Warum soll ein Zustand 1939 - oder 1932 - wieder hergestellt werden? Was zeichnet diesen Zustand aus? Ist dieses Jahr das Ende der Geschichte? Diese Forderung nach Rückführung in einem idealisierten Status Ante hat etwas regressives, erstarrtes.
Und ja - auch die SBZ und spätere DDR war ein Unrechtsregime, das auch kulturelle barbarische Aktionen durchgeführt hat. Aber Hitlerdeutschland war ein menschenverachtendes System. Und das Kaiserreich formal eine Autokratie mit parlamentarischer Kontrolle. In Bezug auf Unrechtssysteme kann man diese Zeiten nicht gegeneinander ausspielen. - Daher gehören alle diese Ebenen zur Stadtentwicklung dazu. Erst dadaurch entsteht Geschichte von Orten, die die Vielschichtigkeit des Gewesenen reflektieren: 250 Jahre frühneuzeitlicher Dynastieetablierung, 217 preußischer Absolutismus und Scheitern der Dynastie, 14 Jahre Weimarer Republik, 12 Jahre Hitlerdiktatur, 4 Jahre SBZ, 40 Jahre DDR, 30 Jahre BRD. Alle diese Geschehnisse haben sich zum Teil radikal an diesem Ort verwirklicht - und der Abriss des Palastes der Republik und (Wieder-) Errichtung der Schlossfassaden gehört mit zu diesen radikalen Eingriffen an diesem Ort. Die letzten 80 Jahre zu tilgen, verleugnet die Identität des Ortes und ist eher ein Versuch von Identitätspolitik, eine künstliche Herstellung von Geschichte, die man sich wünscht, die aber nicht so war. Daher sollte zwischen echter Identität von Orten und gemachter Identität, die etwas propagieren möchte, einen idealen Zustand, der das Heil verspricht, unterschieden werden. - Ich finde es viel spannender einen Ort in seiner Vielschichtigkeit zu befragen und die Widersprüchlichkeit der menschlichen Existenz in ihm zu erkennen, als eine künstliche heile Welt vorzugaukeln, an deren Zuckersüße man sich den Magen verdirbt. - Und ja - dieser Kulissenbau einer heilen Welt von 1939 ist in Deutschland vielerorts en voge - alle kennen die Liste: Dresden, Frankfurt, Braunschweig, Potsdam, Berlin (...) Das ist wohl der Ausdruck eines teils der politischen Wirklichkeit der deutschen Gesellschaft nach der Wiedervereinigung, chimäre Identitätsträume zu konstruieren, die SO nie wirklich waren. Ein Teil will so das eigene Scheitern verdrängen als Gesellschaft - anstatt sich produktiv mit ihm auseinanderzusetzen - was viel bessere Früchte tragen würde. Für dieseart Identitäts- und Geschichtspolitik war das Humboldtform respektive Stadtschloss von Anfang an eines der wichtigsten Symbole und wird schon vor seiner Fertigstellung zu einem Symbol der deutschen Gesellschaft in ihrem Ringen mit sich selbst. Diesen Makel wird das Gebäude nie verlieren - das ostdeutsche Identität ausradiert wurde um eine Vorkriegsidentität an die Stelle zu setzen und die innere Widersprüchlichkeit des Gebäudes selbst: ehemaliger Sitz von Kolonialherren und künftige Ausstellung der globalen Kulturen. Herrschaft und Teilhabe, Autoritarismus und Pluralismus stehen bei diesem Projekt in einer zerreißenden Spannung.