Ich finde keine Gruppe gibt sich in Richtung Schmähbegriffe was heraus. Da muss man einfach auch was vertragen können.
Ich habe bei der Wahl meiner "Schmähbegriffe" aber vor allem auf die Art der Rekonstruktion und deren Gründe geachtet.
Für mich mach es einfach einen Unterschied, ob ein Haus
a) im Originalzustand bis hin zu den Wandaufbauten rekonstruiert wird
b) weitgehend im Originalzustand, mit klimatechnischen und brandschutzrechtlichen Mindestanpassungen rekonstruiert wird
c) aus Beton gebaut wird, aber die Fassade noch was über die Innere Aufteilung verrät
d) oder eine Fassade vor eine beliebige Kiste gestellt wird.
Neben diesen harten Kriterien gibt es für mich noch weiche Kriterien zur Beurteilung einer Rekonstruktion. Diese beziehen sich
1. Auf die historische Aussage des Gebäudes (war es eine Kirche, ein Wohnhaus, ein politisch-öffentliches Gebäude) und welchen Geist die Architektur in ihrer ursprünglichen Form verkörpert hat. (ist für den konkreten Fall weitgehend unwichtig, trägt eher bei Schlossrekos etc.)
2. Aus welchem Grund etwas heute wiederaufgebaut wird (Mehrfachnennung möglich)
a) Um technische oder künstlerische Errungenschaften wieder anschaulich zu machen (z.B. geschnitzte Fassaden)
b) Um einen historischen Ort wiederauferstehen zu lassen (z.B. Krönungsweg- könnte auch kritisch betrachtet werden, Monarchie ist out)
c) Um ein Heimatgefühl "Identifikationsmöglichkeit" herzustellen (halte ich für ungut, wer's nötig hat sich damit zu identifizieren, der hat ein gespaltenes Verhältnis zu unserer Zeit und Gesellschaft - betrifft aber wahrscheinlich recht viele, deswegen sehe ich's demokratisch)
d) Als Freizeitarchitektur/Kitsch für Touris und Kaffeetrinken mit Oma (politisch belanglos, fragwürdig aber bei Orten mit bewegter Geschichte, auch Disneylandargument genannt.)
e) Als Geschichtsrevision. (Seit 1944 ist so einiges rund um den Römerberg gebaut und diskutiert worden. Nun soll es weg, weil es nicht mehr passt. Die Reko soll in den Augen vieler Kritiker die ganze Epoche "BRD" als architektonischen Fehlschlag abschließen, wobei die Architektur der letzten 50 Jahre synchronität zum politischen System beansprucht. Der gefährlichste Punkt von allen, hier liegt die Angst der moralischen Wächter, ich zähle mich weniger dazu, halte die Beweggründe der Rekos in Ffm für politisch unmotiviert.)
f) Um ein beschädigtes Ensemble zu "reparieren" (Also z.B. dass man sagt, der Dom könne nur mit Fachwerk wirken, das ganze bildete schon eine von den Dombauern unbedingt gewollte Einheit, was aber so nicht zutrifft. Auch am Römerberg ist nichts als Ensemble geplant worden, sondern zusammengewürfelt. Das gilt jedoch eh nicht, da hier nix repariert wird. Es geht eher um einen einzigen Neubau aus mehreren Abschnitten, dessen Qualität in der Ensembleartigkeit bestehen soll, jedoch selbst kein Ensemble ist. Die Frage ist also zusätzlich ab wo man ein Ensemble repariert oder aus dem Nichts neu erschafft. Rekos als Lückenfüller zwischen echter historischer Substanz sind nochmal besonders kritisch)
Den Aspekt der Nutzung habe ich jetzt noch nicht in mein Schema einsortiert. Bai allen Gebäuden, bei denen die Nutzung einen minimal-repräsentativen Anspruch hat sollte bei der Reko aber eben auch diese Einheit von Innen und Außen in die Wertung mit einfließen. Dass heißt nicht, dass z.B. ein Umspannwerk immer eine graue Kiste sein soll, aber es sollte sich auch nicht mit einer Barockfassade tarnen. Eher eine verspiegelte, interessante moderne Kiste - nur so als flüchtiges Beispiel
Edit:
noch mal zu Roberts Beitrag #313:
Als ich in #308 die Begrifflichkeiten "Fassadenfälschung und Altstadtheimeligkeit" vs. "Rekonstruktion ... bedeutender Fachwerkhäuser" verwendet habe, habe ich auch zwei sehr unterschiedliche Dinge gemeint.
