Stadtgespräch Berlin / dies und das

  • Könnt ihr eure Meinung bitte kürzer fassen nicht jeder hier hat so viel Zeit wie ich. ;)


    Ich finde das der Dom gelungen ist, die Proportionen sind nicht mehr sogut wie vorher, da der Dom nach dem Krieg nicht originalgetreu wieder aufgebaut wurde. Der Dom ist nicht mit Ornamenten überfrachtet, dass ist meine subjektive Meinung dazu, wobei man hier sehr unterschiedlicher Meinung sein kann.

  • Wenn Du meinst, dass nur kurz gefasste Meinungen etwas taugen, dann lebst Du vielleicht auf dem falschen Planeten. ;)



    Andi_777, Deine Beurteilung der Wirkung historischer Bauten und der Bedeutung des Fassadenschmuckes und der Gliederung basiert in großen Teilen auf der heutigen Erfahrung, die uns erst die Moderne und deren Nachkommen lieferte. Es ist etwas verklärend, den besonders reichen Schmuck im ausgehenden 19. Jahrhundert als Höhepunkt der Einheit von Kunstfertigkeit und Massengeschmack zu deuten. Wenn das so ist, warum waren dann nur die Fassaden der Vorderhäuser an Wohnbauten reich verziert und warum setzte der Trend zur Versachlichung ohne Not bereits um etwa 1890 ein und es entwickelten sich später ebenfalls allgemein anerkannte Stile, wie etwa Art Noveau/Jugendstil/Sezessionismus? Es gab auch damals schon bedeutendere Kriterien für ein Gebäude, als es nach dem schönen Schein einer einzelnen Fassade zu beurteilen.


    Die Ausarbeitung der Fassaden ging natürlich mit den zunehmenden handwerlichen Fähigkeiten einher. Was aber gemeinhin als schön empfunden wird, leitet sich aus der menschlichen Erfahrung ab, die sich - damals mehr als heute - aus den Verhältnissen und Gegebenheiten der Natur ableiten lassen. Deshalb werden bestimmte Proportionsverhältnisse recht allgemeingültig als schön empfunden. Auch die strengen antiken Ordnungen kamen nicht in einer Schönheitsfibel vom Himmel gefallen, sondern leiteten sich im Wesentlichen aus der Nachahmung der, mit früheren Materialien notwendigen, Konstruktionen ab. Das betrifft z. B. die Entasis antiker Säulen (die leicht bauchige Stauchung) die sich, ebenso wie die Kanneluren (die "Riefen") aus der Nachahmung der ursprünglich verwendeten Strohbündel ergab. Das gilt auch für die Zahnstangen, das angedeutete Gebälk etc. Alles Dinge, die aus den vormaligen Holzkonstruktionen abgeleitet wurden. In anderen Gegenden, in denen diese "natürlichen" Vorbilder anders aussahen, kam es auch zu ganz anderen Ergebnissen. Das sieht man z. B. an der hier gängigen Entwicklung von der Romanik zur Gotik. Allegorische Figuren und sonstige Motive wurden damals zunächst verwendet, um die Bedeutung der Bauten und ihre Funktion zu markieren, oder um sie unter den Schutz irgendwelcher Götter zu stellen etc. (gab ja noch keine Leuchreklame und auch genügend Analphabeten)


    Die spätere Wiederentdeckung des antiken Vokabulars basiert auf der Abstraktion, die humanistischen Werte der bekannten antiken Philosophen mit der Neuinterpretation der damaligen Bauwerke wieder auferstehen zu lassen. Diese Phase beginnt bei der Renaissance (die noch stark im antiken Rom verwurzelt ist) und findet ihren Höhepunkt im Klassizismus. Die Reichhaltigkeit des Schmuckes variiert dabei deutlich. Jedoch besitzt nach wie vor jedes angebrachte Element eine spezifische Aussage oder gar Funktion. Das reicht von den religiösen Motiven bis hin zur statischen Notwendigkeit der Fialen über den Aussenpfeilern gotischer Kathedralen.


    Erst während des Historismus beginnen sich Form und Funktion langsam voneinander zu lösen. Die konkrete Aussage und Funktion eines Bauteils wird zweckentfremdet als bloßes Standesgehabe umgedeutet. Dabei orientiert man sich vor allem an Schlössern und Adelshäusern, bei denen dieser Trend schon lange zuvor einsetzte. Die allgemeine Verbreitung und Beliebigkeit des Fassadenschmuckes bis hin zu den Schauseiten billiger und menschenunwürdiger Wohnhäuser ist gewissermaßen ein Resultat der mangelnden baukulturellen Bildung der "Masse", die während der Gründerzeit erstmalig im großen Stil als Bauherr auftritt. Diese Entwicklung fiel aber wieder in sich zusammen, da allein mit der Masse des Schmuckes innerhalb der vielen Konkurrenten auch kein Staat zu machen war und da die äußere Erscheinung die bekannten inneren Mängel nicht dauerhaft übertünchen konnte.


    Letztlich war die Akzeptanz des beliebigen Ornamentes auch in der breiten Masse von kürzerer Dauer, als die später als Gegenstück etablierten Ergebnisse der frühen Moderne, die sich mehr den relevanten Kerndaten eines Gebäudes, als dessen äußerer Erscheinung widmete. Deswegen und wegen ihrer Vorwärtsgewandtheit steht die Moderne , ähnlich wie der parallel populäre Neoklassizismus, eher in der Tradition Schinkels als der Prunk des wilhelministischen Historismus. Die Bedeutungsänderung der Bauten dieser Ära begründet sich heute vor allem in Dingen, die mit ihrer Entstehungsgeschichte nicht viel zu tun haben. Der Schmuck ist nur eine Art Mitnahmeeffekt. Der Wert resultiert u. a. aus den meist großzügigen Grundrissen, den guten Lagen, der Konservierungsleistung der Nachfahren, oder in der assoziierten Historie.


    Wenn die Masse heute widerum für ein Wiedererstarken des beliebigen Ornamentes eintritt, dann liegt das vermutlich weniger an dem damit verbundenen Streben nach absoluter Schönheit, sondern an der begründeten Abneigung vieler Bauten der Moderne und ihrer Nachfahren, die sich auch nur selten rein aus der Schmucklosigkeit ergibt. Die mangelnde Kenntnis der historischen Begebenheiten und Fehlentwicklungen gerade während der Jahrhundertwende - die bei einigen halsstarrigen Zeitgenossen leider in Ignoranz ausartet, weil sie partout nicht wahrhaben wollen, dass ihr heutiger Wertekanon keinen Anspruch auf uneingeschränkte Gültigkeit besitzt - führt natürlich (neben anderen Faktoren) zu der allseitseits bekannten Kluft zwischen den Versierten und "Volkes Meinung".


    Diese Differenzen kann man vermutlich nicht lösen, indem man das gemeine Volk in Haudrauf-Manier mit immer neuen, kurzatmigen Ergüssen penetriert, deren Halbwertzeit oft auch nicht länger als es die ursprüngliche einer durchschnittlichen Gründerzeitkaschemme ist. Andererseits zeigt sich der "mündige Bürger" von heute auch als ziemlich kompromisslos und uneinsichtig, was die Rahmenbedingungen und Erfordernisse der Neuzeit betrifft. Ich denke, diesen Konflikt zu lösen, muss die nächste große Aufgabe der Architekten sein. Einige Meister von heute bewegen sich da m. E. bereits in die richtige Richtung (ich meine damit nicht Patzschkes!). Ob man dabei aber uneingeschränkt dem Volkswillen hinterherlaufen sollte, erscheint mir fraglich. Die letztlich oft zweifelhaften Ergebnisse, die in anderen Bereichen aus der breiten Mitbestimmung unterschiedlich qualifizierter Entscheidungsträger resultieren, lassen mich an diesem Weg zweifeln.

  • Frankfurter Hochhäuser als Modell für Berlin

    Ein interessanter Artikel der Welt zum Thema, Hochhausbau in Berlin und warum man sich eine Scheibe bei Frankfurt abschneiden könnte...;) Sehr lesenswerter Artikel

  • Interesanter Artikel, auch wenn er etwas am Thema vorbeischrammt. ;) Weder waren an der Mediaspree vergleichbar glitzernde "Phallussymbole des Großkapitals" geplant, wie das hier mit Bezug auf die Frankfurter Hochhäuser oder den Potsdamer Platz suggeriert werden soll, noch haben die MS-Versenken-Initiative oder das erfolgreiche Bürgerbegehren an den Bauabsichten etwas geändert. Im Gegenteil: lt. heutiger Berliner Presseberichte ist die Investorengemeinschaft nicht einmal gewillt, die MS-V-Vertreter in den Planungsprozess einzubeziehen und prüft bereits juristische Möglichkeiten gegen etwaige Veranlassungsversuche seitens des Bezirkes. Auch der Berliner Senat als Kontrollinstanz hält sich geschickt zurück und lässt die Bezirkspolitiker ihre Suppe selber auslöffen, die sie sich - trotz anderer Absprachen - mit ihrer wahltaktischen Klientelpolitik eingehandelt hat (naja, eher lässt er es sie versuchen, um sich dann über das Scheitern auf Sparflamme zu amüsieren ;)).

  • @ itchedSky:


    Danke erstmal für den Artikel. Ich fand ihn sehr interessant, da mein Vater aus Frankfurt kommt und ich Hochhausarchitektur zum Teil sehr bewundere. Aber auch wenn viele Frankfurter sehr stolz auf ihre Skyline sind, finde ich persönlich Berlin trotzdem deutlich schöner. Ich finde auch nicht, dass die meisten Frankfurter Wolkenkratzer so toll in das Stadtleben integriert sind wie der Artikel vermuten lässt. In dieser Hinsicht stellt der Potsdamer Platz alles dortige so ziemlich in den Schatten - wenn auch nicht von der Höhe her (aber mir geht es bei Hochhäusern eh nicht um die Länge oder gar irgendwelche "Phallussymbolik" ;) ).


    Das geplante Quartier am Tacheles zeigt außerdem durchaus, dass Berlin an solche Erfolge anknüpfen will. Leider fehlt oft das nötige Kleingeld. Da ist Frankfurt wiederum deutlich im Vorteil. Trotzdem erhoffe ich mir einige spannende Projekte u.a. an der Spree aber auch in Randgebieten wie Adlershof.


    @ AeG:


    Ja, wie kommt der Artikel eigentlich darauf, dass jetzt das gesamte Mediaspree-Projekt gescheitert ist? Davon habe ich bisher nirgendwo sonst gehört. Lediglich der entsprechende Vorschlag wurde in einer nichtbindenden Abstimmung abgelehnt. Deshalb wird doch wohl nicht tatsächlich die gesamte teils vertraglich gebundene Planung verworfen werden. Ist die Welt sonst nicht seriöser?

  • Die zukünftige Bebauung ist nicht mehr nur 'teils', sondern sogar ziemlich umfassend rechtskräftig. Am ehesten hatte man wohl noch gehofft, der Senat würde mit den involvierten landeseigenen Unternehmen (Behala, BSR) über deren Baurechte nachverhandeln. Aber auch da hat Wowereit sofort gekontert, indem er süffisant anmerkte, er wüsste nicht, weshalb man das Recht zur wirtschaftlichen Bebauung, was die anderen Investoren ja auch genießen würden, ausgerechnet 'unseren' eigenen Unternehmen versagen sollte. :)


    Herr Guratzsch von der WELT hatte vermutlich nur einen schlechten Tag - oder das hierzulande bei solchen Fragen übliche Worst-Case-Szenario schon vorweg genommen.

  • Ich glaube nicht, dass die Sache nach dem Volksentscheid so eindeutig zugunsten der Investoren steht. Der Bezirk kann mit "Veränderungssprerren" operieren und das ganze Areal erstmal bis zu 3 Jahre lahmlegen. Das wurde bereits als Drohgebärde in den Raum gestellt.


    Folge: Kein Investor sitzt solange lange auf geparktem Geld herum. Das fliesst dann woanders hin. Nach Frankfurt in weitere Hochhäuser. Oder gleich nach London. Es würde jedenfalls am Ende signifikant weniger gebaut werden. Ganz im Sinne der Initiative.


