Umbau Bahnhof Ostkreuz (realisiert)

  • Lüttich hat keine 200.000 Einwohner und man muss keinen all zu großen Zirkel um das Ostkreuz ziehen, um auf diese Einwohnerzahl zu kommen, die sozusagen das Ostkreuz als ihren Hbf nutzt. Von der überragenden Rolle als Knotenpunkt mal ganz abgesehen.


    ruhrbaron
    Ähnlich war es doch auch mal in Berlin. Im Verkehrsbereich hatte Berlin einen ganz spezifischen Geschmack in der Außengestaltung aber auch der "Innenarchitektur" der eingehausten oder unterirdischen Stationen entwickelt. Und dabei mit einfachsten Mitteln gearbeitet. So wurden einfach Stützen, die man eh brauchte, in eine etwas kreativere Form gebracht, siehe Hartungsche Säule. Das brachte ja keinerlei nennenswerten Mehrkosten, aber man muss sich überhaupt erst einmal dafür interessieren. Das schiere Interesse daran, wie unsere Altagsräume dann aussehen und wirken, fehlt doch schon. Nur Funktion, Funktion, Funktion.

  • wo eher früher als später zu Vandalismus kommen wird


    Gerade Vandalismus ist IMO ein Argument für eine hochwertige Gestaltung. Vandalismus tritt vor allem dort gehäuft auf, wo die Umgebung funktional und abweisend wirkt. Mit einer solchen Umgebung identifiziert sich keiner und für sie übernimmt auch keiner Verantwortung. Man spart auch kein Geld, wenn man ein billiges Teil häufig ersetzen muss.

  • ^das ist keine Mutmaßung sondern gesicherter, seit Jahren stets neu bestätigter Stand der Sozialforschung. Stichworte wie "Broken Windows Theory" sind ja auch schon Populärwissen. "Häßlichkeit macht häßlich" ist ein Fazit aus den Beobachtungen des funktionalen Städtebaus und dessen Folgen auf den Menschen und Alltagsverhalten. Bis hin zu gesicherten empirischen Erkenntnissen, dass triste Gestaltung der Alltagsumgebung zB in "Industriestädten" statistisch signifikant Depression und Stress bei Menschen triggert, die dazu Anlagen haben bzw. umgekehrt ein Umfeldwechsel Menschen mit Depression vielfach mehr geholfen hat, als symptomatische Medikamentierung - Industriedesign, welches den Weg von der Werkbank inzwischen bis in Wohnstuben findet, macht regelrecht krank!


    Es kann sich ja mal jeder selbst fragen, welcher Gedanke ihm spontan eher ein Lächeln aufs Gesicht zaubert, in einem Straßencafe auf dem Alexanderplatz mit einem lieben Menschen sitzen und quatschen oder in einem Straßencafe auf einer italienischen Altstadtpiazza. Wer lächelt vandaliert nicht, auch nicht Leute die vielleicht dazu neigen mögen. Welcher Hbf wirklich eindrucksvoller ist, der neue in Berlin oder der alte in Frankfurt. Was einen beeindruckt, das respektiert man. Welche Hochschulgebäude man eher "altehrwürdig" findet, jene Bildungspaläste aus dem 19. Jh oder einen "zeitgemäßen" Glasflachbau. Altehrwürdiges behandelt man behutsam. Und so weiter und so fort. Für mich ist die ganze zeitgenössische Architektur eine einzige Neuinterpretation der alten Erzählung "Des Kaisers neue Kleider" und eine Rückentwickung. Und die Architekten, die ich persönlich in meinem Umfeld kenne, leben allesamt in Gartenstädten und verstuckten Altbauwohnungen, auch die jungen. Nicht in Bauwerken, die sie beruflich mit dem kognitiven Blick des entsprechend geschulten Fachmannes anpreisen - dem Herz braucht man nichts anpreisen, "wohlfühlen" kann man nicht erklären, sondern es ist vorhanden oder auch nicht. Ich habe beispielsweise bei meinem letzten Umstieg in Frankfurt bewusst die Verbindung so gebucht, dass ich einen Zug auslasse und so mehr Zeit habe, mir das Bahnhofsgebäude mal ganz und gar anzuschauen. Ein Augenschmaus und die Sanierungen, die zB endlich die dunklen Notdächer aus der Kriegszeit wieder durch Glaseindeckung ersetzten, schälen auch wieder das hervor, was solchen Bauwerken den Beinamen "Verkehrskathedralen" eingebracht hat. Und was bauen wir heute, eine "S-Bahnstation". Spricht für sich.


