Suhrkamp-Verlagssitz (Rosa-Luxemburg-Platz)

  • Und ja doch, dass so wenig historisierend gebaut wird ist natürlich Schuld Dritter. Jedes Schaf brauch seinen Lehrmeister.

    Was soll denn ein Mieter tun, der dringend eine Wohnung sucht? Ich bin in einer brutalistischen Hochhaussiedlung aufgewachsen -- weil meine Eltern damals einen großen Berg Schulden hatten und froh waren, trotzdem mit mir aus einer 30 qm-Wohnung mit Kochnische ausziehen zu können. Die Gestaltung des Baus war ihnen da herzlich egal.


    Jetzt wohne ich in einem belanglosen 90er-Jahre Bau -- nicht, weil ich den besonders schön finde (er hat diese beliebte Rauputzfassade, auf der sich jetzt Algen breit machen), sondern weil dieser unter Würdigung aller Aspekte (zu denen auch "externe" Faktoren wie Entfernung zum Arbeitsplatz zählen) die beste Option war _und_ ich vom Wohnzimmer aus auf einen Gründerzeitbau blicke. In einen Plattenbau wäre ich nicht gezogen, so viele Alternativen hatte ich zum Glück, aber ich hatte eben nicht die Möglichkeit, in ein schönes Gebäude zu ziehen, dessen Wohnung meinen Bedürfnissen entspricht, die ich bezahlen kann, von wo aus ich auf eine angenehme Fassade blicke und die gut an meinen Arbeitsplatz angebunden ist.


    Wir müssen uns jetzt nicht naiv stellen: Die meisten Menschen, die in modernen Häusern wohnen, wohnen nicht deswegen dort, weil sie diese Häuser schön finden, sondern sie nehmen die Belanglosigkeit oder gar Hässlichkeit des Hauses einfach in Kauf, weil es keine (realistische) Alternative für sie gibt. Suhrkamp hätte sich aber für einen alternativen Bau entscheiden können.

  • ^

    Für mich ist, wie gesagt, der Bau selbst nicht das Problem. Das kann man schon so machen und als Vertreter seiner Art macht er auch keine allzu schlechte Figur. Der Standort ist schlecht gewählt, ebenso wie der des brutalistischen schwarzen Bunkers direkt nebenan. Das ist in der Kombination einfach zu viel "Beton-Brutalo" an dieser Kreuzung in diesem eigtl. noch vom Blockrand geprägten Areal.

  • Oder anders: Worauf beruht die Annahme, dass die "große Mehrheit" - "fortschrittliche" Architektur ablehnt?

    Ich habe außerhalb eines Architekturforums noch nie einen Menschen gesprochen, der Gebäude wie den Suhrkamp-Bau oder das graue Gebäude gegenüber auch nur angenehm findet -- von schön ganz zu schweigen. Die meisten Menschen sind von den meisten modernen Gebäuden im besten Falle gelangweilt, leider häufig auch entsetzt.


    Ich diskutiere in den Foren des "Tagesspiegel" und von "Spiegel Online" mit, sicherlich keine Medien, die die Vergangenheit glorifizieren und unverbesserlich Gestrige anziehen. Und die Reaktion auf Gebäude, über deren Planung dort berichtet wird, ist in den allermeisten Fällen ablehnend. Wer findet denn die immer gleichen Rasterfassaden -- neuerdings häufig mit Wülsten -- angenehm oder gar schön? Warum wird das geplante Museum für die Kunst des 20. Jahrhunderts gemeinhin als "Scheune" oder "Bierzelt" bezeichnet oder mit Lidl-Filialen verglichen? Über moderne Industriebauten müssen wir gar nicht erst reden. Vor 130 Jahren waren selbst die meisten Fabriken, Lagerhallen und Brauereien so gelungen, dass heute alle diese Gebäude revitalisiert sehen möchten.

