Stadtschloss Berlin: Der Thread für den Wiederaufbau

  • "Die Rekonstruktionisten" bleiben aber die Antworten stets schuldig wie heutige Nutzungen (Verkehr, Dienstleistungen, Einzelhandel) mit den alten Strukturen vereinbart werden können.


    Ich würde mich selbst nicht als "Rekonstruktionist" beschreiben, aber auf diesen häufig vorgebrachten Vorwurf gegenüber der angeblich mangelnden Funktionalität von kleinteiligen, historischen Stadtstrukturen möchte ich mal eingehen.


    Was sind denn "heutige Nutzungen"? Heutzutage gibt es doch extrem vielfältige Anforderungen an Nutzungen, wie Verkehr oder Einzehandel und daher auch zig mögliche Ausprägungen dieser - von der Fußgängerzone, Shared Space bis hin zur Autobahn bzw. kleiner Boutique, Kaufhaus und Shopping Mall.


    Wer sagt denn, dass schmale Straßen und kleinteiliges Gassengewirr "nicht funktionieren"? Die mir bekannten europäischen Stadtzentren, die noch solche Strukturen aufweisen, sind alle ausreichend verkehrlich erschlossen, bieten ökonomisch verwertbare Flächen (oft auch sehr lukrative) und sind in der Regel auch multifunktional nutzbar, da sie sowohl Einzelhandels- als auch Wohnstandorte sind. Sogar in Berlin findet man noch passende Beispiele, die Spandauer Vorstadt ist gleich um die Ecke.


    Ich denke, die moderne Bewegung in der Architektur hat zu Ihrer Zeit ganz zu Recht angemahnt, dass eine Architektur den Erfordernissen ihrer Zeit zu entsprechen hat. Aber die letzten 70 Jahre Städtebau, gerade in Berlin, sollten auch gezeigt haben, dass es keine normativen, uniformen und uneingeschränkt gültigen Anforderungen an Städte gibt. Versuche Stadtstrukturen komplett nach gefühlten zeitgenössischen Bedürfnissen auszurichten, endeten doch zumeist in der Stadtzerstörung und Monotonie der "Autogerechte Stadt" und anonymen Plattenbausilos mit normierten Grundrissen.


    D.h. man sollte sich sehr genau überlegen, welche "heutigen Nutzungen" man denn meint und wünscht für das Berlin Stadtzentrum. Eine Innenstadtnutzung a la Regensburg/Prag/Amsterdam/Paris ist sicherliche genauso Ausdruck unserer Zeit wie das Alexa ...

  • Wenn man die Möglichkeit hat die Gebäude mit aktueller Technologie nach aktuellen Anforderungen und eigenen ästhetischen Vorstellungen zu gestalten. Und man dann diese Möglichkeiten einfach verschenkt und man keine eigene Idee entwickelt sondern einfach sagt "mir fällt ja doch nichts Besseres ein" also baue ich einfach nochmal das Gleiche was da vor 100 Jahren mal stand. Dann ist das in meinen Augen eine sehr traurige Entwicklung.


    Man kann sich natürlich stilistisch an bestehenden und vergangenen Gebäuden die einem gut gefallen orientieren und man kann auch scheitern bei dem Versuch ein besonders schönes und zugleich praktisches und kostengünstiges usw. Gebäude zu errichten. Aber es erst gar nicht zu versuchen ist doch arg mutlos. Dann soll man es halt jemand anderes machen lassen der mehr Talent und Selbstvertrauen hat.

    Einmal editiert, zuletzt von Chandler ()

  • Ich behaupte auch nicht das schmale Straßen oder Gassen, kleine Häuser oder dergleichen auf keinen Fall vereinbar sind mit heutigen Nutzungen.


    die Spandauer Vorstadt funktioniert in der tat sehr gut, auch wenn das Fußgänger-, Straßenbahn- und Autochaos auf dem Stück der Rosenthaler Straße vor den Hackeschen Höfen mir als ehemaligem Anwohner im Alltag dann echt auf die Nerven ging.


    Rund um das Schloss ist aber in der tat die Lage eine andere. Die Karl-Liebknecht Brücke, die Rathausbrücke und die Gertraudenbrücke sind die einzigen Ost-West Achsen im Zentrum. Da bald der Molkenmarkt rückgebaut wird (was ich sehr befürworte) steigt der Druck auf die Karl-Liebknecht- und die Rathausbrücke. Die oben gezeigte idylle ist im einfach illusorisch! Sie ist mit der zukünftigen Nutzung des Schlosses und der Museumsinsel wohl kaum zu vereinbaren. Offensichtlich war das Verkehrsproblem um 1900 schon groß genug um den Lustgarten dem Verkehr zu opfern. Mit dem Bau der heutigen Karl-Liebknecht Straße wurde die Spreeinsel unwiederbringlich in Nord- und Südhälfte geteilt.


    d.

