Moderne Wohnungsbaukultur in München

  • Moderne Wohnungsbaukultur in München

    zitat iconic: "Die Wohnkonzepte erinnern stark an den Siedlungsbau in den Niederlanden der letzten Jahre bzw. stilistisch übernimmt man auch Vieles aus den 1920er Jahren."


    generell fällt mir in münchen derzeit eine tendenz zu einer neuen form des neohistorismus auf, der aber diesmal seine vorbilder im modernen bauen der zwischenkriegszeit sucht (sei es der bauhausstil oder auch der expressionismus, wie etwa im noch nicht begonnenen 2. bauabschnitt von "central&park" im arnulfpark.siehe auch die visualisierung in post 615)
    auch wenn man daran eine gewisse phantasielosigkeit kritisieren mag, finde ich die ergebnisse (soweit schon beurteilbar) meistens recht gelungen. das liegt vielleicht auch daran, daß es sich um stilrichtungen handelt, die hierzulande nach 33 brutal abgewürgt wurden, bevor sie ihr ästhetisches und gesellschaftliches potential entfalten konnten.


    bayer, was wäre denn deine vorstellung von gutem städtebau?


    Aus dem Thread Messestadt Riem, wo sich diese mehr allgemeine Diskussion entwickelt hat. LugPaj

  • Historisch?
    In Europa:
    -"Gründerzeit" (Mitteleuropa)
    -Victorianism (Großbritannien)
    -Belle Époque/Jugendstil (Frankreich)

  • ^^
    versuch doch mal, mit heutigen mitteln einen "gründerzeitbau" hinzustellen. das wird bestenfalls eine spielwiese für spleenige millionäre, aber sicher kein beitrag zur schaffung von wohnraum für die "mittelschicht" (wenn es die überhaupt noch gibt). es gibt gerade in münchen genug abschreckende beispiele, wo versucht wurde, eine (heute!) anachronistische architektur nachzuahmen. ich kenne niemanden, der in so einer atrappe wirklich wohnen möchte:nono:
    zum begriff "historisch": wir müssen doch begreifen, daß die 20er jahre des vorigen jahrhunderts ebenso teil der geschichte sind wie meinetwegen die gründerzeit! es muß nach heutigen bedürfnissen bewertet werden, ob und was von historischen stilen in der gegenwart noch sinnvoll verwendet werden kann. und da finde ich z.b. im siedlungsbau der 20er jahre sehr viel mehr brauchbare ansätze als in prachtbauten des 19. jahrhunderts.

  • es gibt gerade in münchen genug abschreckende beispiele, wo versucht wurde, eine (heute!) anachronistische architektur nachzuahmen. ich kenne niemanden, der in so einer atrappe wirklich wohnen möchte:nono:



    Ach? Nenn doch mal ein paar Beispiele!

  • Das kommt darauf an wie man "Mittelschicht" definiert. Selbst ein Geringverdiener hat heute einen höheren Lebensstandard (Speiseangebot, Technologie, Freizeit,...) als ein Großbürger zu Zeiten als das "neue Bauen" eben kein Spleen war sondern es eine wirtschaftliche Notwendigkeit war reduziert, also preiswert, zu bauen um einen wirklich krassen Mangel an Wohnraum zu bekämpfen (7 Personen die sich eine kleine Wohnstube für alles von Essen bis Schlafen teilten waren in den Städten Normalität). Da war kein avantgardistischer Gedanke dahinter, es waren Wohnmaschinen. Darum hat man die auch "Mietskasernen" genannt zur damaligen Zeit. Jene Mietskasernen sind, so sie noch stehen, zB in Berlin heute überaus beliebte und - sofern saniert - teure Mietobjekte (wegen der allen anderen Moden zum Trotz konstant hohen Nachfrage danach!). Damals hat man selbst für die Unterschicht versucht einigermaßen ansehnliche Architektur hinzubekommen. Wenn das vor 100 Jahren ging warum sollte das heute nicht gehen. "Moderne Architektur" ist für mich bewohnter Rohbau.


    Darüber hinaus weiss ich nicht was "anachronistisch" daran sein soll Stein auf Stein zu setzen bzw. was damals daran "authentischer" gewesen sein soll. Beton hatten übrigens schon die Römer, darüber hinaus ist das auch nur Kies gemischt mit Dreck und Wasser. Dieser Zwang alles laufend anders zu machen hebt bei mir eher die Augenbrauen. Die Menschen tragen halt Schuhe weil es praktisch ist nicht barfuß in jeden Hundehaufen und auf jeden rostigen Nagel zu treten. Ist das schon anachronistisch weil sie das seit Jahrhunderten tun? Was soll an heutigen Bedürfnissen soviel anders sein? Die Leute stimmen bezüglich dieser Bedürfnisse mit ihren Füssen ab.