    Folge auch: Jeder zukünftige Investor muss in Berlin damit rechnen, dass auch noch nach rechtswirksamen Baugenehmigungen quergeschossen wird. Das wird die Investitionsneigung in Berlin nicht erhöhen und die Planbarkeit für Aussenstehende senken. Eine Wirkung auf viele Jahre und weit über das Projekt hinaus.


    Denn: Für die amtierende Bezirkspolitik steht sehr viel auf dem Spiel. Der Bezirksbürgermeister (und sein Umfeld) kann sich politisch begraben, wenn es ihm nicht irgendwie gelingt, nach dem Volksentscheid etwas Signifikantes für seine fragwürdige Klientel herauszuholen. Der Bezirk stellt ausserdem den Bundesweit einzigen Wahlkreis, in dem ein grüner Politiker direkt in den Bundestag gewählt wird. Wir reden über das Kernland der Fundigrünen. Ich fürchte daher, die Neigung beim Bezirk wird sehr hoch sein, mit allem um sich zu schlagen, was ihm einfällt. Eben auch mit Veränderungssperren.

  • Ich glaube nicht, dass die Sache nach dem Volksentscheid so eindeutig zugunsten der Investoren steht. Der Bezirk kann mit "Veränderungssprerren" operieren und das ganze Areal erstmal bis zu 3 Jahre lahmlegen. Das wurde bereits als Drohgebärde in den Raum gestellt.


    Folge: Kein Investor sitzt solange lange auf geparktem Geld herum. Das fliesst dann woanders hin. Nach Frankfurt in weitere Hochhäuser. Oder gleich nach London. Es würde jedenfalls am Ende signifikant weniger gebaut werden. Ganz im Sinne der Initiative.


    Folge auch: Jeder zukünftige Investor muss in Berlin damit rechnen, dass auch noch nach rechtswirksamen Baugenehmigungen quergeschossen wird. Das wird die Investitionsneigung in Berlin nicht erhöhen und die Planbarkeit für Aussenstehende senken. Eine Wirkung auf viele Jahre und weit über das Projekt hinaus.


    Denn: Für die amtierende Bezirkspolitik steht sehr viel auf dem Spiel. Der Bezirksbürgermeister (und sein Umfeld) kann sich politisch begraben, wenn es ihm nicht irgendwie gelingt, nach dem Volksentscheid etwas Signifikantes für seine fragwürdige Klientel herauszuholen. Der Bezirk stellt ausserdem den Bundesweit einzigen Wahlkreis, in dem ein grüner Politiker direkt in den Bundestag gewählt wird. Wir reden über das Kernland der Fundigrünen. Ich fürchte daher, die Neigung beim Bezirk wird sehr hoch sein, mit allem um sich zu schlagen, was ihm einfällt. Eben auch mit Veränderungssperren.

  • Hmm, interessante Diskussion.


    Die allgemeine Verbreitung und Beliebigkeit des Fassadenschmuckes bis hin zu den Schauseiten billiger und menschenunwürdiger Wohnhäuser ist gewissermaßen ein Resultat der mangelnden baukulturellen Bildung der "Masse", die während der Gründerzeit erstmalig im großen Stil als Bauherr auftritt. Diese Entwicklung fiel aber wieder in sich zusammen, da allein mit der Masse des Schmuckes innerhalb der vielen Konkurrenten auch kein Staat zu machen war und da die äußere Erscheinung die bekannten inneren Mängel nicht dauerhaft übertünchen konnte.


    Letztlich war die Akzeptanz des beliebigen Ornamentes auch in der breiten Masse von kürzerer Dauer, als die später .......


    ....deren Halbwertzeit oft auch nicht länger als es die ursprüngliche einer durchschnittlichen Gründerzeitkaschemme ist.


    Ähm, Gründerzeithäuser zeichnen sich (neben der Fassadengestaltung) in der Regel durch dicke Vollziegelaußenwände, hohe Räume und große hohe Fenster aus.


    Einzige "Mängel" waren die aus heutiger Sicht unzureichende Sanitäre Ausstattung und die Ofenheizung. Wenn dies aber im Rahmen einer Sanierung behoben wurde sind die Wohnungen offensichtlich attraktiver als fast alles was in den 500 Jahren davor und den 100 Jahren danach gebaut wurde.


    Das kann man ja z.B. in Berlin in Charlottenburg oder Prenzlauer Berg unschwer beobachten.


    Das Wichtigste an der Fassadengestaltung sind auch gar nicht die jeweiligen konkreten Details sondern die Tatsache dass man sich im Gegensatz zu der Zeit von 1950 bis 1980 überhaupt bemüht hat eine attraktive Fassade zu gestalten.




    Andererseits zeigt sich der "mündige Bürger" von heute auch als ziemlich kompromisslos und uneinsichtig, was die Rahmenbedingungen und Erfordernisse der Neuzeit betrifft.


    Ich schätze der mündige Bürger spürt dass die "Sachzwänge" häufig nur als billige Ausrede für Fantasielosigkeit und Gefühllosigkeit des Bauherrn und Untätigkeit der Behörden dienen.


    Eine ähnliches Problem konnte man meiner Meinung nach z.B. auch bei der Gestaltung der Gehäuse von Computern und Mobiltelefonen beobachten. Viele Jahre lang waren die Entscheidungsträger offenbar der Meinung jegliche (auch nur gedankliche) Investition in ein attraktives Gehäuse sei Verschwendung von Gehirnkapazität und sonstigen Ressourcen.


    Da ich allerdings gelesen habe dass dir die Parkside Apartments am Potsdamer Platz besonders gut gefallen könnten wir wohl ohnehin keine Einigkeit über gelungene Architektur erzielen. Ich habe neulich erst eine Viertelstunde auf dem Rasen davor gesessen und sie auf mich wirken lassen. Nach wie vor erscheinen sie mir abweisend und unattraktiv. Ausreichende finanzielle Mittel für "unzeitgemäße" Alternativen aller Art standen da ja vermutlich auch zur Verfügung.

