Wirtschaft, Politik, Forschung, Gesellschaft

  • Berlinier Frau Jarasch galt zumindest mW stets eher als Realo, was an sich natürlich nicht verkehrt wäre. Sie wurde u.a. mal von der eigenen Partei gegrillt, weil sie als Kind als Berufswunsch gerne Indianer-Häuptling gewesen wäre und das auch genau so formuliert hat. Sie hat sich in dem Moment überhaupt nichts dabei gedacht und sich anschließend für die diskriminierende Begriffswahl "Indianer" entschuldigen müssen. Ähnlich wie Frau Pop wirkt sie an sich recht nahbar und normal, wird ihr Fähnlein letztlich aber ein gutes Stück weit mit dem (Partei-)Wind hängen und wehen lassen, auch wenn sie selbst evtl. gar nicht immer so dogmatisch denkt.


    Weil es vorher zur Sprache kam: Auf mich wirkten ihre Sondierungsansätze überhaupt nicht verzweifelt, sondern eher pro-aktiv und sehr selbstbewusst. Während Frau Giffey noch zögert (und vielleicht auch hadert), liegen für Frau Jarasch offenbar schon alle Tatsachen auf dem Tisch und dann will sie auch nicht lange lamentieren und diskutieren. Das kann geschickt sein. Wenn sie es aber übertreibt, kann es die SPD evtl. doch noch in die Arme von CDU und FDP treiben. Denn Frau Giffey wird sich die Butter nicht gerne vom Brot nehmen lassen...

  • Wenn man für den Enteignungsantrag stimmt, dann ist man kein Realo. Im besten Fall ist es opportunistische Anbiederung an ihren linken Flügel (als allerletzter Ausweg, das war ihre Argumentation. Allerletzter Ausweg? Vielleicht hätte sie es erstmal mal mit bauen versuchen sollen, Verdichtung, mit erhöhten Wohngeld für die direkt Betroffenen, mit Mietkaufmodellen um die Eigentumsquote zu erhöhen, mit Einbindung der privaten Investoren. Die Liste der Versäumnisse ist endlos.

    Dieser Antrag ist genauso wenig verfassungskonform und genauso populistisch wie der Mietendeckel, und es ist davon auszugehen, dass Wohnungskonzerne oder wer auch immer bis zum Verfassungsgericht klagen werden.



    Herr Müller hatte die SPD dermaßen in den Graben gefahren, dass die linke Parteibasis nolens volens die bei ihr und vor allem Herrn Müller ungeliebte Frau Giffey gebraucht hat um nicht vollends abzuschmieren. Diese holt entgegen aller Widerstände (aberkanntes Doktorspektakel, einer Frau Jarasch und den Grünen, die sich schon als Bürgermeisterin fühlen durfte, von SPD Kreisverbänden, die sie kaum unterstützten) die Mehrheit und sichert der SPD das Amt. Und jetzt soll sie alle ihre Positionen - mit denen sie die Mehrheit bekommen hat - räumen und einfach weitermachen, wie bisher? Klar, dass Klarenbach das gut fände und besorgt ist, es könne etwas schwieriger werden. Dass es schwieriger wird, denke ich allerdings auch.


    Die Fraktion und Herr Saleh sind eher pragmatisch und diese ein ziemlich starkes Gegengewicht zu den eher linken Kreisverbänden, auf die Klarenbach ja nicht aufhört, zu verweisen. Ganz allein steht sie jetzt auch nicht da und in Neukölln hat sie gezeigt, dass sie Standvermögen besitzt.

    Sollte RGR neu aufgelegt werden, wird es kaum fünf Jahre halten, kann ich mir jedenfalls nicht vorstellen. Der Zauber - wenn es denn je einen gegeben haben soll - ist schon lange verflogen und keiner traut dem anderen mehr über den Weg, abgesehen von den vielen inhaltlichen Differenzen, die immer deutlicher zu Tage treten.

  • Frau Giffey ist explizit angetreten mit Positionen die absolut darauf angelegt waren die bisherige Politik zu beenden.

    Und hat mit dieser opportunen Haltung das schlechteste SPD-Ergebnis eines Ministerpräsidenten, nämlich das von Michael Müller 2016, sogar noch getoppt. Nach unten natürlich. Glückwunsch.

    Vielleicht endet das alles auch so wie 2012 als Wowereit mit den Grünen verhandelt hat und kurzerhand zur CDU übergewechselt ist als diese den Weiterbau der Autobahn abgelehnt haben. Alles möglich.

    Wenn Giffey wirklich mit der reaktionären und personell toten CDU ins Bett geht, kann die SPD in spätestens 5 Jahren ihr Ergebnis im einstelligen Bereich suchen.

