Denkmalschutz für Berliner Nachkriegsmoderne

  • Du hast dich in deinen Internationalen Vergleichen auf Architektur bezogen die man nicht der NachkriegsModerne zurechnet der Eiffelturm ist verspielte Industriearchitektur, das Empire State Building ganz Art Deco und das Tj Mahal ein fürstliches Ehrengrab - Baubeginn 1631 - da funktioniert nicht mal mehr der Vergleich von Äpfeln und Birnen.


    Ich habe Dir Unter anderem die Perlen Fernsehturm und dieser ist Ikonisch und schwangere Auster genannt.


    Ob Architekten nun Weltrang haben ist mir persönlich grundsätzlich egal und das sollte im Grunde auch kein Kriterium für die Bewertung eines Bauwerks sein.


    Im Gegenteil das schielen auf die Internationalen Größen der Branche führt bei städtischen/ staatlichen Bauvorhaben oft zu unverhältnismäßigen Kostensteigerungen, und lässt die Stadt mit den ihr zugedachten Ergebnissen leicht auch mal als Kaiser ohne Kleider zur Lachnummer werden.


    Ich bin jetzt aber mal bewusst ähnlich selektiv und sage dass es bis auf Schinkel hier keinen Architekten der klassischen Schule auf internationales Parkett der Bekanntheitsliste schaffen dürfte.


    Die Architekten vom Empire und Taj müsste ich im übrigen auch nachschlagen. Und nochmal es geht hier um Denkmalschutz also um Gebäude die einen Wert fürs historische Gedächtnis der Stadt haben und da stellt sich nicht immer unbedingt die Frage nach dem internationalen Who is who, wer war der erste, der schönste und wer hat den größten.

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  • ^ Sehr gut. Diese Quervergleiche sind wirklich hanebüchen.

    Ich persönlich würde der Nachkriegsmoderne mit internationalen Ausstrahlung selbstverständlich die Philharmonie und die Stabi zuordnen.

    Und, auch wenn sie derzeit etwas in Vergessenheit geraten ist, die Neue Nationalgalerie.


    Mies van der Rohe? - Kenn ick nich.

  • Wo sind denn die Baukörper der Nachkriegsmoderne in Berlin, die in Film und Fernsehen abgefeiert werden und für die Kultur der Stadt stehen ? Wo ?

    Die Kongresshalle bspw. wurde schon in (inter)nationalen Produktionen abgefeiert, wenngleich das für mich kein Kriterium ist.

    Der Fernsehturm gehört vermutlich sogar weltweit zu den ikonischsten Vertretern und die Neue Nationalgalerie hat natürlich internationale Strahlkraft.

  • Ich will hier kein historisches Grundseminar abhalten und auch gar nicht auf unsinnige Aussagen wie "Deutschland war 40 Jahre lang militärisch besetzt" eingehen und hätte sich als Aussätziger in der Weltgemeinschaft (trotz NATO- und EWG-Mitgliedschaft) mehr als stil- und farblose Reparatur nicht leisten können. Das Gegenteil ist doch der Fall: Gerade Berlin bekam doch durch den Kalten Krieg in West und Ost einen Frontstadtcharakter, in dem man auch architektonisch die Überlegenheit des eigenen Systems demonstrieren wollte. Allein die Bauten der "Besatzungsmacht" USA wie die Kongresshalle, die als "Leuchtturm der Freiheit" galt (und z. B. im Film "Mein Mann, das Wirtschaftswunder" als Firmenzentrale diente) und nur zusammenstürzte, weil man der kühnen Statik des Architekten misstraut hatte, das Amerika-Haus oder auch die Amerika-Gedenkbibliothek, der Henry-Ford-Bau der FU oder das Studentendorf Schlachtensee belegen das doch.


