Fischerinsel / Petriplatz / Breite Straße

  • Mich würde mal interessieren was man unter „schönen, urbanen Häusern“ zur Nachverdichtung verstehen soll?

    Dem Argument der Verdrängung durch Abrisse kann auch nicht wirklich folgen- da es hier doch in erster Linie um die entstanden Neubebauung von Leerflächen zur Wiedergewinnung von Stadtraum geht und um alternative Denkmodelle hierzu- Abrisse waren ja nicht wirklich Teil der Diskussion bisher auch wenn man sich derzeit wünschte dass das was entstanden ist, nur potemkinsche Stafagebauten unserer städtebaulichen Geisterfahrer sind - die man wieder wegräumen kann. Nachhaltig entwickelt ist das mit Sicherheit nicht - und es wäre eine wirkliche Überraschung, dass das was da noch in Breiter Straße und Am Molkenmarkt zu befürchten ist besser funktionierte als die bisherigen Leuchttürme professioneller Vorstellungskraft.

  • Gerne kann ich auf die zwei Begriffe näher eingehen.


    Unter "Schön" verstehe ich Gebäude, die aus einladenden, bestenfalls natürlichen Materialien gebaut sind. Sie sollten eine gekonnte, visuelle Abwechslung, Harmonie, Spannung und/oder Dramaturgie anbieten und in Bezug auf Form und Maßstab abhängig von der Bedeutung der inneren Funktion einen angemessenen Bezug zum Kontext und zum Menschen herstellen. Wichtige öffentliche Gebäude können also auch deutlich größer und auffälliger sein als umliegende Bauten aber durchschnittliche Nutzungen wie zB Wohnbauten sollten sich eher einreihen.


    "Urban" sind die Häuser, die individuell lesbare und an den menschlichen Maßstab angepasste Adressen bilden und entweder einzeln oder im Ensemble eine Durchmischung von Wohnen und Gewerbe ermöglichen. Die Vielfalt der Funktionen und Bewohner sollte durch Parzellen, architektonischer Unterscheidung, individuelle Hauseingänge und Läden repräsentiert werden während ein übergeordnetes, städtisches Organisations- und Gestaltungsprinzip respektiert wird, zB der städtische Häuserblock. Antiurban wäre ein monofunktionales Gebäude, das einen ganzen Block einnimmt und nur einen Eingang hat, von dem aus die innere Erschließung nur noch durch horizontale Gänge erfolgt und somit die Parzellenstruktur, Gestaltungsvielfalt und Funktionsmischung aufgelöst wird.

  • Mich würde mal interessieren was man unter „schönen, urbanen Häusern“ zur Nachverdichtung verstehen soll?

    In Sichtweite zur Fischerinsel befindet sich die Antwort auf deine Frage. Schöne, urbane Häuser findest du im Nikolaiviertel.


    Die Lösung wäre gewesen, das Nikolaiviertel auf der Fischerinsel und am Molkenmarkt weiterzubauen. Mit dem Nikolaiviertel hatte die sozialistische DDR in den 1980er Jahren den Anfang dazu gemacht. Leider wurde diese Steilvorlage nicht genützt.

  • Rund um den Köllnischen Fischmarkt befanden sich das Derfflingerhaus, das Köllnische Rathaus, das Ermelerhaus und die Ratswaage am Petriplatz. Zudem hatte das Kaufhaus Hertzog überlebt.

    Der erste B-Plan sah noch die Rekonstruktion der Ratswaage und eine Annäherung an das Rathaus vor, von beidem sind originale Spolien erhalten. Beides ist unter der Amtszeit von Regula Lüscher entfallen. Die Neubauten wurden und werden (Breite Straße) nicht mehr als Einzelbauten auf ablesbaren Parzellen geplant sondern als Großwohnanlagen. Bezugspunkte gab es also genug, wenn man gewollt hätte. Berlin wollte aber nicht.

