Volle Zustimmung! Eine solche Haltung ist nicht nur "gestört", sie ist auch einfach ignorant, mag sie auch heutzutage bei uns sogar von seriösen Denkmalpflegern vertreten werden, die um die Ausstrahlung ihres Heiligtums fürchten, wenn ein fähiger Architekt es wagt, diesem mit einem ansehnlichen Neubau zu nahe zu kommen. Was sagt die Baugeschichte? Genau das Gegenteil. Die hervorragenden Platzschöpfungen Europas sind gerade dadurch entstanden, dass jeder neue Nachbarbau nicht hinter den Qualitäten des schon Vorhandenen zurückstehen durfte. Denken wir an die Grande Place in Brüssel. Diie Vorstellung, die phantastischen Gildenhäuser wären fehl am Platz, weil sie dem spätgotischen Rathaus die Schau stehlen, ist doch geradezu hirnrissig. Solche Überlegungen können nur in Deutschland vorgetragen werden, wo der angemessene Umgang mit Architektur weithin durch schlichte Unbildung behindert wird.
Beiträge von Persius
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Dem einen sind die Fassaden zu eintönig, dem anderen zu überladen mit Motiven. Dann hat es ja wohl der Architekt genau richtig gemacht. Das Phänomenale an diesem Strang ist ja eigentlich nicht der Bau als solcher, sondern der Ingrimm, mit dem daran herumgekrittelt wird. Welchem Bau der Berliner Alltags-Tristesse würde schon die Ehre einer solchen Flut von Statements entgegengebracht! Alles Herausragende provoziert eben, und mancher lässt sich zu Ausfällen hinreißen, die mit Architekturkritik wenig zu tun haben. Der inflationäre Anwurf mit der Vokabel Kitsch zeigt nur, dass die Schreiber nie gründlich über das Wesen des Kitschs nachgedacht haben; der Barbieschloss-Vergleich verdeutlicht, dass in Jahrzehnten eingeschliffene Sehgewohnheiten in einer Weise irritiert werden, dass genaues Hinsehen und Wahrnehmen durch flüchtiges Assoziieren ersetzt wird. Deutsche Architektur hat nun mal streng, asketisch und freudlos daherzukommen, Ausreißern wird umgehend die rote Karte gezeigt.
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Ist ja ein Witz! Während in erstaunlich vielen Köpfen noch immer das Klischee vom Vorkriegs-Berlin als der Stadt der Hinterhöfe präsent ist, wird hier zum ersten (?) Mal ein Neubau mit exakt dem gleichen "Hinterhof-"(Gartenhof/ Innenhof)-Geviert geplant, wie er vor der Kriegszerstörung bestanden hat. Aber die Berliner, zumindest die im Westen, wussten wohl schon immer, was sie an diesen berlintypischen Innenhöfen haben (z.B. die herrliche Ruhe).
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Also von Schluchten würde ich bei den relativ breiten und im internationalen Vergleich nur mäßig hoch bebauten Berliner Innenstadtstraßen nicht sprechen. Wer Berliner Etagenhäuser als hoch empfindet, sollte sich mal in spanischen, französischen und italienischen Städten umschauen, ganz zu schweigen von amerikanischen Metropolen. Ein klein wenig mehr metropolitane Dichte würde Berlin gut zu Gesicht stehen und augenfällig machen, dass auch in Berlin mittlerweile ein gewisser Verwertungsdruck auf zentral gelegenen Grundstücken lastet.
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Ich finde es ohnehin abartig, dass sich ein Begriff so in unserem Sprachgebrauch festkrallt, der offensichtlich aus anderen, reichlich militaristischen Zeiten stammt. "Zivilcourage" will doch sagen, dass eine bestimmte Seelenhaltung, Mut nämlich, in erster Linie im soldatischen Kampf gefordert ist, aber in Ausnahmefällen eben auch im zivilen Miteinanderleben. Was spricht dagegen, ein solches vorbildliches Verhalten einfach "Mut" zu nennen, statt unbewusst, wie wir mit der Sprache eben umgehen, immer noch überholte Begriffsbilder mit uns herumzuschleppen?
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Den hohen zweigeschossigen Sockel verstehe ich auch nicht. Was soll diese geradezu absichtsvolle Absetzbewegung von dem noblen Nachbarn mit seinem berlintypischen Geschäftshausstil des frühen 20. Jahrhunderts, und was sollen just an dieser Stelle die Fensterläden, die man sich sonst in all der Wohnhaus-Einheitssoße so dringend wünscht?
