Freiheits- und Einheitsdenkmal (in Bau)

  • "Wenn ein Denkmal, dann bitte kleiner und prägnanter"

    Die drohende Verbauung des Humboldtforums durch die Wippe stößt in der Bevölkerung auf massive Kritik. In Leserbriefen an die Berliner Morgenpost werden Forderungen nach mehr Bürgerbeteiligung beim Freiheits- und Einheitsdenkmal, einem weiterentwickelten Entwurf sowie vor allem einem anderen Standort laut. Außerdem sprechen sich in einer Umfrage des rbb inzwischen rund 75 Prozent für die Schlosskolonnaden aus.


    http://www.morgenpost.de/polit…iner-und-praegnanter.html
    http://www.rbb-online.de/kultu…-vors-schloss-berlin.html

  • ^ Vielleicht sollten wir uns darauf einigen, keine komplett unrepäsentativen Online-Befragungen mehr als repräsentative Umfragen auszugeben (gilt für alle Seiten). Davon ab: Auch wenn 90 Prozent der Leute dafür wären, Kaiser Wilhelm wieder auf seinen Sockel zu stellen, kann man immer noch aus guten Gründen dagegen sein.

  • Man kann's auch so sehen: Ich unterstelle den Wählern hier, dass sie das architektonisch bewerten können und darum geht's doch vorrangig, dass es passt bzw. gut aussieht im Gesamtgefüge.
    Da halte ich eine berlinweite Umfrage für weniger repräsentativ, da dann mehr ideologisch und "einfach so irgendwas" gewählt wird. Ungefähr so: "Knallt doch da 'ne Wippe hin, mir doch egal!" oder "Deutsche Geschichte und Deutschland überhaupt gehört vernichtet!!"

  • ^ Dieser Logik zufolge sind Umfragen nicht dann repräsentativ, wenn sie nach den Regeln von Meinungsforschung und Statistik durchgeführt werden, sondern wenn sich nur Leute daran beteiligen, die Blaines Meinung sind. Ich glaube, das dürfte wissenschaftlich nicht haltbar sein... :rolleyes:

  • Vielleicht sollten wir uns darauf einigen, keine komplett unrepäsentativen Online-Befragungen mehr als repräsentative Umfragen auszugeben


    Hat das jemand getan? Kläre uns auf.


    Blaines Punkt ist durchaus ein Teil der Gesamtwahrheit. Wer interessiert ist, hat mehr Ahnung vom Thema, fällt ein fundierteres Urteil. Daher gibt es ja auch Jurys.


    Ich habe so meine Zweifel, ob Architektenkind seinen obigen Beitrag geschrieben hätte, wenn die deutliche Mehrheit die Wippe favorisiert hätte.


    Nicht mehr lange, und Echter Berliner wird seinen kongenialen Entwurf für das Einheitsdenkmal postieren. Er besteht in einer Verbindung von Kaiserreich und moderner Gedenkkultur. Wie ich schon schrieb, kommt der Wilhelm weg, und sein unmittelbarer Sockel wird durch einen abstrakten Quader aus schwarzem Marmor ersetzt, auf dem wichtige Stationen der Nationalisierung von 1806 bis 1999 eingraviert sein werden.


    Also pompös und schlicht in einem. Berauschender, ungebrochener Patriotismus verbunden mit einer modernen Demutsgeste, die den suboptimalen Verlauf der deutschen Geschichte illustriert - aber eben nicht den Weg der Selbstverleugnung der Geschichte vor 1933 geht, der vielen Linken und Mutti-Parteigängern heute so wichtig ist.

  • Ich habe so meine Zweifel, ob Architektenkind seinen obigen Beitrag geschrieben hätte, wenn die deutliche Mehrheit die Wippe favorisiert hätte.


    Ich halte von der Wippe nicht das Geringste, und das habe ich hier öfters geschrieben.


    ...suboptimalen Verlauf der deutschen Geschichte illustriert...


    Angesichts von Auschwitz ist das Wort "suboptimal" pervers. Da kann man sich nicht auf Ironie herausreden, und wer eine solche Geschmacklosigkeit für eine "erfrischende Kritik am Gutmenschen-Mainstream" hält, ist nicht satisfaktionsfähig. Punkt.

