Und ja doch, dass so wenig historisierend gebaut wird ist natürlich Schuld Dritter. Jedes Schaf brauch seinen Lehrmeister.
Was soll denn ein Mieter tun, der dringend eine Wohnung sucht? Ich bin in einer brutalistischen Hochhaussiedlung aufgewachsen -- weil meine Eltern damals einen großen Berg Schulden hatten und froh waren, trotzdem mit mir aus einer 30 qm-Wohnung mit Kochnische ausziehen zu können. Die Gestaltung des Baus war ihnen da herzlich egal.
Jetzt wohne ich in einem belanglosen 90er-Jahre Bau -- nicht, weil ich den besonders schön finde (er hat diese beliebte Rauputzfassade, auf der sich jetzt Algen breit machen), sondern weil dieser unter Würdigung aller Aspekte (zu denen auch "externe" Faktoren wie Entfernung zum Arbeitsplatz zählen) die beste Option war _und_ ich vom Wohnzimmer aus auf einen Gründerzeitbau blicke. In einen Plattenbau wäre ich nicht gezogen, so viele Alternativen hatte ich zum Glück, aber ich hatte eben nicht die Möglichkeit, in ein schönes Gebäude zu ziehen, dessen Wohnung meinen Bedürfnissen entspricht, die ich bezahlen kann, von wo aus ich auf eine angenehme Fassade blicke und die gut an meinen Arbeitsplatz angebunden ist.
Wir müssen uns jetzt nicht naiv stellen: Die meisten Menschen, die in modernen Häusern wohnen, wohnen nicht deswegen dort, weil sie diese Häuser schön finden, sondern sie nehmen die Belanglosigkeit oder gar Hässlichkeit des Hauses einfach in Kauf, weil es keine (realistische) Alternative für sie gibt. Suhrkamp hätte sich aber für einen alternativen Bau entscheiden können.