Ich habe den Eindruck, dass Frau Reiche nicht viel Ahnung von der DDR hat. Schließlich war es in der DDR überhaupt nicht üblich, über ein Bauvorhaben durch einen Bürgerentscheid zu entscheiden. Der Versuch, ein Bürgerentscheid durchzusetzen, steht daher in einem scharfen Gegensatz zur politischen Praxis in der DDR. Daher kann man der Bürgerinitiative "Für ein Potsdam ohne Garnisonkirche" beim besten Willen keine Nähe zu DDR-Praktiken unterstellen. Eher müssen sich jene Kräfte, die einen Bürgerentscheid zu verhindern versuchen, Fragen nach ihrer demokratischen Haltung stellen. .
Na aber hallo.
Artikel 21
1 Jeder Bürger der Deutschen Demokratischen Republik hat das Recht, das politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Leben der sozialistischen Gemeinschaft und des sozialistischen Staates umfassend mitzugestalten. Es gilt der Grundsatz "Arbeite mit, plane mit, regiere mit!".
2 Das Recht auf Mitbestimmung und Mitgestaltung ist dadurch gewährleistet, daß die Bürger
alle Machtorgane demokratisch wählen, an ihrer Tätigkeit und an der Leitung, Planung und Gestaltung des gesellschaftlichen Lebend mitwirken;[...]
Verf. der DDR i.d.F vom 7.10.1974
und
§ 1. (1) Jeder Bürger hat das Recht, sich schriftlich oder mündlich mit Vorschlägen, Hinweisen, Anliegen und Beschwerden an die Volksvertretungen, die staatlichen und wirtschaftsleitenden Organe, die volkseigenen Betriebe und Kombinate, die sozialistischen Genossenschaften und Einrichtungen sowie an die Abgeordneten zu wenden. Dieses Recht haben auch die gesellschaftlichen Organisationen.
Gesetz über die Bearbeitung der Eingaben der Bürger-Eingabengesetz- vom 19.6.1975
Das klingt doch 1A, zumindest in der Theorie. Sehr viel anders wird es mit dem Bürgentscheid wohl auch nicht werden. Ich habe im APH schon die Befürchtung geäußert, dass den Leuten hier nicht reiner Wein eingeschenkt wurde. Haben die Befürworte den Menschen klar gemacht, dass sie mit ihrer Unterschrift lediglich die Stadt dazu bewegen können, einen letztendlich symbolischen und plebiszitär erzwungenen Akt der Unmutsbekundung innerhalb des Stiftungskuratoriums zu äußern? Denn in der Hand hat die Stadt es schlichtweg nicht mehr. Dann müsste man auf das Einlenken der Kirchenleute und Befürworter der Kirche hoffen.
Hier wird die Sache heikel. Die Bundesrepublik ist im Gegensatz zur DDR ein Rechtsstaat. Man kann die Stiftung nicht einfach mal so dazu zwingen, die Kirche nicht zu bauen. Genausowenig können ein par Potsdamer durch ein Bürgerentscheid dem Bund vorschreiben, wofür er sein Geld auszugeben hat. So funktioniert das ganz einfach nicht.
Es besteht aus meiner Sicht die Gefahr, dem Instrument des Bürgerentscheids dauerhaften Schaden zuzufügen. Die Leute werden sich schlichtweg verarscht vorkommen, wenn sie in einem potentiellen Bürgentscheid begleitet von viel medialem Tamtam gegen die Garnisonkirche stimmen und diese am Ende doch gebaut wird.