  • Was wären wir in Deutschland doch ohne Gesinnungswächter und Blockwarte. Konnten sie aufgrund des Elends der späten Geburt den ihnen innewohnenden Edelmut nicht einsetzen, um das dritte Reich zu verhindern, wird jetzt zurückgeschlagen! Kein viertes Reich! keine Holocaust-Verharmlosung durch üble Gestalten wie "Echter Berliner"! Jedes Sprach-/ Gesinnungsverbrechen (das Schlimmste von allen) wird ohne Rücksicht auf Verluste verfolgt! Widerstand macht frei!

  • Dass proportional zum zeitlichen Abstand zur NS Zeit die Zivilcourage der Deutschen immer weiter ansteigt, zumindest nach Lippenbekenntnissen, ist etwas, das man gelegentlich wirklich nur noch mit bitterem Sarkasmus kommentieren kann, Architektenkind.


    Ansonsten zeigt euer Scharmützel zwischen zwei Nachgeborenen, die wie alle Nachgeborenen keinerlei Ahnung von dieser Zeit haben egal wieviele Texte oder Medien ihr dazu zur Kenntnis nehmen konntet, nur wie hochgradig neurotisch der Umgang mit der deutschen Nation bei uns bis heute ist. Und es tut mir ja leid, aber die Wiedervereinigung der deutschen Nation ist aber nun einmal eine nationale Sache und der Einheitstag unser nationaler Feiertag und dieses Denkmal wäre ein neues Nationaldenkmal.


    Wenn wir als Nation noch nicht soweit sind über 1989/1990 jubeln zu können, ohne uns in jedem Nebensatz zu versuchen in Beflissenheit bzgl Distanzierung von der NS Zeit zu übertrumpfen, dann wäre es das beste das Projekt schlicht abzusagen. Es geht bei diesem Projekt nicht um Verantwortung und Schuld, sondern um Freude und bestmögliche Erinnerung an diese Freude und die Ereignisse, die sie möglich machten. Da kommt man nicht daran vorbei, dass das erhebende Gefühle sind, in Bezug auf unserer Nation und deren Einheit. Manchmal hab ich das Gefühl, dieser simple Zusammenhang sollte möglichst zur Seite gedrängt werden, indem ein maximal sperriger und unfeierlicher Entwurf ausgewählt wurde.


    Aber dann sage ich der Jury, den Verantwortlichen: dann lasst es halt. Wenn wir wegen Nationalismus unserer Vorfahren nicht zu gemäßigtem Patriotismus und Feierstunden gewillt oder fähig sind, wozu dann das ganze? Ohne Nationalgefühl brauchen wir auch kein neues Nationaldenkmal zur Einheit.

  • Was wäre das DAF ...

    ... ohne die immergleichen ideologischen Grabenkämpfe? ;)


    Um die Fronten einmal etwas zu durchbrechen:


    Man kann ...


    - (trotz der NS-Zeit) ein gutes Verhältnis zur eigenen Nation und ihrer Geschichte haben,
    - glücklich über die Wiedervereinigung sein


    und trotzdem ...


    - die Einheitswippe grotesk und
    - die Schlosskolonaden hässlich finden


    ... und deshalb hoffen, dass weder das eine noch das andere (wieder) kommt.
    Vielleicht fällt künftigen Generationen ja eine bessere Lösung für diesen Ort ein.

  • ^^
    ideologische Grabenkämpfe gibt es "draußen" - keiner hört auf die Argumente der Gegenpartei, jedoch kocht im eigenen Sud.


    Da ist das DAF noch eine rühmliche Ausnahme, Diskussionskultur statt Grabenkämpfe, die ein paar stramme Linke und Rechte, die es hier in der Minderzahl gibt, auch verkraftet. In den vorhergehenden Posts kann man einen scharfen, aber stets respektvollen Meinungsaustausch ohne Ohren zuhalten, Trillerpfeifen oder Pöbeln nachvollziehen. Wohltuend!