    Bei allem verständlichen Ärger, man sollte doch etwas vorsichtig sein mit solchen Forderungen.

    Wieso eigentlich? Weil sonst das Kartenhaus der lupenreinen Demokratie zusammenbricht? Was bei dieser Wahl ablief, war eine einzige Farce und wie hier richtig gesagt wurde, wäre das in den hiesigen Medien und auch in der Politik hemmungslos zerrissen worden, wäre so etwas in Ungarn oder Polen oder Albanien passiert. Diese Doppelmoral ist mittlerweile dermaßen frappierend, dass man sich schon gar keine Mühe mehr gibt, die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit zu verschleiern.

    Ich hab zwar auch großmäulig getönt, das Wählengehen dauert keine fünf Minuten als ich jemand mitgeschleppt habe, der keine Lust hatte, um dann knapp ne Stunde in ner Schlange zu stehen. Ein Glück, dass das Wetter so gut war, bei Regen wäre das noch ganz anders gelaufen. Habe noch nie länger wie 5 Minuten gewartet auch nicht in Berlin.

    Jetzt entscheidet also das Wetter darüber, ob wahlwillige Leute ihre Stimme abgeben können? So klingt es und ich glaube auch, dass viele, die in der Schlange standen, nach Hause gegangen wären, hätte es richtig schön herbstlich in Strömen geregnet, etwa wie heute. Ich wäre vielleicht auch nicht im Regen stehen geblieben. So tief sind wir gesunken? Mehr als ein Schulterzucken ist nicht drin? Bzw. die typischen Reflex-Haltungen à la Theseus532, man solle mit Kritik doch lieber zurückhaltender sein. Es könnte ja jemand aus seinem Lummerland-Traum aufwachen.

  • Ich bin nach den Reaktionen hier zu meinem Post #914 nochmals in mich gegangen. Jedoch kann ich reinen Gewissens mitteilen, dass ich meine Aussage nicht verändern muss.

    Ich bitte Euch einfach mal die Suchmaschine Google zu benutzen und in der Suchleiste "berlin wahl" eingeben. Alleine die Artikel zu "auffällig viele ungültige Stimmen" oder "Stimmen im Müll" sollten JEDEN zu Denken geben, ganz gleich welche Partei man favorisiert.

    Ich verstehe grundsätzlich nicht mehr, warum so viele in diesem Land darauf bedacht sind, dass "die da oben" oder auch mal der "Zustand des Systems" nur nicht zu sehr kritisiert werden. Das ist eine Demokratie, ich bin als Bürger nicht Huldigungspflichtig. Aber ich habe das Recht einen höchst zweifelhaften Ablauf einer Wahl deutlich zu kritisieren und zu hinterfragen.

    Ohne Neuwahlen wird dem nächsten Berliner Senat (insbesondere RotRotGrün) der Makel einer unsauberen oder zumindest sehr schlampigen Wahl anhaften.



    Sie hat sich in dem Moment überhaupt nichts dabei gedacht und sich anschließend für die diskriminierende Begriffswahl "Indianer" entschuldigen müssen

    Schmunzel... Bin schon gespannt ab wann der "amerikanische Ureinwohner" oder die "indigenen Völker" als diskrimierende Begriffe entdeckt werden. Das ganze logisch zu Ende gedacht bedeutet doch im Grunde, dass nur das Totschweigen von allem Nicht-Weißem nicht diskriminierend ist. Surrealer Zeitgeist einer sich für links haltenden Bourgeoisie...

  • ^ Wer hat Ihnen denn "Huldigung" abverlangt? Auch hat niemand behauptet, die Wahl wäre blitzsauber gelaufen. Problematisch finde ich die Unterstellung, die in ihrem ersten Beitrag hier durchscheint: Dass betrogen wurde. Ich empfehle Ihnen, sich bei der nächsten Wahl mal als Wahlhelfer zu melden – Sie werden sehen, wieviele Augen zu jedem gegebenen Zeitpunkt beim Wahlprozess und später bei der Auszählung beteiligt sind. Das ist alles sehr transparent.


    Was natürlich gar nicht geht, ist Bürgern einen falschen Zettel in die Hand zu drücken und die Stimme deshalb später als ungültig zu werten. Das könnte tatsächlich ein Grund sein, die Wahl zumindest in den betroffenen Wahlbezirken zu wiederholen (hängt von der Menge der betroffenen Wähler ab). Aber auch das würde ich als Folge der falsch verschickten Wahlscheine betrachten – betroffen waren laut Presse z.B. die Wahlkreise 5 und 6 in Friedrichshain-Kreuzberg. Und ich wüsste nicht, was RRG davon hätte, die Zahl der gültigen Stimmen ausgerechnet in einer ihrer Hochburgen zu verringern.

