Bahnhofsviertel auf Metaebene

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    In Frankfurt lag die Zahl der Drogentoten daher bei 26 (leider wurde nicht erklärt wie hoch die Zahl der Vorjahre war und wie die Zahl im Zusammenhang mit anderen Städten einzuordnen ist).


    Dem kann abgeholfen werden; und hier.


    In der Wahrnehmung des Problems, das zeigte auch einige der Leserkommentare zum gestrigen FNP-Artikel, unterscheiden sich offenbar diejenigen, die die Situation in den 80er Jahren kannten und den status quo demgegenüber als deutliche Verbesserung empfinden, von denenjenigen, die den Bezug zur damaligen Situation nicht herstellen.

  • ^Die Statistik ist interessant, allerdings erlauben absolute Zahlen keinen Vergleich auf Augenhöhe. Wenn man eine pro Kopf Rechnung aufstellt mit den Einwohnerzahlen Berlin (3,5 Mio.), Hamburg (1,8 Mio.), München (1,35 Mio.) und Frankfurt (0,7 Mio.) kommt man auf ein anderes Ergebnis. Dort führt Frankfurt die Liste an und das Ergebnis sollte eher Ernüchterung hervor rufen.


    Die 4 Leserkommentare in der gestrigen FNP waren übrigens geteilter Meinung. Die 80er Jahre als Vergleichsjahre zu bemühen, ist zudem etwas zu praktisch. So kann jede heutige Bilanz relativ gut aussehen. Anstatt 25-30 Jahre zurück zu schauen, sollte der Vergleich aber lieber einen 15-jährigen Vergleichszeitraum nehmen. Die Zahl von 26 Drogentoten wird da gleich viermal unterboten oder genauso erreicht (1997, 1999, 2003, 2005). Soll heissen, man war schon mal soweit und die Taunusanlage ist in der Zwischenzeit rückfällig geworden.

  • Der Pro-Kopf-Vergleich hinkt - ich denke darüber ist sich das Frankfurt-Forum einig. Und gerade der Vergleich mit München ist doch mehr als verblüffend!


  • Wenn man eine pro Kopf Rechnung aufstellt mit den Einwohnerzahlen Berlin (3,5 Mio.), Hamburg (1,8 Mio.), München (1,35 Mio.) und Frankfurt (0,7 Mio.) kommt man auf ein anderes Ergebnis.


    Die Crux mit der Kriminalstatisktik in Frankfurt ist, dass der einwohnerbezogene Vergleich die enorme Diskrepanz zwischen Tag-Bevölkerung (1,2 Mio) und Nacht-Bevölkerung (0,7 Mio) außer Acht lässt. In die Frankfurter Drogenstatistik (nicht Drogentote, sondern Drogenstraftaten) sieht Frankfurt schlechter aus als es ist, wegen des Flughafens. Die dort mit Drogenverdacht vom Zoll abgefangenen Luftfracht- und -postsendungen fallen in die hiesige Statistik, obwohl weder Absender noch Empfänger einen Bezug zu Frankfurt haben. Die Zahl der Drogentoten ist vermutlich auch weniger vom Repressionsgehalt der Drogenpolitik abhängig als von der Güte des Stoffs und dem Gesundheitszustand des Opfers.

  • Die Zahl der Drogentoten ist vermutlich auch weniger vom Repressionsgehalt der Drogenpolitik abhängig als von der Güte des Stoffs und dem Gesundheitszustand des Opfers.


    Die Zahl der Drogentoten hängt in erster Linie an der Kontinuität der Versorgung: Egal ob der Stoff nun permanent stark gestreckt ist oder permanent sehr rein, die Nutzer passen sich daran an. Drogentote gibt es dann, wenn sich die Qualität plötzlich stark verbessert oder wenn grundsätzlich keine Kontinuität gegeben ist und damit keine zuverlässige Dosierung möglich ist (Suizid durch bewusste Überdosis mal außen vor).


    Eine stark repressive Drogenpolitik führt nun aber genau dazu, dass bestehende Bezugsquellen aus dem Verkehr gezogen werden und neue Anbieter in den Markt eintreten - mit natürlich jedesmal anderer Qualität.


    Damit führt eine extrem repressive Drogenpolitik zu einem Maximum an Drogentoten (jeweils unter der Annahme, dass da wo ein Bedarf existiert ein Markt entsteht) und einem Maximum an Begleitkriminalität, weil die Preise steigen und insgesamt mehr Geld im Drogengeschäft unterwegs ist.


    Damit wäre die niedrigste Zahl der Drogentoten zu ereichen, wenn nachweislich Süchtige ihren Bedarf legal decken könnten. Die Begleitkriminalität würde dadurch sicher auch gesamtgesellschaftlich positiv beeinflusst.