    Im Übrigen sehe in das Brb Tor ebenfalls als bestes Denkmal für Teilung, Freiheitskampf und Wiedervereinigung (Ironie der Geschichte, dass es wieder gesperrt ist). Die Kolonaden finde ich aus städtebaulichen Gründen wesentlich wichtiger denn aus politischen.

  • Auch der RBB bezeichnet die Kolonnaden als "preußische Kolonnaden", was ich nicht gerade deeskalierend finde und schonmal garnicht neutral bzw. aufklärerisch berichtend!
    Wenn der RBB schon unbedingt die Kolonnaden (sprich das alte Denkmal) versucht in eine Schublade zu quetschen, dann bitte doch in die richtige!


    Beim alten Denkmal (und somit auch den Kolonnaden) handelt(e) es sich immernoch um ein "deutsches" und nicht um ein "preußisches" Nationaldenkmal.
    Man muß nicht verfälschende Fakten bemühen um den eigenen Standpunkt zu untermauern, oder vielleicht auch nur (reißerisch) spannender zu gestalten.


    In dieser Diskussion würde es vollkommen ausreichen sich auf den unumstößlichen Denkmalschutz für den Sockel zu beschränken.
    Das ergäbe Möglichkeiten für eine Reko der Kolonnaden (und vielleicht auch mehr) und schließt natürlich auch alles andere aus.


    Mich ärgern Meinungen wie "wir brauchen kein neues Einheitsdenkmal".
    Ich persönlich wünsche mir ein solches in groß und monumental (und an passenderer Stelle, dem Platz der Republik).


    Ebenso ärgerlich empfinde ich allerdings den Umgang mit dem alten Nationaldenkmal.
    Wir brauchen beide Denkmale (so weh sie dem einen oder anderen tun) um unsere Geschichte nicht nach irgendwelchem Gustus zu stutzen.


    Denkmale die im Geiste von Verbrechen gegen die Menschlichkeit stehen (z.B. aus NS-Zeiten) schließen sich selbtverständlich aus.



    Gruß, Jockel

  • Blaines Punkt ist durchaus ein Teil der Gesamtwahrheit. Wer interessiert ist, hat mehr Ahnung vom Thema, fällt ein fundierteres Urteil. Daher gibt es ja auch Jurys.


    Und wer ganz besonders interessiert ist, wird Architekt!


    Denkmale stellt man doch für Tote auf. Warum also ein Nationaldenkmal? Oder wozu ein Denkmal für Freiheit und Einheit?


    Ich sehe seit 2016 sehr vieles, was mich vom neuen Teil der Bundesrepublik trennt. Aktuell ein Einheitsdenkmal zu bauen scheint mir wie die Beschwörung einer Idee, die oberflächlich doch sehr unterschiedliche Auffassungen von unserem Staatswesen überdecken soll.


    Und warum man heutzutage für jemanden ein Denkmal wieder aufbauen sollte, den wir heute wohl kaum nochmal ehren würden verstehe ich auch nicht. Trotz geschichtlicher Bedeutung ist der Beitrag von Wilhelm I zu unserem demokratischen Staatswesen überschaubar. Und die Kolonnaden gehören nunmal zu seinem Denkmal.

  • Ich denke, dass der Standort an der Schlossfreiheit der beste Standort für ein Freiheits- und Einheitsdenkmal ist, weil dieser Ort ein zentraler Schauplatz von gleich drei deutschen Freiheitsbewegungen war:
    -die Revolution von 1848
    -die Revolution von 1918
    -die Revolution von 1989.
    Kein anderer Ort in Berlin hat diese Dichte an Freiheitsbewegungen aufzuweisen, weder der Alexanderplatz noch der Platz der Republik noch der Pariser Platz. Deshalb sollte ein Freiheits- und Einheitsdenkmal schon an diesem Ort errichtet werden.


    Auch der Entwurf von Johannes Milla gefällt mir, weil er eine spielerische Ausstrahlung hat und weil er eben nicht einschüchternd und monumental ist. Mit Einschüchterung und Monumentalität ist Deutschland - ob vor 1914 oder vor 1939 - immer sehr schlecht gefahren. Und wenn man solch ein Denkmal baut, dann muss man natürlich auch die internationale Wirkung berücksichtigen.