  • Nach den peinlichen Vorkommnissen ist nun die Landeswahlleiterin Michaelis zurückgetreten.


    Eine Wahlwiederholung ist unwahrscheinlich, die OSZE fordert auch keine, jedoch laut Michaelis noch nicht auszuschließen.


    https://www.zdf.de/nachrichten…dtagswahl-pannen-100.html


    Kein Problem stellt die Tatsache dar, dass trotz noch nach 18:00 Uhr wartender Wähler, bereits erste Prognosen veröffentlicht wurden: https://www.dw.com/de/faktench…-ung%C3%BCltig/a-59327892

  • Architektenkind Eben. Theoretisch kann jeder Bürger den Wahl- und Auszählungsprozess überwachen. Erlebt habe ich das allerdings noch nie, was auch das (mE grundsätzlich völlig gerechtfertigte) Vertrauen in die Wahlvorstände zeigt. Dass da angeblich systematisch getäuscht wurde, halte ich für völlig hanebüchen. Ich denke auch, dass diese Vorwürfe von Leuten kommen, die weder als Wahlhelfer noch als Wahlbeobachter aktiv waren.


    Der entscheidende Punkt diesmal war mE, dass "man" (mal wieder in Berlin!) die personellen Ressourcen überansprucht und zugleich die eigene Führungsrolle sowie die Bereitstellung von Arbeitsmaterial unzureichend ausgeführt hat. Vom Senat kenne ich es eigentlich nicht anders (etwa im Bildungsbereich eher noch viel schlimmer und skandalöser), bei der Wahlleitung war es für mich in diesem Umfang komplett neu. In der Vergangenheit habe ich jedenfalls nie etwas monieren können. Bei meinem diesmaligen Wahllokal war es aber auch diesmal vergleichsweise noch sehr, sehr harmlos. Mit einer (maximal 2) zusätzlichen Wahlkabine/n wäre es bei uns ein völlig normaler Wahltag gewesen. Bei den betroffenen Lokalen scheint es sich um Unzulänglichkeiten/menschliches und organisatorisches Versagen zu handeln, wobei die Folgen zufällig und ungesteuert eintraten aber ggf. in Einzelfällen ein Ergebnis doch verfälschen konnten. Ist natürlich nicht schön, aber die Empörung finde ich stark übertrieben. Das würde ich mir mal für unseren Bildungsbetrieb wünschen. Da kräht leider kein Hahn nach. Hier ist nun die Verantwortliche zurückgetreten. Frau Scheeres und ihre Chaos-Truppe wursteln hingegen über Jahre in ganz anderem Ausmaß herum, mit absehbaren systematischen statt sporadischen und unsystematischen Folgen.


    P.S.: Der Abstimmungszettel für den Volksentscheid war auch unglücklich. Er ging bei vielen durch den hohen Textumfang als Infoblättchen unter, was auch die relativ vielen ungültigen (oft leeren) Zettel erklärt. Bei uns sind viele Wähler nochmal zurück in die Kabine und wir hatten diesmal primär recht bildungsaffine Biodeutsche am Start...

  • Kein Problem stellt die Tatsache dar, dass trotz noch nach 18:00 Uhr wartender Wähler, bereits erste Prognosen veröffentlicht wurden: https://www.dw.com/de/faktench…-ung%C3%BCltig/a-59327892

    Genau DA habe ich ein riesen Fragezeichen. Zwei Dinge kommen hier zusammen. Erstens die hohe Polarisierung der zwei gefühlten politischen Lager, die zur Wahl standen. Verbotspartei Grüne gegen den Rest. Zu einer der beiden Lager fühlte man sich in diesem Wahlkampf vermutlich hingezogen. Und zweitens die noch kurz vor der Wahl Unentschlossenen. Anzahl von letzterer Gruppe würde ich nicht unterschätzen.


    Und dann stellt euch mal 18:00 Uhr vor, ihr steht noch in der Schlange und die erste Prognose kommt rein. Die Grünen als stärkste Kraft. Oh Schreck. Das darf nicht passieren. Die verbieten mir das Autofahren, das Billig-Gammelfleisch und den Cluburlaub auf den Malediven. Eigentlich wollte ich ja CDU oder FDP wählen, aber da die eh keine Chance haben, wähle ich jetzt lieber die SPD, damit die stärkste Kraft anstelle der Grünen werden.


