Stadtgespräch Berlin / dies und das

  • tunnelklick:

    Bezüglich der Inhalte der DIN und der Verordnung hast du sicherlich recht. Es würde mich auch wundern, wenn es hier große Abweichungen gäbe. Im Kern geht es in beiden Dokumenten darum, die heutzutage geforderte Quantität an barrierefreien Wohnungen in angemessener Qualität umzusetzen. Über die dafür notwendigen Anforderungen besteht seit Langem Einigkeit.

    Beachtet werden muss jedoch (und darauf mache ich hier aufmerksam), dass die Bundesländer mithilfe der Verwaltungsvorschriften Technische Baubestimmungen frei entscheiden können, in welcher Form sie die allgemeinen Anforderungen an bauliche Anlagen und Bauprodukte konkretisieren.

    Und bei einer Typenbau-Genehmigung darf durchaus hinterfragt werden, ob diese die Anforderungen aller Länder bauordnungsrechtlich erfüllt.

    Dabei geht es mir nicht um den Inhalt der Rechtsgrundlagen, sondern um den Nachweis der jeweils bundeslandbezogen eingeführten Regel im Zuge eines Baugenehmigungsverfahrens.


    Ich mache es nochmal konkret für das Thema der Barrierefreiheit deutlich:

    Gemäß § 3 BauO Bln sind bauliche Anlagen so anzuordnen, zu errichten, zu ändern und instand zu halten, dass die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere Leben, Gesundheit und die natürlichen Lebensgrundlagen, nicht gefährdet werden. Dazu gehören u.a. die Nutzungssicherheit und die Barrierefreiheit, für deren Gewährleistung das Land Berlin die Barrierefreies Wohnen Verordnung bauordnungsrechtlich eingeführt hat.

    Die Berliner Bauverfahrensverordnung, die die einzureichenden Unterlagen für ein Bauantragsverfahren definiert, verlangt, dass in der Baubeschreibung die Maßnahmen des barrierefreien Bauens konkret zu beschreiben sind. Dafür gibt es ein spezielles Formular, das als Grundlage für diese Beschreibung genutzt werden kann und das auf die Verordnung verweist. Die barrierefreien Wohnungen müssen zudem in den Grundrissen kenntlich gemacht werden.


    Wird nun zum Beispiel ein fünfgeschossiger Typenbau in Hamburg genehmigt, wird dort die Barrierefreiheit nach Hamburger Bauordnung und deren VV TB nachgewiesen. Da in Hamburg die Hürden jedoch geringer sind als in Berlin und eine andere Technische Regel als Grundlage dient, bildet eine eventuell erteilte Baugenehmigung nicht die Anforderungen ab, die sie in Berlin erfüllen müsste. Somit könne dieser Typenbau in Berlin nicht gebaut werden, außer er würde hier unter Berliner Bedingungen in einem erneuten Antragsverfahren geprüft und genehmigt werden.


    Das ist zumindest mein Verständnis der Sachlage.


    Bousset:

    Ich hoffe, dass ich deinen Text richtig verstanden habe. Hier muss man ganz klar unterscheiden zwischen dem Bauordnungsrecht als öffentliches Recht und dem Zivilrecht. Der Berliner Bauordnungsbehörde gegenüber kann es keine Aushebelung der DIN geben, denn die DIN 18040-2 ist in Berlin nicht eingeführt. Andersherum kann man sich in keinem anderen Bundesland auf die Verordnung beziehen, da diese dort nicht eingeführt ist. Auch hier möchte ich nochmal erwähnen, dass es bezüglich der Typenbau-Genehmigung nicht um die Inhalte geht, sondern rein um den Nachweis der jeweiligen technischen Regel gegenüber der Behörde.

    Der Typenbau selbst müsste am Ende wohl einen sehr hohen Standard vorweisen, um die vielen unterschiedlichen Anforderungen in den einzelnen Bundesländern erfüllen zu können.

  • Demnach konnten die Forscher einen Zusammenhang zwischen beiden Faktoren nachweisen: Je dichter ein Bezirk besiedelt ist, umso höher ist die COVID-19-Inzidenz.