    Weiterhin beantwortet der Milla-Entwurf die Frage, wie mit dem Sockel des Kaiser-Wilhelm-Denkmals umgegangen werden soll. Das Denkmal zerstört den Sockel nicht, sondern es interpretiert ihn neu - im Sinne einer freiheitlichen Gesellschaft. Milla selbst hat zu seiner Botschaft gesagt:
    "Dort wo früher der Kaiser im Mittelpunkt war, sind jetzt die friedlichen Bürger." Diese Botschaft finde ich nicht schlecht für diesen Ort.
    http://www.deutschlandfunk.de/…ml?dram:article_id=376692

  • Dvorak:
    Man muß manchmal zwischen einem Denkmal und einem Ehrenmal unterscheiden.
    Ein Denkmal muß nicht zwangsläufig ein Ehrenmal sein.
    Das die deutschen Kaiser nichts mit unserer heutigen Demokratie am Hut hatten ist ja unbestritten, dennoch gehören sie (in diesem Falle Wilhelm I) zu unserer Geschichte und haben bei der Bildung eines einheitlichen deutschen Staates eine erhebliche Rolle gespielt.
    Beim alten Nationaldenkmal geht es (Heute) eben nicht um die Huldigung der deutschen Monarchie als vielmehr um die Darstellung unserer Geschichte und dabei zu einem auch für uns nicht unerheblichen Ereignis, der Einheit der deutschen Nation in einem gemeinsamen Staat.


    Einige andere und auch ich haben es schon mehrmals geschrieben...
    Wenn man Geschichte einigermaßen objektiv aufarbeiten will, dann muß man Geschichte im jeweils entsprechenden Zeitkontext betrachten und nicht zwangsläufig nur an heutigen Wertvorstellungen messen.
    Nur dann versteht man die enorme Bedeutung dieses Denkmals für unsere Vorfahren und damit auch die Bedeutung dies heute für uns erfahrbar zu erhalten.
    Denkmale sind halt auch ein bischen wie Geschichtsbücher aus denen man als aufgeklärt geltender Mensch nicht je nach Ansicht bzw. Wertung einfach Seiten herausreißt.



    Klarenbach:
    Das du das neue Einheitsdenkmal auf dem alten Sockel haben möchtest ist deine persönliche Meinung und dein gutes Recht.
    An deinen Begründungen ist allerdings einiges nicht so ganz richtig.


    -Die Barrikaden von 1848 befanden sich in der Breiten Straße, sprich vor dem Schlossplatz.
    -Das Ausrufen der Republik 1918 durch Karl Liebknecht geschah an der Lustgartenseite vor dem Schloss von der Ladefläche eines LKW.
    -Das Aufbegehren 1989 zu den "Feierlichkeiten" zum 40. Jahrestag der DDR am Palast der Republik spielte sich größtenteils am gegenüberliegenden Spreeufer am Rande des Marx-Engels-Forum ab.
    Von dort ertönten die Rufe "Gorbi, Gorbi".


    Somit ist zwar das gesamte Schlossumfeld Schauplatz dieser Ereignisse, allerdings nicht speziell die Schlossfreiheit und schon garnicht das alte Nationaldenkmal bzw. dessen Sockel.


    Das einzig gute am Entwurf des neuen Denkmals sind die Innschriften "Wir sind das Volk" und "Wir sind ein Volk".
    Diese Aussagen spiegeln genau die beiden entscheidenden Ereignisse (1989 die friedliche Revolution und 1990 die Wiedervereinigung) wieder und gehören unbedingt zu einem neuen Denkmal, in welcher Form und an welchem Standort auch immer.


    Die Aussage die Errichtung der Wippe zerstört den Denkmalsockel nicht ist eindeutig falsch.
    Um die Wippe auf dem Denkmalsockel fest zu verankern sind relativ mächtige Stahl-Unterkonstruktionen nötig.
    Die Unterkonstruktionen durchdringen die denkmalgeschützten und derzeit aufwendig sanierten Gewölbe des alten Sockels.
    Wie sich das mit dem bestehenden Denkmalschutz vereinbart erkläre mal jemand.