    Bei der hierzulande legalen Droge Alkohol konnte man das gesamte Phänomen anhand der Prohibition in den USA wunderbar beobachten.
    Marktentstehung, Qualität der Droge (Schwarzbrennerei, Methanol), organisierte Kriminalität, Korruption in den "bekämpfenden" Behörden - alles inzwischen historisch aufgearbeitet und nachzulesen.


    Nur die Lektion daraus will man nicht lernen.

  • Ich weiß nicht, warum die Leute so viel Angst vor Drogen und Junkies haben. Im Artikel der FR von heute - Brief der 84 Anwohner s.u.- wirdn von 2 Angriffen berichtet. Ansonsten hängen die halt in der Gegend rum und beschäftigen sich mit sich selbst. So eine Panik darüber machen? Dass das ganze Viertel davon herunter kommt. Kein Wort über Zuhälter mit dicken Autos, die dort überall rumstehen. Nichts über Taschendiebe, Trickbetrüger, ganz zu schweigen über so normale Sachen wie Diebe und Mörder (oder gibts dort sowas nicht?). Sind Junkies die einzige Sorge des BHV?
    Der wirtschaftliche Schaden, den die Deutsche Bank und seine Kunden mit Insidergeschäften, Steuerhinterziehung und Lebensmittelspekulation zu verantworten hat, ist tausend mal höher als die paar Junkies. Selbst der Frankfurter Flughafen verdient mehr an den Drogentransporteuren als die mit ihren Kleinverstecken für den nächsten Tag.
    http://www.fr-online.de/frankf…tel,1472798,14339790.html

  • Nur die Lektion daraus will man nicht lernen.


    Das ist zumindest eine leicht einseitige Betrachtungsweise, denn die Anzahl von Drogentoten zu messen, sollte nicht als der einzige oder ausschlaggebende Indikator für die Sicherheit des Bahnhofsviertels gelten. Klar bringt die Repression neue Probleme, aber an welcher Stelle wurde eine reine Repression hier im Forum gefordert? Wichtig wäre, zu messen wie die Aufklärungsquote oder die erfolgreiche Anklage von Drogendealern verläuft. Auch die Anzahl an beschlagnahmten Drogen würde ein Erfolgsaspekt darstellen. Ebenso würde eine Umfrage der ansässigen Firmen, Geschäften und Anwohnern ein wenig Licht ins Dunkel bringen.


    Der wirtschaftliche Schaden, den die Deutsche Bank und seine Kunden mit Insidergeschäften, Steuerhinterziehung und Lebensmittelspekulation zu verantworten hat, ist tausend mal höher als die paar Junkies.


    Das mag der Fall sein, aber mit neuer Finanzmarktregulation wie Basel III, MiFid II, EMIR, AIMFD und weiteren Initiativen der BaFin, Bundesbank, EZB wird viel getan um das Geschäft sicherer, transparenter und nachhaltiger zu machen. Ebenso musste die Finanzbranche (zurecht) viel Kritik einstecken und sich massiv ändern müssen. Ganz ähnlich verhält es sich bei der Frankfurter Drogenproblematik, die sich durch die Ausbreitung in die Taunusanlage "gefühlt" verschlechtert hat. Es geht beim Entrée vom Bahnhof schließlich auch um den ersten und meist bleibenden Eindruck den Besucher von Frankfurt erhalten.

  • Mehr FNP Erfahrungsberichte: Geschäftsbesitzer, Anwohner

    Die FNP Serie geht weiter:


    Geschäftsbesitzer Bernhard Hahn, der seit 10 Jahren Musikinstrumente verkauft:
    - Sieht die Drogenszene vor seinem Geschäft "Cream Music" als geschäftsschädigend.
    - Hat bereits einen Bewschwerdebrief an Petra Roth geschrieben.
    - Die Ecke Taunus-/Elbestraße sei "ein Moloch hoch zehn."
    - Auf der Straße würden "immer wieder dieselben" stehen.
    - Spricht von leicht provozierbaren Dealern vor denen man Angst haben muss.



    Anwohner Klemens Rolf, der direkt neben dem Kontaktladen "Café Fix" seit August 2010 wohnt:
    - Man könne "in friedlicher Koexistenz" mit den Abhängigen leben, obwohl er schon von einem Fixer zusammengeschlagen wurde.
    - Im August 2011 schickte er ebenfalls einen Bewschwerdebrief an OB Petra Roth.
    - Das "Café Fix"würde sehr auf Sauberkeit achten und sehen, dass sich die Konsumenten nicht vor den Nachbarhäusern aufhalten.
    - Die Ecke Taunus-/Elbestraße sei verbesserungsfähig.


