Die künftige Last der/s modernen Architektur/Städtebaus?

  • Nein, bestimmt ist es nicht Zeit für klassische Formen.
    Das Ist auch nur Ideologie.


    Bauen wird sich in den nächsten Jahren massiv am Faktor Umwelt orientieren müssen, ob dazu Stuck oder Mamor gehört, bezweifele ich stark.

  • ^Immerhin werden derart ausgestattete Bauten heute noch genutzt (so sie denn Krieg und Abrisse überlebt haben). Im Gegensatz zu einigen der modernen Bauten auch hier im Strang. In puncto Nachhaltigkeit doch nicht soo schlecht. Ich denke, dass aus dem von dir genannten Grunde Architektur zeitloser werden muss. Der Fokus von Nachhaltigkeit auf technische Lösungen greift zu kurz. Deshalb sollte der Architekt als Künstler wieder mehr in Erscheinung treten, sonst besteht die Zunft bald nur noch aus glorifizierten Bauingenieuren (liebe Bauings, ich meine das nicht abwertend).

  • ... ich auch nicht. schliesslich war das Bauhaus und ist es wieder, eine Hochschule für Gestaltung.

    Man muss schon sehr aufpassen was hier alles für Fantasmen unters Volk gestreut werden. unglaublich.

  • Aber tatsache ist doch, dass der Lebensraum Stadt komplett rationalisiert wurde und dies vor 100 Jahren und den tausenden Jahren davor eben nicht so war.

    "Schmucklos und funktionell" hat man früher nur für den Pöbel gebaut. Der Pöbel stieg zur bürgerlichen Mitte auf. Die bürgerliche Mitte kopierte anschließend die Krone (siehe), um sie später wieder ächten zu können (u.a. Bauhaus). Das politische Grundrauschen in den Gesellschaften hat den größten Anteil an den Veränderungen der Architektur. Die ökonomische Rationalisierung hat ihren Teil beigetragen, aber es ist auch ein kultureller Wandel eingetreten, der die eigenen vier Wände in ihrer Bedeutung für die eigene Biographie entmystifiziert hat und denke ich der moderne Arbeitswelt und damit einhergehend der gestiegenen Mobilität zugrunde liegt. Wir kaufen Eier aus Freilandhaltung, befreien Hühner aus Legebatterien, -haben aber kein Problem damit in nummerierten Wohnblöcken zu leben, in denen sich Wohnungen, Türen, Fenster, Klingelschilder und Hausfassaden gleichen, wie ein Brutkasten dem anderen. Warum? Weil unsere Wände schmucklos sein dürfen. Weil unser Inneres nicht mehr an ihnen reflektiert. Weil unser Inneres heute digital stattfindet. Das Smartphone ist das Atrium des modernen Menschen.


    An dem Holzhaus mit Giebeldach aus Ziegeln, in dem meine Oma gelebt hat steht in altdeutscher Schrift: "Was du geerbt hast, erwerbe, um es zu besitzen". Mir ist der Spruch als Kind nie aufgefallen, wahrscheinlich weil er teilweise von Efeu überdeckt war, welches vor einigen Jahren erst entfernt wurde, aber hier spiegelt es sich noch, das alte Denken, das Gebäude mit der eigenen Biographie in Verbindung bringt und einen emotionalen Bezug herstellt. Erinnert sich noch jemand an die alten Berliner Straßenbrunnen? Ich habe diese Brunnen geliebt als Kind. Ich denke heute noch manchmal an diese Brunnen. Ich frage mich, ob sich Kinder in ein paar Jahrzehnten noch liebevoll an sowas erinnern.

    Diese Form von Pathos ist verloren gegangen. In der modernen Architekturwelt wird (fast) nur noch Logos angeboten und daran kann man sich nicht wärmen. Welcher Teil von mir soll sich in glatten, weißen Putzwänden spiegeln? Welche Erinnerung aus meiner Kindheit soll empor schießen können bei dem Anblick massengefertigter Vorhängefassaden?

    Die Rationalisierung der Architektur ist gleichzeitig ihre Entemotionalisierung und in der Konsequenz ihre Entmenschlichung, weil sich kein Ausdruck mehr darin finden lässt, der mit unseren Träumen, Wünschen, Ängsten und Hoffnungen korrespondiert. Das ist aber alles keine Ursache von Bauhaus. Bauhaus ist nur ein Ausdruck dieser Entwicklung.