    Altbauten sind nicht so beliebt weil sie teuer im Unterhalt sind sondern weil sich die Leute an deren höhere Wohnqualität klammern auch wenn Neubauten "pflegeleichter" sein mögen. Diesen starken "Disconnect" zwischen Architekten und der Bevölkerung was die Ansprüche an Architektur angeht hat es wohl in der bekannten europäischen Geschichte noch nie gegeben. Seit Jahrzehnten lehnt die Bevölkerung sog. "moderne Architektur" in der übergroßen Mehrheit ab. Das hat nie zu Selbstkritik der Architektur geführt, stets nur zu Kritik an deren Kritiker (belehrend nach dem Motto "Ihr versteht es halt bloß nicht").


    Die Textilmode hat sich weitaus weniger verändert, die Leute tragen immer noch Krawatten und Anzüge und Kleider und und und. Mehr noch, in der Mode gilt "Retro" gar als "trendig". Bei der Architektur soll es gar "anachronistisch" sein? Ich halte das für eine "gewollte" Sichtweise, vielleicht wird Architektur vergangener Tage auch politisch aufgeladen - nach dem Motto mit Klassizismus kommt auch gleich ein neuer Kaiser. Auch dafür hab ich kein Verständnis.

  • Wie wäre es mal mit ZEITGEMÄSSER Architektur anstatt die Vorbilder nur in der Vergangenheit zu suchen? Ich denke, dass es in Riem mittlerweile einige recht gelungene Beispiele zeitgemäßer Architektur gibt, rein stilistisch lehnen sie sich an die Moderne an, entwickeln diese aber weiter, zum Beispiel gab es in 1920er Jahren kaum Balkone und auch das Konzept der innerstädtischen Reihenhäuser war noch nicht so ausgeprägt. Auch städtebaulich finde ich hat man das Gelände gut aufgeteilt (man darf nicht vergessen, dass Riem auch landschaftlich ein absolutes Retortengebiet ist, schließlich war dort ein Flughafen).


    Hier noch das Beispiel Ijburg, eine Gruppe von künstlichen Inseln im Ijsselmeer östlich von Amsterdam (die Inseln sind erst seit 2003 fertig, seit dem werden sie bebaut). Die Konzepte in Riem weisen deutliche Ähnlichkeiten mit denen in Ijburg auf, übrigens wird auch dort diese Durchmischung mit Sozialwohnungen praktiziert. Hier der entsprechende Thread im SSC:


    http://www.skyscrapercity.com/…read.php?t=589426&page=24

  • Was soll denn "zeitgemäß" sein? Für mich sind das Phrasen, tut mir leid. Und von der Vergangenheit zu lernen ist in jedem Falle klug, bei politischer Geschichte sind die Deutschen doch regelrecht fixiert darauf wieso wird anderes historisches Erbe hingegen immer mit so gern ignoriert, aber das ist wohl eine philosophische und keine architektonische Frage.


    Es gibt keine "zeitgemäße" Architektur, es gibt nur Ästhetik. Die ist subjektiv. Ja. Und darum sehr individuell. Was ich an der modernen Architektur anprangere ist aber deren hohe Uniformität. Immer die selben Formen, ja sogar immer die selben Briefkästen und Fensterrahmen. Alles vom Fließband gezeichnet. Und jeder der das nicht mag wird, wie ich das selbst schon x-mal erlebt habe und gerade erlebe, bestenfalls als "im Gestern" verhafteter Nostalgiker abgetan. Das geht nicht. Ich lehne nicht die Gegenwart ab noch sehne ich mich nach früheren Zeiten - ich lehne die vorherrschende Architektur, ab wie sie die letzten Jahrzehnte dominant war und noch ist.


    Das gab es wohl auch noch nie dass Leute die gegen den eingeschliffenen Mainstream der letzten Jahrzehnte sind auch noch als "gestrig" dargestellt werden - ich bin 23, für mich sind Flachdachbungalows mit raumhohen Fensterfronten altmodisch. Ich will was neues. Und das soll nicht den Leitlinien der letzten Jahrzehnte aus autofixiert, funktionell und "Beton" folgen. Ich will autofreie Gartenstädte die sich selbst mit erneuerbarer Energie versorgen und noch überschüssige Energie in's Netz einspeisen können, die mit attraktivem ÖPNV aus Stadtbahnen überörtlich erreichbar sind, wo Arbeiten und Wohnen nicht mehr unbedingt getrennt sein müssen sondern man vielleicht - das geht in der Informationsgesellschaft einfacher denn je - wieder eine "Werkstatt" im eigenen Haus hat (ein Arbeitszimmer eben, Computer und DSL reichen).