  • Chandler
    Also ist letztlich Eitelkeit der Gegenwart die treibende Kraft hinter der Ablehnung von Historismus?


    Kleist
    Ein gruppenfähiger (...) Solitär ist ein Oxymoron, kurz und knapp.
    Und warum benutzt du "heimelig" als ein Negativum? Vielleicht bin ich zu lange nach dem Krieg aufgewachsen um mit Heimat zu fremdeln.



    Die Häuserfront wirkt ebenso mondän wie kleinteilig-individuell, dennoch aber in einem harmonischen Gesamtbild. So wie jeder Ton und jede Strophe einer Komposition individuell ist, so wird erst in der Gesamtheit ein Meisterwerk draus. In der Architektur ist das für mich nicht anders. Und wenn das Stadtschloss als einsamer "Tusch" in der Landschaft stehen bleibt, in Sichtweite eines spartanisch reparierten Dom und der noch spartanischeren sozialistischen Architektur, dann bleibt es ein einsamer Ton der verhallt, so schön er auch sein mag. Alte europäische Städte lebten nicht von Stuck oder romanischen Elementen sondern von diesem Gesamtverständnis (Einheit in Vielstimmigkeit). Wenn uns die Rekonstruktion - nebst Debatte darum - dieses Konzept wieder lehrt dann hat sich alle Mühe meiner Meinung nach schon gelohnt. Dann darf gerne modernistisch gebaut werden. Ich habe keinen Stuckfetisch! Ich mag es aber zB gerne "heimelig".

  • In der Tat, in Bild #1299 sieht man deutlich den Masstabsprung von 3-4 auf 5+ Geschosse. Also schon mitten in der Tertiäsierung des Stadtkernes. Der Durchbruch zur Kaiser-Wilhelm-Strasse war im übrigen inkl. der Wohnbebauung privarfinanziert und eine wirtschaftliche Vollpleite.


    Die kleinteilige Bebauung ist doch traumhaft schön, vom Zwei- bis zum Neunachser alles dabei. Und wieso soll das denn "mit den heutigen Nutzungen nicht vereinbar" sein? Der Bauträger, der diese Wohnungen anböte würde zum Multimillionär - da muss ja weder eine Tankstelle noch ein Supermarkt an die Burgstrasse. Auch der Verkehr muss nicht am Wassr lang und von "Gassengewirr" ist auch nicht die Rede.


    Und ein "gruppenfähiger Solitär" ist kein Oxymoron sondern Unsinn. Beispiele für so einen sprachlichen Wortmüll möchte ich wirklich einmal sehen.

  • Chippie gegen das Schloss

    Laut Berliner Zeitung hat sich Chipperfield gegen den Wiederaufbau des Schlosses als Humboldtforum geäußert. Vor zehn Jahren hätte Berlin das Schloss vielleicht gebraucht, jetzt sei die Stadt mit sich im reinen und könne darauf verzichten:
    http://www.berliner-zeitung.de…s-,10809148,11732984.html


    M. E. eine sehr merkwürdige Haltung zu einem über Generationen hinweg bedeutungsvollen Bauwerk, welches jetzt begonnen wird und dessen Finanzierung weitgehend steht. Und das noch vom Vorsitzenden der Jury.


    Naja der Mann ist halt ein Künstler ...

  • nun denn, vor 10 Jahren hatte man auch noch einen Chipperfield gebraucht - jetzt sieht man die Ergebnisse und kann wohl getrost drauf verzichten...

  • Doppeltes Schloßportal

    Ich bin neu in diesem Forum und mich interessiert brennend wie ihr zu dem Problem des doppelten Schlossportals steht.
    Jedesmal wenn ich am ehem. Staatsratsgebäude vorbeikomme stelle ich mir die Frage was wird wohl mit dem darin integrierten Original-Schlossportal mit dem Liebknecht-Balkon geschehen? Bleibt das Portal etwa Bestandteil des Staatsratsgebäudes und wir finden dann am Schloss ca. 20 Meter schräg gegenüber eine Kopie dieses Portals? und wäre das nicht ein Irrsinn? oder wird das Original-Portal ins Schloss eingesetzt und die Kopie ins Staatsratsgebäude gepflanzt? welche Berechtigung hat dann noch die Erhaltung der Staatsratsfassade? Wenn ihr dieses Thema hier schon bis zum Exzess erörtert habt und ich es nicht bemerkt habe, vergebt mir.