  • ^ Das stimmt doch nicht. Es gibt doch nicht nur diese beiden Extreme, die du hier darstellst. Es gibt nicht nur die völlige Kleinteiligkeit á la Altstadt-Gassen und die völlig zerstörte Kleinteiligkeit mit Würfelhusten-Solitären á la 1960er/70er. Es gibt auch etwas dazwischen und das ist vor allem in Berlin seit der Gründerzeit ziemlich gut und solide gelöst - nämlich breite Straßen und große Häuser á la Prenzlberg/Kreuzkölln, wo die Gründerzeitbauten zwar groß sind, aber nicht so groß wie die Entgleisungen der unmenschlich großen Nachkriegsbebauung á la Leipziger Straße und gleichzeitig nicht so klein, dass nicht komfortabel Autos, Bäume, breite Fußwege etc. dazwischen passen. Wir reden ja hier über eine ganzheitliche Betrachtung von Stadtraum und seinen Maßstäben. Und da hat man es in Berlin schon gut hingekriegt, eine ausgewogene Mischung aus Kleinteiligkeit und gleichzeitig ausreichend Platz für alles und alle in den Kiezen zu bieten. Sogar Autoverkehr konnte in dieser Art Städtebau aufgenommen werden. Und genau diese Größenordnung, die eben kleinteiliger als der Nachkriegs-Solitär-Irrsinn ist und gleichzeitig modernere Maße hat als zb im rekonstruierten Viertel auf der Fischerinsel, versucht man, nun auf der Fischerinsel wieder herzustellen und diese Maße sind es, die Berliner Stadtplanung schon lange ausmachten und zum Glück heute noch ausmachen. Egal wohin man sieht, die Fußwege, die ungefähre Parzellengröße im Blockrand etc., ist dort auf der Fischerinsel genauso vorhanden wie in anderen Bezirken und somit ist das Trauerspiel, das zur Zeit auf der Fischerinsel geschieht, nicht der Stadtplanung zu verdanken, sondern den Architekten. Die Stadtplanung hingegen hat Parzellen mit guten Größen vorgezeichnet, die eine gute Balance aus menschlichen Maßstäben und großstädtischem Geklotze bilden. Man müsste die Parzellen nur erstens füllen, damit man die Sinnhaftigkeit auch ohne räumliches Vorstellungsvermögen erkennt und zweitens müsste man sie mit guter Architektur füllen. Beides ist zur Zeit nur bedingt der Fall. An der Leipziger werden nur vereinzelt Parzellen bebaut und dann auch noch in grottiger Architektur, sodass man hässliche Klötze in der Wüste sieht und auf den Trugschluss kommen könnte, dass es an der Stadtplanung liegt. Wenn aber alle Parzellen bebaut sein werden, dann wird sichtbar, wie gut und solide die Stadtplanung auch in diesem Areal ist. Die Architektur der Gebäude wird dadurch zwar auch nicht besser, aber dessen Versäumnis liegt nicht an der Stadtplanung.


    Überflüssiges Zitat des Vorposts gelöscht. Bitte beachte die Richtlinien für das Einbinden von Texten. Danke.

  • ^ Kein Mensch hat von "Altstadt-Gassen" gesprochen. Das Ermelerhaus hat sich bestens in den gründerzeitlichen Grundriss eingepasst (und tut es noch heute an anderem Ort. Das Derfflingerhaus ist abenfalls auf Gründerzeitdimensionen modernisiert worden, noch vor 1933. Auch das Köllnische Rathaus war kein kleiner Bau. Zusammengefasst: das Zentrum Köllns hatte die Modernisierung der Kaiserzeit noch halbwegs überstanden.


    Allerdings finde ich es nicht wünschenwert in jeder Ecke Berlins den Gründerzeit-Städtebau mit der gleichen Brutalität durchzunageln, wie es die autogerechte Modernen getan hat. Der Berliner Altstadtkern ist eben nicht "Prenzlberg" (wie die hippen Zugezogenen sagen) und war es auch nie.

  • ^ Ich kenne niemanden, der den Prenzlauer Berg als Altstadt tituliert. Und ich bin selbst zugezogener Prenzlberger. Das ist ihrer Phantasie entsprungen

  • ^ Bitte keine Nebenkriegsschauplätze in Prenzlauer Berg aufmachen. :)


    Altstadt ja oder nein? Titulieren als Altstadt ja oder nein? Jedenfalls ist die Fischerinsel historisch betrachtet ganz sicher Altstadt. Und zwar mehr als jeder andere Ort in Berlin.

  • ^Das merkt man. Meine Antwort bezog sich auf den Vorredner, der den Städtebau einer gründerzeitlichen Stadt auch für Alt-Kölln als Leitbild empfahl.


    Vor der ersten Modernisierung der Altstadt durch die Gründerzeit sah der Köllnische Fischmarkt ja ganz anders aus: hier ein Bild um 1900 mit der Blickrichtung zum Mühlendamm.


    konnischerfischmarkt1iig3.jpg


    (C) akg-images, mit Dank für die freundliche Genehmigung zur Veröffentlichung.