    Haltet ihr das echt für unwahrscheinlich, dass das in vielen Fällen so passiert sein könnte? In wie fern das den Wahlausgang entscheidend beeinflusst hat, ist natürlich reine Spekulation. Aber ansich ist ja bereits jedwede Einflussnahme zu verhindern und in meinen Augen ein Grund, das ganze Ding anzufechten.

  • Staatsrechtler Markus Ogorek (Institutsdirektor für Öffentliches Recht und Verwaltungslehre an der Universität Köln) schreibt ja im Artikel, dass die Regelungen zur Veröffentlichung der Prognosen primär eine strukturelle und breite Beeinflussung des Wählers verhindern sollen. Die Zahlen wegen einiger noch geöffneter Wahllokale zurückzuhalten, hätte nicht im Verhältnis zum großen und legitimen Interesse der Bevölkerung gestanden.


    Aber ich war nicht dabei, ob und wie also tatsächlich Menschen in ihrer Wahlentscheidung beeinflusst wurden, und ob hier womöglich Grund zur Anfechtung besteht, kann ich nicht bzw. nur geringfügig anhand der Internetquellen beurteilen.

  • MiaSanMia Das wird man auch kaum rekonstruieren können. Da stellen sich ja viele Fragen: Wie viele Wartende gab es tatsächlich noch und wie viele von ihnen waren zu dem Zeitpunkt zugleich tatsächlich noch immer unentschlossen und haben sich gezielt informiert und umentschieden und wirkte sich das tatsächlich besonders stark auf bestimmte Parteien aus? Ich kann es nicht wirklich beurteilen, glaube aber nach bisherigen Erkenntnissen eher nicht an einen massiven Effekt. Grundsätzlich wäre es sonst mE eventuell schon ein gewisses Problem, weil gegen den Grundsatz der Gleichheit verstoßen wird, sobald einige Wähler mit ihrem Stimmrecht andere strategische Optionen erhalten.

  • spandauer


    Was soll denn an Frau Giffey's Haltung opportun gewesen sein?

    Sie hat genau das vertreten was sie in ihrer ganzen politischen Karriere vertreten hat, also kann von Opportunität keine Rede sein. Und sie hat der SPD die Haut gerettet. Im Gegenteil, es wäre opportun von ihr gewesen einfach alles wunderbar zu finden was RRG angestellt hat. Sie hat den Mut gehabt, das auszusprechen was viele in der SPD und in der gesamten Bevölkerung so sehen, dass es nicht so weitergehen kann. Sie ist somit glaubwürdig aufgetreten.


    Man kann natürlich auch ignorieren, dass die Umfragen bei 15 Prozent für die SPD standen und die der Grünen bei 25 als sie übernahm. Dazu der Gegenwind wegen des Doktortitels.

    Das ist der Ausgangspunkt und nicht das Ergebnis von Herrn Müller von 2016, der Regierender Bürgermeister und kein Ministerpräsident war.
    Aber wenn die Realität nicht zur eigenen Weltanschauung passt, dann zimmert man sich sie zurecht.


    Dass die CDU nicht gerade der progressivste Haufen ist, mag ja sein, allerdings vertreten sie vielfach Positionen die die Mehrheit der SPD Wähler auch vertreten, das ist nun mal so, von daher wäre eine Zusammenarbeit durchaus im Bereich des Möglichen. Nur weil Herr Müller als Landesvorsitzender und jahrelanger Strippenzieher entsprechende Gesinnungsgenossen gefördert hat und die Berliner SPD entsprechend nach links gezogen hat und sich dann bei der ersten Gelegenheit den Linken an den Hals geworfen hat, um sich dann von Ihnen vorführen zu lassen, heißt ja noch lange nicht, dass seine Wähler das auch so sahen. Warum lag den die SPD bei 15 Prozent und alle wollten Herrn Müller nur noch loswerden? Weil er SPD Politik gemacht hat etwa?


    Und ich habe lediglich darauf hingewiesen, dass naturgemäß nun mal das Wetter eine Rolle spielt, eine Binsenwahrheit, Da sinkt man nicht tief deswegen.

    Und worüber erregen Sie sich denn? Die Medien haben den Unregelmäßigkeiten jede Menge Aufmerksamkeit geschenkt, es ist das Thema schlechthin in der Presse und wird ausgiebig diskutiert. Da wird nicht mit zweierlei Maß gemessen was andere Wahlen betrifft. Von Doppelmoral kann hier keine Rede sein.



    Ebenso wenig habe ich eine Reflexhaltung geäußert sondern lediglich die relativ relaxte Haltung die in Berlin über Verwaltungsmissstände und Organisationsmängeln herrscht beschrieben.