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Rotes Rathaus, wenn du die "Platten an der Karl-Liebknecht-Straße und an der Rathausstraße" als "unwürdigen Schrott" bezeichnest, dann frage ich mich, welche Bauten der internationalen sog. Moderne seit dem 2. Weltkrieg vor deinem Urteil Bestand haben. Immerhin vertreten diese Bauten (von Heinz Graffunder und von Wolfgang Radtke) den Anspruch des damaligen Staates, hier einen hauptstädtischen Repräsentationsraum zu schaffen. Ich wüsste so spontan nicht, welcher Bau der Moderne vor deinem Urteil bestehen könnte, wenn selbst diese ambitionierten Wohnbauten (ich jedenfalls halte sie für überdurchschnittlich) einem vernichtenden Urteil anheimfallen. Entweder bescheinigt man den damaligen führenden Architekten der DDR, durchaus etwas von architektonischer Repräsentanz verstanden zu haben, oder man lehnt alles "moderne" Bauen rundweg ab. Dann wäre ich aber sehr gespannt darauf, Vorschläge einer alternativen Architektursprache vorgeführt zu bekommen, in der dann eine neuzuschaffende Berliner Innenstadt erbaut werden müsste.
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Braunfels äußert selbst in dem von ruhrbaron übermittelten Fernsehbeitrag den Argwohn, dass heutzutage in Deutschland Angst vor großausgreifenden Entwürfen bestehe. In großem Geiste zu bauen ist in der Tat Angelegenheit der Amerikaner, der Briten, der Franzosen, der Spanier usw.; in Deutschland schätzt man das Klein-Klein, und selbst die Schweizerin Regula Lüscher hat sich schnell in die Rolle des Büttels hineingefunden, der allen, die in Berlin erhobenen Hauptes herausragende Stadtbauideen propagieren, auf selbiges eins austeilt. Es ist zum Heulen - oder zum Auswandern!
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Unsinn. Das MEF ist erst 1986, also magere 3 Jahre vor dem Exitus der DDR angelegt worden - eben weil die ungestalte kriegsbedingte Freifläche nicht so recht ins Bild der repräsentativen Staatsache passen wollte und ja ohnehin die 750 Jahr Feier ins Haus stand. Dieses Areal jetzt als Resultat 'bewusster Hauptstadtplanung' umzudeuten, ist ja völlig absurd.
Und mal abgesehen von der Tatsache, dass wesentliche Elemente dieser einstigen Achse heute garnicht mehr existieren (Außenministerium, PdR) und ungeachtet der politisch zweifelhaften Botschaft, so will sich mir auch partout nicht erschließen, welche Veranlassung es geben sollte, diese städtebaulich unbefriedigende Lösung dauerhaft zu konservieren.Sorry, ich hatte mich schon dahingehend korrigiert, dass ich das Rathausforum im Blick hatte, das ich immer mit dem MEF zusammen als Einheit empfinde. Das Rathausforum war in der Tat als riesiger zentraler und repräsentativer Stadtraum der Haupstadt der DDR geplant und hat sicher nicht weniger seine Qualitäten als die Stalinallee der fünfziger Jahre. Ich habe vor mir ein Heft mit dem Titel "Bauen und Wohnen in der DDR" aus dem Jahr 1970, in dem das neue Stadtmodell mit diesem zentralen großdimensionierten Schmuckplatz vorgestellt wird.
Statt da nun krampfhaft nach Abriss der Randbebauung ein Stück Innenstadt (von Altstadt kann eh nicht die Rede sein) mit lauter banal-modernen Kisten hinzustellen, die sich um den Fernsehturm ducken würden, plädiere ich dafür, den von der DDR-Führung geschaffenen Freiraum weiterzuentwickeln und zu veredeln. Und ich bekräftige Camondos Ansicht, dass das Unterlassen von städtebaulicher Aufwertung aus Angst vor Vandalismus nun wirklich die allerletzte Maxime wäre, wenn uns an zukunftshaltiger und menschengerechter Stadtentwicklung gelegen ist.