    Als hauptsächliche Baustoffe heimische Hölzer, auch abschied nehmen von "Gebräuchen" wie dass zu jedem Haus ein Keller gehören muss. In der Regel eh nur ein Abstellraum und dafür überproportional teuer zu errichten und ein starker Eingriff in den Mutterboden und das Grundwasser. Stattdessen sollte zu jedem Haus eine Brauchwasserzysterne für Regenwassersammlung gehören wie bisher ganz selbstverständlich der Heizöltank. Alles sollte möglichst "vor Ort" geschehen, keine langen Versorgungsketten und so wenig "Konsum" wie möglich. Auch die gewählten Bauhilfsstoffe sollten abbaubar sein, Zellstoff (zB Flocken aus geschreddertem Altpapier) und Hanf statt Bauschaum und Glaswolle. Das Ziel muss sein ein Haus auch "verrotten" lassen zu können ohne danach mit Raumanzügen Baugifte entsorgen zu müssen, wer weiss schon was das "nächste Asbest" ist von dem wir nur noch keine Ahnung haben, bei dem Chemiecocktail der heute am Bau verwendet wird. Und so weiter.


    Man muss um mit Klimawandel und schwindenden Ressourcen umzugehen, die Gesundheit der Menschen zu verbessern (immer mehr Stress, immer mehr Allergien, immer ungesündere Lebensweise und zu wenig Bewegung) und die sozialen Probleme/Anonymität in den Städten zu bekämpfen ganz neue Wege gehen - das halte ich für zeitgemäß. Dafür sind die Konzepte der letzten Jahrzehnte - die viele dieser Probleme ja sogar verursacht haben, zumindest aber im Zeitgeist der kurzsichtigen Konsumgesellschaft entstanden sind - schlicht ungeeignet und eine Sackgasse. Soviel zum Thema "zeitgemäß".

    7 Mal editiert, zuletzt von bayer ()

  • Eben, das hat schon eine gewisse Arroganz seitens der Urheber. Als Neuperlach aus dem Boden gestampft wurde gab es auch Kritik in der Bevölkerung, aber die wurde von den Stadtplanern abgetan mit den Worten "Das macht man heute so". Recht hatten aber die Laien letztendlich. Das macht man nämlich NICHT so. Nicht gestern, nicht heute, nicht morgen.

  • Ach? Nenn doch mal ein paar Beispiele!


    sieh dich mal in den außenbezirken um. dort findest du en masse billige protzbauten mit aufgeklebten giebelchen und erkerchen aus dem baumarkt:klo:
    und nicht nur dort; auch zunehmend in der innenstadt macht sich dieser "stil" breit, wie dieses gruselkabinett von der website eines grßen münchner bauträgers belegt: http://www.jkwohnbau.de-REFERENZEN:Nieder:

  • Dies hier ist wirklich der Gipfel der Geschmacklosigkeit mit den Kugeln auf dem Dach und diesen Muscheln und Schnecken oder was das darstellen soll. Aber auch für andere Bauten, wie dieses "Le Village" in Haidhausen wird man in wenigen Jahren vermutlich nur noch Kopfschütteln übrig haben. Leider sind es aber in Riem, wie schon angedeutet, auch nur die neueren Bauten, die eine klare, hochwertigere Formensprache wagen. Die älteren Sachen sehen oft ähnlich geschmacklos und billig aus wie vieles im Arnulfpark.

  • Eben, das hat schon eine gewisse Arroganz seitens der Urheber. Als Neuperlach aus dem Boden gestampft wurde gab es auch Kritik in der Bevölkerung, aber die wurde von den Stadtplanern abgetan mit den Worten "Das macht man heute so". Recht hatten aber die Laien letztendlich. Das macht man nämlich NICHT so. Nicht gestern, nicht heute, nicht morgen.


    moderne architektur=neuperlach=pfui?


    wers gerne schlicht hat, mag sich mit einer derart klischeehaften logik begnügen. nur ist das kein beitrag zu den herausforderungen von heute, wie sie bayer (wie ich finde, durchaus zutreffend) beschrieben hat.
    bayer: unser dissens liegt nicht in der problemanalyse, sondern in den konsequenzen daraus; und darin, daß du die diskussionen und bemühungen der letzten jahrzehnte, diese probleme mit zeitgemäßen mitteln zu bewältigen (vgl. z.b. das letzte posting von iconic), souverän ignorierst.