  • Der Behauptung, dass Michael Müller die SPD "in den Graben gefahren" hätte, wird durch keine Zahlen gedeckt. Vielmehr spricht vieles dafür, dass die SPD mit Müller ein viel besseres Ergebnis eingefahren hätte.

    Erstens hat Müller wesentlich höhere Zustimmungswerte als Frau Giffey. Zustimmungswerte laut Umfrage vom August 2021:

    Michael Müller: 45%

    Franziska Giffey: 37%

    https://www.rbb24.de/politik/w…e-spd-giffey-gruene-.html

    Die Umfrage geht davon aus, dass die Berliner SPD vor allem vom positiven Bundestrend profitierte.


    Die Wahlergebnisse deuten ebenfalls in diese Richtung:

    SPD-Ergebnis für Berlin:

    Bundestagswahl: 23,5 %

    Wahl zum Abgeordnetenhaus: 21,4 %

    Etliche Berliner haben also im Bund SPD gewählt, weil sie Olaf Scholz als Kanzler wollten, in Berlin aber eine andere Partei gewählt.

    Michael Müller wiederum stand ja als Bundestags-Direktkandidat für Charlottenburg-Wilmersdorf zur Wahl. Hier hat er ein weit überdurchschnittliches Ergebnis geholt.

    SPD-Ergebnis für Charlottenburg-Wilmersdorf:

    Erststimmen für Michael Müller: 27,9 %

    Zweitstimmen Bundestagswahl: 24,1 %

    Zweitstimmen Wahl zum Abgeordnetenhaus: 22,6 %

    Müller hat also 5,3 % mehr geholt als die Landes-SPD. Man kann sich leicht ausrechnen, was die SPD in Berlin geholt hätte, wenn sie wieder mit Müller angetreten wäre.

    Diese Chance wurde nun vertan. Aber auf jeden Fall hat Frau Giffey keinen Grund, sich jetzt zur Retterin der SPD zu stilisieren.

  • KlarenbachDein verlinkter Artikel bzw. die angegebenen Daten sagen mE etwas Anderes aus.


    In Deiner Quelle steht ganz explizit drin, dass Frau Giffey kurz zuvor selbst noch Zustimmungswerte von 45% hatte und auch nach dem Absinken bis auf Herrn Müller kein anderer Politiker und somit auch kein aktiver Kandidat höhere Werte aufzuweisen hatte - bis auf Herrn Lederer übrigens noch nicht einmal annähernd. Nach Deiner Quelle und Lesart müsste Frau Jarasch ja eigentlich zurücktreten, da die Grünen ohne sie dann locker das Rathaus hätten holen müssen. Ansonsten heißt es sogar in diesem müllerfreundlichen Artikel, Herr Müller laufe jetzt gewissermaßen außer Konkurrenz, da er nicht mehr um ein Spitzenamt kandidiere. Zuvor hatte er übrigens teils Werte von unter 30% und galt ÜBER JAHRE als unbeliebtester Landeschef der Republik, was sich erst durch seinen angekündigten Rückzug und Corona umkehrte - bitte sehr. Ob die SPD von ihm hätte profitieren können, ist also neutral ausgedrückt allenfalls komplett hypothetisch (ich persönlich halte es für nicht wahrscheinlich), da seine aktuellen Beliebtheitswerte dann logischerweise von ganz anderen Faktoren abhängig gewesen wären und die Bewertung seiner Arbeit im Zuge von Wahlmanövern der Konkurrenten vermutlich auch weit weniger versöhnlich ausfallen würde. Dass aktive Kandidaten kurz vor der Wahl durch den aggressiven Wahlkampf massiv in der Beliebtheit auf- und vor allem absteigen können, ist nun wirklich nichts Ungewöhnliches.


    Und dass ein amtierender Bürgermeister im eigenen Bundestagswahlkreis knapp genug (mit 27,9%) gegen eher schwache Konkurrenz wie Lisa Paus (Linke, 24,4%) und Klaus-Diether Gröhler (CDU, 22,3%) gewinnt, ist nun ebenfalls kein Ruhmesblatt oder Garant für ein hohes Ergebnis bei einer hypothetischen Bürgermeisterkandidatur. Sonst hätte die Linke nach solcher Logik dann auch Frau Paus aufstellen sollen und so ein deutlich besseres Ergebnis erwarten dürfen. Alleine hier merkt man schon, wie schwierig Deine suggerierten Zusammenhänge zu bewerten sind.