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Ein hervorragendes Konzept! Sicher das beste unter all den jahrzehntelangen Versuchen, das Kulturforum zu Ende zu bauen. Aber man wagt kaum zu erwarten, dass jetzt endlich nach jahrzehntelanger Gewöhnung an diese Ödnis Nägel mit Köpfen gemacht werden. Und zu Braunfels: was hat der Gute schon alles an genialen Ideen für München und Berlin ersonnen, und alles (oder beinahe alles) wurde von der in Deutschland unvermeidlichen städtebaulichen Kleingeisterei weggebügelt. Aber geben wir die Hoffnung nicht auf, dass städtebauliches Ausnahmetalent auch hierzulande einmal erkannt wird und zum Zuge kommt.
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Bitte nicht das Marx-Engels-Forum und das Rathausforum miteinander vermengen. Ersteres entstand nicht nur fast 20 Jahre später sondern hat auch keine unmaßstäbliche Randbebauung die man abreissen müsste. Das MEF ist ein Platz zur Verherrlichung der DDR-Staatsideologie von geringer Aufenthaltsqualität.
Meinetwegen Rathausforum. Aus den genannten Gründen, in erster Linie wegen der nun mal vorhandenen baulichen Fassung dieser Fläche durch hohe Wohnbebauung sollte man diese städtebauliche Figur respektieren und aufwerten durch eine höherwertige Parkgestaltung als jetzt vorhanden. Das MEF könnte aber durchaus in dieses Konzept einbezogen werden.
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Ich stimme Camondo durchaus zu. Das MEF ist keine kriegsbedingte Brache, sondern ein bewusst von der DDR-Haupstadtplanung durch Abrisse der Restbebauung geschaffener repräsentativer Freiraum. Die hohe Randbebauung unterstreicht dies, und wollte man das MEF wieder in dichtbebaute Innenstadt verwandeln, müsste erst mal die Randbebauung des MEF verschwinden. Da dies nicht so bald zu erwarten ist, verbieten sich auch für die nächsten Jahrzehnte Gedankenspiele über eine wiedererstehende Innenstadtbebauung auf diesem Gelände.
Warum dann nicht die Idee der DDR-Planer optimieren und dem Freiraum die Ausstrahlung und Würde verpassen, die ihm bislang abgeht? Gewiss, der Vergleich mit den Pariser Tuilerien mag z.Zt. grotesk wirken, aber warum nicht in diese Richtung denken? Der Verdacht drängt sich mir auf, dass der einzige ernsthafte Einwand gegen diese Idee die resignative Einsicht ist, dass deutsche Freiraumplaner so etwas ja doch nicht hinbekommen - vor lauter funktionalistischen Verrenkungen, mit denen man darauf aus wäre, ja kein Bedürfnis einer bestimmten Bevölkerungsgruppe zu übergehen. "Hochwertige Landschafts- und Gartenarchitektur", ja das wär's. Ein wirklich groß gedachter (der neugestaltete Lustgarten lässt grüßen) innerstädtischer Grünraum würde bestimmt von allen Bevölkerungsgruppen begeistert angenommen.
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Natürlich hat es mit "ahistorischer" Gestaltung nichts zu tun, wenn bei einem Staffelgeschoss der Rhythmus der Fenster, die Proportionen, Material und Farbe der überkommenen Fassade wiederaufgenommen werden. Dafür gibt es im deutschen Wiederaufbau zahllose gelungene Beispiele, leider auch zahllose, bei denen man sich diese Mühe erspart hat. Zum Glück wird man sich künftig das Urteil über das Leipziger Beispiel aus dem genannten Grund ersparen können.
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Mit Ausnahme der Feuerwache dokumentieren sämtliche von Backstein und Abrissbirne gezeigten Neubauten (vielen Dank dafür!), eine erstaunlich eindeutige Abkehr von der sonst zur Zeit in Deutschland obligaten minimalistischen Kiste. Sehr beachtlich! Potsdam macht sich und wird auch in dieser Hinsicht bald an der Spitze der respektablen deutschen Großstädte stehen,
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Warum sollte ein fähiger Architekt das Bedürfnis eines Autohauses nach dynamischer Ausstrahlung nicht auch in einer Blockrandbebauung bedienen können! Was hat Blockrandbebauung mit "Reko" zu tun? Die immer gleiche, den Straßenrfaum ignorierende Kiste als Ausdruck von Dynamik zu verkaufen, scheint mir doch etwas angestaubt. Seit sechzig Jahren wird landauf landab nach diesem Muster verfahren. Das ist Dynamik zum Gähnen.
