Berlin und die Corona-Pandemie

  • ^ Halten wir fest: Professor Willich hält die Beschränkungen bis 20.4. für sinnvoll, auch im Hinblick darauf, dass die Ergebnisse deren auch durch freiwillige Maßnahmen erreicht werden könnten, wenn sie denn eingehalten werden würden. Und nein, bloß weil in letzter Zeit häufiger Virologen in den Medien auftauchen, heißt dies noch lange nicht, dass die Bundesregierung (und die Landesregierungen und überhaupt alle anderen Regierungen) sich ausschließlich von diesen Beraten (ähh, regieren) lässt. Das Gemunkele über das Auseinanderbrechen der Gesellschaft (wohlgemerkt, das hat nichts mit der kritischen Begleitung von politischen Maßnahmen zu tun) scheint nichts Anderes als eine First-World-Beschäftigungstherapie in Personenkreisen, die mit der plötzlich massig vorhanden Zeit nicht besser umgehen können und erinnert an das leicht angegeilte Geraune über den bald wahrlich kommenden Bürgerkrieg in rechts(-esotherischen) Kreisen der letzten Jahre.

  • Wenn Du Herrn Dr. René Schott vom Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam mit rechts-esotherischen Kreisen gleichstellst, dann sagt das viel über Dich und wenig über René Schott aus.

    Wo ist das Problem eine andere Meinung als die eigene zu respektieren?

  • ^ Auch hier gilt: das Recht zur freien Meinungsäußerung schließt nicht das Recht ein, dass dem nicht widersprochen werden darf. Das sieht übrigens auch Schlott so, auch wenn er überrascht ist, dass es fast ausschließlich positive Reaktionen gäbe, ja, dass das überhaupt möglich wäre - um damit gleich mal im "Mainstreammedium WDR" das gesellschaftliche Klima als eines zu framen, in dem die von ihm vertretene Meinung nicht stattfinden könnte. Wer macht so etwas sonst gleich noch ganz gerne? :/


    Auch generell bitte nochmal an der Textrezeption arbeiten. Wenn etwas den Anschein erweckt und an Anderes erinnert, wird es keinesfalls gleichgesetzt (auch wenn Einzelstimmen wie seine gerne von interessierten Kreisen weitergetragen werden). Oder sollte das zur Veranschaulichung deines namensgebenden Effekts dienen?


    Was Herrn Schlott betrifft, erstaunt es ein wenig, dass er als Historiker (Studium der Geschichte, Politik, Publizistik und zum Betriebswirt) gleich auch als Soziologe und Psychologe befähigt ist (zumindest kann er erkennen, dass diese anscheinden nicht an der Entscheidungsfindung der Bundesregierung beteiligt waren). Die Offenhaltung von Supermärkten zur Nahrungsversorgung ist für ihn ein Zeichen dafür, dass Konsum keine Einschränkung erführe, während Kunst, Kultur und Sport momentan nicht stattfänden (weder das Eine noch das Andere stimmt). Mit fast zitternder Stimme kommt er zum Schluss, dass Kinder nur noch als potenzielle Virenträger angesehen würden, nicht als Individuen, ja, die temporäre Schließung von Spielplätzen führe zu einem nicht wieder gut zu machenden Bruch in der Gesellschaft. =O


    Das von ihm so umschriebene "große Ziel, dem alles untergeordnet ist" - die Pandemie einzudämmen und die Überfüllung von Krankenhäusern und damit den Tod von Menschen zu vermeiden - ist für ihn nichts mehr als ein Totschlagargument, dass ihn für ihn somit nicht zählt und auf dass er nicht weiter eingehen muss - außer mit dem Wunsch, die Menschen sollten doch wenigstens nicht einsam sterben (ob sie sterben, scheint ihm egal). Da passt es auch, dass er keinerlei Lösung anbietet. Nichts, niente, ничего.


    Die Modellrechnungen der Virologen, deren Validität er bezweifelt, basieren immerhin auf Zahlen und historischen Erfahrungen, die ständig aktualisiert werden. Trotzdem sollen seine Projektionen, die auf, ja was eigentlich außer passend gemachten historischen Querverweisen und ziemlich viel Bauchgefühl, beruhen, den gleichen Wert für politische Entscheidungsfindung haben?