    Ansonsten hatte Frau Giffey mit 37% Zustimmung ja sogar deutlich bessere Werte als die SPD letztlich Zweitstimmen erhielt (ähnlich wie Lederer, dessen Partei aber merklich abschmierte und ganz im Gegensatz zur offenbar völlig unbeliebten Jarasch, deren Partei im Gegenteil aber boomte und zugleich auch über Bundestrend performte). Deine vermeintlichen Kausalitäten/Zusammenhänge finde ich daher wie auch die im Artikel suggerierten wenig plausibel bzw. völlig unzureichend für eine Erklärung der jeweiligen Werte und Ergebnisse. Es war hier ja ganz offensichtlich NICHT nur der Bundestrend oder nur die (Un-)Popularität eines Spitzenkandidaten, die am Ende zählte. Ansonsten trifft es wie von Theseus ausgeführt durchaus zu, dass die Berliner SPD seit Frau Giffeys Kandidatur - mit ihren bekannten Positionen - deutlich zulegen konnte, wobei parallel aber sicher auch ein Stück der Bundestrend half. Da überlagern sich mE aber viel wahrscheinlicher Effekte, als dass die SPD nun TROTZ einer vermeintlich unbeliebten Frau Giffey die Wahl gewann.


    Übrigens zeigen mE auch diese Werte wieder eindeutig, dass die Berliner überhaupt nicht zufrieden mit der Arbeit von RRG aber eben auch nicht zufrieden mit den Konkurrenten sind (und zudem auch eine allgemein vorherrschende Skepsis/ Negativität, wie ich sie selbst leider auch oft verspüre):

    Kein einziger Politiker hat höhere Zustimmung als Ablehnung! Nach Müller, Giffey und Lederer mit bereits eher schwachen Werten kommen dann nur noch katastrophale Werte. Wirklich beliebte Politiker haben Zustimmungswerte von weit über 50 Prozent.

    2 Mal editiert, zuletzt von jan85 () aus folgendem Grund: Trotz anhaltender Irritation über die fragwürdige Quellenarbeit des Mitforisten die Kritik versachlicht.

  • Nach Herrn Wowereit (Giffey soll die Koalition fortsetzen - denn eine Deutschland-Koalition bekomme sie gar nicht erst durchgesetzt) mischt sich nun auch Herr Müller in die Arbeit seiner Nachfolgerin ein: Auf Nachfrage erwiderte er direkt, Giffey sollte besser nicht Senatorin für Wissenschaft werden. Rumms. Müller-Vertraute wollen zudem angeblich eine Fortsetzung der alten Linie durchsetzen. Vielleicht hätten sich die Beiden ja doch einfach nochmal selbst aufstellen sollen. Könnte jedenfalls ungemütlich für Frau Giffey werden, wenn ausgerechnet profilierte Parteigenossen ihr schon während laufender Verhandlungen den Dolch in den Rücken rammen. Allerdings könnte dieses offensive Vorgehen womöglich auch das Gegenteil bewirken: Auch eine Angela Merkel wollten einige Parteigenossen einst in eine bestimmte Ecke drängen und dann wollte (bzw. im Grunde musste) sie es allen beweisen. Ich war nie großer Fan von Frau Merkel oder ihrer Politik, aber in derartigen Machtspielchen hat sie sich letztlich immer wieder beeindruckend durchgesetzt. Frau Giffey macht es mE jedenfalls auch richtig, indem sie mit allen Parteien respektvoll verhandelt und sich dennoch nicht in die Karten schauen lässt. Es bleibt spannend, wobei ich ehrlich gesagt weiter von RGR ausgehe aber eine Ampel besonders interessant fände (trotz der Gefahr, dass es ggf. wie auch schon bei RRG gewisse Blockaden geben könnte).

  • Das Problem in Berlin ist ganz einfach. SPD und Grüne sind die wohl am weitesten links stehenden oder wie immer man das bezeichnen mag - Landesverbände in ihren Parteien. Und die CDU ist der wohl reaktionärste oder zurückgebliebenste - je nach Sichtweise - unter den CDU Landesverbänden. Das macht es eben so schwer zwischen ihnen was woanders fast schon Alltag ist.

    Wowereit konnte vielleicht noch aufgrund seiner Autorität und mit viel taktischer Finesse eine Koalition mit der CDU durchsetzen allerdings war klar, dass Müller diese Verbindung auf keinen Fall wollte und die CDU mit Henkel und dem Rest seiner Truppe ihm auch wenig Gegenargumente geliefert hat.

    Die FDP war in Berlin immer schon ziemlich klein und viel zu eng auf Wirtschaftsthemen begrenzt, was in einer Sozialstruktur wie in Berlin noch weniger gut ankommt als wo anders. Herr Czaja scheint sich etwas zu öffnen, aber ob das reicht.