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Vorstädtisches Gewerbegebiet! Zwischenstadt! Wie konnte so etwas genehmigt werden! Aber anderes ist schwerlich zu erwarten in einer Zeit und einem Land, wo Architekten nur noch ein Konzept beherrschen, nämlich das der Kiste, vornehmer ausgedrückt. des Quaders. Und wenn dabei die Physiognomie eines der bedeutendsten Boulevards der Stadt vor die Hunde geht - sie können's halt nicht mehr anders, und woher sollte schon ein Bauherr wie BMW die Inspiration für eine angemessene Blockbebauung nehmen, wenn ihm kein Architekt mehr auf die Sprünge helfen kann?
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Danke Backstein! Ein wundervoll restauriertes Etagenhaus, und umso wertvoller, als der Jugendstil in Berlin (im Gegensatz zu Hamburg und München) kaum kultiviert wurde. Es wäre die perfekte Sensation (für alle Kenner), wenn sonstwo in Berlin so eine Fassade, die es ja durchaus hier und da gegeben haben muss, rekonstruiert würde!
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Was mich an dem ganzen Komplex erheblich stört, ist die lang gezogene und gestalterisch nicht bewältigte Zeile entlang der Wilhelm- und Vossstraße. Was an dem Gesamtkomplex aus der "Architekturfabrik" Tchoban abträglich erscheint, das routinierte Variieren der Fassadengliederung, die sich nirgendwo zu einer charaktervollen Gestalt verdichtet, verläppert sich zu den nordöstlichen Ausläufern hin. Vor allem die (echte oder vorgetäuschte) bescheidene Bauhöhe aus drei Obergeschossen mit Staffelgeschoss wirkt mittelstädtisch und erweckt den Eindruck eines mangelnden Grundstücksverwertungsdrucks, der ja vielleicht in Berlin noch immer hier und da die städtebauliche Entwicklung hemmt. Eine spätere Aufstockung und Überarbeitung dieser Zeilen ist sehr zu wünschen.
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Hallo ihr Architekturfans! Ich lese schon lange hier mit und bin begeistert über alle euren frischen Berichte über das Architekturgeschehen, aber diese Auseinandersetzung um ein Berliner Wohngebäude, das eindeutig in eine neue Richtung weist, veranlasst mich, mich endlich an der Debatte zu beteiligen.
Ich meine, es ist an der Zeit, uns von gewohnten Bildern und verfestigten Maßstäben in unserem Kopf zu befreien. Warum muss ein "modernes" Gebäude karg ausfallen? Warum muss ein historisierendes Gebäude bestimmte Stockwerkshöhen einhalten? Da sind doch allerhand Gewohnheitsraster im Spiel, die uns davon abhalten, genau hinzusehen.
Natürlich ist an diesem Wohngebäude (übrigens vom Zeichenbrett des renommierten Schweizer Architekten Marc Kocher - das darf ruhig mal erwähnt werden) nichts trashig, nichts barock, nichts historistisch. Gewiss, man kann über die Verteilung der Balkone verschiedener Ansicht sein, kann das Staffelgeschoss unpassend finden, aber man wird dem Gebäude nicht gerecht, wenn man nicht die noble und konsequente Proportionierung beachtet, die bewusst herausgearbeitete und akzenuierte Stockwerksgliederung, die zurückhaltende Flächenbehandlung, die ganz auf die gediegene Wirkung der Sandsteinverkleidung und der Maßverhöltnisse zwischen den raumhohen Fenstertüren setzt.
Wenn manche unter euch sogleich an das Haussmannsche Paris oder Südfrankreich erinnert werden, kann ich dem nur zustimmen. Der Bau wirkt in dem weitgehend recht "proletarisch" gewordenen Berlin sicher als Herausforderung, der manchem gleich die Kitsch-Vokabel auf die Zunge legt. Aber schaut bitte genau hin, der Bau ist natürlich so modern, wie alles, was schon das frühe 20. Jahrhundert hervorgebracht hat, nur eben nicht modern im Sinne des "weiß angestrichenen Betonrohbaus" der letzten 60 Jahre, wie Berchen in seinem sehr treffenden Beitrag geschrieben hat. Ich meine, statt unsere in 60 Jahren antrainierten Reflexe gegenüber baulichen Phänomenen auszuleben, müssen wir ganz neu lernen, unbefangen und forschend hinzuschauen, wenn sich in Deutschland und zumal in Berlin eine wirklich zukunftsfähige Architektur etablieren soll.