  • Wir kaufen Eier aus Freilandhaltung, befreien Hühner aus Legebatterien, -haben aber kein Problem damit in nummerierten Wohnblöcken zu leben, in denen sich Wohnungen, Türen, Fenster, Klingelschilder und Hausfassaden gleichen, wie ein Brutkasten dem anderen.

    Völlig daneben.

  • Lieber Berlinier kleiner Zusatz von mir zu Deinen Ausführungen.

    Der (leider) fortschreitende Neubau von Blauraum auf der Fischerinsel (die WBM zahlt sogar Geld für sowas) zeigt das völlige Desaster aktueller Architektur auf. Einziges Gestaltungsmerkal sind bunte Streifen an den Fensterflächen.

    Das ist für mich doch eine Sinnkrise der Architektur (früher auch mal Baukunst) und der bisher Verantwortlichen. Hier tut jemand wie Frau Kahlfeldt Not und ich hege in sie doch die Hoffnung, dass diese Verplattung von Architektur zumindest wieder bemerkt und im besten Falle gewandelt wird.

  • Zitat von Berlinier


    Wir kaufen Eier aus Freilandhaltung, befreien Hühner aus Legebatterien, -haben aber kein Problem damit in nummerierten Wohnblöcken zu leben, in denen sich Wohnungen, Türen, Fenster, Klingelschilder und Hausfassaden gleichen, wie ein Brutkasten dem anderen


    Völlig daneben.

    Wieso völlig daneben? Seit es die von Berlinier angesprochenen Formen von Massenunterkünften gibt, kursieren Begriffe wie Wohnsilos, Karnickelbuchten etc. für viele zurecht, weil sie eine technokratische Unterbringung ohne individualität vorsehen, oft auch in anonymisierten Riesenriegeln, an denen man die Eingänge zählen muss, um zur richtigen Haustür zu finden. Zwar ist man von gigantischen Blöcken der Siebziger abgekommen, aber der Verlust von Individualität im großen Brei der immerselben Form hat etwas Beängstigendes. Warum sonst werden viele von uns hier in diesem Forum in so mancher Gegend von Berlin denken: Hier möchte ich nicht tot überm Zaun hängen? Und wenn ich mir vorstelle, in so einen neuen WBM-Horrokasten an der ekelhaft lauten Stadtautobahn namens Gertraudenstraße gepackt zu werden, dann denke ich wie von Berlinier beschrieben: Das wünsche ich als Biokäufer keinem Huhn.

  • Mit "Daneben" ist wohl eher der direkte und (augenscheinlich) ernstgemeinte Vergleich gemeint – Legebatterien und Massenschweinehaltung ist auf Menschen bezogen eher sowas wie Gulag als z.B. Gropiusstadt.

  • Hier spiegelt es sich noch, das alte Denken, das Gebäude mit der eigenen Biographie in Verbindung bringt und einen emotionalen Bezug herstellt. Erinnert sich noch jemand an die alten Berliner Straßenbrunnen? ... In der modernen Architekturwelt wird (fast) nur noch Logos angeboten und daran kann man sich nicht wärmen.

    In den Altstadtwohnungen konnte man sich früher auch nicht wärmen – nicht wegen Logos, sondern wegen der elenden Verhältnisse. Ich verstehe, worauf Du hinaus willst, und ich teile einiges davon. Habe eine ähnlich romantische Ader: Ich lasse gerade ein altes Tischchen von reinem Trödel-Wert für teuer Geld restaurieren, weil ich es mit meiner Kindheit verbinde. Und in meiner Küche hängt eine mechanische Wanduhr aus den 20ern, wie es sie bei Ebay für 40 Euro gibt. Habe 200 Euro investiert, damit sie wieder läuft, weil sie mir wichtig ist.


    Aber was Du hier machst, ist Vergangenheits-Verklärung. Raunende Heideggerei über die "Seins-Vergessenheit" heutiger Architektur. "Die eigenen vier Wände" waren bis vor wenigen Jahrzehnten kein Massenphänomen, sondern etwas für Minderheiten – während das Gros der Leute in winzigen, verschimmelten Wohnungen ohne Strom, Heizung und fließend Wasser hauste. Zilles Milieu: Was war das romantisch, sein Wasser von den Straßenbrunnen zapfen zu dürfen, die Du in Deiner Kindheit so geliebt hast (und die vollen Blech-Eimer danach in den 3. Hinterhof, 4. Stock zu tragen). Sehr identitätsstiftend. Leider tödlich mit im Schnitt 50, 60 Jahren.