    3 Mal editiert, zuletzt von DaseBLN ()

  • Immerhin sind wir (hoffentlich) im Konsens, das die Einschränkungen, die fast alle Grundrechte betreffen, einen gesellschaftlichen Dialog erfordern und nicht einfach hingenommen werden sollten.


    Für diesen Dialog ist es nicht schlecht, verschiedene Seiten zu hören und zu lesen, um sich selber eine Meinung zu bilden. Oder nicht?


    Zum Test, hier eine wissenschaftliche Arbeit, die eine Quote von falsch positiven Ergebnissen von bis zu 80% beschreibt. PubMed

    Bei dieser Pandemie basiert ja alles auf diesem Test.


    Ich bilde mir meine Meinung nicht aus blindem Vertrauen, sondern versuche Fakten zu Grunde zu legen.


    Eine Freundin von mir betreut auf der Intensivstation in einem Münchner Krankenhaus am Coronavirus erkrankte Patienten. Es ist wirklich nicht schön, wie die Patienten unter Erstickungsgefühl leiden. So will ich keineswegs etwas kleinreden.


    Doch deshalb höre ich nicht auf zu fragen. Es ist mein Umgang mit der Krise.


    Am meisten bewegt mich die Frage, wie wir uns als Gesellschaft nach der Coronakrise wieder aufstellen wollen. Gerade dafür ist ein gesellschaftlucher Dialog wichtig, nach meiner Meinung.

  • ^ Wenn man die Fakten mal zugrunde legt, scheint es mir zur Hinnahme der Einschränkungen derzeit keine Alternative zu geben, Diskussion schön & gut, aber vielen Theoretikern á la Schlott fehlt anscheinend die praktische Vernunft. Natürlich kann ich schlecht finden, dass Spielplätze geschlossen sind und Kinder zu Virenträgern degradiert werden. Nennt er eine pratikable Handlungsalternative? Wir wissen doch, dass für die katastrophale Entwicklung in Südkorea, im Elsass, in Norditalien und in Spanien, im Rheinland bestimmte Ereignisse als Superspreader gewirkt haben wie ein Brandbeschleuniger, das Fußballspiel Bergamo gg. Valencia in Mailand, die Fastenfreizeit im Elsass mit 2.000 Teilnehmern, die Aprés-Ski-Bars in Ischgl, der Karneval, alles Situationen, bei den die Leute lange Zeit eng beieinander gehockt haben. Die Erkenntnis daraus war, Abstand halten, soziale Kontakte einschränken, und zwar so schnell wie möglich und so umfassend wie möglich. Das Infektionsgeschehen gestattet keine langwierigen Diskussionen, wenn man es effektiv eindämmen will. Corona-Viren sind sozusagen beratungsresistent und hören Leuten wie Schlott einfach nicht zu, wie ärgerlich aber auch.


    Der Lockdown ist wirklich gravierend, ohne Zweifel, aber wer hätte denn zu welchem Zeitpunkt konkret anders entscheiden müssen? Vor vier Wochen, vor drei Wochen? Keine Frage, man muss die Dinge aufmerksam verfolgen und die Diskussion keineswegs scheuen. Der Beitrag von Schlott ist mir besonders unangenehm aufgestossen, bräsige Besserwisserei aus dem Homeoffice. Was hat er denn vor 3, 4 Wochen zu alldem gesagt, was er noch nicht wusste? Mir kommt es vor wie ein Tritt in die Kniekehle all der Entscheider auf allen Ebenen, die sich den Allerwertesten aufreißen, um die Krise irgendwie zu meistern.

  • Für diesen Dialog ist es nicht schlecht, verschiedene Seiten zu hören und zu lesen, um sich selber eine Meinung zu bilden. Oder nicht?


    Absolut. Nur hab ich dazu lieber validierbare Fakten als Bauchgefühl und vor allem: Lösungsansätze statt Kritik um der Kritik willen, wie sie Scholte betreibt. Wenn Fakten nur optional und Meinung ebenso valide ist, sind wir ganz schnell im Bereich von gefühlten Fakten und Verschwörungstheorien und die bringen Niemandem was außer den jeweiligen Publizisten. (Nur zur Klarstellung: das heißt nicht, dass ich dir oder Scholte unterstelle, Verschwörungstheorien zu verbreiten.)


