Fassadenveränderungen in den 20er Jahren und heute

  • Ohja, dass Gebäude kenne ich... Hat mich schon immer gestört, dass ausgerechnet an einer so exponierten Lage ein Entstuckungsopfer vor sich hin siechte. Ich wusste allerdings nicht, dass hinter der tristen Fassade solch ein Juwel schlummert.
    Die Besitzer können, wenn die Fassade tatsächlich qualitätvoll wiederhergestellt wird (hoffen wir mal das Beste!) hier ein absolutes Schmuckstück herstellen, dass reißenden Absatz finden wird.

  • Dieses Foto habe ich heute in der Nürnberger Straße gemacht und zeigt eine Häuserzeile gegenüber des Ellington Hotels. Bemerkenswert ist, dass alle im Bild zu sehenden Gebäude Altbauten sind - und doch wirkt die Straße durch den chaotisch billigen Fassadenmischmasch selten hässlich. (Nur eine Original-Fassade hat überlebt!) Ich finde dieses Beispiel zeigt sehr anschaulich, welchen Schaden die Fassadenverunstaltungen am Berliner Stadtbild angerichtet haben, aber auch welches unglaubliches Potenzial aus dieser Stadt herausgeholt werden kann, wenn es genug historisches Bewusstsein, Geschmack und Gestaltungswille gäbe.


  • So unterschiedlich die Sichtweisen....

    Ich teile grundsätzlich Dein Argument, nur ist es hier mit dem unpassendem Bild unterlegt. Ich sehe die Hässlichkeit nicht, im Gegenteil. Ich sehe eine vielfältige Fassadenreihe, ganz unterschiedliche Konzepte, mit der Altbausubstanz umzugehen. Das ist für mich Stadt. Mir nimmt die Straße etwas zuviel Raum ein. Und ein paar Bäume könnten auch nicht schaden. Aber das ist doch eine ganz gut funktionierende Seitenstraße.

  • ^^ich frage mich immer warum Eigentümer nicht wenigstens ein bisschen Geld in die Hand nehmen und eine minimal Version des Vorkriegszustandes mit ein wenig Stuck und Farbe schaffen. Als Anwohner würde ich sogar dafür spenden.

  • ^ Mit ein bisschen Geld ist es in vielen Fällen eben nicht getan. Da reden wir über Summen im fünf- oder sechsstelligen Bereich. So viel Geld können nicht alle privaten Eigentümer mal eben so ausgeben, und wenn sie es in die Hand nehmen, dann für Maßnahmen, die wirklich notwendig sind bzw. sich gut auf die Mieten umlegen lassen. Da geht es dann eher um Themen wie Leitungstausch, Heizungsmodernisierung, Badsanierung etc. Für Immobilienunternehmen ist das aus ähnlichen Gründen unattraktiv, zumal dort der Renditegedanke noch stärker im Vordergrund steht.

    Stuck zurück an die Fassade zu bringen, ist (und bleibt in Zeiten steigender Zinsen) insofern eher etwas für vermögende Liebhaber oder gezielte Luxusmodernisierungen.

  • Du hast Recht, wir leben leider in einer ultra-rationalen Zeit. Früher hatte man ein viel anspruchsvolleres Denken in Bezug auf die Notwendigkeit von Schönheit.


    Aber: "Sechstelliger Bereich" ist ein wenig übertrieben. Mal ehrlich, ein paar wetterfeste Styropor Leisten über den Fenstern und ein neuer Anstrich, kostet keine Millionenbeträge...

  • Klar, letztendlich ist der Preis abhängig von Bauumfang und Qualität. Aufhübschung ist das eine, eine Wiederherstellung des originalen Zustands etwas anderes. Wenn z. B. gusseiserne Gitter zurück an die Balkone sollen, kann es rasch teuer werden. Und ja: Früher hat die Architektur im Hinblick auf Repräsentation und Selbstdarstellung eine größere Rolle gespielt und auch, wenn das Ganze oftmals eben nur "Fassade" war, erscheint es mir doch wichtig, Gebäude aus diesen Zeiten zu erhalten bzw. zu restaurieren. Ich persönlich brauche nicht jeden Figurenschmuck oder jedes Erkertürmchen aus wilhelminischer Zeit zurück. Der Reiz dieser Archtektur resultiert ja nicht zuletzt auch daraus, dass sie nicht mehr omnipräsent ist. An bestimmten Orten jedoch, wäre eine Ergänzung nach historischen Vorbildern eine sinnvolle und wünschenswerte Bereicherung des heutigen Stadtbilds.

    2 Mal editiert, zuletzt von Ted Mosby ()

  • ^bis zur Unkenntlichkeit entstellt - du erkennst es aber an der Etagenhöhe. Ich gehe davon aus: zu 90% Altbau.

  • ^^

    Als "Beweis" aber auch zur Veranschaulichung des annähernd originalen Erscheinungsbildes der Straße gibt es ein Luftbild aus dem Jahr 1954 auf dem Geoportal Berlin. In der Bildecke unten links ist der Abschnitt der Nürnberger Straße zu sehen - damals noch mit historischen Fassaden und Giebeln.


    @UrbanFreak: Eine "Billig-Sanierung" mit Styroporleisten hilft mMn auch nicht weiter - viele dieser Pseudo-Wiederbestuckungen sehen am Ende unbefriedigend oder gar kitschig aus. Trotzdem denke ich, dass es eine Zwischenlösung geben kann, bei der zwar nicht die oft üppigen Fassaden des ausgehenden 19.Jahrhunderts vollständig wiederhergestellt werden müssen, aber dennoch ein reduzierter, geschmackvoller Klassizismus als Leitbild dienen kann. In den Jahren vor dem 1.WK wurden sogar bereits einige Fassadenumgestaltungen überbordender Historismus-Gebäude vorgenommen, die mit wenigen Mitteln sehr gefällige, wenn nicht sogar noch schönere, Resultate hervorbrachten. Erst in Weimarer Zeiten wurden die Umbauten radikaler, indem den Gebäuden entgegen ihrem ursprünglichen Gestaltungskonzept eine moderne Optik aufgezwungen wurde.


    Schade eigentlich, dass Treese, Nöfer und Co. keine Altbausanierungen planen und eine Vorbildrolle für gekonnte Fassadenneugestaltungen entstuckter Altbauten einnehmen. Luxussanierungen von Altbauten gibt es ja genügend.

  • Schade eigentlich, dass Treese, Nöfer und Co. keine Altbausanierungen planen und eine Vorbildrolle für gekonnte Fassadenneugestaltungen entstuckter Altbauten einnehmen. Luxussanierungen von Altbauten gibt es ja genügend.

    Ich denke die wissen schon ziemlich genau warum sie sich nicht die Finger mit sowas verbrennen wollen, oder anders gesagt den ”GutenRuf“

    Der Backsteinbau ist im Inneren jedenfalls ebenso modern wie Außen. Vor drei Jahren war ich dort in einer Praxis für Nuklearmedizin.

  • Könntest du ausführen, warum man damit seinen guten Ruf aufs Spiel setzen würde? Im Sinne der Nachhaltigkeit sind einige Bestandsumbauten im Portfolio jedenfalls eine Bereicherung. Mit dem Feingefühl von Nöfer und Treese sollte es auch kein Problem sein, ein vernünftiges Fassadenkonzept entwickeln zu können.

  • Ehemaliges Kaufhaus Wertheim (Rosenthaler Straße)

    Der berühmte Architekt Alfred Messel hat insbesondere in der Kaufhaus-Architektur der Frühmoderne Maßstäbe gesetzt. Sein größtes und bekanntestes Gebäude, das Wertheim am Leipziger Platz, wurde im Weltkrieg zerstört. Auch das Wertheim am Moritzplatz wurde im Krieg beschädigt und später abgetragen. Bekanntlich hat es die Kaufhäuser im Krieg schwer getroffen und man will meinen, dass es kaum eine Fassade mehr zu bestaunen gibt. Doch in der Rosenthaler Straße versteckt sich ganz unbemerkt der letzte verbliebene Wertheim-Bau von Alfred Messel. Die Hauptfront des Gebäudes befindet sich hinter einer vorgehängten 00er-Jahre Fassade der AOK, in der Sophienstraße ist der Seitentrakt sogar noch erhalten.


    Angesichts der Bedeutung Messels für die Architekturgeschichte von Berlin und der Bedeutung des Gebäudes als sein letztes noch erhaltenes Kaufhaus, halte ich die Wiederherstellung der Fassade für unerlässlich. Die Frage ist nur, wer dafür zahlen möchte...


    Hier ist außerdem ein Bild vom Zustand vor der Sanierung, bzw. wie es in DDR-Zeiten verunstaltet wurde.


    Ansicht heute:


    img_8195dfcvd.jpg


    Im EG sind Fragmente der Originalfassade freigelegt worden. Der einzige Verweis auf die ursprüngliche Gestaltung:


    img_8197fmi02.jpg


    In der Berliner Architekturwelt von 1905 wird das Gebäude umfassend dokumentiert. Es gibt sowohl Aufnahmen von der ganzen Fassade als auch von jenen Details, die im oben abgebildeten, heutigen Zustand noch zu sehen sind:





    (c) Berliner Architekturwelt (1905), ab S.5