  • Naja, das 'dicke Vollziegelmauerwerk' hat eher mentale als praktische Vorteile. Wenn es heute nicht mehr angewendet wird, liegt das auch weniger an dessen noch immer zeitgemäßen Eigenschaften, als an der mangelnden Wirtschaftlichkeit. Die hohen Räume waren gerade in den Anfangsjahren vor allem der Belle Etage des Vorderhauses vorbehalten und hatten rein repräsentativen Charakter. Dass sie später auch auf andere Geschosse ausgeweitet wurden, bedingt sich - genau wie die hohen Fenster - aus den bei der üblichen Überbelegung erforderlichen hygienischen Mindestanforderungen an Belichtung und Belüftung. Damals gab es noch allerhand verheerende Zivilisationskrankheiten, die durch die Luft übertragen wurden. Kaum ein gründerzeitlicher Bauherr hat aus anthroposophsichen Gründen besonders hohe Decken errichten lassen.


    Abgesehen davon sprach ich von den damaligen Mängeln. Du erwidert das mit der Beschreibung der späteren Situation. Mangelnde sanitäre Einrichtungen oder Öfen waren damals keine Probleme. Die lagen eher in der ungenügenden Beherrschbarkeit der Wohnraumversorgung mit dem Gründerzeitmodell, in den teils unwürdigen Verhältnissen, die das Wohnen und Arbeiten auf engstem Raum generierten (nix mit PC im Arbeitszimmer), in der oft mangelnden Erhaltung der Häuser, die aus überzogenem Profitstreben damaliger Eigentümerverhälnisse resultierte, im erhöhten Verschleiß, der vor allem der Überbelegung und der vielfältigen gleichzeitigen Nutzungsarten geschuldet war und in der Weise, wie Arbeitskraft von Menschen (und Tieren) ausgebeutet wurde. Ich weise in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Häuser üblicherweise ein Jahr lang extrem TBC-gefährdend trockengewohnt wurden und dass viele Wohnungen anfangs nicht einmal abgeschlossen waren. Häufig teilten sich mehrere Familien einen Flur, nach vorne raus die Stuben, nach hinten die Küchen. Das gilt im Besonderen für Gegenden wie den Prenzlauer Berg. Dass die Verhältnisse in z. B. Charlottenburg von Anfang an größtenteils andere waren, ist auch nicht weiter verwunderlich, hier residierten eben häufig die Leute in ihren vornehmen Häusern, die die Verhältnisse andernorts zwar zu verantworten hatten, aber selbst nicht ertragen wollten. Nicht zufällig geht die relativ späte Blütezeit der vornehmen Viertel mit der Aufgabe des Eigentümer-/Belle-Etage-Bewohner -Modells einher. Dazu findet sich hier auch einiges: http://www.deutsches-architekt…rum/showthread.php?t=7513


    Ich will die heutigen Vorteile, die die sanierten, entkernten, äußerlich dauerhaft konservierten und in der Nutzung und Zielgruppe stark gewandelten Bauten jener Zeit bieten, nicht in Abrede stellen! Ich genieße sie derzeit selbst. Mir leuchtet aber nicht ein, warum immer wieder Leute auf den Plan treten, die sich aus der heutigen Wertschätzung heraus bemüßigt fühlen, die Geschichte zu ignorieren oder gar meinen sie verfälschen zu müssen. :nono: Aber ich verstehe, ein etwas realistischerer Blick hat so seine Tücken, vor allem, was die Forderung nach Reproduktion derartiger Bauten angeht.



    Was Du in Sachen 'mündiger Bürger' schätzt, Chandler, ist ziemlich unerheblich. Was verlangst Du? Sollen sich Behörden um die Befriedigung Deines Anspruches an Attraktivität und Repräsentation kümmern? Fantasie und Gefühl sind natürlich nicht die Haupteigenschaften eines Bauherren. Das ist zwar schade, galt aber auch schon vor 120 Jahren. Oder was ist an der beliebigen Kombination bekannter Stilelemente besonders gefühlvoll? Dass sie den niederen Willen zu Verklärung befriedigen? Wirklich interessante Entwicklungen à la Jugendstil blieben unter dem bauenden Pöbel auch die Ausnahme, vorrangig auch aus Kostengründen! Wenn der Wert der Arbeitskraft heute in einem völlig anderen Verhältnis zu den Baukosten als früher steht - was vor allem soziale Gründe hat - dann fällt es eben erst recht schwer, 'Schönheit' behördlich zu diktieren. Und da ich ja augenscheinlich schon eine andere Meinung zu dieser Schöbnheit besitze ist es fraglich, ob irgend ein Amtsstuben-Wärmer mit Deinen ästhetischen Ansichten 100-prozentig konform geht ;). Kannst Du Dir vorstellen, dass anonyme Bauherren heute oft Quadratmeterpreis-Obergrenzen für die Fassade ihrer energetisch tollen Kuben veranschlagen? Leider! Mit Fantasie dürfte dem nur schlecht beizukommen sein.

  • Naja, bzgl. des 'dicken Vollziegelmauerwerks' bilde ich mir zumindest ein dass es besonders im Hochsommer zu einem deutlich angenehmeren Raumklima führt als in vielen Neubauten. Also scheint es einen realen Vorteil zu bieten.


    Generell nehme ich an dass die Gründerzeitbauten im Vergleich zu den älteren engeren Fachwerkhäusern eine Verbesserung der Wohnbedingungen brachten. Ich nehme an deine Kritik beruht auf der Unterstellung dass man bei einer weniger aufwendigen Bauweise zu gleichen Kosten mehr Wohnraum hätte schaffen können. Hmm, mag ja sein.


    Bzgl. der Kosten der Fassade. Ich wohne derzeit in der sogenannten Bundesschlange. Für die Backsteinoptik die wir hier haben musste ja vermutlich auch jemand auf dem Gerüst stehen und jedes Steinchen einzeln ankleben. Also zumindest in diesem Fall gab es dann wohl schon ausreichend Spielraum für mehrere Gestaltungsoptionen und Materialien. Bei Hochpreis-Projekten wie den Park-Side-Appartments wäre vermutlich sogar der Spielraum für Raumhöhen über 3m vorhanden gewesen.


    Die polierten Steinplatten an vielen Bürogebäuden sind ja vermutlich auch nicht die billigst mögliche Alternative.


    Was die Behörden angeht will ich persönlich mich da auch gar nicht beklagen. Wenn sie etwa beim Mediaspreeprojekt dafür sorgen das es einen öffentlich begehbaren Weg am Spreeufer gibt oder verhindern dass jemand den Tiergarten zubaut bin ich ich ja schon glücklich. Man liest ja z.B. hier auch Meinungen die sich wünschen das der Platz vor dem Kanzleramt und die Wiese vor dem Reichstag bebaut werden. Dazu noch ein Ring von Bürogebäuden im Tiergarten usw.


