Boulevard West | Europacity

  • Woher kommt eigentlich dieser unter Architekten so beliebte Rationalismus? Ich dachte, das hätten wir Ende der 70er Jahre hinter uns gelassen und jetzt entstehen vielerorts die gleichen überdimensionierten Betonraster-Gebäude wie von damals. Ist das immer noch die Reaktion auf die in den Kitsch verfallene Postmoderne? Ich studiere selber Architektur und die unkritische Verehrung modernistischer Persönlichkeiten wie Le Corbusier finde ich angesichts seiner schwierigen Haltung zur Architektur, die im 20. Jhdt. zu genüge an der gebauten Realität ihre Probleme verdeutlicht hat, äußerst verwunderlich.

  • ^Ich war vergangene Woche in Oslo. Das dortige "Barcode" Viertel, was auch an die Gleisanlagen des Hauptbahnhofs reicht, zeigt wie es in der Europacity hatte aussehen können. Musste bei dem Anblick sofort an das verschenkte Potenzial des Riegels entlang der Europacity in Berlin denken. Ziemlich trauriges Endergebnis, dabei sah es beim Rohbau ja noch halbwegs vielversprechend aus. Da kann man ja nur hoffen dass im Laufe der Jahrzehnte die Fassaden Stück für Stück ausgetauscht werden...

  • Es muss halt aussehen wie eine deutsche Amtsstube.

    Der Entwurf sah noch völlig anders aus, mit dem die Planer sich durchsetzen konnten - scheinbar nach mehreren Sparrunden kam nun das abgespeckte Ergebnis raus. Es ist in der Immobilienbranche ein üblicher Vorgang, dass die Leistungsphasen (LP) 1-3 von einem Entwurfsplanungsbüro gewonnen werden, die folgenden LP der Ausführungsplanung dann aber an ein (investoreninternes) Planungsbüro vergeben wird, das mit dem spitzen Stift den Entwurf "optimiert" (also verschlimmbessert) im Sinne der Renditemaximierung. Da fehlt dann meistens das Bewusstsein für Details, Anschlüsse und ästhetischem Ansatz der Ursprungsentwurfs völlig und es kommt ein Standardergebnis raus. Diese Vergabepraxis der Investoren ist rechtens und kann durch die Verwaltung auch nicht gesteuert werden - sodass an vielen Stellen das zu einem Kleinkochen ambitionierter Projekte auf Standard der 70er geführt hat. Von daher haben die bemühten "Amtsstuben" nur wenig "Schuld" an diesem Ergebis an sich.

  • Naja, wenn das so ist wie Du es beschreibst, dann haben sie indirekt schon einen Einfluss darauf weil sie ja wissen müssen was dann in der Ausführungspraxis geschieht und sollten dann bei jeden Entwurf vom worst case scensrio ausgehen und dann entscheiden ob das vertretbar ist oder dann doch lieber von vorneherein etwas Ansruchsvolleres auswählen.


    Es gäbe bestimmt auch rechtliche Möglichkeiten die Gestaltungsveränderungen in der Ausführungsplanung zu reduzieren, wenn man nur wollte.

  • Der Grundfehler liegt schon bei der öffentlichen Hand.

    Der Fehler war, dieses riesenlange Grundstück nicht zu parzellieren und an verschiedene Investoren zu vergeben. Ich weiß nicht, zu welchem Zeitpunkt SAP als Großmieter die Gestaltung und Vergabe mit beeinflussen konnte. Vielleicht hätte man diesen Ankermieter auch verloren, hätte man die Grundstücke stückchenweise veräußert und dann von verschiedenen Architekten entwickeln lassen. Aber so wie das Ergebnis nun dasteht, schmerzt es einfach. Und mir tut es nicht nur der vergebenen Chance wegen weh, sondern auch wegen der Ressourcenverschwendung im Anblick eines Gebäudes, das ich am liebsten unmittelbar wieder abgerissen sehen möchte.

  • QH Straight im Quartier Heidestraße


    Ich habe den Eindruck, man baut extra so extrem gesichtslos, damit die Nachbargebäude ohne viel Aufwand besser zur Geltung kommen.


    Webcam


    Zu allen anderen Quartier Heidestraße Projekten gibt es hier die Webcams

  • Ich gehe davon aus, dass man in Berlin traurig war, dass nur westdeutsche Städte den "Nachkriegslook" haben. Denen wollte man in Berlin in nichts nachstehen und hat mit der Europacity aufgeholt.


    Auch beachtlich ist, dass trotz der ursprünglich nur minimal vorhandenen Bestandsbebauung trotzdem die unnötig breite Straßenschneise beibehalten worden ist.

  • ^

    Nicht die Europacity an sich, aber sehr wohl das unsägliche Tracks und eigentlich auch die anderen QHs. Mit jedem neuen Bild werde ich fassungsloser, wie man sowas in ein neues (!), hippes (!!), attraktives (!!!) Viertel an DEM Standort bauen konnte. In dem Bau kulminiert dann die schon in der Heidestraße leicht bis mittelschwer aufkommende Würfelhusten-Klötzchenorgie.

    SAP als Ankermieter hatte dann wohl keinen Einfluss auf die Architektur, weil nicht involviert in den Planungs- und Bauprozess? Ein Unternehmen von Weltrang hat doch normalerweise den Anspruch an so einem Standort, der von vielen Bahnreisenden gesehen (und bei entsprechender Architektur auch photographiert) wird, mal ein bisschen Lametta aufzufahren. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die kein Geld mehr hatten für IRGENDWAS anderes als diese Fassade und Aufteilung.