    Andererseits wusste Frau Giffey ganz genau, worauf sie sich einlässt als sie sich für ihre Kandidatur entschieden hat. Sie war immer absolut unbeliebt - so wie ihr Förderer Herr Buschkowski auch - bei ihrem eigenen Landesverband und besonders bei Herrn Müller.

    Dass der für eine Fortsetzung plädiert verwundert wenig.

    Was Frau Giffey wirklich will, weiß wohl keiner. Ob sie glaubt eine andere Koalition bei der SPD durchzusetzen? Ich halte sie für so intelligent - ähnlich wie Merkel - dass sie ihre Lage innerhalb ihrer Partei gut einschätzen kann. Sie hat (noch) nicht Wowereits Autorität innerhalb der SPD um ihre Wunschvorstellungen durchzusetzen und sie kann schlecht hinschmeissen, wenn die SPD ihr einen Bruch mit der jetzigen Koalition verweigern würde.

    Die Wähler würden sich auch ziemlich verarscht vorkommen, Giffey gewählt zu haben mit dem Versprechen einer Richtungsänderung und dann - ja wen eigentlich zu bekommen? Saleh wäre der natürliche Ersatz, aber würde unmöglich unbeschadet einspringen können, so sehr hat er sich für Frau Giffey ausgesprochen. Das wäre der Supergau und das Ende der politischen Laufbahn von Frau Giffey.

    Von daher wird es wohl darauf hinauslaufen dass Giffey den Preis hochtreibt für das zu erwartende Linksbündnis und möglicherweise eine langfristige Strategie im Hinterkopf hat. Frau Merkel hat auch 2002 verzichtet, damit rechnend, dass Stoiber verliert.

  • Erster Anstieg bei Corona-Sterbefällen in Berlin

    Auch wenn es (überraschenderweise!) noch nirgendwo berichtet wird, scheinen wir jetzt doch wieder einen negativen Trend zu erleben. Zwar bleiben Inzidenz, neue Hospitalisierungen und Auslastung der Krankenhäuser bzw. Intensivstationen alle stabil. Allerdings gibt es nun seit mehreren Tagen 4-6 Tote täglich (hier nachzuvollziehen)! Davor gab es über Monate lange oft 0 Todesfälle, gelegentlich mal 1-2, ganz selten mehr). Bei gleich mehreren Tagen glaube ich auch nicht mehr an einen Zufall.


    Erfreulicher Trend bei Immunisierung

    Erfreulich ist dagegen u.a., dass scheinbar endlich wieder mehr Impfungen durchgeführt werden. Inzwischen sind offiziell 65% der Berlinerinnen und Berliner vollständig geimpft (gleiche Quelle wie oben). Zudem geht das RKI inzwischen davon aus, dass sogar mehr Menschen geimpft sind als statistisch erfasst (vermutlich etwa 5% mehr). Es sind also recht wahrscheinlich schon über 80% der Erwachsenen geimpft, bei den Risikogruppen nochmals mehr. Allerdings zeigen die aktuellen Zahlen aus dem oberen Absatz mE, dass inzwischen auch außerhalb der identifizierten Risikogruppen gestorben wird.

  • Ich denke, dass die Bewegung für rot-grün-rot in der SPD so breit ist, dass man sie kaum als Werk einer "Müller-Gang" bezeichnen kann. Ich habe zwei Aufrufe für rot-grün-rot gefunden, die von SPD-Politikern unterzeichnet wurden, die keineswegs als Müller-Fans einzuordnen sind. Da gibt es den "Weitermachen"-Aufruf, der offenbar von Jusos initiiert worden ist.

    https://weitermachen.berlin/

    Dieser Aufruf wurde unter anderem unterzeichnet von:

    -Fabian Fischer (Vorsitzender SPD Neukölln)

    -Charlotte Mende (stellvertretende Vorsitzende SPD Neukölln)

    -Julian Zado (stellvertretender Landesvorsitzender SPD Berlin)

    -Kevin Kühnert

    Dann gibt es den Aufruf "Gemeinsam mehr erreichen", der von verschiedenen zivilgesellschaftlichen Initiativen gestartet wurde.

    https://changing-cities.org/ge…gen-der-stadt-kooperiert/

    Diesen Aufruf haben unter anderem unterschrieben:

    -Ephraim Gothe (Baustadtrat Mitte)


    Mittlerweile wird gemeldet, dass auch weitere SPD-Kreisverbände, nämlich Friedrichshain-Kreuzberg und Neukölln, zu rot-grün-rot tendieren würden.