    Da ist ein Gegengewicht schon wichtig.


    Edit: Ach ja, hatte ich schon erwähnt das die Kritik am Schmuck der Gründerzeitbauten meist von Leuten kommt die sich selbst dafür entschieden haben in eben solchen Häusern und Wohnvierteln zu wohnen und deshalb nicht ernstzunehmen ist. ;)

  • Jeden Tag steht ein neuer Einser-Abiturient auf, überlegt sich zwischen Frühstück und Zähneputzen, wie blöd alle ausser ihm sind (jedenfalls die, die etwas zu entscheiden haben) und googelt dann so lange, bis er eine Plattform gefunden hat, auf der er seine 'Erkenntnisse' zum Besten geben kann. Wenn das so weiter geht, glaube ich auch bald an eine Verschwörung. :D


    Ich mach's nur kurz: richtig ist, früher war alles besser, die Häuser wurden immer attraktiver und gegen 1910 waren alle Piephähne und Nippel dauersteif. Nur dummerweise kamen dann irgendwelche Mächte der Finsternis aus heiterem Himmel, haben ihre Lehren gepredigt und fortan ging es nur noch bergab. Seither sind alle dazu verpflichtet, Deckenhöhen von 2,45 (bis allerhöchstens drei Meter) einzuhalten und die Leute im Sommer schwitzen zu lassen, dafür aber wahre Unsummen in Klinkertapeten zu investrieren. Aber das ist alles halb so wild, der Ausstoß an geistigen Kapazitäten hat im Moment höchste Zuwachsraten. Nur noch ein paar Jahre - siehe Computergehäuse - dann geht's wieder steil bergauf!*



    *das wolltest Du doch hören, oder? Falls doch nicht, pobier's mal damit: Geist, Kürvers; Das Berliner Mietshaus Bnd. I-III, Prestel-Verlag 1980-89. Darin findest Du auf insgesamt ca. 1800 Seiten die Berliner Wohnungsbaugeschichte von 1740 bis 1989, vorrangig anhand zeitgenössischer Dokumente und Faksimiles erklärt. M. E. wird die Thematik hier am kompaktesten zusammengefasst. Die Autoren sind auch gegenüber gründerzeitlichen Quartieren nicht gerade abgeneigt. Wenn Du damit durch bist, habe ich noch mehr im Angebot, vor allem Literatur über die Jahre nach 1918 und nach 1945. Bis dahin viel Spass!

  • Ich hoffe, ich darf hier mal meinen Senf dazugeben. Die Architektur aus der Gründerzeit finde ich z.T. sehr ansprechend. Das gilt insbesondere für die Villen, aber auch für einige Wohnkomplexe und sogar Fabriken. So fahre ich regelmäßig - gezwungen aber trotzdem gerne - in Dahlem an einigen einzigartigen und kreativen Prachtbauten vorbei. Wenn ich aber überlege, was oft dahinter steckt, dann stimme ich AeG zu. Es fällt einem ja vielleicht auch etwas schwerer, sich an den Pyramiden in Ägypten (oder anderen antiken Prachtbauten) zu erfreuen, wenn man darüber nachdenkt, unter was für menschenunwürdigen Bedingungen sie wohl entstanden sind. Das ist vielleicht ein etwas extremes und entferntes Beispiel, aber die Tendenzen sind ähnliche.


    Das passt nicht in unsere Zeit. Natürlich gibt es auch heutzutage große Unterschiede zwischen Schein und Sein. Aber so einen radikales Missverhältnis zwischen Außendarstellung und Innenleben wie damals ließe sich heute wohl nicht mehr ohne Weiteres baulich verwirklichen. So gibt es Mindeststandards für Wohnbauten und Bauvorhaben generell und auch für Arbeitsverhältnisse. Natürlich kann das z.T. zu langweiliger(er) Architektur führen - ehrlicher ist es trotzdem. Das ist ja wohl auch einer der Gründe, warum so viel Stuck von den Fassaden geschlagen wurde. Ich bedaure letzteres trotzdem, auch wenn ich damit nicht ganz konsequent sein mag.


    Aber anders als gewisse (soziale) Rahmenbedingungen kann man aufregende bzw. ansprechende Architektur wohl nicht so leicht von außen vorschreiben. Letztlich ist vieles ohnehin subjektiv, wie AeG schon ausgeführt hat. Wer entscheidet denn, was maßvoll, was zu schlicht und was überladen wirkt? Mir persönlich gefallen jedenfalls auch viele der aktuelleren Bauwerke und Projekte. Ich finde aber auch, dass man attraktive Gründerzeit-Bauwerke wenn möglich erhalten und weiternutzen sollte, wie Chandler es ausführt und wie es ja oftmals auch getan wird. Jetzt aus ideolgischen Gründen etwas zu zerstören was ohnehin bereits entstanden ist und einen Zweck erfüllt, ist jedenfalls unproduktiv und hilft auch niemandem mehr.

  • Man sollte mal die Kirche im Dorf lassen. Klar die Wohn-, Arbeits-, und Lebensverhältnisse von damals (ende des 19. Jahrhunderts und beginn des 20. Jahrhunderts) sind verglichen mit denen von heute für die Mehrheit der Bevölkerung weitaus schlechter gewesen. Man kann aus heutiger Sicht den Zeitgeist von damals dafür kritisieren dass man damals auf Kosten der allgemeinen Wohlfahrt zuviel in äußere Repräsentation investiert hat. Aber, wir profitieren davon, denn all diese Bau-Kunstwerke erfreuen uns heute und der Fleiß und das was frühere Generationen aufgebaut haben ermöglichen erst unseren heutigen Lebensstil. Wir hingegen werden unseren Nachfahren vermutlich hohe Staatsschulden hinterlassen und was das Bauen angeht, legt man meiner Meinung sehr viel Wert darauf die Wohnungen innen komfortabel und schön herzurichten und legt kaum wert auf Außenwirkung zumindest was Industrie- Behörden und Investorenbauten angeht. Das mag der Egoismus /Individualismus unserer heutigen Zeit zuzuschreiben sein, aber das ist Demokratie.
    Ich persönlich lebe natürlich lieber in einer Demokratie als in einer Diktatur in welcher alle wegen Prestigevorhaben Einbusen in der Lebensqualität hinnehmen müssen. Aber, meiner Meinung nach werden später Generationen unsere Zeit als ein dunkles Zeitalter der Geschichte wahrnehmen, in dem es wenige kulturelle oder künstlerische Glanzleistungen gegeben hat. Vielleicht bin ich da auch nur voreingenommen weil ich moderner Kunst nichts abgewinnen kann, jedenfalls was Skulpturen und Malerei angeht. Was Architektur angeht wohne ich lieber in einem modernen Gebäude als in einem Gründerzeitler. Finde aber dass das Stadtbild eines Gründerzeitviertels wesentlich ansprechender ist als eines mit kubischen "Schuhkartons" moderner Bauart.