    Bauten der deutschen Nachkriegsmoderne wurden sehr wohl international beachtet, der deutsche Pavillon von Egon Eiermann und Sep Ruf auf der Weltausstellung in Brüssel 1958 wurde international sehr gelobt und galt als Inbegriff der modernen, bescheidenen Bundesrepublik. Das Stadttheater Münster, 1952-56 erbaut von völlig unbekannten, jungen Architekten, wurde sogar von Rockefeller jr. besucht, um es als Vorbild für Theaterbauten in den USA zu nehmen. Der Fernsehturm in Stuttgart von 1955 war weltweit der erste dieser Art.


    Gegen Ignoranz kann man nicht anschreiben, aber ich will eine Lanze für die Architektur dieser Zeit brechen: Anders als vieles an gesichtsloser, rücksichtsloser Massenarchitektur der späten 60er und 70er Jahre haben viele Bauten der Nachkriegsmoderne noch ein menschliches Maß, verkörpern Eleganz, Großzügigkeit und Modernität in einem. Sie waren auch viel vielfältiger, als man meint, auch Neoklassizismus und Heimatschutzstil gehören dazu. Typisch ist aber der "Nierentischstil": Organische Baukörper, elegant geschwungen, viel Glas, großzügige Treppenhäuser, Flugdächer, farbige Flächen in Pastelltönen, ausgesuchte Materialien.


    Ich würde zwar auch lieber in einem bürgerlichen, top sanierten Gründerzeit-Altbau leben, ich finde Rothenburg ob der Tauber auch schöner als Bielefeld-Sennestadt. Ich hätte bei dem größten Teil der Nachkriegsmoderne auch lieber die Vorkriegsbebauung und finde schlimm, wie viel grundlos nach dem WK II abgerissen wurde. Die Bauten sind oft auch schlecht gealtert, besonders wenn Türen, Fenster oder Geschäftsschilder durch Kunststoff ausgetauscht wurden. Außerhalb von Brasilia oder Chandigarh zählen Bauten der Nachkriegsmoderne wohl nirgendwo zu den Hauptsehenswürdigkeiten, in Berlin dagegen schon: Auch mangels Alternative gibt es nur wenige Berlinansichten ohne Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, Fernsehturm, Europa-Center, Kongresshalle oder Stalinallee - ein Blick auf Postkarten oder Reiseführer, gerade vor dem Mauerfall, zeigt das sehr schnell.

    Aber die Gründerzeithäuser, die in den 1950er Jahren ungefähr so alt waren wie die Nachkriegsmoderne jetzt, galten als nicht nur als unmodern, kitschig und hässlich, man sah sie synonym für Elendsquartiere, in vielen Fällen dunkle, enge Räume mit zu wenig Licht, zu wenigen Toiletten, ohne Bäder. In "Meyers Hof" leben in einem Gründerzeithaus zeitweise rund 2100 Menschen, die sich nur wenige Gemeinschaftstoiletten teilen mussten. Sie galten in linken Kreisen sogar auch als Ausdruck einer Zeit, die in letzter Konsequenz in das Dritte Reich geführt hat. Dass ein Arbeiterviertel wie der Prenzlauer Berg mit solchen Häusern mal ein begehrtes, teures Wohnviertel werden könnte, war damals jenseits der Vorstellungskraft. Noch Anfang der 80er Jahre galt selbst der schönste Teil der Fasanenstraße (Villa Griesebach/Literaturhaus) als Beispiel für schlechte Architektur, die beinahe noch abgerissen worden wäre.