    Dafür führen die ernsthaft eine Studie durch?! Um herauszufinden, ob mehr Menschen auf gleichem Raum mehr Ansteckungsgefahr bedeuten?! :rolleyes:

  • ^ Bisschen weniger Ressentiment ginge vielleicht auch? Dass nicht-kommerzielle, nicht staatlich geförderte Kunst nur noch in solchen Gebäuden Platz findet, könnte man ja auch mal als Problem betrachten, statt die Akteure mit Hass und Verachtung zu überziehen (ähnlich: Rechenzentrum Potsdam). Ich bin gar nicht für den Erhalt des Gebäudes – ich halte es für wenig attraktive Dutzendware. Aber wenn ich sowas lese, bin ich geneigt, meine Meinung zu ändern. Platz für publikumsreiche Ketten-Gastro, Ketten-Boutiquen, Ketten-Entertainment und Touri-Shops gibt es in Berlin schon genug.


    Bezieht sich hierauf da in anderen Thread OT.

  • Das Ressentiment ging wenn überhaupt gegen die Architektur von der nun keine Erlösung zu Gunsten des Projektes erwartbar scheint. Hass kann ich keinen ausmachen.

    Die Theatertruppe hab ich lediglich als exclusiv bezeichnet. Ich gehe stark davon aus dass hier mindestens städtische finanzielle Beihilfen fließen - ansonsten sollte das Theaterprojekt spätestens mit dem für die Kultur verhängnisvollen Lockdown sowieso am Ende sein.


    Das man sich hier aufgrund der großzügigen räumlichen Möglichkeiten entfaltet hat ist absolut nachvollziehbar und mit Sicherheit die vornehmste Nachnutzung


    Äußerlichkeiten am Bau sind für kreative Arbeit im Innenbereich erst einmal nachrangig - nun wird jedoch ein ganzes Stadtviertel drumherumkomponiert.


    Ein Bau, der bisher völlig losgelöst von einem anspruchsvollen städtebaulichen Rahmen als reiner Zweck und Arbeitsraum existierte und in Maß und Gestalt sich weiterhin gegen jede gelungene Adoption durchs emporwachsende Quartier sträuben wird.

    Das ist für mein Verständnis unverhältnismäßig und es mutet absurd an an diesem Bau festzuhalten.


    Und ja auch ich bin kein Freund von, mit peinlich hässlichem Tinnef angefüllten Souvenirstationen und Kettenrundumvollversorgung - Ist aber hier auch sicher nicht angedacht.

  • Architektenkind: In diesem Fall ist die Kunst staatlich gefördert - und ein Spass für ganz ganz wenige Menschen. 180.000 Besucher im Jahr - das ist nicht viel. Nix für "Normalos". Im Gegenteil - die finden in Mitte immer weniger für sich. Solche Projekte sind sogar wichtige Gentrifizierungs-Treiber. Sie sorgen für Brot, Spiele und Girlanden für die Mitte-Privilegierten - egal ob Hipster oder Dritt-Wohnungsbesitzer. Das ist meines Erachtens nun mal das Wesen von Metropolen. Es sind gerade die "linken" / "progressiven" Projekte, die das bewirken was sie verhindern wollen. Die Belebung von Innenstädten wird ein wachendes Problem - das ist nichts Neues mehr. Ich halte es aber für schlauer, das mit einer Regulierung der Erdgeschosszonen zu erzielen - statt mit staatlicher Subvention von Einzelprojekten. Selbst die private Signa schlägt vor, dass Entwickler zukünftig 20% der Erdgeschosszonen umsonst oder ganz billig vergeben sollten. Das würde auch dem Klosterviertel gut tun. Dann müssten solche Initiativen auch nicht so krampfhaft am Status Quo festhalten - und helfen, Entwicklung zu verhindern.

  • Oranien


    Was sind das für verdrehte Zahlen und Argumente? Mit 180.000 Besuchern im Jahr - angeblich "nicht viel" - wäre der "Theaterdiscounter", wenn es denn irgendetwas mit der Realität zu tun hätte, eines der am stärksten frequentierten Theater-, Opern- oder Konzerthäuser der Stadt. Das "Gorki", die "Volksbühne" & das "Schlosspark Theater" haben unter 90.000 Besucher im Jahr, "Schaubühne" & "Berliner Ensemble" um die 130.000, selbst das "Konzerthaus" hat nur etwa 150.000. Der Theaterdiscounter nutzt nur ein Stockwerk in dem DDR-Bau und hat maximal 150 Sitzplätze. Besucher hat er etwa 6500 im Jahr.