    Weil unser Inneres nicht mehr an ihnen reflektiert. Weil unser Inneres heute digital stattfindet. Das Smartphone ist das Atrium des modernen Menschen.

    Das ist Unfug. Der Höhepunkt der nummerierten Wohnblöcke war 40 Jahre vor Erfindung des Smartphones erreicht. Und Atrien waren immer eine Angelegenheit für die oberen Zehntausend. Schon im alten Rom. Aber Hauptsache, es klingt tiefsinnig.


    Auch ich bin unglücklich mit der zeitgenössischen Architektur – vom klassischen Einfamilienhaus (mit Schrägdach) über die Pseudo-Bauhausvariante (dasselbe in grün, nur ohne Schrägdach) und die Wohnblock-Neubauten aller Preisklassen bis zur Büro-Architektur mit Rasterfassade. Ich kann mit einer Rückkehr zu klassischen Gestaltungselementen einiges anfangen und würde mir einen Nöfer für Normalverdiener zumindest als Angebot wünschen.


    Aber ich würde das Problem eher nüchtern in den gestiegenen technischen Möglichkeiten suchen, die das industrielle Bauen ermöglichen und handwerkliche Arbeit gerade dadurch unbezahlbar machen. Dass der Styroporklotz mit Plastikfenstern das efeuumrankte Backsteinhäuschen mit Giebeldach und Holzfacettentür ersetzt, liegt an den Möglichkeiten der Massenfertigung, an der Konkurrenz am Markt, den Gesetzen der Preisbildung und am Baurecht mit seinen – nicht ohne Grund – immer komplizierteren Sicherheits- und Umweltauflagen. Bei der Raster-Büroarchitektur kommt der Anspruch flexibler Grundrisse hinzu, der die Außengestaltung zur Gleichförmigkeit verdammt.


    Alles kritikabel, alles nicht schön. Aber mit Re-Mystifizierung kommt man der entzauberten Welt nicht bei, ohne gefährlich nah ans Reaktionäre zu geraten.

  • ^Nun ja, bei Tieren spricht man von artgerechtem Leben. Beim Menschen aber erscheint es genauso legitim zu hinterfragen, ob technokratische, aufs funktional Wesentlichste Einheitsunterbringungen dem Wesen des Menschen gerecht werden und ihm eine würdige und lebenswerte Existenz ermöglichen. Bei den tristen Einheitsmietskasernen des Kaiserreichs ist man sich einig, dass sie nicht menschenwürdig waren, und bei anonymen Unterkünften der Moderne, die oft ab Tag 1 zu Brennpunkten für soziale Probleme wurden und werden, wird plötzlich Wortklauberei betrieben.

  • Ich finde den Vergleich auch völlig daneben. In den Legebatterien befinden sich die Hühner unfreiwillig, in Hochhäuser z.B. in der Gropiusstadt ziehen die Menschen in der Regel freiwillig ein. Die Legebatterien können die Hühner nicht verlassen, die Hochhäuser schon. In der Legebatterie hat ein Huhn eine Fläche von 550 Quadratzentimeter zur Verfügung, in der Hochhauswohnung hat der Mensch viel mehr Platz. Zudem ist die Wohnzufriedenheit in vielen Hochhäusern ziemlich hoch.

    Natürlich möchte nicht jeder im Hochhaus wohnen. Aber der Respekt und die Toleranz sollten doch soweit gehen, die unterschiedlichen Bedürfnisse zu akzeptieren.

  • Bei den tristen Einheitsmietskasernen des Kaiserreichs ist man sich einig, dass sie nicht menschenwürdig waren, und bei anonymen Unterkünften der Moderne, die oft ab Tag 1 zu Brennpunkten für soziale Probleme wurden und werden, wird plötzlich Wortklauberei betrieben.

    Kommt halt auf den Kontext an. Der war in diesem Falle: Früher habe der Mensch das Eigenheim geachtet (mit Efeu und altdeutscher Weisheit an der Wand), heute gäbe er sich – digital degeneriert – mit Schlimmerem als Hühnerställen (gar ohne Atrium!) zufrieden. Das ist Unfug, und darauf bezieht sich meine Kritik. In anderem Kontext hätte ich am Wohnungsbau der 60er- und 70er-Jahre einiges auszusetzen.