    Die Menschen wollten Bäder, Zentralheizung, Balkone, Licht, Luft, Ruhe, Aussicht - aber nicht nur das: Die Nachkriegsmoderne war die Überwindung des Dritten Reiches, der Anschluss Deutschlands an internationale Standards, der Blick nach vorn sollte die Vergangenheit vergessen machen. Diese Architektur strahlt in ihren besten Momenten Optimismus und Fortschrittsglauben aus und fügt sich damit nahtlos in die damalige Formensprache ein, die man auch im Möbel- oder Autodesign findet. Diese Architektur war kein Notbehelf, sondern idealisierter Ausdruck einer gesellschaftlichen Sehnsucht. Das Design dieser Epoche - ob von Eames, Nelson, Noguchi, Bertoria, Jacobsen, Aalto, Le Corbusier, Girad, Rams oder Wagenfeld - dominiert seit fast 15 Jahren als "midcentury modern" die Wohnungsmagazine. Ich würde es sehr begrüßen, wenn man den Häusern, für die sie gemacht wurden, mehr Respekt entgegenbringt. Nicht nur als Ausdruck eines Zeitgeistes des Aufbruchs, sondern auch weil ich z. B. das "Schirmständerhaus", das Schuhhaus Stiller von 1955/56, in der Wilmersdorfer Straße für so viel schöner und eleganter halte als alle späteren Nachkriegsbauten in dieser Straße. Aber Arty Deco ist vermutlich der Ansicht, dass die Löcher im Vordach zeigen, dass man sich ein richtiges Dach weder materiell noch moralisch leisten konnte...

  • Ob Architekten nun Weltrang haben ist mir persönlich grundsätzlich egal und das sollte im Grunde auch kein Kriterium für die Bewertung eines Bauwerks sein.

    Ist es aber, und gerade bei der Bewertung, ob ein Bauwerk denkmalwürdig ist. Das wäre auch das einzige Kriterium nach dem man wohl die meisten Gebäude der Nachkriegsmoderne dort überhaupt einordnen könnte. "Architekt von Weltrang" setze ich hier mit "besonderem Architekten/Künstler" gleich.

    Siehe die Anforderungen:


    Die Kriterien für die Bedeutung von Denkmalen lassen sich in vier Kategorien teilen:

    • Historische Bedeutung (Fand an diesem Ort ein besonderes Ereignis statt? Lebte hier eine bedeutende Persönlichkeit?)
    • Künstlerische Bedeutung (Ist das Denkmal in einer besonderen künstlerischen Form gestaltet? Stammt das Denkmal von einem besonderen Architekten, Künstler oder Auftraggeber?)
    • Wissenschaftliche Bedeutung (Hat sich die Wissenschaft in technischer wie in
      historischer Hinsicht mit dem Denkmal beschäftigt? Gibt es Publikationen über das Denkmal? )
    • Städtebauliche Bedeutung (Steht das Denkmal in einem besonderen stadträumlichen Zusammenhang?)

    Quelle: https://www.berlin.de/ba-neuko…schutz/artikel.292900.php

  • ^^

    Danke, du bringst echt vieles auf den Punkt.


    Ich sage es immer wieder: die Verschlimmbesserungen lassen heute diese eigentlich oftmals eleganten Gebäude dieser Zeit so unattraktiv erscheinen.

    Ob nun neue, farblich unpassende Kunststoffenster, einfachste Werbeschilder, nachträglich veränderte Eingangsbereiche, hier noch ‘nen Briefkasten vom Baumarkt, dort ‘ne deplatzierte Lampe- all das, in Verbindung mit vermoost-verdreckten Fassaden und dem Unwillen auch das Umfeld in Schuss zu halten, führen dazu, dass diese Bauten heute oftmals nicht mehr ihre Schönheit preisgeben. Leider.

  • Deshalb sagte ich ja dass es mir Persönlich egal wäre - damit erhebe ich keinen Anspruch auf gemeingültigkeit.


    Mir ist der Genie und Fankult einfach suspekt - das sagt doch gar nichts darüber aus ob die im einzelnen Zu beurteilende Architektur auch im Ergebnis wichtig ist, nur aufgrund eines Namens in die Bedeutsamkeit zu rutschen macht die Werke nicht zu einem dauerhaft gültigen Wert für die Allgemeinheit.


    Gerade bei der Nachkriegsmoderne halte ich hier die dauerhaft gültige Beurteilung als bedeutender Künstler/Architekt schon aufgrund der Jugend der Bauten oft für schwierig.


    Was bringt es der Allgemeinheit, für die Fachwelt eine ganze Kollektion an baulich manifesten Architektennamen vorweisen zu können deren Ergebnisse vielleicht für die Stadt absurd, blockierend oder unbrauchbar sind.