    Was die Förderung angeht, so hat der TD meines Wissens 15 Jahre ohne jede Zuwendung überlebt und ist dann vor drei Jahren in die Konzeptförderung des Landes aufgenommen worden. Die verwendeten Mittel sind dabei überschaubar. Was diese Förderung oder die bloße Existenz eines freien Theaters in Mitte mit "Nix für Normalos" oder "Gentrifizierung" zu tun haben soll, bleibt zudem offen. Es sei denn, man zieht aus seiner Vulgärgentrizifierungstheorie den Schluss, dass man sich nun aber bitte vollständig dem Neoliberalismus hinzugeben und jeder um sein eigenes Überleben zu kämpfen habe. Und inwiefern bitte verhindern - wie Sie so schön despektierlich sagen - "solche Initiativen" die Entwicklung. Der TD ist Mieter einer Etage in dem Objekt und weder Eigentümer noch Investor. Und die Lage ist auch alles andere als dauerhaft stabil, was übrigens auch im Gutachten der Konzeptförderung bedacht wurde. Dort lautet es: "Die Immobiliensituation am Standort des Theaterdiscounters im Planungsgebiet Molkenmarkt in der Klosterstraße 44 in Berlin-Mitte ist, wie in anderen ähnlich gelagerten Fällen, angespannt (überteuerte Gewerbemiete) aber nicht hoffnungslos. Derzeit ist die Zukunft des Theaterdiscounters dort im Förderzeitraum 2020 bis 23 gesichert. Zugleich muss der Theaterdiscounter wie auch das 'Verlin' von Constanza Macras / Dorky Park in demselben Gebäude mit der Situation zurechtkommen, dass das Haus im Besitz privater Investoren ist und zum Stadtentwicklungsgebiet Molkenmarkt gehört."


    Theater-, Opern- & Konzerthäuser brauchen ebenso wie Museen und Bildungseinrichtungen Förderung, Festivals egal welcher Stilrichtung ob im Radialsystem für "Neue Musik" oder im Berghain während der "Club Transmediale" für elektronische Musik beziehen ebenso wie die Berliner Clubszene öffentliche Gelder. Die freie Theaterszene in Berlin ist sehr überschaubar, dabei aber von größter Bedeutung auch für die Schauspielschulen, Film- & Fernsehhochschulen. Im TD finden etwa die Abschlussproduktionen der Studierenden der Universität der Künste und der Ernst-Busch-Hochschule statt.

  • HarrySeidler: Du bestätigst damit meine Argumentation. Alle diese Institutionen sind für wenige Privilegierte. Die Nutzungszahlen sind im Verhältnis zur Stadt eine Hinterkomma-Stelle. Sie haben mit der Lebensrealität von 90% der Berliner nichts zu tun. Sie machen das Leben einer kleinen Minderheit für viel staatliches Geld noch angenehmer. Die Zahl, die ich zitierte, stammt von TD - als Anzahl der Menschen, die sie pro Jahr erreichen. Als Eigenangabe wird dieser Zahl in Wirklichkeit kaum grösser sein - eher kleiner. All die Zahlen, die auch Du nennst, sind winzig. Denn da stecken ja die "Afficionados" drin - mit Mehrfachbesuchen. Diese Sorte Kultursubventionen ist von Wenigen für Wenige. Da kann man machen. Ich mags das auch als Bereicherung meins Lebens. Man soll aber nicht so tun als wäre es "sozial".

  • ^ Streiche "Privilegierte", ersetze es durch "Interessierte" – dann können wir drüber reden. Eine Karte kostet im TD 15 Euro. Das ist wohl kaum der Oberschicht vorbehalten. Für mich sind solche Institutionen (ebenso wie Boulevard-Bühnen, Varietés, Ballsäle, Clubs oder Programmkinos) kleine Stücke im großen Puzzle, das sich Vielfalt der Hauptstadtkultur nennt. Wenn Du mit dem Argument der Masse an deren Existenzberechtigung herangehst, bleibt am Ende kaum eine übrig.


    Und von "sozial" hat hier niemand gesprochen außer Dir – ebenso wenig von "Gentrifizierung". Die spielt, anders als im Gründerzeitgürtel, an diesem Standort keine Rolle. Es sei denn, Du willst behaupten, die im Klosterviertel zu bauenden Wohnungen würden teurer, weil sich in der Nähe der olle Kasten mit dem TD darin befindet.

  • Alle diese Institutionen sind für wenige Privilegierte.