  • Konstantin

    Ich verstehe, dass du differenzieren willst zwischen früherer Altstadt und späterer Modernisierung durch die Gründerzeit. Aber ich glaube, dass die Stadtplaner, die jetzt den Wiederaufbau einer Altstadt erfolgreich verhindert haben, solche Differenzierungen nicht vornehmen. Da spielt es keine Rolle, ob das Gebäude im Jahr 1904, im Jahr 1823 oder im Jahr 1698 entstanden ist. Für die Altstadt-Verhinderer ist jede Architektur "böse", die vor der Moderne (also ca. vor 1920) entstanden ist.

  • Sorry Konstantin, aber das nervt langsam: ein Wiederaufbau der Altstadt auf der Fischerinsel, wie in Frankfurt, stand doch in den letzten Jahrzehnten nicht ernsthaft zur Debatte, daher gibt es auch keine Verhinderer.


    Nach dem Krieg gab es diese Überlegungen und es wurde damals negativ entschieden. Ich denke, das war soweit unter den gegebenen Umständen nachvollziehbar.


    Heute stehen dort Wohnhochhäuser und jeder der von einer Altstadt an dieser Stelle träumt, sollte schon klar sagen, dass das nur mit Verdrängung und Gentrifizierung einhergehen würde.


    Schlussendlich geht es um ein Stück Stadt, das von der Bundesstraße und dem DDR Städtebau geprägt ist. Eine funktionierende kleinteilige Altstadt gibt es da seit fast 80 Jahren nicht mehr.


    Die heutige neue Bebauung mag schlicht sein, ist aber in Ihren Grundzügen schon im Planwerk Innenstadt festgelegt worden (Abschottung der Fischerinsel zur B1 mit achtgeschossigen Gebäuden).


    Im Detail hoffe ich, dass das handwerklich miserable AZ äußerlich überarbeitet wird. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass die ausführende Firma, dafür Geld bekommen hat...


    Und auch das WBM Gebäude könnte relativ einfach ein farbenfroheres Aussehen bekommen.

  • Sorry Konstantin, aber das nervt langsam: ein Wiederaufbau der Altstadt auf der Fischerinsel, wie in Frankfurt, stand doch in den letzten Jahrzehnten nicht ernsthaft zur Debatte, daher gibt es auch keine Verhinderer.

    Wenn man die alten Bilder sieht, wird klar, dass die zeitgenössische Architektur armselig ist im Vergleich mit früheren Zeiten. Deine Reaktion ist nachvollziehbar. Man reagiert dünnhäutig ("das nervt langsam"), wenn man mit der besseren Architektur früherer Zeiten konfrontiert wird.


    Solange uns solch bescheidene Ergebnisse auf der Fischerinsel präsentiert werden, ist es nur legitim, den Finger in die Wunde zu legen.

  • Dann mach' mal einen konstruktiven Vorschlag, wie die Fischerinsel architektonisch noch die Kurve bekommt.


    Es ist legitim, wenn Konstantin Bilder des Vorkriegzustandes zeigt. Da sind Aussagen wie "das nervt langsam" fehl am Platz. Denn die neue Architektur muss sich messen lassen an der Meßlatte der alten Architektur. Bei den enttäuschende Ergebnissen ist es doch logisch, dass manche User den Finger in die Wunde legen, oder nicht?

  • Welche alte Architektur soll denn hier als Beispiel dienen? Im Kern war die Fischerinsel schon vor dem Krieg ziemlich runter gekommen und ein Samierungsfall.

  • Nicht die Vorkriegsbebauung, sondern die kürzlich fertiggestellten Neubauten stellen einen Sanierungsfall dar. Du selbst sprichst es an:

    Im Detail hoffe ich, dass das handwerklich miserable AZ äußerlich überarbeitet wird. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass die ausführende Firma, dafür Geld bekommen hat...


    Und auch das WBM Gebäude könnte relativ einfach ein farbenfroheres Aussehen bekommen.

    äußerlich überarbeiten ... farbenfroheres Aussehen bekommen ...


    Das Ganze klingt nach Sanierungsfall, obwohl erst kürzlich fertiggestellt.