  • Die Vorzüge der Gründerzeitbauten bestehen nicht ausschließlich aus subjektiv mehr oder weniger schönen Fassaden. Wie hier auch schon geschrieben zählen zu den Forzügen u.a. der Schnitt, die Bausubstanz bestehend aus dicken Ziegelwänden, die hohen Räume und das generell oft großzügig geschnittene Innere. Auch die im Kontrast zu vielen neueren Bauwerken oft bemerkenswert liebevoll und dekorativ getalteten Treppenhäuser, sind sicher ein weiterer Pluspunkt bei Liebhabern dieser Bauten. Zumindest gillt das für Sanierte Exemplare. Steht das Gebäude dann noch in passender Kulisse möglichst eingerahmt durch etwa gleichalte Häuser und Bäume spricht man wohl von einem 'mondänen Altbau in bester Lage', oder einer 'mondänen Altbauwohnung in bester Lage'. Zumindest dann wenn man gängigen Immobilieninserate trauen darf ;)
    Um es kurz zu machen: Es besteht scheinbat ein Markt für solche Wohnungen. Ich zum Beispiel wohne sehr gerne in einem Gründerzeitaltbau und bin auch bereit dafür mehr zu Zahlen als ich es beispielsweise in einem (druschnittlichen) Neubau täte (ich vermute das jetzt einfach einmal und stütze meine Vermutung auf meine persönlichen Erfahrungen bei meiner letzen drei Jahre zurückliegenden Wohnungsuche).
    Ich bin leider im Bau nicht bewandert und habe daher keine Ahnung was es kosten würde ein Gebäude so zu errichten, dass das subjektive Wohnempfinden des Baus dem eines sog. Gründerzeitaltbaus entsprechen würde. Ich sage bewußt Wohnempfinden um zu verdeutlichen, dass es mir nicht darum geht ein Gründerzeitbau eins zu eins Nachzubauen. Das würde wohl schon aus Baurechtlichen Gründen Scheitern (Treppenhaus aus Holz, kein Fahrstuhl um nur die vordergrüdigsten zu Nennen). Vielmehr geht die Frage in die Richtung, wass es kosten würde ein Gebäude zu errichten, dass primäre Attribute verwirklicht die von den meisten Leuten als 'Altbauesk' empfunden werden und somit zumindest vom Wohngefühl her auch als solcher durchgehen würde. Und natürlich, ab es sich in irgendeiner denkbaren Weise Rechnen könnte so zu Bauen. Wobei mir klar ist, dass das Resultat vermutlich nur noch für gehobene Einkommensschichten aktraktiv wäre.
    In einigen Vierteln in Berlin wie zum Beispiel in einigen Teilnen Friedenaus (das nenne ich hier nur weil ich es ein bisschen kenne - Im Gegensatz zu anderen Vierteln wo die Situation ähnlich oder gleich sein mag) werden gehobenen Miet- und Kauf-Preise schon heute gefordert. Könnte es wirtschaftlich sein in solchen Gegenden entsprechend wie oben beschrieben zu bauen? Oder wäre der Bau eines 'normalen' gehobeneren Neubaus in selber Lage wirtschaftlicher, einfach weil die Objekte schon auf Grund ihrer Lage hohe Preise erziehlen? Ich vermute das letzeres der Fall ist. Wenn dem so ist, gäbe es dennoch ein denkares Scenario in dem sich ein solcher Bau rentieren Könnte? Oder bleibt die Umsetzung für immer splienigen Bauherren mir viel zu viel Geld vorbehalten?


    Gibt es hier Menschen mit genug Sachverstand die beurteilen können was ein 0815 Altbau mit modernen Mitteln begaut kosten würde? Und was kostet ein 'nornaler' Neubau mit den selben Maßen?

  • Bin jetzt kein Bau-Experte aber wenn man sich moderne Wohnblöcke ansieht, dann geht es zuallererst mal darum möglichst viel Bruttogeschoßfläche zu einem günstigen Preis zu erhalten. Erker, Türmchen, Kuppel und sonstige Dach- und Fassadenelemente sind demgegenüber nur Kostenfaktoren. Ein moderner Wohnblock ist auch meist voluminöser als ein gründerzeitlicher Nachbarbau. Gut sehen kann man das in Frankfurt an den Stellen wo ein modernes Gebäude neben einem etwa gleich hohen Gründerzeitler steht. Obwohl bei den meisten Gründerzeitler das Dach (die Dächer wurden vermutlich im Krieg zerstört) durch ein zusätzliches Stockwerk mit Flachdach ersetzt wurde wirken die modernen Bauten daneben grob und monolithisch.
    Nichts desto trotz bevorzuge ich es in Neubauten mit Steinfußboden und großen Fenster zu wohnen. Gründerzeitler empfinde ich als zu höhlenartig, die große Deckenhöhe dürfte im Winter schwer zu heizen sein und oftmals haben Gründerzeitler unverputzte Rohre und Stromkabel. Aber, vielleicht habe ich bisher auch nur die der Arbeiterklasse gesehen. Wenn es um äußere Schönheit geht, finde ich gründerzeitliche Bebauung überragend. Wenig versetzt mich mehr in Hochstimmung als ein Spaziergang durch ein gut erhaltenes Gründerzeitviertel. Zum Beispiel Wiesbaden hat noch sehr gut erhaltene Substanz.