    Der Hype ist für mich zum grossen Teil elitäre Popkultur - poppt auf und poppt ab, was Substanz hat und überlebensfähig ist wird bleiben und zurecht dementsprechend gewürdigt werden.


    Das sind aber Entscheidungen die m. M. nach für ihre generationenübergreifende Gültigkeit mehr als 30/40 Jahre im Bestand brauchen

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  • Der Thread hier hat mit dem Pallasseum begonnen !


    DAS ist die Nachkriegsarchitektur die in Berlin, Köln, Duisburg. Leipzig oder Bremen en masse gebaut wurde und jetzt geschützt werden soll.

    Es sind städtebauliche Katastrophen wie das Zentrum Kreuzberg, der Berliner Verlag, oder das ehemalige Schimmelpfennig-Haus die die Stadt dominieren.


    Die Stilvorstellungen eines Rams, Eames oder Jacobsen sind in Berlin NIE flächendeckend realisiert worden. Es ist lächerlich solche Design-Ikonen für den Städtebau Berlins als Kronzeugen heranzuziehen. Die Realität ist die Gropiusstadt, die Leipziger Straße, Marzahn. DAS ist das wahre Gesicht der Berliner Architektur nach 1945.

  • Ok, d.h. deine 90% beziehen sich - wie von mir vermutet - nicht auf die berühmten Bauten dieses Zeitraums, sondern auf die breite Masse wie z.B. eben die von dir genannten Beispiele in Gropiusstadt, Marzahn etc.


    Damit hast du sicherlich meine Zustimmung, denn einen Denkmalschutz auf eine rein funktionale, massenhaft produzierte Platte brauchen wir in Berlin sicherlich nicht.

  • Schon der Name Nachkriegsmoderne ist so schrecklich als dass das Reflektieren über einen Denkmalschutz schwerfällt.


    Die diskutierten Bauten haben zu 90% keine wirklich überzeitliche Qualität Keinen wesentlichen Anspruch. Keine international gültigen Architekten.


    Bis auf den Mäusebunker, der in seiner Einzigartigkeit wohl das "Meisterwerk" des funktionalistischen Brutalismus in Deutschland darstellt kann für meinen Geschmack alles nachkriegsmoderne in Berlin weggesprengt werden.

    Zuerst gab es keine international gültigen Architekten. Das wurde widerlegt.

    Dann konnte "alle" Nachkriegsarchitektur in Berlin weggesprengt werden. Einige machten sich die Mühe herausragende Gebäude aufzuzeigen.

    Jetzt sind es die Gebiete in Marzahn und Neukölln.

    Arty Deco: Teflon!

  • Ok, d.h. deine 90% beziehen sich - wie von mir vermutet - nicht auf die berühmten Bauten dieses Zeitraums, sondern auf die breite Masse wie z.B. eben die von dir genannten Beispiele in Gropiusstadt, Marzahn etc.

    Die diskutierten Bauten haben zu 90% keine wirklich überzeitliche Qualität Keinen wesentlichen Anspruch. Keine international gültigen Architekten.

    ArtyDeco, Ihnen ging es zunächst um die hier diskutierten Bauten - und diese umfassten eben weder 90 % aller Gebäude der Nachkriegsmoderne, noch ganze Großwohnsiedlungen wie Gropiusstadt oder Mahrzahn, sondern klar zu benennende, einzelne Bauwerke. Andernfalls hätten Sie sich anders ausdrücken müssen.


    Diskutieren macht keinen Sinn, wenn nicht jedem zu 100 % klar ist, was eigentlich Gegenstand der Diskussion ist und an diesem dann auch festgehalten wird. Mal so mal so, wie es gerade passt, damit kommen wir nicht weiter.

  • Zwei Gedanken von mir zur interessanten Diskussion:


    1. finde ich es interessant, wie fluide doch sogar der eigene Geschmack im Laufe der Zeit ist. Als ich klein war, galt die Architektur der 50er und beginnend der 60er Jahre als der Inbegriff des Grauens. Großgeworden bin ich eher mit den 60er und 70er Jahren als schlimmsten Architekturjahrzehnten. Mittlerweile finde ich oft sogar die billige Postmoderne (nicht die "echte", gutgemachte) der 80er und 90er am schlimmsten, die gedrungenen Klinkereinkaufspassagen, die quietschig bunten 90er Kisten.


