender Gewalttätigkeit und trotz aller bedeutungsschwangeren Inszenierungen ist die gesamte Naziideologie auch nicht mehr als das.
    Verabschieden wir uns also bitte von dem Mythos einer eigenständigen Kultur des Ganzen. Für die Kommunisten gilt im Übrigen das gleiche. Der Marxismus ist eine wissenschaftliche Analyse des kapitalistischen Systems. Und folgerichtig spielen Marxisten und alle, die sich von ihnen ableiten das gleiche Spiel wie Nationalisten, Liberale oder eben auch Nazis... nur eben besser. So jedenfalls ihre Hoffnung.


    Es gibt also, imho, keine inherenten Unterschiede im Menschenbild zwischen den großen Ideologien. Und deshalb gibt es auch keine fundamentalen Unterschiede in der Architektur, die sich auf die Ideologien zuordnen ließen. Ein kleiner Abriss:
    In der späten Kaiserzeit war quasi ganz Europa und Nordamerika von lokalen Spielarten Beaux-Arts-mäßiger Architektur geprägt, die eine gesellschaftliche Kontinuität suggerierte, als eine wirtschaftliche Revolution in Wirklichkeit bereits das ganze Leben verändert hatte. Gegen die Kombination aus pompöser, gefühlt unzeitgemäßer Darstellung und elenden sozialen Zuständen richtete sich eine Empörung, die in der Architektur ihren Niederschlag in grundsätzlich zwei entgegengesetzten Polen fand:


    1. Der Abkehr von der modernen industriellen Gesellschaft und 2. Die Integration aller Tätigkeit in die Anforderungen der Wirtschaftsmaschine.


    Die Beispiele des ersten kennt jeder, dazu gehören formale Experimente wie Jugendstil, Arts-and-Crafts usw, aber auch Gartenstadtbewegung und andere mehr. Für den zweiten Pol stehen die Grundgedanken der aufkommenden Moderne, deren erste Sprösslinge vorallem verkehrsfokussierte Städtebauüberlegungen wie der Gedanke der Bandstadt sind. Dazu kommen später erste formalistische und technologische Experimente, die auf die kommende Klassische Moderne verweisen. ABER, und das ist wirklich wichtig, keine dieser Gegenbewegungen ist ansich politisch gewesen, im Sinne der ideologischen Teilungen des 20. Jahrhunderts. Sie alle stellten eine Ablehnung der Dekadenz der Herrschenden und der Verelendung der Arbeiter dar und wollten vorallem die generelle Entfremdung des Menschen von seiner Arbeit und der Menschen voneinander beheben. Entweder eben durch Rückbesinnung oder Verändern des Menschen.


    Dementsprechend konnte sich lange keine Strömung, ob liberal, marxistisch, faschistisch, zu einem einheitlichen baulichen Ausdruck durchringen. Nach der Oktoberrevolution gelangten viele Modernisten und Avantgardisten an Möglichkeiten baulichen Ausdrucks, weil sich das Zarenreich so streng klassisch (im weiteren Sinne) gezeigt hatte. Dasselbe in den folgenden Jahren in Italien und Spanien. Auch in Deutschland kam das so, aber da die Nazis wiederum eine Konterrevolution darstellen wollten, entlehnten sie in Staatsbauten klassizistische Architektur. Das eben nicht wegen ideologischer Nähe zum eigentlichen Klassizismus, sondern weil die Republik die Moderne versucht hatte. Gleichzeitig waren die Nazis als Halbfaschisten, und das heißt nach Mussolini Korporationisten, gegenüber der industriemäßigen Rationalisierung aller Lebensbereiche gegenüber sehr offen. So findet man die ersten ernsten Entwürfe für den Bau der autogerechten Stadt in den Schubladen des Stabs Speer. In der Sowjetunion liefen einige Jahre vielversprechende und international rezipierte moderne Experimente, die dann von Stalin abgewürgt wurden, weil er, so wie Hitler, ein romantisches Herz für klassische Formen hatte. In den USA war man insgesamt offen, und experimentierte ohne Revolution. In Frankreich wurden Abwandlungen des Beaux-Arts-Stil widerum als nationale Strömung betrachtet und vor dem Hintergrund sehr konservativen Nationalismus' weit in die 50er Jahre rezipiert.


    So entsteht des scheinbar widersprüchliche Bild, dass der Faschismus teilweise hochmodern baute, die Sowjets erst avantgardistisch und dann plötzlich in einer Variante des Eklektizismus, während in Deutschland die Heimattümeler alle Arten vernakulärer Spitz- und Walmdächer bauten, Blut- und Bodenideologen ironischerweise klassizistisch und aus beiden Lagern Architekten insgeheim schon modernistisch planten. Dazu kommt, dass jede dieser Architekturströmungen international war und eben auch ein unpolitisches Modegeschehen darstellte. Viele der besonders "nazihaften" Gebäude, ich denke da ans Messegebäude und das Olympiastadium sind Planungen der Weimarer Republik und zum Beispiel die Bebauung des Trocadéro in Paris sieht auf den ersten Blick ideologisch höchst verdächtig aus.
    Nach dem Krieg wurde der Klassizismus zur autoritären Architektur umgedeutet und durch so gut wie alle Mitarbeiter Speers mit demokratischer Architektur ersetzt. Vermutlich hatten sie alle spontan ihre Fehler eingesehen...
    In der DDR begann man mit dem Versuch eine Architektur der nationalen Identität mit den Grundwerten des Sozialismus zu schaffen (einige sehr interessante Beispiele, des Frankfurter Tor ist nur eins) bis auf einmal Stalin starb und mit Chrustschow der Rationalisierungsgedanke unter anderem zu einer Umstellung auf (eben noch als formalistisch und kapitalistisch abgewertete) moderne Architektur führte. Der International Style und alle modernen Spielarten setzten sich in der Folge des zweiten Weltkriegs in allen westlichen Ländern durch und wurde von angeblichen geläuterten Nazis, entstalinisierten Kommunisten, grenzwertig faschistoiden Amerikanern und einfach nur gewinnorientierten Unternehmern gleichermaßen flexibel gehandhabt.


    Quod erat demonstrandum, wer am Stil den Geist erkennt, geht besser mal ins Studium. Beim letzten Mal hat er gepennt.


    Das heißt natürlich nicht, dass die Nazis nicht ganz besonders geschmacklos in der Ausführung waren, und die avisierten Größen sagen sicherlich einiges aus. Aber es gibt genauso solche Klopper auch in demokratischen Ländern und auch im Großdeutschen Reich dachten viele nur im Umfang von Dörfern. Deshalb lasst uns die Reichskanzlei unter künstlerischen Gesichtspunkten betrachten und -vermutlich- zu dem Schluss kommen, dass wir sie nie sehr vermisst haben.


    Mit lieben Grüßen,
    Milan, der jetzt hofft, dass er nicht gleich zu dick aufgetragen hat. Aber es schrieb sich glatt von alleine