    Es gibt zwei Verwendungen des Begriffs "Privileg". Die erste, historische, ist "Privileg" als Rechtsbegriff der Standes- und Feudalgesellschaft, der verliehene Sonderrechte wie Adelsprivilegien bezeichnet. Das kann hier nicht gemeint sein. Die zweite, übertragene, meint Vorteile, die Personen allein aufgrund ihres sozialen Status oder ihrer ökonomischen Möglichkeiten zukommen, also andersherum ausschließend sind (Bsp.: Eton College). Das kann aber auch nicht gemeint sein, da die Kulturförderung ja gerade dafür sorgt, sozialen und ökonomischen Ausschluss zu vermeiden.

  • Architektenkind Ja, genau das behaupte ich. Privilegiert sein ist eine Mischung aus Geld und Bildung. Viele würden sagen: Plus Rasse und Geschlecht. Und ja: Diese Sorte Initiativen sind (leider, kann man sagen) die Gentrifzierungstreiber schlechthin. Pioniere eines sozialen Wandels zulasten der Normalos. Das ist so einmal um die Welt, Man schaue sich nur London oder New York an. Aber in Berlin gibt man sich da, meines Erachtens, gern sozialromantisch - und will nicht sehen, dass - zum Beispiel in Mitte - längst diesselben Prozesse greifen. Dem wird sich auch das Klosterviertel nicht entziehen. Wenn es dauerhaft gelingt, die Mieten niedrig zu halten, ist übrigens auch das eine unfaire Subvention für die dann dort wohnenden Privilegierten. Für 6 Euro mitten in der Stadt. Da würde ich mir als Jemand, der/die dasselbe in Spandau zahlt, veräppelt vorkommen.

  • HarrySeidler: Ich behaupte auch da das genaue Gegenteil: Diese Subventionen verbilligen den Zugang von Privilegierten. Mehr nicht. Die Wirkung in die Gesamtbevölkerung geht gegen Null. Nicht nur in Berlin.

  • Privilegiert sein ist eine Mischung aus Geld und Bildung.

    Bei Leuten, die gerne in Off-Theater gehen, gehört Geld in der Regel nicht dazu. Und das Argument mit dem Puzzle erwähnst Du lieber nicht – Varietés sprechen auch nur kleine Gruppen an, aber ganz andere als solche Theater. Im Idealfall ist am Ende für alle (kulturinteressierten) was dabei. Mehr wird man nicht bekommen.

  • Oranien Die "Normalos", für die Sie zu sprechen glauben, sind glaube ich nicht die "Normalos", für die Sie zu sprechen glauben. Aus der gefühlten Privilegienhaftigkeit des Kultur- und Bildungsbereichs sowie des Wohnungsmarktes ziehen Sie die Konsequenz, ganz reale Privilegien errichten zu wollen, damit sich die "Normalos" nicht "veräppelt" fühlen?

  • Aus meiner Sicht nein. Ich halte es halt für eine "Weg mit den Alpen. Freie Sicht nach Italien!"-Mentalität zu glauben, man könne auf faire und sinnvolle Art mitten in einer Metropole eine solche Politik verfolgen, ohne damit neue Privilegien zu schaffen und eh schon Privilegierte noch mehr zu päppeln. Ansonsten bin ich 100% für Privilegien. Sie müssen halt fair und sinnvoll sein.

  • Das Theater des kleinen Mannes ist ja eigtl. das Kino. Dort zahlt er allerdings mittlerweile auch in etwa dasselbe, wenn nicht sogar mehr wie bei einem Theaterbesuch. Ne Tüte Popcorn+Getränk ist in vielen Kinos ja preislich schon ein Abendessen im Restaurant. Das Geld geht aber in großen Teilen an (meist ausländische) Lizenzverwertungsgesellschaften, statt z.B. in die Talentförderung und Ausbildung des landes- und kultureigenen Nachwuchses. Das Kino stirbt seit Jahren, auch vor Covid. Streaming ist das neue Kino. Dank stetem Preisfall wegen Überproduktion und Fortschritten in der Displayfertigung, kann sich auch ein Sozialleistung-Empfänger heute mit 60zoll+ TV und Soundanlage ausrüsten. Sind wir zufrieden damit? Wollen wir die Kinos überhaupt wieder haben? Die Diskssion um Berliner Spielhäuser ist ein Tropfen auf den elitären Stein. Mir fehlt völlig eine art Vision wo die Kulturlandschaft Deutschlands überhaupt noch hin will. Das deutsche Privatfernsehen ist im Begriff zu sterben. Der öffentliche Rundfunk schon eine art Untoter.