    Erst in den letzten 10 Jahren habe ich begonnen, die Qualitäten der unmittelbaren Nachkriegsmoderne zu erkennen und erfassen und finde mittlerweile frühe Wiederaufbauleistung alles in allem durchaus gelungen. Selbst den oft im Kern brutalistischen Schul- und Universitätsgebäuden des Hochschulbooms der späten 60er und frühen 70er Jahre kann ich mittlerweile etwas abgewinnen, v.a. wenn sie original inklusive Inneneinrichtung/Beleuchtung etc. erhalten sind. Das waren für mich noch vor 15 Jahren "Betonmonster".


    Wie angesprochen (dasselbe gilt für Gründerzeitbauten und Zwischenkriegsarchitektur) sind es häufig "Renovierungen", die den Gebäuden der Nachkriegszeit eine ganze Menge ihrer Qualität rauben, unpassende Fenster mit zu breiten weißen Plastikprofilen, wo vorher filigrane Metall- oder Holzrahmen vorherrschten, unpassende Plastiktüren etc. Auch innen wurde viel kaputtgemacht. Das ZHG der Uni Göttingen, ein klassisches brutalistisches "Betonmonster" wurde etwa um die Jahrtausendwende grundsätzlich "renoviert". Der Sichtbeton wurde in irgendeinem fürchterlichen Pastellton gestrichen, die sehr gewitzte Beleuchtung mit orangenen und grünen Strahlern, die hoch von den Decken hingen durch irgendwelche modernen Spotreihen ersetzt, die hölzerne Bestuhlung der Hörsäle irgendwie "aufgemotzt" ohne Rücksicht auf den Charakter des Gebäudes usw.


    Der zweite und vielleicht wichtigere Punkt, der ein Problem aller modernen Architektur ausmacht, ist die fehlende Qualität ihrer Stangenarchitektur, also nicht das filigrane Nachkriegs-Konzerthaus, sondern die 50er-Zeilen in den Vorstädten, nicht die durchdachte brutalistische Schule aus den frühen 70ern, sondern die Großwohnsiedlungen in der Peripherie, nicht das coole postmoderne Projektwohnhaus, sondern die Ödnis der 80er-Reihenhaussiedlungen.


    Die Architektur "von der Stange" war noch in den 1920er und 1930er Jahren von viel höherer Qualität als selbst heute noch. Auch heute liegt das Elend moderner Architektur natürlich nicht im Cube am Hauptbahnhof Berlin, sondern in der Lückenbebauung in der Fußgängerzone in Neumünster oder Gießen. Und diese Architektur ist auch das Problem, das unsere Städte immer weiter banalisiert. Man könnte sagen, dass Vorkriegsarchitektur "klassenloser" war in ihrer Qualität, auch Arbeiterstadtteile wurden - ohne dass ich das Elend in vielen Gründerzeitquartieren damals romantisieren wollte - ästhetisch ansprechend gebaut und können heute bei gutem Erhaltungsgrad und Renovierungszustand nicht ohne Grund hochpreisig vermietet werden. Ein ähnliches Szenario ist für die Stangenarchitektur der 60er und 70er beim besten Willen nicht vorstellbar.

  • Wie Nachkriegsmoderne definiert wird, lässt sich leicht bei Wikipedia nachlesen - es handelt sich auf jeden Fall nicht um alles, was von 1945 bis 1990 oder gar bis heute gebaut wurde. Ich bezog mich ausschließlich auf die erste Nachkriegsmoderne bzw. die Übergangszeit, also den Zeitraum von ca. 1950-1963 - ein Zeitraum, der von vielen Architekturkritikern eher verächtlich als nicht "wirklich modern" wahrgenommen wurde. Gropiusstadt, das NKZ, Märkisches Viertel, das Pallasseum (1977) oder Marzahn (die Großsiedlung entstand erst ab 1977) haben mit dieser Phase nichts zu tun.