  • Ich habe außerhalb eines Architekturforums noch nie einen Menschen gesprochen, der Gebäude wie den Suhrkamp-Bau oder das graue Gebäude gegenüber auch nur angenehm findet -- von schön ganz zu schweigen. Die meisten Menschen sind von den meisten modernen Gebäuden im besten Falle gelangweilt, leider häufig auch entsetzt.

    ... Vor 130 Jahren waren selbst die meisten Fabriken, Lagerhallen und Brauereien so gelungen, dass heute alle diese Gebäude revitalisiert sehen möchten.

    Wahrscheinlich verhält es sich ja auch so, dass man sich auch am liebsten mit Menschen umgibt die sowieso derselben Meinung sind wie man selbst, von daher kommt dann diese einseitige Betrachtungsweise und Bestätigung in der Ablehnung und gleichzeitig werden dann aus Einigen, ' Alle' .

    Ich mag es auch wenn schöne Ziegelbauten egal welcher Epoche erhalten und neuen Bestimmungen zugeführt werden, gleichzeitig muss es aber auch möglich sein Gebäude wie diese hier zu errichten. Man muss sie ja nicht lieben, aber Architektur entwickelt sich auch, geht in unterschiedliche Richtungen und verändert sich und die Umwelt. Manchmal ist hier diese fatale Tendenz fast zu greifen, nichts soll sich verändern, alles muss so bleiben, .... daraus spricht eine große Verzagtheit und Angst die für eine Gesellschaft

    absolut destruktiv und dysfunktional sind.

    Eine Gesellschaft die nicht mehr fähig ist zur Veränderung, nicht fähig mutig voranzugehen, sich damit begnügt mehr im hier und jetzt und am liebsten im gestern zu verharren hat ihren Zenit überschritten.

  • Die meisten Menschen, die in modernen Häusern wohnen, wohnen nicht deswegen dort, weil sie diese Häuser schön finden, sondern sie nehmen die Belanglosigkeit oder gar Hässlichkeit des Hauses einfach in Kauf, weil es keine (realistische) Alternative für sie gibt. Suhrkamp hätte sich aber für einen alternativen Bau entscheiden können.

    Mit anderen Worten: ein machtvoller Bau mit brutalistischem Flair ist automatisch auf demselben Qualitätsniveau wie ein gedämmtes 90er-Jahre-Wohnhaus und die Entscheidung eines modern ausgerichteten Verlages für eine entsprechende Zentrale ist irgendwo zwischen Fremdschämen und Untersuchungsausschuss?

    Sorry wenn ich hier einen Strohmann aufbauen sollte aber so klingt es für mich.


    Man kann ja gerne über modern vs historisierend streiten (übrigens eigentlich nicht hier, räusper, Mod, räusper) aber das ist jetzt das zweite Mal dass Du Geschmackssachen mit allgemein verbindlichen Wahrheiten gleichsetzt ... (das erste Mal war das mit dem verletzten Schönheitsempfinden aber das wurde ja schon treffend analysiert).


    Warum muss man bei Threads über dezidiert moderne Gebäude immer ohne Not dieses Fass aufmachen?

  • Ich persönlich kann sehr vielen Baustilen aus allen Epochen etwas abgewinnen. Voraussetzung: Sie sollten sehr konsequent ihren eigenen Still erkennbar werden lassen. Seltsame Mischformen und unklare Formensprache lehne ich ab.


    Deshalb bin ich auch ein Fan von dem L40 Klotz, der gegenüber vom Suhrkamp Bau steht, würde aber niemals fordern, dass brutalistische Architektur ein Stadtviertel prägen sollte. Denn das würde lebensfeindlich auf Besucher wie Bewohner wirken.


    Der Suhrkampbau wirkt auf mich eher unentschieden und nichtssagend. Nicht gekonnt und nicht gewollt.