    FAZIT: Es gibt einen Konsens, dass die Ecke Taunus-/Elbestraße keine gute Ist-Situation darstellt. Die Stadt ist am Zug.

  • Das ist zumindest eine leicht einseitige Betrachtungsweise, denn die Anzahl von Drogentoten zu messen, sollte nicht als der einzige oder ausschlaggebende Indikator für die Sicherheit des Bahnhofsviertels gelten. Klar bringt die Repression neue Probleme, aber an welcher Stelle wurde eine reine Repression hier im Forum gefordert? Wichtig wäre, zu messen wie die Aufklärungsquote oder die erfolgreiche Anklage von Drogendealern verläuft. Auch die Anzahl an beschlagnahmten Drogen würde ein Erfolgsaspekt darstellen. Ebenso würde eine Umfrage der ansässigen Firmen, Geschäften und Anwohnern ein wenig Licht ins Dunkel bringen.


    Erfolgreiches Aus-dem-Verkehr-ziehen von Drogendealern und Beschlagnahme von Drogen sind repressive Maßnahmen im Sinn meiner Darstellung, wenn gleichzeitig für den Abhängigen kein legaler Bezugsweg existiert.


    Da der Bedarf weiterbesteht schaffen beide Maßnahmen nur Platz für neue Dealer und höhere Preise für das verbleibende Dogenangebot - letzteres erhöht die Beschaffungskriminalität, da das bestehende (legale und illegale)Einkommen der Abhängigen für die höheren Preise nicht ausreicht.


    Das ist nicht das, was das Bahnhofsviertel braucht.


    Wesentlich wäre eine legale Bezugsmöglichkeit zu niedrigen, konstanten Preisen und in konstanter Qualität, verbunden mit Druckräumen, Entsorgungsmöglichkeit für Verbrauchsmaterialien, etc.


    Der Entzug der Einnahmen für den illegalen Drogenhandel, der aus einem kontrollierten legalen Verkauf resultiert, wird binnen kurzer Zeit einen Großteil der kriminellen Versorgungsstruktur zusammenbrechen lassen. In Verbindung mit der reduzierten Beschaffungskriminalität durch niedrige, konstante Preise, die es dem Abhängigen erlauben, seinen Bedarf aus legalem Einkommen zu finanzieren, dürfte es zu einen deutlich spürbaren Rückgang der Belästigung des Bahnhofsviertels kommen.

  • Mir ist es relativ egal wie, Hauptsache die Drogenszene verschwindet endlich aus dem Entree zur Stadt. Dieses Teils entsetzliche Bild das einem direkt nach Verlassen des Hauptbahnhofs bietet, dürfte doch mit einer der Hauptgründe dafür sein, dass die Stadt außerhalb Hessens häufig immer noch mit ihrem 80er-Jahre-Ruf assoziiert wird.

  • FAZ entdeckt das Thema nun auch

    Die FAZ sieht den "Frankfurter Weg" an dieser Stelle ebenso in einer Sackgasse. Ein Rundgang an der Mosel-, Taunus-, Elbe- und Niddastraße schildert den Zustand recht deutlich. Viele Süchtige halten sich demnach nicht an das Verbot des öffentlichen Heroin-Spritzens. Die Druckräume sind zu klein für die 4.000 registrierten Drogenabhängigen. An der Elbestrasse sieht man dann Spritzen, blutige Taschentücher, usw: Anzeichen für eine öffentliche Szene. Der türkische Wirt gegenüber vom Café Fix ist beunruhigt wie sich das Viertel entwickelt. Ebenso erfährt man, dass die Stadt 300.000 Euro im Jahr für die Reinigung des Bahnhofsviertels ausgibt, dreimal so viel wie für das Mainufer (!!!). Da fragt man sich, wohin dieses Geld eigentlich fliesst?


    Auch die FNP druckt in diesem Kommentar eine kritische Meinung ab. So kritisiert man, dass die drei zentralen Druckräume das Problem nicht in den Griff kriegen. Die Stadt sei "unehrlich", wenn sie den Frankfurter Weg als reines Erfolgsmodell feiern würde.


    Darüber hinaus berichtet die FNP in diesem erschreckenden Rundgang vom 29. März von offenem Spritzen zur Mittagszeit an der Moselstrasse vor allem in Eingängen, Nischen oder Passagen. An der Ecke von Taunus- und Elbestraße, im Herzen des Rotlichtviertels, halten sich demnach des öfteren mehr als 50 Abhängige gleichzeitig auf (!!!). Selbst ein Bordell-Besitzer (Taunusstr. 26) beschwert sich, dass "der Normalbürger Angst hat, hier durchzugehen" und dadurch Verwahrlosung und Umsatzeinbußen von bis zu 50% entstehen. Der Chef des Sonnenstudios "Sun4You" an der Elbestraße beklagt "Zustände schlimmer als in Neapel" und fühlt sich im Stich gelassen (er hat mit einem privat angestellten Security-Guard reagiert).