  • Ich kann euch nicht zustimmen. Das ist beides kein anständiger Historismus. Das Gebäude im Arnulfpark soll ja angeblich Feng-Shui inspiriert sein, "Le Village" in Haidhausen finde ich akzeptabel, aber auch das ist nicht wirklich historistisch.


    Eher in diese Rubrik einzuordnen sind das The Charles Hotel" oder die Augustenhöfe. Und da muß man klar sagen: wären sie noch historistischer, dann wären sie noch besser.

  • Tatsache ist doch, dass es den Nachkriegsarchitekten in Europa nicht gelungen ist, eine Alternative mit Aufenthaltsqualität (Innen mag es ja behaglich sein) zu bieten. Was wollen die Touris und Einheimischen am Marienplatz sehen? Das Neue Rathaus, nicht den Kaufhof oder den Hugendubel.

    Einmal editiert, zuletzt von MartyMUC ()

  • ^^
    einverstanden. aber du übersiehst, daß du nicht die gesamte nachkriegsmoderne über einen kamm scheren kannst. es haben entwicklungen stattgefunden, und es gibt (wie schon immer) gute und schlechte architektur. daß hugendubel und kaufhof zur zweiten kategorie gehören, darüber sind wir uns wohl einig.

  • Ich sehe das Problem gar nicht mal so in der konkreten Architektur, sondern im Städtebau. Diese ganzen "zentralen" Neubaugebiete werden für Großinvestoren geplant. Wo bleiben die Parzellen für den privaten Bauherrn, der sein Eigenheim nicht in der Peripehrie bauen möchte (ich meine natürlich ein z.B. mehrstöckiges Stadthaus, keine freistehendes Efh.)? Wo bleiben Parzellen für progressivere Wohnlösungen (am Ackermannbogen ja ansatzweise zu sehen)?

  • iconic: das Muschel-Kugel-Feng-Shui-Haus ist sowas von unendlich gräßlich! Wie ein Bausatz von Obi. Dagegen wirkt das "LeVillage" viel hochwertiger. Gut, die Lilienbemalung hätte man sich sparen können, aber die Gebäudegruppe (sind es 5?) strahlt Souveränitat aus, fügt sich nicht schlecht in die Gründerzeitbebauung ein die Häuser haben eine ruhige aber nicht langweilige Kubatur. Sie gehören meiner Ansicht nach zu den besten neuen Wohngebäuden, die zur Zeit in München gebaut wurden - wenn nicht sogar die besten. Anders gesagt: Was besseres als das gibts zur Zeit nicht an der Isar ;) Es sei denn man ist Geschmacksmasochist und steht auf die Messestadt Riem, einem reaktionären 70er-Konglomerat. Das ist historisierende Architektur der allerfiesesten Art! Seltsam nur, dass in diesem Zusammenhang in der Architekten-, Kritiker- und Fachwelt nie von "historisierend" gesprochen wird, sondern von zeitgemäß oder modern. Kann ich nicht nachvollziehen, es kopiert schließlich die 70er mehr, als jeder historisierende Neubau die Gründerzeit. Und schöner wirds durch falsche Argumente auch nicht...
    bayer: ich kann Deiner Argumentation nur zustimmen, Du sprichst mir absolut aus der Seele! Wehe, man kritisiert diesen ganzen standartisierten Plastikscheiß, schon ist man ein Reaktionär. Die spinnen, die Architekten! :D Zumindest eine große Mitläufermehrheit. Harmonie und Symetrie sind schon so verpönt, dass es gar keiner mehr kann. Und der Irrglaube, dass reaktionäre Werte durch historisierende Architektur zurückkommen ist ein ernsthaftes Argument der Monotoniebefürworter - wirklich nicht zu fassen, aber auch ich habe sowas oft genug erlebt. VIELE Architekten (ich behaupte weit mehr als die Hälfte) haben einfach keinen Plan von Geschichte, Gesellschaft und Ästhetik, sondern sind ausschließlich in der Gegenwart lebende Authisten, die meinen, jeden Tag das Rad neu erfinden zu müssen. Und es wird nicht besser...

  • @ bayer: In einigen Punkten finde ich deine Ansichten gar nicht so verkehrt. Allerdings wirfst du so viele Themen mit in den Topf, dass mir die Kernausssage nicht ganz klar wird. Du spannst den Bogen von der Ästhetik der Gründerzeit über die Römer und ihren Beton hin zur Textilmode (welche Retro-Welle greift denn gerade Kleidung des 19. Jahrhunderts auf?), landest dann bei autofreien Gartenstädten und verrottbaren Baustoffen um schließlich bei den Irrungen der Konsumgesellschaft zu enden.