    In welchem Umfang die Mosaike beim Bau der Wippe betroffen wären ist die nächste Frage.
    Die Mosaike erstreckten sich nämlich nicht nur (wie von vielen vermutet) unter den Kolonnaden, sondern auch im Bereich um das Reiterstandbild oberhalb der Treppen.
    Wenn die schon einmal gegen den Denkmalschutz entfernten Mosaike nun im Zuge der Sanierung neu verlegt werden sollten (eigentlich müssen) stehen diese der Wippe ebenfalls im Wege und müßten nochmals gegen den Denkmalschutz entfernt werden.



    Gruß, Jockel

  • Wenn die schon einmal gegen den Denkmalschutz entfernten Mosaike nun im Zuge der Sanierung neu verlegt werden sollten (eigentlich müssen) stehen diese der Wippe ebenfalls im Wege und müßten nochmals gegen den Denkmalschutz entfernt werden.l


    Hallo Jockel,


    entfernte Mosaike haben keinen Denkmalschutz. Es gilt im Denkmalschutz immer das Substanzprinzip, dass nur originale Substanz aussagewert hat. Ich sehe hier kein Problem.


    Wie sich das mit dem bestehenden Denkmalschutz vereinbart erkläre mal jemand.


    Das Denkmal kann durchaus verändert werden, jedoch darf sein Aussagewert nicht verändert werden. Einen Eingriff in die Substanz kann man unterschiedlich rechtfertigen. Immer jedoch muss der Eingriff als solcher erkennbar bleiben und darf nicht so wirken, als gehöre er zur originalen Substanz. Wenn es um Durchdringungen von Gewölben geht, sehe ich - mit praktischer Erfahrung in der Denkmalpflege - kein Hindernis.


    Wenn ich ein Denkmal (jetzt nicht im Sinne des Denkmalschutzes) rekonstruiere, mache ich mir die ursprüngliche Intention zu eigen. Das Alte nationaldenkmal hatte Wilhelm I im Zentrum, alles andere war Nebensache. Ich denke, die jetzige Deutsche Einheit ist nicht durch die Macht eines einzelnen Monarchen zu Stande gekommen, sondern durch die Macht von vielen. Die Wippe hat da schon den angemesseneren Aussagewert. BTW war das II. Reich keine Einheit der deutschen Nation in einem gemeinsamen Staat, da fehlte noch was.

  • ^das siehst du aber alles äußerst utilitaristisch.
    Der Begriff "Substanzprinzip" ist mir im Denkmalschutzrecht noch nie untergekommen. Rechtsquelle? Davon abgesehen, für Bauarbeiten, wie zB die sowieso notwendige Sanierung des Sockels, temporär abgebaute und eingelagerte Denkmalbestandteile werden nicht schon alleine dadurch zu wertlosem Bauschutt (das wäre ja ein ganz neues Schlupfloch für Denkmalschutz-Unterläufer).


    Da das berliner Landesrecht sowohl die bauliche Substanz wie auch den Kontext und die Wirkung/den visuellen Eindruck eines Denkmals schützt, ist es selbstverständlich fragwürdig, wie der Sockel mit der Wippe, die sich extrem in den Vordergrund spielt, überformt werden würde. Von der mit dem Wippenbau verbundenen Substanzzerstörung im Sockel mal ganz abgesehen. Hatten wir aber auch alles schon en detail durchgekaut hier im Forum.


    Klarenbach, deine Begeisterung für die Überformung des Denkmalsockels hat nichts damit zu tun, dass du generell Rekos ablehnend gegenüber stehst?


    Jockel hat ausgeführt, warum das eben nicht der historische Hotspot ist, zu dem du den Denkmalsockel hochgejazzt hast. Und das soll auch kein "Supernationaldenkmal" sein, sondern ein Nationaldenkmal für die Einheit und die Freiheit. 1989/1990. Und dazu fallen mir spontan ein Dutzend andere Orte ein, die eine wichtigere Rolle dabei spielten, auch in Berlin.


    Dass es immer und immer wieder um diesen Sockel gehen soll ist sachlich für mich nicht einsichtig. Ich kann es nur als Lust, die wilhelministische Vorgängergestaltung demonstrativ zu überformen, verstehen. Und genau das ist es im Kern was der moderne Denkmalschutz verhindern sollte. Nie wieder sollten Zeitschichten durch triumphale Revanchismus-Architektur zerstört werden.