    Zum Test, hier eine wissenschaftliche Arbeit, die eine Quote von falsch positiven Ergebnissen von bis zu 80% beschreibt. PubMed

    Bei dieser Pandemie basiert ja alles auf diesem Test.


    Die meisten Tests basieren auf dem gleichen Testverfahren PCR, das es bereits seit Jahrzehnten gibt und generell eine Spezifizität im oberen 90er-Bereich aufweist, sind aber individuell entwickelt worden (siehe die ewige Diskussion und Verzögerung um den amerikanischen Test). Insofern sagt die chinesische Studie, die übrigens zurückgezogen wurde, wie man auf der Seite sehen kann (was in den meisten Fällen aufgrund wissenschaftlicher Mängel geschieht), nichts über die Zuverlässigkeit der in Deutschland verwendeten Tests aus. Das meine ich übrigens mit den gefühlten Fakten.

  • ^ Danke, das die Studie zurückgezogen wurde habe ich übersehen. Als ich sie das erste Mal gesehen habe war das noch nicht so und vorhin gab es nur kurz Copy and Paste.

    Allerdings ist das was anderes als gefühlte Fakten. Das sich die Faktenlage ändert kommt öfters vor, sich Information in ihrer Validität ändern. Fühlen konnte ich den "Withdraw" nicht und mich würde der Grund dafür interessieren.


    Im Grunde werden wir erst rückblickend sehen, in wie weit sich die Coronaausbreitung auf die Sterblichkeitsraten insgesamt ausgewirkt hat. Und ob die Schutzmaßnahmen und vor allem welche davon gegriffen haben oder nicht. Und welche Folgen die Einschränkungen nach sich ziehen lässt sich bisher nur ahnen.


    Info: Die Medizinrechtlerin Beate Bahner aus Heidelberg hat trotz Kritik eine Normenkontrolle gegen die Corona-Verordnung angekündigt. Sie hält die Maßnahmen der Bundes- und Landesregierung für rechtswidrig. Link zur PM

  • Was Herrn Schlott betrifft, erstaunt es ein wenig, dass er als Historiker (Studium der Geschichte, Politik, Publizistik und zum Betriebswirt) gleich auch als Soziologe und Psychologe befähigt ist (zumindest kann er erkennen, dass diese anscheinden nicht an der Entscheidungsfindung der Bundesregierung beteiligt waren).

    Naja, er ist Politologe und Zeitgeschichtler – da ist man an der Soziologie schon ziemlich nah dran. Ein Schwerpunkt des ZZF in Potsdam ist die Erforschung der DDR-Gesellschaft und der Nachwendezeit in Ostdeutschland. Ich vermute mal, dass er daher seine Expertise für Gesellschaften in der Krise ableitet. Und mit den Abläufen des Regierungshandels kennt er sich als Politikforscher auch aus.


    Ich finde, Schlott trägt viel zu dick auf. Dass man Kinder nur noch als "Virenträger" betrachte, während der Konsum ungehindert weitergehen solle, das sind so moralische Empörungsgesten, mit denen ich wenig anfangen kann. Was ich dagegen absolut notwendig finde, ist die kritische Begleitung der politischen Entscheidungen. Aus der vielbeschworenen "Stunde der Exekutive" darf kein Dauerzustand werden. Und es darf auch kein Gewöhnungseffekt eintreten – nach dem Motto: Wenn man das Recht auf Freizügigkeit, die Versammlungsfreiheit, die Unverletzlichkeit der Wohnung, etc. schon wegen Corona einschränken konnte, warum dann nicht auch wegen einer angespannten innenpolitischen Lage z.B. nach Terrorangriffen? Oder in einer schweren Wirtschaftskrise wie 2008?


    Ich habe überhaupt nichts gegen die derzeitigen Einschränkungen, ich halte sie für absolut notwendig. Aber sie geben der Regierung eine Macht in die Hand, die sie im Sinne des Grundgesetzes nicht haben soll. Diese Macht darf nicht – durch Gesetze oder dauerhafte Befugnisse – institutionalisiert werden. Das kann man gar nicht oft genug betonen, auch wenn man die Corona-Maßnahmen unterstützt.

  • Die Medizinrechtlerin Beate Bahner aus Heidelberg hat trotz Kritik eine Normenkontrolle gegen die Corona-Verordnung angekündigt. Sie hält die Maßnahmen der Bundes- und Landesregierung für rechtswidrig. Link zur PM


    Da wäre sie nicht die Erste. Das OVG Münster hat gestern über einen Eilantrag einer Dortmunder Firma gegen die Schließung von Einzelhandelsgeschäften in NRW entschieden und den Antrag abgewiesen. Die Entscheidung liegt noch im Volltext vor, aber die PM des OVG Münster zeigt schon die Richtung der Argumentation. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Gerichte der Exekutive in der jetzigen Situation in den Arm fallen, so lange immer wieder geprüft und abgewogen wird.

  • ^^ Schlott spricht in dem WDR-Beitrag und seinem SZ-Beitrag überhaupt nicht als Historiker und Wissenschaftler, sondern schlicht als bürgerlicher Meinungsbeiträger. Er ist Spezialist für moderne Papst- und Kirchengeschichte und die Geschichte der Holocaustforschung. Weder das eine noch das andere befähigt ihn dazu, einen historischen Kommentar zur Pandemie und ihren gesellschaftlichen Folgen zu liefern (das könnten etwa Mittelalter- und Frühneuzeithistoriker, die sich mit Pestforschung beschäftigen). So erklärt sich wohl auch die reichlich nebulöse Anspielung, der keinerlei Ausführung folgt: "Denn aus der Geschichte gibt es Beispiele dafür wo solche Dinge doch sehr gefährlich dann auch geendet haben".

  • Fragwürdig sind zumindest die Geldbußen (wohl so 150-500€) die teils verhängt werden, wenn man gegen Auflagen verstößt. Hier wird Polizeibeamten ein zu großer Ermessensspielraum eingeräumt, wir reden ja nicht über Parktickets, sondern um richtig viel Geld für ärmere Menschen. Anfangs dachte ich, diese Geldbußen wären mehr so eine Art erzieherische Mahnung, damit der renitente Teil der Bevölkerung die Auflagen auch ernst nimmt, aber sie scheinen tatsächlich vollstreckt zu werden. Wir leben momentan in einem Land, in dem ich drakonische Strafen befürchten muss, wenn ich zu lange auf einer Parkbank sitze!

    Ja die Maßnahmen werden wieder zurück gedreht und nein, Deutschland wird so schnell kein Polizeistaat, aber wir hatten nun alle gezwungenermaßen ein Rendezvous mit "der dunklen Seite der Macht" und ich befürchte, dass so ein Treffen Spuren hinterlässt. Grundsätzlich eignet sich Deutschland hervorragend als Überwachungsstaat. Wir haben sogar weitreichendere Überwachungsmöglichkeiten als viele andere Länder und das gänzlich ohne Handy-Apps. Bei uns kann man die Bewegungsprofile von Menschen telefonunabhängig(!) landesweit nachverfolgen, inklusive Gesichtserkennung und das sowohl im ÖPV (Kameras in allen Stationen und Zügen), wie auch an jeder Mautstation alle paar km auf quasi jeder Autobahn oder Landstraße. Mautstationen fotographieren nämlich routinemäßig jedes(!) Fahrzeug, die neueren so, dass auch Gesichter automatisch erfasst werden können und filtert alle Nicht-LKW heraus, wobei alle Nicht-LKW-Daten offiziell gelöscht werden. Die Verträge mit der privaten(!) Betreiberfirma toll collect sind 170 Seiten lang und geheim. Die Nutzung der Bewegungsdaten und Weitergabe an z.B. Polizeibehörden oder Bundeswehr ist untersagt. Toll Collect als privater Betreiber macht sich strafbar, wenn es Daten an Vollzugsbehörden weitergibt (außer zu Mautzwecken).