    FAZIT: Der rote Faden von beiden Rundgängen scheint zu sein, dass die Geschäftsbesitzer unisono die Entwicklung ihres Viertels mit Besorgnis verfolgen und zunehmend unzufrieden sind. Wie Rohne schon sagt, als Entree zur Stadt ist das Bahnhofsviertel eine regelrechte Antiwerbung, wenn man mal die Münchner Strasse ausklammert.

    3 Mal editiert, zuletzt von Golden Age ()

  • Die Stadt reagiert mit Maßnahmenkatalog

    In der Druckversion der FAZ vom 30.3. und in diesem FNP Artikel wurde berichtet, dass die Stadt die Bedenken der Anwohner und Geschäftsleute ernst nimmt. Gesundheitsdezernentin Manuela Rottmann (Grüne), Ordnungsdezernent Markus Frank (CDU), sowie weitere Vertreter von Stadt, Polizei und Drogenhilfe bzw. Präventionsrat trafen sich mit Vertretern der "84 Unterzeichner des Offenen Briefes". Man besprach sich für drei Stunden und unternahm einen gemeinsamen Rundgang.


    Der Grundtenor war, dass sich die Anwohner nicht im Stich gelassen fühlen sollen. Man sei dankbar für die neuen Anregungen und sehe Handlungsbedarf in einigen Bereichen.


    Hier einige Maßnahmen:


    • Es wird stärkere Kontrollen der Drogenszene geben, da viele Lokalitäten, die von den Anwohnern erwähnt wurden, nicht bekannt gewesen sein.


    • Die stärkere Rolle osteuropäischer Gruppen aus Rumänien und Bulgarien (EU Osterweiterung im Jahr 2007) soll ebenfalls untersucht werden.


    • Man überlegt besonders schwierige Stellen durch bauliche Maßnahmen, wie eine Installation von Straßenlampen, zu entschärfen.


    • Eine Verlegung der drei Druckräume in andere Stadtteile komme genauso wenig in Frage wie die reine Repression.


    • Man werde den "Frankfurter Weg" trotz der neuen Herausforderungen weitergehen, da die Süchtigen selber nicht das Problem seien.


    • Hinweise der Anwohner sollen künftig bei der Arbeit von Drogenhilfe und Ordnungshütern einbezogen werden.


    • Man habe vermehrt Probleme mit psychisch kranken Abhängigen. Passanten werden gebeten Straftaten sofort zu melden und die 110 anzurufen.


    Auch interessant: Um Abhängige aus dem Viertel und dem Milieu heraus zu lösen, habe man zudem schon Substitutions-, Beschäftigungs- und Übernachtungsplätze für "stabile" Abhängige in anderen Gebieten angeboten. Das erscheint mir der richtige Weg zu sein. Entscheidend dürfte sein wie sich die Situation an der Mosel-, Taunus-, Elbe- und Niddastraße entwickelt.


    Eine weitere Hoffnung: Die Stadt erkennt, dass der einstige Aufwärtstrend im Bahnhofsviertel kein Selbstläufer mehr ist. Es ist wieder echte "Grassroots"-Arbeit angesagt und weniger Zweckoptimismus. Anstatt Projekte wie den Bahnhofsvorplatz oder Busbahnhof in den hintersten Schubladen der Dezernate verschwinden zu lassen, sollte man wieder beherzter anpacken.

  • Verschoben. Bezieht sich auf diese Beiträge.
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    Hm na ja, ist das Rotlichtviertel den wirklich schädlich für den Ruf der Stadt? Hamburg hat trotz seiner weltbekannten und als verrucht geltenden Reeperbahn auch einen guten Ruf. Und laut einer Bekannten von mir, die in der Frankfurter Tourismusbranche tätig ist, ist das Rotlichtviertel wohl gerade bei Touristen alles andere als unbeliebt.


    Bis auf die XXX-Schilder finde ich die Elbestraße wie RMA auch eher zurückhaltend. Generell wirkt das Viertel auf mich nicht so schmuddelig, bis auf so manche Gestalten die da rumlaufen. Bezüglich einer Verlagerung fände ich es sinnvoller, wenn man das deplazierte Bordell direkt am Main bei der Oksar-von-Miller-Straße oder die Etablissements in der Breiten Gasse ins Bahnhofsviertel verlegen/locken könnte. Letztere stehen einer Aufwertung der (östlichen) Innenstadt eher im Weg, als die überwiegend architektonisch schönen Bauten im Bahnhofsviertel.