  • < Ich bin auch kein Freund von "Nicht Fisch, nicht Fleisch" , ich mag den L40 Trum sehr eben weil er sehr ehrlich auf mich eirkt, nichts kaschiert oder beschönt, den Suhrkampverlagssitz mag ich aber auch, er ist vielleicht nicht so stringend und egomanisch in der Aussage, ist aber dennoch ein Statement. Ich hatte schonmal geschrieben, dass ich dieses Gebäude als sehr westdeutsch empfinde, er hat sehr viel von dem was die Bonner Republik ausgemacht hat nur im heute interpretiert. Von daher finde ich auch, dass er als Vermittler zwischen dem L40 Trum und der umgebenden Bebauung fungiert. Die kleine Aussparung mit dem Park tut hier sehr gut, leider nicht auf dem Bild zu sehen.

  • Eine Gesellschaft die nicht mehr fähig ist zur Veränderung, nicht fähig mutig voranzugehen, sich damit begnügt mehr im hier und jetzt und am liebsten im gestern zu verharren hat ihren Zenit überschritten.

    Dieser Satz im Kontext zum Suhrkamp Bau, löst in mir ein großes Fragezeichen aus. Was ist denn bitteschön an diesem Bau "mutig"? Das wäre vielleicht vor 70 Jahren mutig gewesen, aber Sichtbeton? Ist das heute noch Provokation und mutig? Oder einfach nur ignorant?

  • Mutig im Sinne eines eines auf Veränderung neugierigen, künstlerischen Optimismus – auf jeden Fall!


    Sicher nicht im Sinne von "Ich baue einen Betonkubus, um damit einen maximalen Skandal auszulösen" und das hat bestimmt auch keiner gemeint.


    Aber um mal dasselbe Maß anzulegen: Was wäre an dem Gebäude "ignorant"?

  • Also, ich weiß nicht, wer von den Diskutanten schon vor Ort war. Es ist eine "rauhe" Ecke, die auch mit einem Gründerzeit Altbau nicht heimeliger würde. Insofern passt der Suhrkamp Bau genau an diese Ecke. Wohnen will an dieser Ecke eh niemand. Also , bitte schaut vor Ort und bildet euch dann euer Urteil. Ich finde den Bau an dieser Stelle o.k.

  • „Wohnen will an dieser Stelle eh niemand“ als Rechtfertigung für pseudo–künstlerische–egozentrische Architektur ist mir etwas zu schwach.

  • ^ Reicht Dir vielleicht als Rechtfertigung, dass es den Bauherren gefiel? Mit Investoren-Entscheidungen hast Du doch sonst auch kein Problem. Mir jedenfalls gefällt es. "Brechreiz" (ernsthaft?) kannst Du verhindern, indem Du die Ecke meidest – wie man bei Seekrankheit halt auch nicht Boot fahren sollte.

  • Mich amüsiert ein bisschen der verbissene Fokus aus das kleine Bisschen Sichtbeton. 90 % der Fassade bestehen auch bodentiefem Glas.

    Und doch reicht ein kleines bisschen feinkörnigen Betons, damit manche hier komplett die Nerven verlieren.

  • Ich verstehe vor allem nicht, wie dieses Gebäude hier so lange diskutiert werden kann.

    Es ist weder besonders hässlich noch besonders prominent und nicht mehr oder weniger markant als das Gebäude "Schönhauser Tor" gegenüber.

    Gibt schlimmeres, gibt besseres, den meisten wird's in ein paar Jahren gar nicht mehr auffallen. ¯\_(ツ)_/¯

  • Dem ersten Satz kann ich noch zustimmen, das Schönhäuser Tor ist allerdings ein typischer Vertreter dieser verirrten Neunziger Jahre (Postmoderne? PostPostmoderne? ) Architektur und einfach nur zum Vergessen. Da stehen gleich drei solcher Kästen rum. Diese Architektur zeichnet nicht viel aus meines Erachtens und kann qualitativ auch bei Weitem nicht an das Suhrkamp Gebäude heranreichen. Immer zu große Volumen, die bewusst wenig Rücksicht auf die Umgebung nehmen, Keine klaren Formen, viel zu unruhig in der Fassadengestaltung, viel zu viel Firlefanz, und meist weniger hochwertige Materialen, die schlecht altern.