    Heinzer, bei wir war es ähnlich. Alle Gebäude, die ich besuchte, ob Wohnhaus, Kindergarten, Schule, Uni, Museen oder was auch immer waren Bauten der Nachkriegszeit oder ältere Häuser, denen man nicht mehr ansah, dass sie schon vor 1945 gestanden haben. Münster selbst wirkt zwar historisch und heimelig, die Innenstadt war aber zu 90 Prozent zerstört. Traditionslokale wie "Altes Gasthaus Leve", "Pinkus Müller" oder "Stuhlmacher" waren z. T. sehr alt, die Gemäuer und die Inneneinrichtung aber jünger als meine Eltern. Bis auf einige der Kirchen und Schlösser (die ohnehin eine Sonderstellung hatten) habe ich als Kind und Jugendlicher in Deutschland nur selten ein Haus aus der Vorkriegszeit von innen gesehen, reichverzierte Gründerzeithäuser kamen mir geradezu märchenhaft vor, die Vorstellung in so etwas zu leben wie ein Traum. Säulen und Stuck machten für mich ein schönes Haus aus, Ornament war kein Verbrechen, auch wenn es durchaus auch zurückhaltend wirken durfte. Die Qualität von Häusern der 50er Jahre habe ich damals nicht wahrgenommen, mir fiel nur auf, dass mich diese Häuser nicht störten, sie wirken auf mich neutral, nicht unangenehm. Das war bei Gebäuden der späten 1960er und 1970er anders, sie waren oft düster und abweisend, der Waschbeton furchtbar. Mittlerweile kann ich auch einigen dieser Gebäude durchaus etwas abgewinnen und hätte nichts dagegen, im Londoner Barbican zu leben...

  • Die Architektur "von der Stange" war noch in den 1920er und 1930er Jahren von viel höherer Qualität als selbst heute noch.

    Ich kann Allem zustimmen, was Du schriebst, aber hier bin ich, als jahrzehntelanger Bewohner ebendieser Häuser, anderer Meinung. Die Grundrisse der Wohnungen der 20er und 30er sind quadratisch, praktisch, gut. Deshalb funktionieren sie noch heute. Die Nachkriegsmoderne war etwas raffinierter und experimenteller, es waren deshalb aber auch viele Fehlschläge dabei. Die 20er und 30er waren in Berlin Rekordzeiten im Wohnungsbau. Es gab nicht nur Aushängeschilder, wie die Hufeisensiedlung. Wer durch die Stadt läuft, sieht auch die zahllosen, unbekannten und blassen Lückenfüller aus dieser Zeit. Die Wohnungen können dort ziemlich gedrungen und lichtarm sein. Sie stehen m. E. auf einer Stufe mit den in den 50ern schnell hochgezogenen Lückenfüllern. Das war im Prinzip serieller Wohnungsbau mit den Mitteln des traditionellen Handwerks.

  • Mir fallen gerade im Wohnungsbau der 20er Jahre jetzt akut keine blassen Lückenfüller ein - ich finde die Gegensätzlichen Gestaltungsansätze hier im besonderen spannend - auch wenn sich besonders in Deutschland leider kein Art Deco ausmachen lässt haben wir besonders in Berlin tolle Zeugnisse expressionistischer Fassadengestaltung( z.b Zeppelinstraße, ullsteinhaus) die teilweise ganze Quartiere prägen.


    Mit ihrer Manieriertheit, den aggressiven und nervösen Zuckungen des Ornaments steht es schon fast sinnbildlich für den Abgesang der klassischen Verbindung von Ornament und Architektur und die allgemeine Verunsicherung dieser Zeit.


    Sieht man mal von den mittelmäßigen und für den Bestand oft nachteiligen, im Geiste der Neuen Sachlichkeit geleisteten Überformungen von Blockbauten ab, haben wir doch zum überwiegenden Teil einen in dieser Zeit geschaffenen recht anspruchsvollen Bestand an Wohn und Geschäftsbauten dieser Prägung.