    Gerade betreiben wir mit dem Humboldtforum kunsthistorische Wiedergutmachung für Revanchismus-Architektur der DDR, die alleine wegen ihrer kleinkarierten, kurzsichtigen politischen Präferenz das apolitische, kunsthistorische Erbe aller Berliner, das über Jahrhunderte durch zigtausende Künstler- und Handwerkerhände gewachsene Stadtschloss, zerstörte. Das Werk von Generationen, einfach entwertet und vernichtet. Nie wieder darf solche Ignoranz und Hybris des Zeitgenössischen in Berlin zur treibenden Kraft des Städtebaus werden. Und beim Denkmalsockel ist noch ordentlich Originalsubstanz vorhanden, wenn sie auch Lieschen Müller beim Spaziergang nicht ins Gesicht springen mag. Das hat man IMHO einfach zu respektieren und sich einen anderen Standort zu suchen. Keine Kolonnaden-Reko? Meinetwegen. Aber dann ist das restliche Baudenkmal wenigstens zu konservieren und nicht zu zerstören.


    PS: aus der Denkmaldatenbank Berlin


    http://www.stadtentwicklung.be…j.php?obj_dok_nr=09030068


    hervorgehoben werden besonders die erhaltenen Gewölbe, die schon zur Erbauungszeit als ingenieurstechnische Meisterleistung galten. Der Eintrag selbst heißt ja auch "Fundamentgewölbe des ehemaligen Nationaldenkmals für Kaiser Wilhelm I.". Just diese Gewölbe würden in ihrer Substanz schlicht teilweise zerstört, wenn dort eine Stütz- und Unterbaukonstruktion für die Wippe durchgetrieben werden würde. Das, was Dvorak also schulterzuckend als Petitesse zu sehen scheint, gefährdet das Denkmal in seiner heutigen, eigentlichen Bedeutung, die maßgeblich in eben jenem Gewölbe selbst liegt. Baudenkmäler müssen nicht "hübsch" sein, das betont der Denkmalschutz auch stets selbst, wenn es zB um den Denkmalschutz für DDR Platten geht. Und das gilt selbstverständlich auch hier. Hände weg von den Gewölben!


    Hier eine kleine Beschreibung des Sockelbauwerks durch den Kunsthistoriker Prof. Dr. Mittig (Emeritus der Hochschule der Künste Berlin)


    http://www.zeithistorische-forschungen.de/1-2009/id%3D4603


  • Wenn ich ein Denkmal (jetzt nicht im Sinne des Denkmalschutzes) rekonstruiere, mache ich mir die ursprüngliche Intention zu eigen. Das Alte nationaldenkmal hatte Wilhelm I im Zentrum, alles andere war Nebensache. Ich denke, die jetzige Deutsche Einheit ist nicht durch die Macht eines einzelnen Monarchen zu Stande gekommen, sondern durch die Macht von vielen. Die Wippe hat da schon den angemesseneren Aussagewert.


    Wir haben es eigentlich mit zwei nationalen Ereignissen zu tun, der Vereinigung 1871 unter der Herrschaft der Preussen mit einem deutschen Kaiser aus preußischem Herrscherhaus und der durch das Volk erkämpften Vereinigung 1990. Beide Ereignisse stehen für sich und kamen aus einem ganz anderen historischen Zusammenhang zustande. Deswegen ist das erste Ereigniss auch völlig für sich zu betrachten. War das historisch richtig und gut für das Deutsche Volk oder nicht? Ich denke ja, auch wenn ein Teil der Historiker verächtlich über diese Vereinigung von oben die Nase rümpft und sich nur an der Niederlage 1848 festbeißt. Aber die Zeit war 48 nicht reif, und zu einer Niederlage gehören immer zwei, die einen die sie herbeiführen und die anderen, die nichts Effektives dagegen unternehmen. Und letzteres galt ja wohl für die 48er in der Paulskirche. Sie hatten ihre Chance verpasst. Was danach kam, war der realistische Weg, gepflastert durch die beiden Kriege gegen Österreich und Frankreich, aber beide Länder waren strikt gegen die Vereinigung, auch die Österreicher, die sich nicht aus der Leitung des Deutschen Staates herausdrängen lassen wollten. Letztlich war es die richtige Entscheidung Preußens, so zu verfahren, angepasst an das europäische Umfeld. Eine gute Entscheidung für Deutschland, denn ansonsten bestand die Gefahr, dass es nie einen Nationalstaat Deutschland gegeben hätte.