  • Ich verstehe vor allem nicht, wie dieses Gebäude hier so lange diskutiert werden kann.


    Es ist der theoretisch symbolische Wert, der sich durch den Bauherrn Suhrkamp ableitet, der den Bau besonders macht. Suhrkamp ist einer der herausragenden Kulturproduzenten in Deutschland. Wenn so eine Verlags-Koryphäe in der Hauptstadt eines der reichsten und ökonomisch entwickeltsten Länder einen Neubau präsentiert lässt sich dort die kulturelle Verfasstheit einer Gesellschaft erkennen.


    Mein Fazit: Der Verlag und die Architektur steckt tief in der Ideengeschichte der Bonner Republik der 70er und 80er fest, wo man verbauten Sichtbeton als progressiv und provokant interpretiert hat. In dem Bau wurden weder national und schon gar nicht international hochklassig kursierende Architekturströmungen der letzten 20 Jahre aufgenommen oder gar weiterentwickelt. Die Formensprache ist heterogen und unklar. Die Mittelmäßigkeit des Baus ist schockierend und zugleich (leider) auch ein Ausweis für sehr, sehr viele mutlose kreative Leistungen in Deutschland nach 2000.


    Es ist so als würde Helene Fischer ihr neues zu Hause präsentieren und alle mit einer 100qm Reihenhauswohnung in Bochum überraschen.

  • Schöner Vergleich :D

    Ich stelle mir nur die Frage, wer für diesen Bau die Hauptverantwortung trägt. Bauherr oder Architekt? Musste der eine das entwerfen, was der andere unbedingt wollte oder musste der andere (wegen eigener Ahnungslosigkeit) das akzeptieren, was ihm der eine präsentiert hat?

  • Dass der Bau polarisiert, ist hier im Strang ausgiebig dokumentiert, aber neu ist, dass die Polarisierung auch einzelne Kritiken durchzieht: So bezweifelt UrbanFreak, dass der Bau eine Provokation sei, nachdem er Stunden zuvor meinte, dass der Suhrkamp Verlag "durch seine Brechreiz-Anfälle-verursachende Gestaltung" 'provoziere'. In die gleiche bipolare Richtung geht auch Arty Decos Charakterisierung des Baus als 'schockierende Mittelmäßigkeit'.

    Hier ein Bild von gestern, der diesen unprovokativen, aber brechreizerregenden, mittelmäßigen, aber schockierenden Bau von der Liniensraße zeigt:

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    Bild von gestern & von mir.

  • Eine Gesellschaft die nicht mehr fähig ist zur Veränderung, nicht fähig mutig voranzugehen, sich damit begnügt mehr im hier und jetzt und am liebsten im gestern zu verharren hat ihren Zenit überschritten.

    Exakt. Eine Architektur, die immer die gleichen Hässlichkeiten produziert, ist alles andere als mutig. Sichtbeton und die Aneinanderreihung (praktisch) identischer Fensterelemente -- gestriger geht's nicht. Und es wird nur wenig besser, wenn, wie bei vielen anderen Gebäuden, eine Pseudoabwechslung geschaffen wird, indem ein Element mal links, mal rechts angeschraubt wird.


    Wie schon einmal gesagt, bezieht sich meine Kritik auch an der Tatsache, dass hier der Suhrkamp-Verlag baut und dass die Ecke besonderer Sorgfalt bedarf. Mir geht es wie Arty Deco, ich fühle mich hier von den Vorwendejahren einer piefigen Republik verschluckt.

  • Worauf begründet sich eigentlich die Annahme, dass diese Ecke besondere Sorgfalt bedarf?

    Diese Kreuzung wurde in den 90ern verpfuscht, beginnend mit dem Abriss des ehemaligem Schönhauser Tors.

    Unter den Neubauten ragen das L40 und das Verlagshaus heraus.

    Mir ist schleierhaft, wie man das immer wieder übergehen kann. Das grenzt an Ignoranz!