    Im September 2018 endete der bisherige Vertrag mit Toll-Collect, daher startete die Bundesregierung Mitte 2016[33] ein neues Vergabeverfahren. Der bisherige Vertrag enthielt eine Kaufoption für den derzeitigen Betreiber durch den Bund. Nach der Vergabe würde der neue Betreiber die Geschäftsanteile von der Bundesregierung übernehmen. Allerdings hatte auch der bisherige Betreiber Toll-Collect angekündigt an der neuen Ausschreibung teilzunehmen. Im Januar 2019 entschied das Bundesverkehrsministerium, dass der Bund den Lkw-Mautbetrieb dauerhaft übernimmt.


    Damit ist die Büchse der Pandora bereits geöffnet worden, denn die deutschen Sicherheitsbehörden gieren seit Jahren danach dieses Straßenverkehrsüberwachungssystem für ihre Zwecke zu nutzen. Es ist nun nur noch eine Frage der Zeit, bis sich irgendein Amthilfeersuchen finden lässt, das wichtig genug erscheint, um den Zugriff auf diesen Datenschatz zu sichern. Corona könnte seinen Teil dazu beitragen.


    https://de.wikipedia.org/wiki/Lkw-Maut_in_Deutschland siehe Unterpunkt: Überwachung des Autobahnverkehrs

  • Ich kann diese Dystopie vom Überwachungsstaat aufgrund moderner Technologie nicht mehr hören. Das ging in der DDR auch ganz ohne Internet und mit Kabeltelefonen. Da wurde jeder Pups dokumentiert. Moderne Technologie deswegen zu verteufeln ist total fehl am Platz. Vor allem gerade jetzt, wo die Digitalisierung in allen Bereichen dringend benötigt wird um überhaupt wettbewerbsfähig zu bleiben.

  • ^ Niemand außer völlig technologiefremden Menschen behauptet, dass "moderne Technologie" selbst irgendwelche Überwachungsdystopien hervorruft. Ich glaube es ist eher ein Mangel an Verständnis moderner Technologie, die Staaten und privaten Firmen derart mannigfaltige Kontrollmöglichkeiten geben. Wenn ich eine Kryptographiesoftware benutze, um mich vor einem Staatstrojaner zu schützen, oder einen VPN-Proxy um staatliche Netz-Zensur zu umgehen, wende ich "moderne Technologie" gegen "moderne Technologie" an und kämpfe trotzdem für den Liberalismus. Es existieren auch bereits Lösungen, um z.B. die Daten aus der LKW-Maut transparent und sicher löschen zu lassen (Blockchain) und/oder zu verwerten, die werden nur nicht elaboriert (außer wir bestehen drauf). Man muss sich das abstrakt klar machen: Die Regierung sammelt seit letztem Jahr unmittelbar und direkt, ausgewertet durch eine Behörde einen Großteil unserer Bewegungsdaten (zu Abrechnungszwecken). Das unterscheidet uns -im Prinzip- nicht mehr großartig von China. Der Unterschied besteht darin, dass wir darauf vertrauen, dass unsere Regierung -im Gegensatz zur chinesischen- diese Daten nicht anfässt (außer zu Mautabrechnungszwecken), wohl wissend, dass es Teile der Regierung gibt (mehrheitlich der CDU) die schon offen davon geträumt haben, diese Daten anzufassen. Die Demokratie stirbt ja nicht in einer einzigen verhängnisvollen Nacht mit Fackelzügen und Parolen. Ihr Tod beginnt weit früher. Mir ist eine kritische Gesellschaft lieber, als eine, die kollektive Folgschaft als nationale Tugend zelebriert, auch wenn sie bisweilen zur Hysterie neigt.

  • Ich möchte schnell auf einen sehr lesenswerten Artikel in der FAZ aufmerksam machen, bevor er hinter einer Bezahlschranke verschwindet. Demnach verdichten sich die Hinweise in der Wissenschaft, dass es in der Tat einen Zusammenhang zwischen der Letalität des Covid-19-Virus und der Feinstaubbelastung gibt. Wenn sich das weiter erhärtet, ist das ein Grund mehr, die Feinstaubbelastung noch ernster zu nehmen und die Krise (und die bereits angedachten Konjunkturpakete) zu nutzen, um die Luftqualität auch und gerade in den Städten, auch in Berlin, entschlossener als bisher zu verbessern.