    Im Bahnhofsviertel selbst würde es schon reichen, wenn dieses Porno-Kino an der Kaiserstraße verschwinden würde. Das zieht die ganze Ecke runter, weil es auch recht heruntergekommen wirkt. Wäre es weg, würde sich das Rotlichtviertel aber nur auf die Nebenstraßen verteilen und würde damit nicht mehr so massiv in das Blickfeld der Fußgängerströme (der Kaiserstraße) gelangen.

  • Der entscheidende Unterschied zwischen den Rotlicht- und Drogenmilieus in Hamburg und Frankfurt ist die "Hamburger Zweiteilung" in St. Pauli und St. Georg.


    In St. Georg gibt es eine geduldete Drogenszene (siehe Interview in FNP vor 5 Tagen). Es ist ein klar abgegrenztes Quartier für die Drogenszene mit geduldetem Konsum und die Freie Hansestadt rühmt sich dieses Projekts (zurecht!). Dadurch war es möglich die Reeperbahn in die Nummer 1 Touristenattraktion der Stadt zu entwickeln. Auch im Frankfurter Bahnhofsviertel schlummert Potenzial. Man stelle sich beispielsweise vor der Tigerpalast würde in ein revitalisiertes Schumann-Theater ziehen.

  • Hamburg ist nicht vergleichbar. Sowohl St. Georg als auch St. Pauli sind für Besucher nicht so auffällig wie das Frankfurter Bahnhofsviertel. St. Georg wäre vielleicht mit der Nordseite des Hauptbahnhofs vergleichbar. Es ist immer noch nah, aber wer in die Stadt möchte kommt damit nicht in Verbindung.


    In dem Interview wird jedoch auch gesagt, dass der Mikrokosmos mit dem Rotlichtmilieu die Drogenabhängigen ins Bahnhofsviertel zieht. Wäre - rein theoretisch - das Bahnhofsviertel durch Wohnungen, Büros und gepflegte Gaststätten und Geschäfte geprägt, dann würden sich für die Abhängigen auch keine Vorteile zum Rest der Stadt bieten. Zumindest wenn man von der unüberschaubaren und dunklen B-Ebene absieht. Allerdings müssen auch die Abhängigen irgendwo hin und ich habe dafür auch keine Patentlösung. Ohne das nötige Hintegrundwissen zu besitzen, wäre meine Ansatz noch immer eine gewaltige Ausweitung der Hilfsangebote (Druckräume, Beratung, Therapie, Wohnungen, Entziehung, alternative Wohnorte auf dem Land etc.) in Kombination mit deutlich höheren Strafen für Dealer. Das kostet zwar Geld, aber hier wird Hilfe auch tatsächlich gebraucht. Und die Allgemeinheit kosten die Junkies auch heute schon indirekt eine Menge Geld.


    Frankfurt zieht Drogenabhängige aus vielen Teilen der Republik an. Daher wird Frankfurt leider absehbar weiter mit einer überproportionalen Anzahl von Drogenabhängigen kämpfen müssen. Meine leise Hoffnung ist jedoch, dass durch einen gezielten Wandel des Bahnhofsviertels, Frankfurt langfristig etwas an "Attraktivität" für Junkies aus dem Rest der Republik verliert. Das ist allerdings ein sehr bescheidenes Ziel.


  • Langfristig sollte die Stadt daher mE eine Verlagerung (nicht Abschaffung) des Milieus wieder anstreben. Beim nächsten Versuch müsste das natürlich durchdachter sein als beim letzten Mal.


    Es ist ja nicht so, dass der Magistrat es nicht versucht hätte:


    Durch Art. 2 des 5. Strafrechtsänderungsgesetzes vom 24.6.1960 wurden die Landesregierungen erstmals ermächtigt, sog. Sperrgebietsverordnungen zu erlassen; diese Vorschrift steht heute als Art. 297 im Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch – EGStGB. Außer der Verordnungsermächtigung enthält sie auch das Verbot der kasernierten Prostitution. Erlassen werden die Sperrgebietsverordnungen in Hessen von den Regierungspräsidien. In den beiden ersten Frankfurter SperrgebietsVOen vom 18.12.1960 und vom 25.11.1970 ging es ausschließlich um das Verbot der Prostitution auf öffentlichen Straßen, Plätzen und Anlagen, Eros-Centren, Laufhäuser heutiger Prägung gab es damals nicht, stattdessen Straßenprositituion und Stundenhotels sowie Wohnungsprostitution (bekanntestes Beispiel: Rosemarie Nitribit).


    Nach der Anzahl der in der VO aufgeführten Straßen zu urteilen, muss der Straßenstrich praktisch überall gewesen sein. Als Reaktion auf das Verbot der Straßenprostititution etablierten sich ab Ende der 60er/Anfang 70er Jahre die Eros-Center und Massagesalons, der Rotlichtbezirk verdichtete sich.


    Den ersten Versuch, das Bahnhofsviertel zu „säubern“ unternahm der RP im Benehmen mit dem (damals CDU-geführten) Magistrat 1986. Mit der SperrgebietsVO vom 23.12.1986 wurden das Bahnhofsviertel und Teile von Sachsenhausen zum absoluten Sperrgebiet erhoben, der Rest der Stadt zum relativen Sperrgebiet, wo es keine Bordelle, Massagesalons usw. und keine Straßenprosititution geben durfte, nur Wohnungsprostitution, im Bahnhofsviertel nicht einmal das. Erstmals wurden aber sog. Toleranzzonen ausgewiesen, exakt bezeichnet nach Straßen und Hausnummer oder Flurstücksnummern. Toleranzzonen wurden an der Breiten Gasse, an der Oskar-von-Miller-Straße, im Hafengebiet ausgewiesen, am Deutschherrnufer und an der Theodor-Heuss-Allee. Für den Kern des Rotlichtviertels wurde eine etwa 3-jährige Übergangsfrist bis zum Eintritt des absoluten Verbots bestimmt.


    In den 80er und 90er Jahren hatte es mehrere Normenkontrollverfahren vor dem HessVGH zu nahezu allen rechtlichen Aspekten der SperrgebietsVO gegeben. Ein Verfahren befasste sich mit der Frage, ob nicht ein absolutes Verbot im Bahnhofsviertel zu einer Verdrängung in andere Stadtviertel führen würde. U.a. dieses Verfahren, was zum Kriterium erhob, dass die Ausweisung von Sperrgebieten nicht zu einer Verdrängung in andere Stadtteile führen dürfe, und die tatsächliche Schwierigkeit, das Verbot gegen den Willen der Eigentümer auch durchzusetzen, dürften RP und Magistrat schließlich bewogen haben, im Jahre 1992 (ÄnderungsVO v. 24.6.1992) das absolute Verbot im Bahnhofsviertel durch die Einführung von Toleranzzonen zu lockern. Vom Verbot ausgenommen wurden die von
    1. Weser-, Nidda-, Elbe- und Taunusstraße und
    2. Elbe-, Nidda-, Mosel- und Taunusstraße
    umschlossenen Flächen sowie noch einige explizit aufgeführte Flurstücke im Bereich der Taunusstraße. Und das ist der Status quo.


    Die Rechtsprechung zum Thema besagt, dass ein gewisser Anteil des Stadtgebietes als Toleranzzone ausgewiesen werden muss, wobei diese Flächen aber auch tatsächlich tauglich sein müssen (es gab Städte z.B. München, die die riesigen Gleisvorfelder vor den Kopfbahnhöfen pro forma als Toleranzzonen ausgewiesen haben, die aber gar nicht betreten werden dürfen). Wenn man dann noch die Schutzbedürftigkeit benachbarter Wohngebiete bedenkt, dürfte es in Frankfurt recht schwierig sein, die Toleranzzonen im Bahnhofsviertel aufzulösen und zu verlegen, ersatzlos streichen geht jedenfalls nicht.


    Auf diese Diskussion in den Stadtteilen bin ich sehr gespannt.

  • Es ginge ja auch wenn nur um eine Verlagerung. Laut Google liegen die Laufhäuser und ähnliche Etablissements in München deutlich außerhalb der Innenstadt. Auf Frankfurt übertragen würde das bedeuten, dass man die Rotlichtbetriebe bspw. an die Ausläufer von Hanauer Landstraße, Theodor-Heuss-Allee oder Hanauer Landstraße verlagern würde.


    Der Versuch der Stadt in den 80er Jahren war ja recht dilettantisch. Die Frage wäre doch wie eine Verlagerung heute rechtlich zu beurteilen wäre und ob - falls nötig - entsprechende Gesetzesänderung möglich wären.

  • Ich muss Offenbacher Bub zustimmen. Es wäre erstmal wichtig das Rotlichtmilieu zu konsolidieren und vollständig im Bahnhofsviertel zu konzentrieren.


