"Der Untergang alter Städte ist ein Weltuntergang"
Hier ein Artikel aus der FAZ von Martin Mosebach. Da ich leider kein Abonnent bin, konnte ich in hier nicht reinkopieren, so habe ich einfach mal die, für mich, wichtigsten Auszüge niedergeschrieben.
Alles anzeigenWenn eine Stadt ausgelöscht wird, verliert die Nation, der sie angehörte, einen wichtigen Aspekt ihres Charakters. [...] Eine alte Stadt ist eine Welt, und ihr Untergang ein Weltuntergang. Wenn wir zu Recht das Artensterben bei Pflanzen und Tieren beklagen, muss uns auch der Verlust einer alten Stadt, und liege sie noch so weit von uns entfernt, als Verlust menschlicher Ausbildung beunruhigen.
Das zwanzigste Jahrhundert hat die Entstehung masssenhafter städtischer Agglomerationen gesehen, aber nicht die Gründung einer einzigen gelungenen Stadt. Wir müssen uns eingestehen, dass wir über die sensationellsten kulturellen Techniken verfügen, die alles in der Weltgeschichte bisher Gebotene in den Schatten stellen, dass wir aber keine Städte gründen können.
Auch ist unsere von industriellem Reichtum gezeichnete Zeit einfach zu arm, um sich auch nur eine hohe Feldsteinmauer, wie sie einst Parks und Klöster umgab, leisten zu können. Als Architekten und Investoren klar wurde, wie teuer das Schöne war, wichen sie in eine Ästhetik des Pauperismus aus, in der die armselige Massenproduktion als das eigentlich ästhetisch Raffinierte propagiert wurde.
Wo nicht wie in Bam die ganze Stadt ein einziger Trümmerhaufen ist, sondern Teile des Ganzen sich erhalten haben, ist die Rekonstruktion fehlender Gebäude mit der Arbeit eines Kunstschreiners zu vergleichen, der einer alten Kommode anstelle der abgebrochenen Füße neue Füße einsetzt. Wenige Leute kämen wohl auf die Idee, zu fordern, die Empire-Kommode müsse bei dieser Gelegenheit Aluminiumfüße bekommen, denn es sei ehrlicher, bei der Reparatur ein Zeitzeugnis für die Geschichtlichkeit der Restaurierung zu schaffen, anstatt den entstandenen Schaden so unsichtbar wie möglich zu beheben. Bei Plätzen wird freilich so argumentiert. Jede Zeit habe den berühmten alten Plätzen Europas eigene Merkmale hinzugefügt, und so sei auch die Gegenwart aufgefordert, gerade dort deutlich an die Stelle von beschädigtem Alten etwas Eigenes zu setzen.
Dieses mit historischem Pathos hunterttausendmal geäußerte Argument ist zutiefst unhistorisch, denn es verkennt den radikalen Traditionsbruch, der die vieltausendjährigen Epochen des handwerklichen Bauens, die beinahe bis in die Gegenwart reichen, von der neuen und inzwischen die ganze Welt prägenden Epoche des industriellen Bauens trennt. In den berühmten europäischen Ensembles standen und stehen in den verschiedenen Stilen Gebäude nebeneinander: Aber auch wenn Gotik und Barock oder Romanik und Klassizismus aufeinandertreffen, ist das Gemeinsame größer als das Trennende. Handwerkliches Bauen schuf einen ästhetischen Fundus, der den Bauten aller historischen Stile gemeinsam ist. Was aus Stein, Backstein oder Holz errichtet ist, steht unter einem anderen Gesetz als das Haus aus Glas, Beton und Stahlträgern.
Gegen den zu erwartenden entrüsteten Protest der Architektenzunft sei das Offensichtliche, deshalb aber wohl intellektuell am schwersten Begreifliche noch einmal ausgesprochen: Es gibt kein einziges Beispiel eines gelungene Zusammenklangs zwischen einem gewachsenen historischen Ensemble und einem in industrieller Ästhetik in es hineingesetzten Gebäude.
Es gibt einen Typus von Gebäuden, die rekonstruiert werden, weil der Schmerz, sie verloren zu haben, zu groß ist oder auch die Empörung über das Verbrechen, das sie vernichtet hat. [...] Es ist billig, angesichts solcher Rekonstruktionen (Warschauer Altstadt, Kloster Montecassino, Dresdner Frauenkirche) hochmütig von ästhetischer Ohnmacht zu sprechen, wenn doch gerade diese Ohnmacht durch die Rekonstruktion eingestanden werden soll: zu erkennen, dass der Verlust unersetzlich war und dass die eigene Zeit nicht über die schöpferische Kraft verfügte, ihn zu heilen, sondern darauf angewiesen war, das verlorene Alte, so gut wie es ging, wiederherzustellen.
Dem ist eigentlich fast nichts hinzu zu fügen. Viele Menschen finden ja gerade die moderne Architektur so trostlos, weil sie sich gar nicht an alten Stilen orientiert, was wahrlich ein Novum in der Baugeschichte ist.