Das eine ist eine Betonkiste mit angeklebter Fassade, die meinetwegen ein städtebauliches Ensemble wiedergibt, welches jedoch über einen sehr fragwürdigen architektonischen Wert als Ensemble verfügt.
Schließlich stammen die Fassaden tatsächlich aus unterschiedlichen Epochen und wurden nie als besonders Ensemble geplant. Die "Qualität" des Ensembles war nicht gerade höher als die z.B. des Butzbacher Marktplatzes oder die sonst eines beliebigen "Fachwerkensembles" in der Region? Ich habe zumindest noch nirgends etwas von dem herausragenden historischen Städtebau- und Fassadenensemble in Frankfurt gehört. Hübsch und heimelig, mehr ist es nicht wirklich.
Außerdem bleibt es ja beim Fassadenkitsch. Ob ich jetzt eine Fassade alleine annagle oder 5 nebeneinander und behaupte die 5 hätten jetzt einen Ensemblewert - defakto ist es eben doch nur ein Bauteil. Die Fassadenfälschungen erhalten nicht mehr Wertigkeit in dem ich sie innerhalb des Prinzips der angeklebten Fassade multipliziere.
Eher spricht es doch noch viel mehr gegen die Bedeutung der Häuser, wenn man sagt: "Das wichtigste sind die Fassaden und diese auch nur als Ensemble betrachtet. Die einzelne Fassade bringt's nicht und das historische Haus in seiner konstruktiven Logik ist noch unwichtiger." Aber so in etwa doch deine Aussage RobertKFW? Zumindest hab ich's so verstanden. Und so was soll man rekonstruieren? Das soll besser sein als ein halbwegs anständiger Neubau? Sorry, aber so eine Haltung ist nicht nur nicht für Gegner überzeugend, sie ist noch nicht mal ansatzweise logisch nachvollziehbar. Es sei denn man gibt eben zu, dass man nur Vergnügungsarchitekturkitsch will. Aber dann ist natürlich das Museum und der anspruchsvolle historische Ort schwer begründbar.
Die andere Option, "Rekonstruktion ... bedeutender Fachwerkhäuser", meint eben auch eine konsequente Rekonstruktion. Eine Reko die wirklich ernst gemeint ist und nicht nur einen verklärten städtebaulichen Eindruck wiedergibt. Das ist für mich etwas ganz anderes als eben bloßes "Blendwerk".
Mir ist deswegen auch vollkommen unverständlich, wie man als Rekobefürworter einerseits mit historischer Bedeutsamkeit argumentieren kann und andererseits lieber nur die Fassadenreko als gar nichts hätte. So krass es sich auch anhört, aber gerade im Detail eines Gebäudes ist nicht so viel Platz für ein Nebeneinander von Kompromissen und Niveau.
Da ich aber bei dem Museum, wegen diesem Einheit aus Form und Funktionsargument und der prinzipiellen Eignung der Stelle am Rathaus eh für einen Neubau bin, verbleibe ich einfach nur verwundert, wie egal Rekobefürwortern die Architektur zu sein scheint, solange nur Holzbalken an den Beton genagelt werden und Blumenkästen aus dem Fenster hängen. Es geht eben doch nur um die heile Welt und den passenden Hintergrund für die Weihnachtsmarktbuden.