    Beim Sudfass am Main ist es nicht mehr eine Frage des "ob" sondern nur des Preises, da ist eine baldige Lösung durchaus vorstellbar. Bei der Breiten Gasse bin ich mir leider längst nicht so sicher. Sie ist ein Überbleibsel einer verfehlten Stadtpolitik der Umsiedlung von 1986 (die sogenannten "Toleranzzonen" wie tunnelklick beschreibt). Allerdings ist das gesamte Viertel zwischen Konstablerwache, Zoo und Literaturhaus ohnehin ein städtebauliches Niemandsland: gesichtslos, uninspirierend, plump und vor allem heruntergekommen. Alleine die Überbauung des ehemaligen Börneplatzes von 1983 mit einem absonderlich hässlichen Stadtwerk bleibt eines der schlimmeren Eigentore der Frankfurter Stadtplanung. Leider hat die Stadt auch in den letzten 20 Jahren so gut wie nichts getan um die Infrastruktur in diesem Dreieck zu verbessern. Mit der Schließung der Stadtbibliothek an der Zeil ist die Situation eher noch schlechter geworden. Mein Tipp: Es wird eher noch schlimmer bevor es besser wird und stelle mich auf weitere 10 Jahre Verwahrlosung ein.


    Beim XXX Kino an der Kaiserstrasse muss man ebenso abwarten. Während viele Frankfurter Lieblinge wie Klabunt, Turmkino oder Plöger ersatzlos gestrichen oder im Rekordtempo abrasiert werden, scheint es bei Schandflecken doppelt so lange zu dauern bis sie endlich verschwinden.

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    Beim Sudfass am Main ist es nicht mehr eine Frage des "ob" sondern nur des Preises, da ist eine baldige Lösung durchaus vorstellbar. Bei der Breiten Gasse bin ich mir leider längst nicht so sicher. Sie ist ein Überbleibsel einer verfehlten Stadtpolitik der Umsiedlung von 1986 (die sogenannten "Toleranzzonen" wie tunnelklick beschreibt).


    Ich denke, die Rotlichtbezirke Breite Gasse und Oskar-von-Miller-Str. sind nicht entstanden, nachdem die Stadt bzw. der RP dort Toleranzzonen geschaffen hat, sondern umgekehrt wurden in Anerkennung des Faktischen die Toleranzzonen dort ausgewiesen, wo sich das Milieu ohnehin schon festgesetzt hatte. Einem Artikel in der FR vom 2.12.2008 war zu entnehmen, dass das Sudfass - damals - vor 37 Jahren eröffnet habe, mithin 1971. Ähnlich war es bei der Breiten Gasse.

    Einmal editiert, zuletzt von tunnelklick () aus folgendem Grund: Rechtschreibung

  • Original von OffenbacherBub
    Hm na ja, ist das Rotlichtviertel den wirklich schädlich für den Ruf der Stadt? Hamburg hat trotz seiner weltbekannten und als verrucht geltenden Reeperbahn auch einen guten Ruf. Und laut einer Bekannten von mir, die in der Frankfurter Tourismusbranche tätig ist, ist das Rotlichtviertel wohl gerade bei Touristen alles andere als unbeliebt.


    Muß dir absolut zustimmen, das Rotlichtmilieu in Frankfurt ist dem Ruf Frankfurts international in keinster Weise abträglich. Viele Touristen suchen ja gerade Frankfurt aus genau diesem Grund für einen Kurztrip auf. Besonders beliebt ist Frankfurt bei us-amerikanischen Männern zwischen 18-40, die teilweise in ganzen Schwärmen in das Rotlichtviertel einfliegen.


    Das Rotlichtviertel ist ein Standortfaktor für Frankfurt. Und seien wir mal ganz ehrlich, welche architektonischen Highlights oder besondere kulturhistorische Einrichtungen liegen den gerade im Rotlichviertel?


    Das Einzigste was zu bemängeln ist, dass ist die Bausubstanz der "Etablissements", hier wird viel Geld umgesetzt, aber teilweise weigern sich die Immobilienbesitzer das Geld für Investitionen wieder auszugeben. Die einzigste mir bekannte Ausnahme ist das Komm, auch unter dem Namen "Kontakthof" bekannt, dieses Gebäude wurde vor einigen Jahren saniert.


    Original von garcia
    Frankfurt zieht Drogenabhängige aus vielen Teilen der Republik an. Daher wird Frankfurt leider absehbar weiter mit einer überproportionalen Anzahl von Drogenabhängigen kämpfen müssen. Meine leise Hoffnung ist jedoch, dass durch einen gezielten Wandel des Bahnhofsviertels, Frankfurt langfristig etwas an "Attraktivität" für Junkies aus dem Rest der Republik verliert. Das ist allerdings ein sehr bescheidenes Ziel.