    Nix gegen Streaming, aber ich finde, wir haben aus unserem kulturellen Fundus zu viel zu erzählen, um zu einem Absatzmarkt für in Marketingabteilungen produzierten Hollywood-Abklatsch zu verkommen, der im Übrigen -und das wiegt eigtl. viel schwerer- auch dabei ist, immer mehr bekannte deutsche Comedians/Schauspieler/Produzenten ect. abzuwerben und mit vergleichsweise viel Geld eigene Shows zu ermöglichen. Wer auf RTL, Sat1 und Pro7 früher "in" war, ist heute auf amazon, Netflix usw.. Es ist im Grunde eine schleichende kulturelle Übernahme, die stattfindet, denn auch wenn mehr und mehr deutsche Gesichter auf den US-Streamingportalen zu finden sind, am Ende wird nach den Regeln des Geldgebers geschrieben und gespielt. Wahrscheinlich müssen aber Anke Engelke, Thomas Gottschalk, Stefan Raab und Kai Pflaume erst auf TikTok oder einem anderen chinesischen Streamingportal mit eigenen Shows auftauchen, bis der Deutsche merkt, dass er ein Problem hat. Wie es scheint, nur eine Frage der Zeit.

  • Es ist manchmal eigenartig, an der eigenen Orientierung zu arbeiten, wenn man einen Perspektivenwechsel unternimmt. Mir ist auch schon „Lüscher-Bashing“ vorgeworfen worden, wenn ich ihren maßgeblichen Einfluss auf die Schlossplatz-Planung und auf die Gestaltung des von Kunstwerken entblößten Platzes und der so geschaffenen Leere heftig kritisiert habe. An meiner Kritik an dem Ergebnis hat sich nichts geändert. Ich habe aber jetzt in YouTube ein Interview mit Frau Lüscher gehört und dabei eine intelligente, differenziert argumentierende, sympathische Frau kennengelernt, die beruflich und privat viel über Berlin nachgedacht und interessant gesprochen hat.


    Den Kritikern der Freiraumplanung empfehle ich, ihr in dem Interview zuzuhören: „Berliner Städtebaugespräche 2 – Regula Lüscher – YouTube“


    https://www.youtube.com/watch?v=LaIXfgT8MhM.

  • ^ Vielen Dank, Bauaethet, für den Link!

    Ich habe Frau Lüscher hier immer wieder mal gegen in meinen Augen ungerechte Polemiken verteidigt, aber im Interview hat sie meine Erwartungen bei weitem übertroffen. Wie Du schreibst: "eine intelligente, differenziert argumentierende, sympathische Frau". Beeindruckend auch, dass, trotz der Ruhe und Unaufgeregtheit des Interviews, in der halben Stunde sehr viele interessante Dimensionen der Stadtentwicklung Berlins angesprochen werden, von konkreten Fragen, ja konkreten Gebäuden über das Nachwirken einer belasteten Vergangenheit (besonders der Ost-West-Teilung) und sich anbahnende Entwicklungen bis zu visionären Ausblicken auf Berlin im Jahr 2070. Daher möchte auch ich das Interview, auch unabhängig von der Person Lüscher, jedem ans Herz legen, der sich für Berlin und Städtebau interessiert.

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  • Sie erklärt, was sie an Berlin schätzt (Städtebauliche Durchmischung, Grün, kleine Läden ect.) und beschreibt ihren Beruf, wobei sie ihren Fokus auf den "Dialog" setzt und "Baukultur" als eine Zusammenarbeit vieler verschiedener Professionen begreift. Anschließend stellt sie heraus, dass zu Baukultur auch Nachhaltigkeit im ökologischen, sowie sozialen Sinne gehört und das nicht nur die Frage der "Schönheit" bei einem Bauvorhaben eine Rolle spielt, sondern, dass sich Synergien ausdrücken können, also dass ein Gebäude auf möglichst viele gesellschaftliche Fragen Antworten liefern können soll.


    Anschließend stellt sie die Wichtigkeit heraus auf alle möglichen Akteure (Bürger, Investor, Politik ect.) eingehen und die verschiedenen Interessen moderieren zu können und kommt auf den Ost-West-Konflikt in der Stadt zu sprechen, den sie ihrer Meinung nach dahingehend "moderiert" hat, dass sie ein "Gegengewicht" geben konnte kontra der "Auswischung von DDR-Kultur durch den Westen" und hat ihrer Meinung nach damit zu einer Befriedung des Konfliktes beigetragen, weil sie den Ossis das Gefühl genommen hat, dass der Westen sie "kulturell übernommen" hätte.*

    Ihr Ausblick auf ein Berlin der Zukunft beschreibt, etwas naiv und simplifizierend, eine Art "Archipel", hochverdichtete Inseln, zwischen denen grüne Oasen liegen. Ihr schwebt eine Art grünes Utopia-Berlin vor, das sich bis Brandenburg erstreckt und weniger "Megacity" als viel mehr eine grüne Fläche ist, auf der einzelne verdichtete Punkte sind, die mehr oder weniger autark sind, ebenso wie die Menschen, die auch autark sein sollen. "Menschen, die in Freiräumen herumwuseln" bei diesem Satz leuchtet ihr Gesicht förmlich auf.