    Nebenbei gibt es auch hier Foristen, die ihre Wohnung in Gropiusstadt sehr schätzen und sich dort wohlfühlen. Vielleicht kann sich Berlinier ja mit denen mal über die Frage austauschen, ob sie sich freiwillig in eine Legebatterie begeben hätten. (Wobei dieser elitäre Aspekt an Berliniers Beitrag in meiner Kritik nicht der zentrale ist.)

  • Aber was Du hier machst, ist Vergangenheits-Verklärung. Raunende Heideggerei über die "Seins-Vergessenheit" heutiger Architektur.

    Nein. Ich habe den Versuch unternommen diese Gegensätze herauszuarbeiten und metaphorisch darzustellen. Die Kritik zielt darauf ab, auf einen Wunsch nach "revitionistischer Nostalgik" zu reduzieren. Um das zu erreichen, "entführst" du meine Aussagen auf einen rhetorischen Nebenschauplatz, den du nach deinen Regeln vorbereitest und mit moralistischen whataboutismen anreicherst, um meinen Inhalt unter der Wirkmacht deiner Sprachbilder relativistisch dekonstruieren zu können, siehe:

    "Die eigenen vier Wände" waren bis vor wenigen Jahrzehnten kein Massenphänomen, sondern etwas für Minderheiten – während das Gros der Leute in winzigen, verschimmelten Wohnungen ohne Strom, Heizung und fließend Wasser hauste. [..]Was war das romantisch, sein Wasser von den Straßenbrunnen zapfen zu dürfen, die Du in Deiner Kindheit so geliebt hast (und die vollen Blech-Eimer danach in den 3. Hinterhof, 4. Stock zu tragen). Sehr identitätsstiftend. Leider tödlich mit im Schnitt 50, 60 Jahren.

    So als wüsste ich nicht, dass es früher härter war. So als würde es mir darum gehen die Wasserversorgung zu entmodernisieren oder das bäuerliche Leben auf dem geerbten Familiengut wieder zum gesellschaftlichen Standart machen zu wollen. Es geht auch nicht um die Bedeutung des Spruchs an dem Haus oder das Giebeldach, sondern darum, dass da überhaupt etwas dran steht, das mal jemand wichtig genug fand, um es an der Fassade zu verewigen und jemand anderes wichtig genug fand, um es zu erinnern. Es geht darum, dass ich an dem Gebäude selbst etwas erleben kann, so wie ich an dem alten Drachenbrunnen etwas erleben kann, das über die Funktion hinaus geht. Wenn ich ein Plädoyer abgebe, dann dafür Gebäuden wieder Mermale zu verpassen, die mit dem Leben korrespondieren. Das muss und soll kein altmodischer Spruch sein, sondern kann z.B. auch eine Uhr darstellen,- Gebäude, die keine Lebensräume und Sichtachsen verstellen, sondern selbst neue herstellen,-oder prinzipiell auch, vermutlich mehr nach deinem Gusto, Reliefe oder Wandmalerei. Im Prinzip zählen auch Gedenktafeln oder die Stolpersteine dazu, weil sie erlebbare Bezüge an Gebäuden herstellen, die sich im Alltag manifestieren und nicht erst durch aktiven Besuch einer Stätte Wirkung entfalten, auch wenn ich die Ausführung als Tretsteine unglücklich finde. Nichts davon ist "revitionistische Nostalgik", sondern trägt zur lebendigen, erlebbaren Stadt bei.

    Das ist Unfug. Der Höhepunkt der nummerierten Wohnblöcke war 40 Jahre vor Erfindung des Smartphones erreicht. Und Atrien waren immer eine Angelegenheit für die oberen Zehntausend. Schon im alten Rom. Aber Hauptsache, es klingt tiefsinnig.