    3 Mal editiert, zuletzt von ARCADIEN ()

  • ^Da das Staatsratsgebäude mittlerweile selbst unter Denkmalschutz steht und das dort errichtete Schlossportal auch nur zum größten Teil eine Kopie ist, stellt sich diese Frage eigentlich garnicht... im Übrigen ist es der Liebknecht-Balkon. Scheidemann musste seinerzeit zum Reichstag ausweichen.

  • Das angesprochene Schlossportal wird später auch auf der anderen Seite des Stadtschlosses/Humboldt-Forums zum Lustgarten hin stehen. Zum Schlossplatz/Staatsraatsgebäude hin stehen dann Portale, die durch Kolossalsäulen gegliedert sind. Man wird also schon mal nicht Original und Kopie auf einen Blick sehen können.
    Abgesehen davon ist das ins Staatsratsgebäude eingelassene Portal meines Wissens nach auch nur eine Kopie, bis auf einige der Statuen.
    Das Staatsratsgebäude steht mittlerweile auch unter Denkmalschutz. Der Bau wurde von Anfang an mit dem Schlossportal geplant und gehört zu seiner äußerlichen Gestaltung einfach dazu.


    Ups, da hab ich aber lange zum Schreiben gebraucht. XD Als ich losgelegt hab, hatte Tel33 noch nicht geantwortet.

  • Man wird also schon mal nicht Original und Kopie auf einen Blick sehen können.


    Was für mich so ziemlich das entscheidenste bei der Sache ist. Daher mache ich mir da auch wenig Gedanken darüber.

  • ^^
    Wiederkehrende Elemente und Symmetrie werden doch schon immer zur Platzgestaltung genutzt. In sofern hätte es doch gut zusammen gepasst. Außerdem ist es eine schöne Geschichte für die Stadtführer die sie dort den Touristen erzählen und gleich anschaulich zeigen können.

  • Neues von der Musterfassade

    Fenster sind eingesetzt und neuer Schmuck angebracht. Es wird ein wirklich schönes Stück Bauhandwerk:



    Shot at 2012-03-27



    Shot at 2012-03-27



    Shot at 2012-03-27



    Shot at 2012-03-27

  • ^

    So schön die Fassadenelemente auch sein mögen und mir persönlich gefallen, für mich sind sie immer "Neuzeit" ! Ich tue mir einfach schwer damit das ganze (neue) Schloß mit der Nostalgie zu betrachten wie andere alte Schlösser und Burgen. Anyway, wenn's sein muss und die hunderte Millionen fließen :Nieder:, dann wenigstens gut aussehend :daumen:

  • Aber wieso eigentlich? Es ist doch das selbe Handwerk und ich finde das ziemlich beeindruckend. Zum Glück gibt es doch noch Leute die das beherrschen. Historisierende Bauten gab es in der Menscheitsgeschichte schon immer und nun haben wir eben wieder soeine Phase und das ist ziemlich spannend. Auch bzw vorallem soziologisch gesehen.

  • ^^versteh ich auch nicht so ganz. Schmuckelemente müssten so oder so im Laufe der Zeit saniert resp. komplett ersetzt werden. Auch historische Gebäude haben ja in der Regel kaum noch Ornamentik aus der Zeit ihrer Errichtung. Und wenn man sich die wenigen historischen Bauwerke im Berliner Zentrum anschaut, so wird man feststellen, dass sie fast alle mehr oder weniger Neu- bzw. Nachbauten sind...

  • Da sonst scheinbar niemand um den Bauplatz schleicht berichte ich:


    Das Schloss hat zur Seite Schlossplatz/ Breite Straße hin nun ein Bauschild.
    Außerdem, und das ist wesentlich aufregender, haben Bauarbeiter an der Ecke Unter den Linden/ Schlossfreiheit angefangen, die nicht zu erhaltenden Keller abzureißen. Das sieht nach Beginn der Baugrube aus!


    Es geht los.

  • @ Bär:


    Doch doch, wir schleichen, nur ganz so aufregend ist es (zumindest optisch) dann doch nicht. ;)


    Immerhin ein U5-Bauschild neben der Humboldtbox und ein Bildchen von den Kellern als Beigabe: