Um das Pro-Seminar an der Karl-Marx-Universität mal wieder zu verlassen: Die prekären Wohnverhältnisse Mitte und Ende des 19. sind in erster Linie auf das enorme Bevölkerungswachstum zurückzuführen. Die Industriezentren waren darüberhinaus noch einem enormen Zuzug ausgesetzt. Für diese
Menschen musste erstmal Wohnraum geschaffen werden.
Was da bis 1914 geleistet wurde, kann man durchaus als reife Leistung bezeichnen. Wir profitieren ja heute noch im erheblichen Maße davon. Nicht nur Gebäude, auch fast die gesamte großstädtische Infrastruktur wurde damals geschaffen. Die Wohnungsfrage ist darüberhinaus in Deutschland eigentlich erst in den 70er Jahren (Westen) wirklich gelöst gewesen, im Osten erst nach 1990. Also auch die Abkehr von aufwendigen Baustilen des Historismus nach 1918 und der Beginn der Moderne hat trotz deutlich geringerem Bevölkerungswachstum hierzulande nur punktuelle Abhilfe schaffen können. Darüber sollten die gefeierten Siedlungen des "Neuen Bauens" nicht hinwegtäuschen. Das waren immer noch viel zu wenige.
Wenn man sich das heutige Desaster im Wohnungsbau, in der Digitalisierung etc. anschaut, da muss man vor den Leistungen Ende des 19., Anfang des 20. Jhds. um so größeren Respekt haben. Ich habe ernste Zweifel, dass wir die Herausforderungen denen man sich damals stellen musste, heute ähnlich bewältigen könnte.