    Damit zeigst du aber eigentlich anschaulich, als was für eine Projektionsfläche Architektur so hergenommen werden kann - und das man sie damit oftmals hoffnungslos überfrachtet. Denn auch wenn manche hier das anscheinend glauben: Die Probleme und Herausforderungen unserer Gesellschaft werden nicht von der Architektur gelöst werden. Sie kann höchstens ihr Spiegelbild sein. Unsere Gesellschaft wird sich nicht deshalb ändern, weil wir wieder anfangen alle Bauwerke im historistischen Stil zu errichten. Den meisten Menschen wird auch dann noch ihre gebaute Umgebung nur in so weit auffallen, als das sie dort zügig von A nach B kommen und möglichst breit gestreute Konsummöglichkeiten haben. Deswegen halte ich auch deine Aussage, dass seit Jahrzehnten die Bevölkerung moderne Architektur in der übergroßen Mehrheit ablehnt für reichlich subjektiv und pauschal. Die "übergroße Mehrheit" wird aufgrund Desinteresses zu diesem Thema entweder keine Meinung haben oder es auf eine plattes 'schön oder hässlich' reduzieren. Nenne mir eine Quelle (abseits deines persönlichen Empfindens), welche zum Thema gebaute Umwelt eine repräsentative Umfrage mit seriösen Ergebnissen liefern kann und ich lasse mich eines besseren Belehren.


    Dein Plädoyer für die autofreie Siedlung mit autarker regenartiver Energieversorgung, umweltfreundlichen Baustoffe, Keller- und Betonfrei - Gut und schön. Aber heißt das dann raus aus den Städten und zurück aufs Land?

  • Architektur ist keine "Kunstform" sondern, gemeinsam mit Städtebau, der Dreh- und Angelpunkt unserer Gesellschaft und unseres Lebens. Unser "Lebensraum". Darum ist das kein "durchmischen" sondern Architektur als isolierte Kunstform zu betrachten hat doch erst zur Selbstgefälligkeit zeitgenössischer Architektur geführt.


    Und ja, ich empfinde diese "moderne" Architektur - Rückgriffe auf jahrzehntealtes Repertoire - ebenfalls als reaktionär. Passt ja auch gut in's reaktionäre gesellschaftliche Klima in denen sich Ost (Ostalgie, Sozialromantik) wie West (die gute "alte Bundesrepublik" mit Willy Brandt, üppigem Sozialstaat und 1968) so sehr nach früheren Zeiten sehnen und über die Gegenwart selten ohne Konstruktionen wie "immer schlimmer" oder "heutzutage nicht mehr" auskommen. Da ist der ganz große Blues der Nachkriegsgenerationen zu vernehmen und dieser Rückgriff auf die Architektur dieser "besseren" Tage ist natürlich durchaus auch eine Flucht in die Vergangenheit. Insofern ist das keine "Projektion", das ist meine persönliche Beobachtung dieser Zusammenhänge.


    Da ich nicht weiss ob der Schlußsatz lediglich pointierte Provokation mit einer rhetorischen Frage darstellen soll oder ernst gemeint ist sage ich dazu nur dass dies damit zu tun hat was man unter Stadt und Land versteht.


    Wenn städtisches Leben zwingend die autozentrischen Industriestrukturen des 20. Jahrhundert beinhaltet - dann hat solch eine Stadt schlicht keine Zukunft. Ebenes wenig wie die Agrargesellschaft. Diese Begriffe in der hier wohl beabsichtigten Gegenüberstellung beziehen sich auf's letzte Jahrhundert - nicht die Zukunft. Auf die epochalen kommenden Umbrüche der Arbeitswelt geh ich auch nicht näher ein, diese sind mindestens so umwälzend wie im 19. Jahrhundert der Wandel von der Agrar- zur Industriegesellschaft die die Menschen in die Städte gebracht hat. Inklusive neuer "sozialer Frage" und einem erneut notwendig werdenden Umbau der Siedlungsflächen, Wohnformen, Infrastruktur, etc. Wohin sich Städte und Gemeinden in Zukunft entwickeln ist seriös nicht "vorherzusagen", doch definitiv wird es nicht wie die letzten Jahrzehnte weitergehen können.

  • bayer, nachdem wir uns offenbar auch nicht ansatzweise auf eine gemeinsame definition des begriffs "reaktionär" verständigen können (für mich bedeutet dieses wort tendenziell das gegenteil von deiner definition), sollten wir diese ideologische aufladung besser sein lassen:nono:. hattest du das an anderer stelle nicht selber gesagt?
    im übrigen kann ich die worte von timou nur unterstützen:daumen:.