  • ^

    In demselben von dir verlinkten Artikel steht:

    "Die Zahlen liefern Korrelationen, aber keine Ursachen. Ein Großteil der betrachteten Counties liegt wie New York County zudem nicht nur in den traditionell am stärksten belasteten Industrie- und Verkehrsregionen, sie waren in dieser Anfangsphase der Pandemie auch infektionsbedingt am stärksten von einer Überlastung des Gesundheitssystems betroffen war. Gute Gründe also, die Berechnungen der Harvard-Forscher infrage zu stellen."


    Was die Berliner Luftverschmutzung angeht, so steht die Stadt nach dieser schon etwas älteren Liste Weltweit auf Platz 596.

    • nur drei Plätze schlechter als Lyon (~500.000 Einwohner)
    • nur dreiunddreißig Plätze schlechter als Klagenfurth am Wörthersee (100.000 Einwohner / Platz 629)

    https://de.wikipedia.org/wiki/…4rksten_Luftverschmutzung


    Für eine 3,5 Millionen Stadt (die zudem mit der Stadtautobahn eine Durchschleusefunktion von WestEU<->OstEU hat) sind das hervorragende Werte!


    edit:

    als Ergänzung, bzw. Gegenthese sei dieser aktuelle Artikel im Spiegel empfohlen, der sich damit auseinandersetzt, wieso die Schadstoffemissionen trotz stark verringertem Verkehr wegen Corona einfach nicht schrumpfen wollen:

    Das Feinstaub Rätsel


    Auszug:

    "Nun zeigt sich, dass der Feinstaub oft ganz andere Ursachen hat als den Autoverkehr. Mal sind es Stürme mit Saharasand, die den Alarm auslösen, so war es kürzlich in Dresden und Halle. Mal sind es ausgerechnet die Holzpelletöfen der ökologisch bewussten Nachbarn[..]"

  • ^

    Ich formulierte bewusst vorsichtig: "verdichten sich die Hinweise", "wenn sich das weiter erhärtet", ebenso wie der Artikel, den ich gerade auch deswegen so lesenswert finde, weil er Gegenargumente oder mögliche Zweifel wie den von Dir zitierten artikuliert. Aber der Preis dieser Redlichkeit ist, dass dies Möglichkeiten irreführender Zitation eröffnet. Auf das vor Dir noch zitierte: "Gute Gründe also, die Berechnungen der Harvard-Forscher infrage zu stellen" folgt unmittelbar: "Wären da nicht weitere Hinweise aus anderen Studien und Veröffentlichungen, die sogar einen weiteren Verdacht ins Spiel bringen." Diesen Folgesatz, der direkt auf das zuvor Gesagte Bezug nimmt und dessen Bedeutung entscheidend modifiziert, zu unterschagen, erscheint mir unredlich und manipulativ.


    Dass Berlin besser dasteht als viele andere Städte, könnte, wenn sich die Ergebnisse der im Artikel genannten Studien bestätigen, ein Grund (unter anderen) sein, warum hier die Cororona-Todeszahlen nicht höher sind und daher ein Grund mehr, das Bemühen um eine Verbesserung der Luftqualität zu intensivieren.


    Und schließlich: Welchen Einfluss die Anti-Corona-Maßnahmen auf die Luftqualität haben, lässt sich offenbar z.Z. wissenschaftlich noch nicht genau feststellen.

  • Auf das vor Dir noch zitierte: "Gute Gründe also, die Berechnungen der Harvard-Forscher infrage zu stellen" folgt unmittelbar: "Wären da nicht weitere Hinweise aus anderen Studien und Veröffentlichungen, die sogar einen weiteren Verdacht ins Spiel bringen." Diesen Folgesatz, der direkt auf das zuvor Gesagte Bezug nimmt und dessen Bedeutung entscheidend modifiziert, zu unterschagen, erscheint mir unredlich und manipulativ.