    Als Erstes muß ich hier mal festhalten, dass legalisierte Prostitution und Drogenszene keinen gemeinsamen Nenner haben. In Frankfurt trifft beides nur aus räumlichen Gegebenheiten zusammen. Sollte man das Rotlichviertel aus dem Bahnhofsviertel verbannen, so wird die Drogenszene sich immer noch hier befinden.


    Die Drogenszene hält sich nicht direkt bei den Laufhäusern auf, sondern ist etwas abseits. Vor den Laufhäusern befinden sich meist keine Drogensüchtigen, sondern ab und an mal Bettler und Obdachlose. Die Drogenszene befindet sich hauptsächlich in der Elbestraße, im Anlagenring und am Hauptbahnhof.


    Die Drogenszene befindet sich maßgeblich am Hauptbahhhof, weil öffentliche Verkehrsmittel der bevorzugte Verkehrsträger von Dealern und Süchtigen sind, was auch klar ist, denn narkotisiert lässt sich schlecht autofahren. Wie Heuschrecken schwärmen sie teilweise aus der Republik nach Frankfurt, um Geschäfte zu tätigen. Hier muß klar sein, dass die meisten Drogensüchtigen keine Obdachlosen sind, sondern meist ein "normales Leben" in irgendwelchen Mietswohnungen führen und für ihre Sucht zu einem zentralen "Geschäftsort" pendeln.


    Nicht nur der Frankfurter Hauptbahnhof weist eine große Drogenszene auf, auch andere Hauptbahnhöfe großer deutscher Städte weisen dieses Problem auf. Ich verweise mal in dieser Hinsicht auf das Buch "wir Kinder von Bahnhof Zoo", dass noch verallgemeinert von Aktualität ist.


    Drogensucht zieht auch immer Straßenprostitution nach sich, aber die ist in Frankfurt im Bahnhofsviertel verboten. Mit einer Verlagerung der Laufhäuser wird man immer noch die illegale Straßenprostitution im Bahnhofsviertel haben.


    Wenn ich es metaphorisch umschreiben soll, dann sind das Rotlichtviertel und die Drogenszene die Symptome zweier unterschiedlicher Krankheiten, die man nur schwerlich mit einer Behandlung kurieren kann. Das war nur ein bildlicher Vergleich, ich möchte das Rotlichviertel natürlich nicht mit einer Krankehit gleichstellen, hier wird einem Geschäft nachgegangen, dass die Grundtriebe vieler Männer befriedigt, die sie so oder so aufweisen.


    Der direkte Einfluß der Stadt Frankfurt auf die Drogenszene ist nur sehr sehr begrenzt. Die Stadt hat schön öfters versucht die Drogenszene auszuquartieren, aber die Junkies und Dealer finden sich immer wieder im "angestammten Gebiet" ein, nämlich dem Bahnhofsviertel, da nützen auch Suchtcenter in Fechenheim nichts.


    Eine Aufwertung des Bahnhofsviertels ist ja nach und nach langsam erfolgt. Schaut man sich die Kaiserstraße an, dann ist im Moment viel Leben nachts und am Wochenende hier zu finden. Es haben auf der Kaisertsr. zwar viele Geschäfte, wie die Kaufhalle geschlossen, aber viele hipe Bars und Clubs geöffnet, wie zB. das Orange Peel. Die Drogenszene ließ sich jedoch nicht dadurch großartig vertreiben. Vertreibt man die Drogenszene durch Polizeipräsenz, so lässt sie sich einfach ein oder zwei Straßen weiter nieder, so geschehen vom Kaisersack zur Elbestraße.


    Das ganze Problem ist sehr sehr vielschichtig, hat mit den aktuell konsumierten Narkotika, einer allgemeinen gesellschaftlichen Verwerfung und natürlich knallhart mit den geographischen Gegebenheiten zu tun, Frankfurt ist nunmal die Mitte der Republik.


    Es gibt eine Möglichkeit narkotisierte Drogensüchtige auf friedliche, sanfte Art und Weise zu vertreiben und zwar mit hellem Licht, das eine leicht grün-blau Verschiebung aufweist. Viele Menschen kennen die Situation, dass man nach einem Saufgelage Kopfschmerzen von hellem Licht bekommt, dass ist der durch Narkotika weiter geöffneten Pupille verschuldet und natürlich der Einfluß auf das Gehirn.
    Sollte man für das gesamte Bahnhofsviertel ein neues helles Lichtkonzept aufstellen und Quecksilberdampflampen als Leuchtmittel verwenden, so könnte man ein Teil der Drogenszene vertreiben. Nachteil ist, dass die Drogenszene sich dann eine neue Heimat ein oder zwei Straßen weiter sucht und das grünliche Licht der Lampen meist abstoßend auf alle wirkt.