    *Hier wird es für mich zweifelhaft. Eine Schweizerin, die sich zur Aufgabe macht, den "Ost-West-Konflikt" in Berlin zu befrieden und diesen politisch-gesellschaftlichen Überbau als modus operandi für die Ausübung ihres Berufes begreift. Ernsthaft, brauchen wir das? Brauchen wir im Jahr 2021 eine Baudirektorin, die versucht, in der Ostberliner Bevölkerung "alte, seelische Wunden" auszumachen und diese zu heilen? Ich glaube, wir haben wichtigere Probleme.


    Mein Eindruck:

    Sie ist nicht stumpf und durchaus differenziert und artikuliert, aber hat jemand was anderes erwartet? Mir drängt sich der Verdacht auf, dass sie schlau genug ist, um keine "linke Ideologin" im klassischen Sinne zu sein, sich aber schleichend über die Jahre von den linken Einflüssen im Senat hat um den Finger wickeln lassen. Die Art, wie sie auf historische und seelische Wunden in der Stadt eingeht, so als wäre das unser vordergründiges Problem in einer Stadt, die aus den Nähten platzt und die dringend neue wirtschaftspolitische Impulse, vertikale Urbanisierung und zehntausende Wohnungen braucht, um noch konkurrenzfähig bleiben zu können, das macht mir Sorgen. Nach dem Interview drängt sich bei mir auch der Eindruck auf, dass wir mehr eine "Moderatorin" als eine "Gestalterin" als Baudirektorin haben, eine, die es allen Recht machen will. Berlin ist aber nicht zu moderieren. Berlin ist eine Schlangengrube. Die Interessen sind zu divers und konträr. Wer in einer Schlangengrube moderiert, wird keine Maßstäbe setzten, eher Kuckuckseier errichten. Ich wünsche ihr alles gute, aber wir brauchen wirklich jemand neues.

  • ^ Ja, da gebe ich dir recht. Man erlebt auch in diesem Video wieder, dass sie vermutlich sehr gut geeignet wäre, bauplanerisch eine kleine, historische Stadt zu verwalten, die es tatsächlich ganz behutsam und vorsichtig zu gestalten gilt. Ihr Ansatz passt für mich aber null zur Dynamik eines so großen Lebensraumes wie Berlin, das durch sein enormes Potential einerseits, aber auch durch die gewaltigen Nöte seiner Bewohner andererseits - im übertragenen Sinne aber auch sprichwörtlich - danach schreit, dass die Stadt sich eben nicht nur im Kleinklein, im "Wuseligen", mir wird ganz anders..., entwickelt.


    Ich bin einer von denen, die ihre günstige schöne, Altbauwohnung sicher haben. Aber ich fühle mit all denen, die sich täglich schinden, um für ihre paar Dollar Gehalt im wachsenden Berlin ein Plätzchen zu finden. Der Ansatz, dass Berlin als Flow von sattem Grün hinüber nach Brandenburg gedacht wird, klingt sweet, hilft aber nicht denen, für die diese Stadt dringend einen echten Wachstumsschub stemmen muss. Diesen Schub architektonisch und stadtplanerisch mit der de facto dafür nötigen Power überhault zu wollen, kann ich bei dieser, sehr, sehr gemütlichen Dame nicht erkennen.

  • ...

    ... weil sie den Ossis das Gefühl genommen hat, dass der Westen sie "kulturell übernommen" hätte.

    Ich kenne übrigens unzähliche gebürtige Ostberliner, die blau anlaufen vor Ärger, wenn sie von Frau Lüscher erklärt bekommen, was der Ossi will und wie sehr er sich mit welchen DDR-Bauten identifiziert. Sicher spricht Frau Lüscher da im Namen einiger Menschen, diese Flügel hier jedoch pars pro toto zu verwenden, halte ich für extrem illegitim.