    Wie normal das schon für uns ist zeigen auch die Reaktionen hier im Forum. Die lautstark kritisierte Fassadensanierung der Charite ist zB eindeutig eine Aufwertung zur vorherigen Fassade und auch eindeutig von Gestaltungswillen getragen, so knapp die Budgets auch sein mögen. Aber bei den Bauten, die unseren Alltag und Stadtbilder im Zweifel noch viel mehr prägen, das was wir auf Körper- und Augenhöhe überall ums uns herum haben wenn wir uns im öffentlichen Raum bewegen, das wird vollkommen ignoriert. Im Zweifel prägt nicht der Solitär Stadtbild und Lebensgefühl, sondern die Stadtmöblierung, die Straßenlaternen, liebevolle Bepflanzungen mit auch mal mehr als einfach nur Bäume mit zertretenem Rasen darunter, die Bodenbeläge, die Sitzgelegenheiten,...als das gestaltet das öffentliche Leben. In unseren eigenen vier Wänden ist uns das auch voll bewusst, wir verwenden viel Geld und Zeit für die Inneneinrichtung. Nur jenseits der Wohnungstür ist das Interesse dafür bei 0. Kein Wunder, dass sich die Leute nicht mit "ihrer Stadt" identifizieren, der eine seinen halb gegessenen Döner auf den Boden knallt und der Passant nebendran sich auch nicht daran stört, solang er nicht reintritt. Ich zähle meine gesamte Umgebung zu meinem Zuhause, nicht nur die Räumlichkeiten, für die ich Miete zahle. Aber damit gehöre ich wohl zu einer exotischen Minderheit.


    Und es komme mir keiner mit den Kosten. Wir schlafen daheim auch nicht auf einer Pritsche, in einem multifunktionalen Raum a lá Gefängniszelle. Auch wenns am billigsten wäre.

    12 Mal editiert, zuletzt von Eisber ()

  • Mit einer solchen Umgebung identifiziert sich keiner und für sie übernimmt auch keiner Verantwortung.


    Ich denke, dass ist ein generelles Problem bei Neubauten im Verkehrsbereich - egal wie hoch die Kosten dabei sein mögen. Deshalb denke ich, dass ein Neubau ohne viele Verschnörkelungen und in einfachster Bauweise für das Ostkreuz am besten geeignet ist. Ausbesserungen sollten da einfach günstiger sein.


    Die "Broken Windows Theory" funktioniert in besser, wie auch in schlechter situierten Gegenden. Kann man an Verkehrsbauten gerade in Berlin sehr gut beobachten.

  • ^ich habe durchaus den Eindruck, dass zB in U-Bahnhöfen mit gewissem Flair wie Rathaus Schöneberg signifikant weniger Vandalismus und Vermüllung stattfindet, als bei Bahnhöfen wie Turmstraße (ich habe bewusst keinen wie Kottbusser Tor genannt, wo man es noch auf Frequentierung durch Partyklientel usw. schieben könnte, Alt-Moabit wie zB beim Bahnhof Turmstraße ist jetzt nicht gerade eine schwierige Gegend). Mir ist was ähnliches übrigens selbst bei den Fahrzeugen aufgefallen, in den etwas gefälligeren Zügen der Baureihe H wird meinem Eindruck nach weniger vandaliert, als in denen der Baureihe F. Mag auch daran liegen, dass die neue Baureihe durchgehend begehbare Züge und andere Bestuhlung hat, so dass weitaus weniger "unbeobachtete Ecken" vorhanden sind, aber auch das ist ja letztlich Teil von Gestaltung.

  • ...der "am meisten frequentierte Nahverkehrs-Umsteigebahnhof in Berlin" mit wesentlich mehr Passagieren als beispielsweise das Südkreuz, vermute ich.


    Das sind die Besucher-Zahlen aus diversen Quellen, darunter die Zahlen der Kategorie 1 und Kategorie 2 der Deutschen Bahn, jeweils in Kilo pro Tag, wobei strittig ist, ob dies nur die "Bahn-Zahlen", als DB und S-Bahn sind (Friedrich, Alexanderplatz, Zoo und Warschauer wg. U-Bahn/en nach oben). Unstrittig ist, dass Ostkreuz mit den Knoten Gesundbrunnen und Südkreuz (bisher) auf Augenhöhe liegt. Zum Vergleich - Dortmund Hbf hat 130. Ostkreuz als "meistfrequentierter Nahverkehrs-Umsteigebahnhof" stimmt sogar, wenn man nur die S-Bahnen exklusive Regionalverkehr nimmt. In Anbetracht der fehlenden U-Bahn-Zahlen allerdings sehr verzerrt.