  • Rechne mal grob mit 1500-2500 €/m² für ein freifinanziertes "08/15"-Wohnhaus im Blockrand. Der Baugrund-Anteil allein fällt je nach Lage mit ca. zehn Prozent relativ gering aus. Der Anteil der Fassadengestaltung liegt ebenfalls meist bei grob zehn Prozent der Gesamtkosten (ca. 200-300 €/m² Wandfläche).

    Einschalige Mauerwerksbauten (wie zur Gründerzeit üblich) kann man heute baurechtlich vergessen. Ein konventioneller Aufbau muss inzwischen mehrschalig sein, um die Anforderungen der Energieeinspar-Verordnung und der langfristigen Erhaltung zu erfüllen (einschalige Aufbauten werden im unvermieteten Zustand rel. schnell baufällig). Holzbalkendecken mit Dielung oder Parkett sind aus Gründen der Schallisolierung und des Brandschutzes an Neubau-ETW nicht mehr ohne Weiteres zulassungsfähig. Man kann sich mit Parkett auf Estrich behelfen, was nicht so sehr ins Gewicht fällt (ca. 50 - 80 €/m2 Fertigparkett; bei einzeln verlegtem Stab- oder Fischgrätparkett nach alter Tradition wird's deutlich teurer). Große Deckenhöhen sind zwar realisierbar, schlagen sich aber am deutlichsten in den Kosten nieder, da a) die Anzahl der vermietbaren Einheiten sinkt (logisch, wenn man bei Beibehaltung der Berliner Traufhöhe nur fünf, statt sieben Geschosse unterbringen kann), da b) enorme Deckenhöhen höhere Anforderungen an den Wand- und Deckenaufbau sowie die TGA-Dimensionierung stellen (betrifft wieder u. a. die Energieeinspar-Verordnung) und da c) allerhand Normteile nicht ohne Anpassung verwendet werden können (betr. z. B. Trockenbauwände; sämtliche wandhohen Elemente können auf LKWs nicht mehr liegend transportiert werden). Die ehemals übliche rückwärtige Lage der Treppenhäuser verschenkt auch zusätzlichen Raum im EG. Irgendwelcher Fassadenschmuck aus Gips wäre dann noch das geringere Übel. Mir sind halbwegs aktuelle ETW-Projekte mit näherungsweisem "Altbau-Charakter" bekannt, deren Kosten sich auf über 5000 €/m² belaufen.

    Neben den Kosten und Verordnungen sprechen noch allerhand andere Gründe gegen eine Eins-zu-eins-Reproduktion dieser Bauten. Einmal wollen selbst die glühendsten Verfechter die alten multifunktionalen Raumgrößen und -folgen gerne zu Gunsten repräsentativer Wohnbereiche und auf Kosten von Nebennutzungen verändert haben - was schon mit dem alten, Charakter-bestimmenden Längswandprinzip nur schlecht funktioniert (wobei Längswandkonstruktionen aus verschiedenen Gründen eh ausgedient haben), zum anderen ist man heutzutage nicht mehr gewillt, die funktionale Aufteilung strikt der Ausrichtung an der Straße unterzuordnen (die Zeiten der vornehmen Blässe sind vorbei ;)). Heute liegen Treppenhäuser und Nebenräume nach Norden, egal, was sich dort befindet und 'richtige' Altbauten erzielen nur dann Traummieten, wenn sie Süd-Ausrichtung besitzen und in engen Straßen möglichst noch in den oberen Stockwerken liegen.

  • Wahnfried, ich kann Dir versichern, die stattlicheren älteren Häuser besitzen sehr wohl geschickt verlegte Rohrleitungen (spez. in jenen Bauten, die schon im Original mit Etagen- oder gar Zentralheizungen ausgestattet waren; im damaligen Berlin eher die Ausnahme, aber z. B. am Treptower Park häufig zu finden) und auch eine Unterputz-Elektrik (ab etwa 1895 zumindest in Berlin sogar die Regel; teils wurden auch die Leitungen der alten Gasbeleuchtung, die es in besseren Häusern gab, geschickt umfunktioniert; die erkennt man heute an den 'Rüsseln' in der Decke, die meist mit Blindstopfen samt Haken versehen sind und die Montage flacher Leuchten verhindern :( ). Die Beheizbarkeit hoher Räume ist natürlich ein Problem, speziell, wenn sie sich zudem noch im Parterre oder unter dem Dach befinden (wobei hier manche Nachkriegs-Ställe mit "experimentierfreudigen", kostengünstigen Wandaufbauten und Deckenhöhe 2,55m zumindest im unsanierten Zustand auch nicht besser abschneiden). Und was zunächst - wie von Chandler richtig bemerkt - im Sommer ein Vorteil von 365-er Mauerwerk und großen Raumhöhen ist, kehrt sich ab einer bestimmten Länge der Hitzeperiode einfach um, wenn nämlich die einmal gespeicherte Wärme wieder raus soll ;). Objektiv gesehen ist ein mehrschaliger Wandaufbau übers ganze Jahr betrachtet in unseren Breitengraden komfortabler und bauphysikalisch unkritischer).


    Aber nochmal zur Kirche und dem Dorf: klar profitieren wir heute von manchen Entwicklungen, die ursprünglich teils ganz andere Intentionen besaßen, als der Nachwelt eine kunstfertige Historie vorzugaukeln. Zudem fällt es sicher vielfach schwer, damalige Entwicklungen losgelöst von heutigen Wertvorstellungen zu beurteilen (wobei ein erster Schritt dahin das Studium zeitgenössischer Dokumente sein kann, was einigen hier nicht schaden würde - und womit nicht nur Postkartenpanoramen gemeint sind). Und persönliche Geschmäcker kann man auch nur unzulänglich mit rationalen Argumenten beeinflussen. Aber darum geht es doch gar nicht! Das "Problem" ist doch, dass hier immer wieder auf's Neue Stimmen laut werden, die hinter den diversen Brüchen, die heute oft zurecht als negativ empfunden werden, entweder pure Dämlichkeit oder sogar Ideologie vermuten (und am Besten noch schlussfolgern, mit ein wenig Grips ließe sich alles regeln und die alte "Baukultur" eins zu eins reanimieren). Darauf kann man m. E. am besten reagieren, wenn man grob die Verhältnisse darlegt, die zu den jeweiligen Veränderungen führten. Es geht doch nicht darum, den heutigen Wert vieler historischer Bauten zu leugnen! Die These vom bösen Ideologen, der "Wasser predigt, aber Wein trinkt", wie hier zum x-ten Mal von Chandler aufgeworfen, erübrigt sich damit übrigens auch (und ich kann jedem versichern, von den paar wahren Ideologen, die auf politischer, planender oder gestaltender Ebene aktiv waren und sind, hat n. m. K. niemand im gründerzeitlichen Steinhaufen residiert).