    Ich persönlich mag die nicht allzuniedrige Raumhöhe, die Helligkeit, die Proportionen der Wohnräume, die witzigen und praktischen Details und das Bemühen um grüne Ausgleichsflächen im Bautenumfeld ganz gern.

    Lichtarme und gedrungene Beispiele hab ich da jetzt noch nicht kennenlernen dürfen könnte mir aber vorstellen dass das bei Lückenbebauungen innerhalb bestehender Blöcke existiert.

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  • Ich kann Allem zustimmen, was Du schriebst, aber hier bin ich, als jahrzehntelanger Bewohner ebendieser Häuser, anderer Meinung.

    Es wird sicher auch Negativbeispiele geben, aber vielleicht können wir uns darauf einigen, dass die Qualität durchschnittlich noch höher war als sagen wir in den 1970er Jahren. Man darf auch nicht vergessen, dass das vielfach wirklich "hochgezogene" Arbeiterquartiere waren, aus großer Not entstanden. Dafür sind sie doch überwiegend von einer beeindruckenden Qualität, sowohl funktionell als auch ästhetisch. Natürlich sind einige Dinge heute nicht mehr zeitgemäß, die häufig sehr kleinen, als Loggien realisierten Balkone, die für nicht viel mehr als den gelben Sack taugen und einen kleinen Wäscheständer, so was. Aber was die Detailliebe angeht, so macht diesen Siedlungen doch nichts danach Gebautes etwas vor.


    Durch die zumindest im Norden (Hannover, Hamburg, Hannover) auch häufig mit Klinker realisierten Fassaden sind diese auch praktisch unkaputtbar, die Gebäude brauchen vielleicht alle 30 Jahre mal neue Fenster und es muss jemand nach dem Dach kucken, das wars. Auch, dass diese Gebäude praktisch nirgends großflächig abgerissen wurden und werden, zeigt ihren Wert. Die stehen in allen deutschen Städten einfach so rum, solide und zeitlos und es spricht wenig dafür, dass das in 50 Jahren anders ist.

  • Kleiner Literaturtipp:


    Gerade gibt es bei den einschlägigen Anbietern das kleine Buch "Licht, Luft und Luxus. West-Berliner Wohnträume der 1960er und 1970er Jahre" mit Fotografien von Heinrich Kuhn für unter 8 Euro. Es gibt einige sehr knappe Texte, ansonsten viele Fotos aus dem Wedding, Kreuzberg und Neukölln. Meist in Schwarz-Weiß das Elend heruntergekommener Mietskasernen der Kaiserzeit, im krassen Kontrast dazu in Farbe die Neubaukomplexe. Man kann leicht erahnen, dass Kuhn, der der SPD nahe stand, sie als deutliche Verbesserung sah. Ob diese heute geschmähten Komplexe bald wieder ein Revival feiern, so wie die damals verachteten Gründerzeithäuser heute?


    Das passende Gegenbuch wäre "Die gemordete Stadt. Abgesang auf Putte und Straße, Platz und Baum" von Wolf Jobst Siedler und Elisabeth Niggemeyer aus dem Jahr 1961 - leider nur noch antiquarisch für viel Geld zu bekommen. Mit Fotos und Zitaten werden am Beispiel Berlin Hinterhof-Idyllen, prächtige Gründerzeitfassaden und viele Details mit ihren modernen Pendants kontrastiert - eine großartige Polemik!

  • Sehr empfehlenswert ist auch das Buch "Armutszeugnisse", ebenfalls mit Fotos von Heinrich Kuhn. Sie zeigen sehr gut, wie es in den Westberliner Gründerzeitvierteln noch in den sechziger Jahren aussah. Man sieht viele dunkle, enge Wohnungen und lichtlose Hinterhöfe, und es wird verständlich, warum viele Architekten und Baupolitiker diese Gebäude als nicht sanierungswürdig ansahen.

    https://www.zeit.de/wissen/ges…fs-berlin-armut-wohnungen