    Hauptbahnhof 300 - ICE, Fern/Regio und S, bald U
    Friedrichstraße 200 plus - Fern/Regio, S und U
    Alexanderplatz 150 plus - Fern/Regio, S und U
    Gesundbrunnen 105 - Fern/Regio, S und U
    Ostbahnhof 100 - ICE, Fern/Regio und S
    Ostkreuz 100 - S, bald Regio
    Zoo 100 (alt 150) plus - Fern/Regio, S und U
    Südkreuz 90 - ICE, Fern/Regio und S
    Warschauer Straße 80 (mit mediaspree o2 world 100) plus - S und U


    @Eisber: Könnte das vielleicht am sozialen Umfeld der Bahnhöfe und weniger an deren Architektur liegen... ich mein Schöneberg vs. Turmstraße....

    Einmal editiert, zuletzt von libero ()


  • ruhrbaron
    .... Das brachte ja keinerlei nennenswerten Mehrkosten, aber man muss sich überhaupt erst einmal dafür interessieren. Das schiere Interesse daran, wie unsere Altagsräume dann aussehen und wirken, fehlt doch schon. Nur Funktion, Funktion, Funktion.


    Stimme ich dir voll zu. Man kann auch in Massenfertigung trotzdem gestalterisch bauen.


    Vielleicht off topic und falsche Stadt , aber beschreiben tut das, wie mit geschickter Kombination damaliger DDR Plattensysteme versucht wurde die Flächen in der Cottbuser Altstadt zuschließen. Wirklich interessantes Video.


    https://www.youtube.com/watch?v=NNfcvHsT1dw


    Wie du sagtest: Interesse ist entscheidend.
    Die DDR Architekten haben mit sehr viel Interesse alles aus ihren Mitteln herausgeholt.
    Da fragt man sich wie, einfach hochwertig und lebenswert Stadtraum mit heutigen Mitteln als "Massenware" realisierbar ist.


    (falls fehl am Platz oder Thema, verschieben... aber passt zu der Diskussion über langweiliges modernes Bauen bezüglich Bahnhöfe)

  • Hallo,


    auch wenn die Eröffnung der neuen Straßenbahnstrecke zum Hauptbahnhof in diesen Tagen für viele vermutlich spannender ist, habe ich dennoch ein umfangreiches Update für die Großbaustelle zwischen Rummelsburg und Ostbahnhof mit insgesamt 38 Bildern angefertigt. Zu lesen und betrachten in meinem aktuellen Artikel im Ostkreuzblog.


  • Hallo,


    ich war gestern am Ostkreuz und habe mir den Einschub der Brücke für die Verbindungskurve angesehen.
    Zentimeter für Zentimeter wird sie per Hydraulik geschoben.
    Seit gestern Abend liegt sie mit dem Westende auf dem Pfeiler vor den Fernbahngleisen auf.
    Es müssen nun noch die letzten Pfeiler aufgebaut und weitere Brückenteile angebaut werden bevor die Brücke weiter gen Westen verschoben werden kann.


    Bilder und einen Artikel dazu gibt es im Ostkreuzblog


  • Eine Frage an die Bauingenieure hier.
    Sind Brückenkonstruktionen aus Stahl wie in diesem Bild standhafter als Stahlbetonkonstruktionen?
    Die Frage zielt in Richtung Instandhaltung und Witterungsbeständigkeit.
    Man hört ja die letzten Jahrer häufiger, dass viele Auto- und Eisenbahnbrücken aus Stahlbeton marode seien und erneuert werden müssen.
    Sind reine Stahlbrücken da zäher?

  • Stahlbrücken bedürfen ebenso wie Betonbrücken der Unterhaltung. Die Langlebigkeit wird durch Exemplare wie die Golden Gate bewiesen. Auch Botonbrücken aus Stahlbeton können +50 Jahre genutzt werden, Instandhaltung vorausgesetzt. Die Entscheidung für Stahl oder Stahlbeton wird aber hinsichtlich der Unterhaltung meist nur nachgeordnet getroffen. Entscheidender sind Herstellungskosten und technische Rahmenbedingungen. Stahlbrücken sind leichter, damit fürs Verschieben wie am Ostkreuz deutlich besser geeignet, dafür vereisen sie aber beispielsweise schneller, was vor allem bei Strassenbrücken nicht gewünscht ist.

  • Sbahnhof Warschauer

    geht langsam voran...


    gefühlt schon lange selber baustand...



    weiss jemand was auf dem riesengelände abseits der sbahn und regiobahngleise gebaut wird? hier ist noch genug platz bis zum basf gelände...


  • @ Ostkreuzblog :


    Danke für die eindrucksvollen Aufnahmen.


    Es enstehen nun auch soviele neue Flächen, auf denen sich die Szene der kriminellen Berliner Schmierfinken so richtig schön austoben kann.

  • Ich habe einen aktuellen Überblick über das baugeschehen in einem neuen Artikel im Ostkreuzblog zusammengefasst.


    Am kommenden Wochenende steht ein Totalsperrung der Fernbahngleise an. Ich vermute die neuen Fernbahngleise im Abschnitt Warschauer Straße Ostkreuz werden in Betrieb genommen.