  • Der ganze Zustand der Fischerinsel ist eine Katastrophe! Nicht nur das man hier in eigentlich allerbester Lage (!) nicht zu potte kommt und man bei manchen Bildern meinen könnte die „Wende“ wäre erst 2 Jahre her, schlimmer, die aktuell entstandenen Bauten sind schlicht schlecht und lassen schlimmes für die Zukunft erahnen! Deswegen mein Vergleich mit Warschau, denn Otto-Normalbürger würde diese Bilder vermutlich für Warschau (Beispielhaft) vor 20 Jahren halten und Bilder aus dem aktuellen Warschau vermutlich mit Frankfurt verwechseln? Kurz: warum geht in Warschau was in Berlin nicht geht? Rekonstruktion historischer Viertel und moderne Architektur der Superlative Hand in Hand?! Vielleicht liegt es daran das man in Warschau keinerlei nostalgische Gefühle hinsichtlich der eigenen sozialistischen Verhangenheit hat, vielleicht ist man dort auch einfach pragmatischer oder ist stolz auf die eigene Identität. Die Fischerinsel hätte auf der Seite zum Stadtschloss hin eine geschlossene Bebauung mit moderner Anmutung und auf Seite der Hochhäuser noch zusätzliche Hochpunkte bis 100 m erhalten sollen. Ich weiß, dies wurde von den Bewohner dort abgelehnt. Die Hochpunkte auf der Fischerinsel wären der Auftakt für die Hochhäuser am Alex gewesen die allerdings auch deutlich unterschiedliche Höhen hätten erhalten sollen. Aber der Alex ist ja aktuell auch so ein Trauerspiel. Mir bleibt es unbegreiflich wie man solche Filetstücke dermaßen versammeln kann!

  • Ich finde es immer putzig welche emotionalen Reaktionen allein der Verweis auf den Vorkriegszustand oder gar den Zustand vor 1900 hervorruft. Die meisten, die heute mit Gestaltung befasst sind, sind "genervt", da ihnen in der Regel das eigenen Unvermögen vorgehalten wird. Dann kommen stets die üblichen Argumente gegen eine Wiederherstellung historischer Gebäude: was weg ist ist, weg; wir können das technisch/künstelrisch gar nicht mehr; das ist viel zu teuer; war eh' schon im schlechten Zustand usw. Die Kette der vermeindlichen "Argumente" kommt zuverlässig - egal ob man auf den Zustand des Köllnischen Fischmarktes in Berlin oder die Domplatte in Köln verweist.

    Bei jeder Entscheidung die historischen Strukturen wiederherzustellen und einzelnen, herausragenden Gebäude wiederaufzubauen, war das Konzept in den Augen der großen Mehrheit ein voller Erfolg und die o.g. Einwedungen haben sich als falsch herausgestellt. Potsdam, Dresden, Frankfurt (Main), Hildesheim, Berlin (vom Schloß bis zur Lindenuni) und viele andere Orte mehr. Die Menschen haben stets mit den Füssen abgestimmt und hätten dies im Falle des Köllnischen Fischmarktes ebenso getan. Noch heute könnte man am Spittelmarkt, am Mühlendamm und am Molkenmarkt ein ähnliches Desaster verhindern - wenn man wollte.

    Hier einmal zwei Pläne: der erste ist der "Dissenzplan" aus der Zeit Regula Lüschers, also der Vergleich zwischen ihrem "Planwerk Innere Stadt" (2010) und dem "Planwerk Innenstadt" ihres Vorgängers Hans Stimmann (SPD). Die umrandeten Gebäude hat Frau Lüscher gestrichen.


    diffrenzplan3giz2.png


    (C) Senatsverwaltung für Stadtentwicklung; gemeinfrei, da amtliches Werk einer deutschen Behöre und zur Veröffentlichung bestimmt


    Zur Weiterführung das Konzept der Planungsgruppe Innenstadt, die die Geschichte wieder in den Insel bringt und die beiden Stadtplanungskonzepte der Nachkriegs-Moderne und der Neuzeit kontrolliert gegeneinander laufen lässt - wie es die Moderne bei jedem Gründerzeitquartier vorschlägt.


    bildschirmfoto2022-1221epb.png


    (C) Mit freundlicher Erlaubnis der https://planungsgruppe-stadtkern.de/. Hier finden sich viele weitere, vertiefende Pläne.

  • ^^Der Knick in der Platzfassade (Ost-) ist die Reminiszenz an die früher auf den Parzellen stehende Lateinschule der St.-Petri-Gemeinde und soll den historischen Bezug bei der Neubebauung des Areals verdeutlichen. Naja.