    Ich habe es "unterschlagen" weil ich nicht den halben Artikel zitieren wollte, nur um auszudrücken, dass er sich rein auf Spekulationen bezieht und quasi 0 Aussagekraft hat. Der "weitere Verdacht" ist eine Studie die italienische, französische und britische Forscher gemacht haben, von der es nur ein paar Sätze weiter heißt: "Belege dafür? Liefern die Autoren des Artikels nicht, doch es gibt inzwischen Befunde, die zumindest die Spekulation stützen" und zu dieser Spekulation wird dann ein Herr Meselson herangezogen von dem es wieder ein paar Sätze weiter heißt: "Empirische Daten liefert aber auch Meselson nicht." Und um es abzuschließen wird dann auf eine chinesische Studie verwiesen, bei der am Schluss erwähnt wird: "Eine Spekulation,[...] Dauer und Umfang der Studie seien zu schwach, es fehlen auch noch überzeugende physiologische oder molekulare Daten, um weitergehende Schlussfolgerungen zu ziehen."


    Es lässt sich wissenschaftlich weder feststellen, ob die Feinstaubbelastung einen Negativ-Effekt auf SARS hat, oder wie stark dieser Effekt ist, noch lässt sich feststellen, ob und wie stark sich die Luft im Lockdown verbessert hat. Dazu ist generell anzumerken, dass die Messung der Luftqualität selbst ein höchst fragwürdiges Instrument ist, das vielfach dafür kritisiert wurde ungenaue Daten zu liefern, von der Platzierung der Messstatione bis zur komplexen Berechnung der Wetterauswirkungen. Ein gebratenes Würstchen auf dem Grill kann u.U. mehr Feinstaub freisetzen, als ein 911er Turbo im Vollgas. Ein kleines Partikel, das in einem Dieselpartikelfilter gefiltert wurde, könnte u.U. noch tiefer in die Lunge geraten und möglicherweise mehr Schaden anrichten, als ein großes und ungefiltertes Partikel aus einem alten Traktor. Dieser ungeheuer komplexen Kausalkette wird kein Zeitungsartikel der Welt gerecht werden können, vermutlich auch kein einzelner Wissenschaftler oder sein Team. Vielleicht kann eine K.I. das eines Tages lösen, aber an dem Punkt an dem wir eine haben die das kann, fahren wir schon lange emissionsfrei mit Elek. oder Wasser. Alles wird gut.

  • ^ Um die Sinnentstellung zu vermeiden, bedurfte es nicht der Zitats des halben Artikels; ein weiterer Satz hätte gereicht. Und auch jetzt wieder greifst Du Dir genau die Sätze heraus, die die Zweifel betonen und wodurch die Kernbotschaft des Artikels in Ihr Gegenteil verkehrt wird. Wenn man Dich liest, könnte man meinen, der Artikel sei darauf aus, Zweifel an solchen Studien zu nähren. Dabei ist seine Botschaft eindeutig: Dass sich der Verdacht erhärtet, dass es einen Zusammenhang zwischen der Sterblichkeit am Covid-19 und hohen Feinstaubwerten gibt. Und da die Mitforisten den Artikel ja lesen und dadurch leicht selbst erkennen können, wie selektiv und sinnwidrig zu zitierst, wundere ich mich darüber, dass Du es nun erneut versuchst.

  • Wenn man Dich liest, könnte man meinen, der Artikel sei darauf aus, Zweifel an solchen Studien zu nähren. Dabei ist seine Botschaft eindeutig: Dass sich der Verdacht erhärtet, dass es einen Zusammenhang zwischen der Sterblichkeit am Covid-19 und hohen Feinstaubwerten gibt.