    Was ergibt sich aus all dem? Wir brauchen zwei Denkmäler. Das alte muss konsequent wieder aufgebaut werden und das neue muss an andérer Stelle entstehen, wobei es auch die Wippe sein darf!

  • ^ich finde bedenkenswert, dass du die Frage aufwirfst, wieso wir eigentlich der Einheit von 1871 nicht gedenken sollten? Das Andenken muss sich seine Stellung ja nicht dadurch "verdienen", dass man besonders positive Assoziationen hat, in der Rückschau. Vgl. die ganzen Antikriegs- und NS Mahnmäler (die ja nichts anderes als der Mahnung gewidmete Denkmäler sind) in Berlin. Die Reichseinigung 1871 war objektiv ein sehr einschneidendes Ereignis, egal wie man dieses persönlich in der Rückschau bewerten mag.


    Das Fundament des Nationaldenkmals, das einst diesem Ereignis gewidmet wurde, so lieblos zu überformen hat fast schon ein Geschmäckle von Geschichtsklitterung (bzgl. unserer Nachfahren) sowie von nachträglichem Geschichtsrevisionismus. Den Menschen im späten 19. Jahrhundert war die Reichseinigung ein großes Anliegen und zwar mehrheitlich, die kam nicht nur von oben oktroyiert. Wenn man einmal von den Bayern absieht gab es nirgendwo im Reich nennenswerte Gegenbewegungen - gegen Monarchie oder aktuelle Verhältnisse ja, aber nicht gegen die Reichseinigung an sich. Wir tun heute fast so, als wäre das ein historischer Unfall gewesen, den niemand wollte und jedes Gedenken daran eine Peinlichkeit.


    Woher nehmen wir eigentlich die Chuzpe, die Restsubstanz des Nationaldenkmals dieser Generation nur noch als besseren Schuhabstreifer anzusehen, der gerade noch gut genug ist, als Unterlage für unsere zeitgenössische Einheitswippe zu dienen? Das ist, mit etwas zeitkritischer Distanz betrachtet, schon sehr ignorant, was hier geschieht.

  • Dass es damals keinesweg selbstverständlich war, Völkern die nationalstaatliche Unabhängigkeit zu gewähren, das sieht man Irland, das mit brutaler Gewalt von den ach so besseren (als den Deutschen) Engländern daran gehindert worden ist, und natürlich am österreichsichen Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn, der alles unternahm, um die Selbstständigkeit seiner Völker zu verhindern. Und Italien musste zwei Kriege gegen die ach so guten Franzosen (im Vergleich zu dem schlechten preussichen Staatswesen) um die Lombardei und gegen Österreich um Venetien führen.
    Also unser Weg war der richtige und einzig logische. Ich stimme @Pumpernickel in #719 voll zu.

  • Keine Ahnung ob er der beste Weg war, darum geht es mir gar nicht. Das mag jeder für sich beurteilen. Aber er wurde nun einmal eingeschlagen und das auch nicht von der Obrigkeit aufdiktiert, sondern von der übergroßen Mehrheit aller Deutschen begrüßt. Trotzdem gedenken wir dem heute nicht mehr, okay, von mir aus. Aber dann auch noch Fragmente des Gedenkens daran mutwillig zu überformen, wie dieses Nationaldenkmal, das finde ich sehr, sehr problematisch und man hat es sich bei der Debatte darum einfach bisher zu leicht gemacht. Alles wird vom Tisch gewischt. Sei es die Entwertung des für sich stehenden Nationaldenkmals des 19. Jh, seien es Einwände bzgl. des dafür heute geltenden Denkmalschutzes. Und wofür? Was ist denn an der Wippe nur so god damn special?