    Ich habe nicht behauptet, das Smartphone wäre verantwortlich für "architektonische-Tristesse", sondern dass uns "architektonische-Tristesse" durch das Smartphone weniger juckt, weil sich der Erlebenshorizont mehr ins Digitale verlagert. Stichwort: "Schmucklose Miniappartments mit Breitbandverbindung für virtuell verheiratete Junggesellen". Stichwort: "Sterbende Ladenzeilen wegen Versandhandel". Wenn der digitale Raum interessanter wird, muss der Stadtraum ebenfalls interessanter werden. Wenn das in der Konsequenz bedeutet, dass der Stadtraum u.U. auch "schriller, bunter, greller, effektvoller oder höher" werden muss, um erlebbarer zu werden, dann kommen wir mit Putz&Lochrasterfassaden und dem "großformatig-kubisch-industriellen" Stadtraumverständnis einer Lüscher, a la -der Stadtraum als Burgmauer mit Zinnen oder die Brücke als betonierter Traglastaufnehmer nicht weiter.

    Was die Atrien angeht, lässt du außer Acht, dass das Atrium nicht nur ein "Prestigegarten der Reichen" war, sondern der Mittelpunkt des sozialen Lebens. Eine art "sozialer Marktplatz der Familie" an dem Gäste und Bedienstete empfangen und umsorgt wurden, gespeist wurde, sowie der allgemeine Klatsch&Tratsch abgehalten wurde. Unter der Prämisse, dass Teile des/dieses sozialen Lebens ins Digitale überwandern, ist diese Analogie zum Smartphone treffend. Zuckerberg sprach selbst von einem digitalen Atrium im Zusammenhang mit dem konfigurierbaren "home room" im virtuellen Meta. Das ist weder im speziellen "tiefsinnig", noch blanker "Unfug".

    Du unterstellst mir Eindimensionalität und pickst dir aus Triggerbegriffen wie "Mystik" und "Altdeutsch" deine Vor-Wertung auf der Heidegger-Skala zurecht, um meine Worte auf deinem rhetorischen Spielfeld zu durchleuchten und dich darin zu sonnen, einen "Vergangenheits-Verklärer" entlarvt zu haben. Dir selbst gestehst du aber vorher noch großzügig zu eine "klassisch-romantische Ader" zu besitzen und für den "einfachen Nöfer" einzutreten, um prophylaktisch eine "Reko-Willi-Grenze" eingezogen zu haben, die du noch gefahrlos tangiert haben darfst, bevor ich rhetorisch drüber gezogen werde. :daumen:

  • Mal ein Zwischenruf aus dem Off - hört doch bitte auf, von einem nicht vorhandenen "Bauhaus-Stil" zu sprechen. Jeder, der auch nur im Ansatz etwas von der Materie versteht, wendet sich bei sowas dann gerne von der Debatte ab, weil sich offenbar Blinde über Farben zu unterhalten scheinen. Der Mythos, dass die Architektur ein bis 1919 ungebrochenes ästhetisches Kontinuum dargestellt hat, wurde ja dankenswerterweise bereits zerstört.

    Ansonsten empfehle ich jedem, der es nicht schon längst getan hat, sich über die unglaubliche Vielfalt und den hohen Gestaltungswillen und handwerklichen Anspruch in der Architektur insbesondere der frühen Moderne (und nicht nur des "Bauhaus'", welches sich als Schlagwort so schön nutzen lässt) zu informieren. Nur dann lassen sich auch gesellschaftliche und historische Entwicklungen nachvollziehen, die zum auch von mir kritisierten Dilemma im Städtebau heute geführt haben.

  • Das verstehe ich nicht.

    "Bauhaus" ist einfach ein Synonym für Ornament- und Schmucklosigkeit - und das scheint ja ziemlich treffend zu sein, wenn ich mal "Bauhaus Architektur" oder auch "Bauhaus Tel Aviv" bei Google Bilder eingebe. Dann stoße ich da ganz oben auf solches:


    https://radius30.de/wp-content…/05/Bauhaus_640x426px.jpg


    https://www.lescouleurs.ch/fil…el-aviv-barak-brinker.jpg



    Und dass das viele Menschen "unschön", abweisend, langweilig, monoton, schmuddelig (diese schmutzigen Stellen, die sich nun mal ohne Gesims bilden -.- ), trostlos, usw. finden, ist doch nun auch mal irgendwo nachvollziehbar. Und das man "Bauhaus" als synonym dafür nimmt ist finde ich auch legitim. Man weiß halt sofort was gemeint ist: ornamentlose Architektur, und letzten Endes Architektur für den Architekten, nicht für die Menschen.