    https://www.tagesspiegel.de/be…t-gruen-rot/27647368.html


    Schließlich hat sich auch Giffeys politischer Ziehvater Horst Buschkowsky zu Wort gemeldet, der rot-grün-rot ablehnt. Allerdings sieht auch er keine dunklen Machenschaften einer "Müller-Gang", sondern er sieht eine inhaltliche Nähe zwischen SPD und Linken.

    https://www.bz-berlin.de/berli…iesst-scharf-gegen-giffey


    Auch finde ich die Formulierung "Dolchstoß" völlig unangemessen. Ein Dolchstoß steht für ein hinterhältiges Verhalten, wenn z.B. jemand nach außen hin Frau Giffey unterstützen würde, sie dann aber bei der Wahl zur Regierenden Bürgermeisterin nicht wählen würde. Frau Simonis ist so etwas mal in Schleswig-Holstein passiert. Hier werben aber SPD-Politiker ganz offen für rot-grün-rot. Ich sehe in der ganzen Situation eher ein völliges Führungsversagen von Frau Giffey. Wenn eine SPD-Landesvorsitzende nicht einmal in der Lage ist, ihre eigene Partei zu befrieden, wie soll sie dann ein kompliziertes Dreierbündnis erfolgreich moderieren?

  • Klarenbach Nenn es meinetwegen "Friendly Fire". Wenn man der eigenen Kandidatin kurz vor der Wahl und auch noch nach dem Wahlsieg öffentlich irgendwelche Ratschläge und Angriffe/ unschmeichelhafte Bewertungen reindrückt, ist das jedenfalls alles andere als guter Stil. Sie hatten ja jeweils ihre eigene Chance und haben sich anschließend mehr oder weniger freiwillig verabschiedet. Diesbezüglich gibt es eigentlich das ungeschriebene Gesetz, dass man sich dann in Zurückhaltung übt, statt sich weiter zu profilieren. Sonst hätten sie wie gesagt selbst wieder antreten sollen, wenn sie noch einmal Macht- oder Gestaltungsanspruch erheben wollen.


    Ich wüsste auch nicht, wieso es mangelnde Führungsstärke ausdrücken soll, wenn sich einige Herren nicht richtig im Griff haben. Ausgerechnet der SPD hätte ich nach den letzten Jahren eigentlich mehr Demut und vor allem mehr innere Geschlossenheit zugetraut. Und gerade als Herr Müller, i.e. als mehrjährig unbeliebtester Ministerpräsident der Republik kurz nach der eigenen Flucht in den Bundestag, wäre ich erst recht nicht so vorlaut. Herr Buschkowsky ist ja sogar noch ein Stück schlimmer. Frau Giffey hat demnach nur noch die Wahl zwischen Karrieregeilheit und politischem Märtyrertod. Auch nett, dass er gleich noch einen möglichen Nachfolger ins Gespräch bringt. Hat er eigentlich auch schon mal einem SPD-Mann Karrieregeilheit unterstellt? Übrigens: Dass er in seinem launischen Einlass nebenbei auch die Linke als SED 2.0 bezeichnet, hat Dich offenbar nicht groß gestört? Finde ich ja echt witzig, dass gerade Du einen Artikel mit so einem Zitat verlinkst.


    BTT: Ich weiß ehrlich gesagt selbst nicht einmal, ob ich Frau Giffey sympathisch finden soll. Und ich weiß natürlich auch nicht, wie sie intern auftritt. Zumindest habe ich öffentlich aber nichts von ihr vernommen, was so ein ekliges Verhalten erklären und legitimieren würde. Fast hat man den Eindruck, die Berliner SPD sei einfach noch nicht reif für starke Frauen (ähnlich wie damals die Bundes-CDU). Das hätte man sich dann aber auch früher überlegen müssen.

  • Egal welche Regierung jetzt kommt, diese startet unter denkbar schlechten Voraussetzungen.

    Frau Giffey wäre bei einem Linksbündnis schon beschädigt, da sie ziemlich deutlich andere Präferenzen erkennen hat lassen.

    Die Koalitionsverhandlungen werden bestimmt noch komplizierter als im Bund.

    Im Artikel der Berliner Zeitung wurde die schwierige Sachlage gut beschrieben. Die Funktionäre der Kreisverbände sind eher gegen die Ampel, da sind viele Chefs von Müller noch gefördert worden. Dagegen sähe es bei einem Mitgliederentscheid womöglich anders aus, die viel mehr Sympathien für Frau Giffey haben und die Fraktion hat Saleh mehr oder weniger im Griff

    Und dass jetzt die Jusos und Herr Kühnert keine Ampel wollen, ist doch nicht einmal die Meldung wert, so klar wie das ist.

    Das wird dann keine Liebesheirat wie vor fünf Jahren, sondern eher ne Zwangsheirat lol