  • Gründerzeitler empfinde ich als zu höhlenartig, die große Deckenhöhe dürfte im Winter schwer zu heizen sein und oftmals haben Gründerzeitler unverputzte Rohre und Stromkabel.


    Tja, lieber ne 50m²-Bärenhöhle mit 4m Raumhöhe und großen Doppelfenstern oder ein 55m²-Kaninchenbau von 2,5m mit teilw. quadratischen Sichtluken? Es ist ja auch schließlich nicht jeder Neubau ein hochwertiger Investorenbau der letzten Jahre am Potse oder so...Das mit dem Heizen im Winter stimmt wohl, aber dafür brauch man im Sommer nicht unbedingt eine Klimaanlage, wie in so manchem Glasneubau, in den den halben Tag lang die Sonne knallt, wie ich grad wieder bei der Arbeit festellen muss...:gaah:


    Meine Oma wohnte in Siemensstadt in einem der "Neubauten" aus den 50ern. Dort sind z.B. im Bad die Abflussrohre der drüberliegenden Wohnung aus der Decke, um die Ecke in die Wand verlaufen. Man kannte den Tagesrythmus des Nachbarn also sehr gut. Und viel größer als bei manchem Gründerzeitler waren Bad und Küche auch nicht.


    Das hatte ich in den beiden Gründerzeitlern (1909 und 1910), in denen ich bisher gewohnt habe, nicht. Außerdem kann man - jedenfalls wenn man plant, die Wohnung langfristig zu bewohnen oder es ne Eigentumswohnung ist - Rohre und Leitungen ja u.U. auch nachträglich verkleiden, z.B. mit Stuckleisten an den Decken, Fußleisten am Boden-Wand-Übergang, unter neu verlegtem Boden oder in Fluren und Bädern mit abgehangenen Decken.


    AeG

    ...'richtige' Altbauten erzielen nur dann Traummieten, wenn sie Süd-Ausrichtung besitzen und in engen Straßen möglichst noch in den oberen Stockwerken liegen.


    Und was für Mieten kann man bei Neubauten in engen Straßen, ohne Südausrichtung, im 1.OG erwarten?


    Eine Reproduktion dieser Architektur müsste mMn ja nicht 1:1 passieren, sodass man die Wände auch nach heutigen Maßstäben aus Betonplatten und mit neuen Grundrissen errichten könnte, s. Neumarkt oder manches aufm Fritzenwerder. Viele Rekonstruktionisten stört das, mir persönlich ist es zweitrangig, solange der äußere Gesamteindruck stimmt. Wie schon mal gesagt, sind die meisten Leute Passanten und wohnen nicht in den Häusern, sodass es einem mehr oder weniger egal sein kann, wie die Wohnung nun geschnitten ist oder wie es hinterm Putz aussieht. Neubauten von heute dürften schon den einem gewissen Stadard entsprechen, sodass man nicht in einer kleinen Kammer wohnen muss, was so oder so nichts mit der Fassadengestaltung zu tun hat.


    Deine soziale Ader in Ehren, aber was haben die von dir immer wieder aufgezählten damaligen Arbeitsverhältnisse, mit dem heutigen ästh. und teilw. wohnqual. Empfinden von Gründerzeitlern ggü. Neubauten zu tun? Klar ist das aus heutiger Sicht unvorstellbar/unglaublich/unfassbar und viele denken bestimmt gar nicht darüber nach. Soll man aber jetzt ein schlechtes Gewissen haben und jeden Abend ein Gebet sprechen, für den Arbeiter, der vielleicht beim Bau meines Hauses oder an den Folgen gestorben ist, damit man heute in ner schönen Wohnung wohnen kann? Hier gehts ja um Architektur, nicht um "Arbeiterrechte um die Jahrhundertwende", auch wenn es nicht uninteressant ist. Ähnliche Probleme gibt es heute bestimmt auch bei "Made in Asia"-Produkten o.ä., auch wenn man sich heute dazu informieren kann (was auch nicht immer der Wahrheit entsprechen muss) und entsprechend einkaufen kann.

  • Ben, wie man wohnen möchte ist jedem selbst überlassen. Ich bevorzuge es in modern geschnittenen Wohnungen zu wohnen, die Deckenhöhe ist mir dabei nicht wichtig. Im Gegenteil ich finde hohe Decken eher unpraktisch und kalt. Wie bekommt man die Spinnenweben aus den Ecken und wechselt die Energiesparlampen aus wenn sie mal den Geist aufgegeben haben. Ich bewohne beruflich bedingt eine Wohnung meist nur für ein paar Monate und muss mir dann in einem anderen Land eine neue Wohnung suchen. Bevorzugen tue ich modern eingerichtete wenig überfrachtete Wohnungen (Japanischer Stil) die möglichst hell sind und eine gute Aussicht bieten. So, hatte ich mir im letzten Jahr in Italien aber auch jetzt in England eine moderne Wohnung ausgesucht anstelle eines Altbaus, obwohl es in Italien überwiegend Altbauten gab. Teilweise 500 Jahre alt mit absurd hohen Decken. Ich hätte eine Wohnung haben gekonnt die direkt im Stadtzentrum lag, einen 40 m² Balkon hatte und Decken von 5,50 m Höhe. Die Lampen hingen an Seilen und konnten so auf und abgelassen werden. Habe mich dann aber im 6. Stock eines neuen Gebäudes eingemietet, welches nur Standardhöhe hatte, aber dafür sehr viel heller und freundlicher war.
    Von der Fassade gefallen mir allerdings Gründerzeitler wesentlich besser als moderne Gebäude. Ideal wäre für mich dann eine modern geschnittene Wohnung in einem Gebäude mit einer Gründerzeit oder Jugendstil Fassade.