    Bauhaus ist wie ein Non-Narrative-Film ohne Spannungsbogen - interessant für ein paar wenige Arthouse-Fans (bzw. beim BH für ein paar Freunde experimenteller Architektur), aber unerträglich öde für den normalen, furchtbar spießigen Bürger.

  • Nein, bestimmt ist es nicht Zeit für klassische Formen.
    Das Ist auch nur Ideologie.


    Bauen wird sich in den nächsten Jahren massiv am Faktor Umwelt orientieren müssen, ob dazu Stuck oder Mamor gehört, bezweifele ich stark.

    Nachhaltigkeit gilt auch und gerade für Gestaltungsfragen. Wie in anderen Bereichen auch produzieren wir heutzutage auch bei der Architektur Wegwerfartikel. Ein nachhaltiges Haus aber muss auch in 50 Jahren noch schön und lebenswert sein. Heute bestimmen Preisdruck und kurzfristiges Denken die Trends auch bei der Architektur. Deshalb ist der Bauhaus-Stil auch so erfolgreich. Weil er durch Verzicht auf gestalterische Elemente so schön billig ist. Aber Billig-Architektur wird auch als billig wahrgenommen. Ich will dem Bauhaus nicht absprechen, dass es andere Intentionen hatte und auch eine Reaktion auf die Verhältnisse der Kaiserzeit waren, in denen "Mehr Schein als Sein" galt, auch wenn es schon immer ein elitäres Projekt war, dass sich bewusst von breiteren Schichten abgrenzen wollte, folglich auch nicht für zukünftige Bewohner, sondern für sich selbst entwarf.


    Aber heute haben wir andere Probleme. Zum Beispiel Städte, die einem auf emotionaler Ebene nichts mehr anzubieten haben. Das ist, wie wenn man statt durch einen Wald durch ein Feld aus Betonstelen geht. Wohl fühlt man sich dort nicht. Historische Architektur hatte tatsächlich viel Natürliches: eine Vielfalt aus Formen, Unregelmäßigkeiten, natürliche regionale Materialien. Sie fügt sich meist nahtlos in eine Landschaft ein. Sie ist nicht auf den ersten Blick zu fassen, man entdeckt immer wieder Neues. Man fühlt sich auch nicht so wie auf einem Präsentierteller, sondern kann sich in ihr verlieren (ersteres eine Eigenschaft übrigens auch vieler totalitaristischer Bauten, wie aus dem NS).


    Die gezeigten Beispiele kann man natürlich als überladenen Kitsch aus der Kaiserzeit bezeichnen, aber das ist kein Problem klassischer Architektur. Protzige, geschmacklose Architektur gibt es auch in modern.

  • Und ewig grüßt das Murmeltier...Ich habe das Forum lange nicht besucht aber kaum liest man mit, stößt man auf die perpetuelle Diskussion um Historismus vs. Moderne, mit dem ewig gleichen Kanon von u.a. UrbanFreak: Und mag Verzierung und Ornamentik noch so verschwurbelt historistisch eklektisch daherkommen sind sie in jedem Fall einer Architektur der klaren Linien, schlichten Formgebung und einer klaren Farbkomposition vorzuziehen. Ein Mondrian wäre hernach auch keinen Cent wert.

    Dass sich der hier dargestellte wilhelminische Prunk in den Hinterhäusern ganz schnell verflüchtigt und demgegenüber die Bauhaus Wohnanlagen und Gartenstädte eine Demokratisierung bzw. Sozialisierung des Wohnens ermöglichte und jedem Stadtbewohner einen Zugang zu Luft, Sonne und Grün ermöglichte wird unterschlagen.


    Leider hat in der Tat das sozialistische Einheitsgrau z.B. der Wohnstadt Carl Legien (gebaut von Bruno Taut) nicht gutgetan. Schaut man sich aber die Teile des Viertels an, die nach den Originalplänen saniert wurden und die ihre ursprüngliche Bauhaus Farbgebung zurück erhalten haben, findet man sehr wohnliche und behagliche, vor Allem menschliche Architektur vor....

  • ^ Die Gartenstadt Falkenberg, die du als positives Beispiel anführst, ist in der tat sehr schön, hat aber mit der hier kritisierten Bauhaus-Moderne auch noch nicht viel zu tun. Die Anmutung ist wie bei den meisten Gartenstädten schlicht, aber klassisch und zeigt, wie gute Architektur für die Massen aussehen kann.