    Welche Botschaft der Autor mit seinem Text hat ist für die Aussagekraft des Inhalts komplett irrelevant. Journalisten machen dauernd Fehler und sind von redaktionspolitischen Einflüssen und Meinungsbildern abhängig. Der Verdacht steht im Raum. "Erhärtet" ist er damit noch nicht, weil es zum gegenwärtigen Zeitpunkt nur Spekulationen sind und keiner der in dem Artikel genannten Wissenschaftler belastbare Zahlen vorlegen kann. Für eine "Erhärtung" würde ich zumindest eine einzige Studie vorraussetzen, die tatsächlich evidente Zahlen liefert (und dann durch multiple weitere Studien bestätigt werden müsste). Ich persönlich kann mir durchaus vorstellen, dass eine vorgeschädigte Lunge für SARS von Nachteil ist, aber ich weiß auch wie schwer bis unmöglich so etwas ungreifbares wie Umwelteinflüsse auf den Menschen als Krankheitsbeschleuniger zu messen sind. Es gab auch Statistiker, die berechneten, dass in Deutschland zig tausende Menschen an Passivrauchen sterben, weil mal irgendwer die Rauchkonzentration vor dem Mund eines Rauchers gemessen hat und daraus Schlüsse gezogen hat, ohne zu berücksichtigen, dass sich Rauch im Wind sofort zerstreut und man quasi täglich stundenlang in einem luftdichten Raum neben Rauchern sitzen müsste, um durch Passivrauchen merklich geschädigt zu werden. Isoliert in seinem idyllischen Garten sitzen und täglich den Grill anschmeißen, kann u.U. schlimmer für die Lunge sein, als neben einer Hauptstraße zu wohnen. Ein Asthmatiker der nie geraucht hat, ist u.U. schlimmer dran, als ein Kettenraucher. Da sind so viele Faktoren im Spiel, dass ich mich davor hüten würde voreilige Schlüsse zu ziehen, vor allem da die Messmethodik von Feinstaub (mit Messstationen an Straßen) selbst umstritten ist, weil sie kein einheitliches Bild generiert, sondern von Aufstellstandort/Wind/Sonne/Regen beeinflusst wird. Ich wage sogar die Behauptung, dass wir eine große und beweiskräftige Studie zu dem Thema -aufgrund der Komplexität- niemals zu Gesicht bekommen werden.


    Wenn ihr eure Luftqualität verbessern wollt, kauft euch Pflanzen!

    http://www.luftreiniger-abc.de…natuerliche-luftreiniger/

    Einmal editiert, zuletzt von Berlinier ()

  • ^ Mit der Aussage: "Journalisten machen dauernd Fehler und sind von redaktionspolitischen Einflüssen und Meinungsbildern abhängig" vergleichgültigst Du sämtliche Qualitätsunterschiede zwischen Artikeln, Journalisten und Zeitungen; dann steht der Artikel der Gratiszeitung mit dem naturwiss. Artikel eines Redakterus der FAZ, der seit 25 Jahren im Naturwiss.-Ressort arbeitet, auf der gleichen Ebene. Und dann kann man sich locker darüber hinweg setzen. Ich denke, dies etwa hatte Tom Nichols mit seinem Buch "The Death of Expertise" im Blick.

    Im Übrigens ist es schlicht falsch, dass "keiner der in dem Artikel genannten Wissenschaftler belastbare Zahlen vorlegen" würde. Natürlich finden sich jede Menge "Zahlen": Dass durch Feinstaub 2015 ca. vier Millionen Menschen vorzeitig verstorben sind und nach einer neueren Studie fünfeinhalb Milionen. Auch die zitierte aktuelle Harvard-Studie (PDF) zu Covid 19 liefert "spektakuäre Zahlen" (FAZ):


    "We found that an increase of only 1 g/m3 in PM2.5 is associated with a 15% increase in the COVID-19 death rate, 95% confidence interval (CI) (5%, 25%). Results are statistically significant and robust to secondary and sensitivity analyses. [...] A small increase in long-term exposure to PM2.5 [particulate matter] leads to a large increase in COVID-19 death rate, with the magnitude of increase 20 times that observed for PM2.5 and all-cause mortality."


    Und wenn Du Dich schon so ungemein kritisch zeigst, könnte es vielleicht nicht schaden, Deine Kritikfähigkeit auf Deinen Glauben an "belastbaren" oder gar "evidenten Zahlen" auszuweiten: Gerade die Covid-19-Pandemie belehrt uns täglich aufs Neue, wie unsicher die Zahlen bei genaueren Hinsehen sind. Sie sind gerade deswegen irreführend, weil sie eine Klarheit suggerieren, die relevante Unterschiede verdeckt.