  • Etwas älter schon das Bildchen - aber hier mal die Schauseite. Obwohl oft viel zu hart vorgetragen - ich versteh die Kritik. Besonders die repetitiven Fassaden längs der George-Stephenson-Str. erinnern stark an die klassische Moderne und sind wohl nicht mehr zeitgemäß oder zumindest Geschmacksache. Meinen Geschmack trifft es allerdings und es scheint wertig ausgeführt. Zumindest die Schauseite ist schau ;)


  • Besonders die repetitiven Fassaden längs der George-Stephenson-Str. erinnern stark an die klassische Moderne und sind wohl nicht mehr zeitgemäß oder zumindest Geschmacksache.

    Die im Bild gezeigte Architektur erinnert tatsächlich an die klassische Moderne.


    Betrachtet man das gesamte Europaviertel, muss man doch relativieren. Das Europaviertel ist so dermaßen bieder, langweilig und angepasst, dass es schlichtweg keine klassische Moderne sein kann. Die klassische Moderne hat immer versucht, in progressiver Weise eine gestalterische Botschaft zu vermitteln. Und diese progressive Botschaft kann ich im Europaviertel beim besten Willen nirgends finden. Beim Europaviertel handelt es sich größtenteils um banale Verhinderungsarchitektur, die in gestalterischer Hinsicht nur geringen Wert besitzt.

  • Da das Hertz 50, der Total Turm, der GMP-Bau, das Lite, der Kornspeicher, der KPMG-Turm, der Wohlhage Bau und die kommenden Bauten am nördlichen Ende des EV zum Gesamtprojekt gehören, kann ich dem Begriff der totalen Verhinderungarchitektur nicht zustimmen. Was soll das überhaupt sein? Das sind überwiegend überdurchschnittliche Gebäude mit architektonischem Anspruch.

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  • hab' nie verstanden, warum Architekten dreieckige Balkone wie den obigen entwerfen - in dieser Ecke sammelt sich nur Müll an und der Raum ist völlig unbrauchbar.

  • ^ Unwahrscheinlich. Das ist ein Bürohaus. Die Balkone werden sicherlich nicht so intensiv genutzt, wie das bei einem Wohnhaus der Fall wäre. Da sammelt sich vermutlich gar nichts an.

  • Das Manko der Europacity besteht aus meiner Sicht nicht an den durchaus zahlreichen raffiniert gearbeiteten und sehr hochwertigen Fassaden, es wäre falsch das Entstehende wegen einzelner sehr langweiliger Bauten pauschal zu verurteilen. Das Manko der entstehenden Europacity ist aber, dass sie kein Ausrufezeichen hat, keinen Platz oder zwei drei Gebäude, der/die über das herkömmliche hinauswachsen - und somit erst diese "Europacity" definieren. Positiv formuliert kann man sagen, "die Architektur nimmt sich zurück", negativ toniert könnte man formulieren "mutlos und deshalb langweilig".

  • ... , kann ich dem Begriff der totalen Verhinderungarchitektur nicht zustimmen. Was soll das überhaupt sein?

    Mein Fehler. Indem ich den Begriff der Verhinderungsarchitektur genannt habe, habe ich ein Fass geöffnet, das ich in diesem Moment gar nicht öffnen wollte. Vielmehr wolle ich auf Bogarts Beitrag eingehen. Es ging mir um die Klärung, ob und wieviel klassische Moderne im Europaviertel steckt.

  • ^ Mein Kommentar bezog sich ausschließlich auf das QH-Track und das von mir gepostete Bild. Mitnichten würde ich die Europacity über einen Kamm scheren..

  • Nach der gefühlt ewigen Dunkelheit heute mal wieder durch die Europacity gekommen.


    Hier nochmal Aufnahmen vom QH Track.

    Etwas retromässig kommt mir das Gebäude vor.


    0113trackzxdan.jpg



    Die grünen Panele retten den Kasten zwar auch nicht mehr, aber immerhin geben Sie dem Gebäude einen Farbtupfer (das hätte mal Robert Neun zwei Blöcke weiter auch besser getan)



    0113track200cju.jpg




    0113track1ovde0.jpg


    Und hier ein Blick in die - laut google - George Stephenson Strasse. Warum man einen englischen Eisenbahnbauer hier verewigt, ist mir zwar auch nicht ganz klar, aber Straßenamen sind ja eh ein äußerst undurchschaubares Mysterium.

    Links das QU Track rechts das QU Colonnades und dahinter das QU Straight


    0113neun2oge01.jpg



    Nochmal das zum Grossteil abgerüstete QU Colonnades. Die Fassade kommt schon etwas zu glatt rüber für meinen Geschmack


    0113straightyki95.jpg



    Beim QU Spring Richtung Hauptbahnhof werden jetzt die Aussenbereiche auch fertig. Das Design gleicht dem vom - immer noch nicht - fertiggestellten Otto Wendt Platz.


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    0113springpee6m.jpg




    Hier das Gebäude von Robert Neun, das QU Straight ist auch soweit abgerüstet.

    Sollte jemand grübeln was er hier sieht, das nennt sich cooles Ambiente für urbanes Leben.


    Mit solchen Gebäuden macht man es den Kritikern einfach zu leicht, kein gutes Haar an der Europacity zu lassen.


    0113neunm4i8z.jpg



    Es ist ein typisches Robert Neun Gebäude und sie fangen an mich zu langweilen. Wenn wenigstens irgendwas grünes wie beim Track oder sonst eine Farbe als Gestaltungselement genommen worden wäre, wäre das Ergebnis besser gewesen als dieser kalte, triste graue Klotz.


    0113neun19fevv.jpg



    Und hier gegenüber, wo früher die Tankstelle war, wird anscheinend das Baufeld freigeräumt.


    0113tankr7c72.jpg

  • Eigentlich ist ja zu allen Qs alles gesagt, aber irgendwie kann ich nicht anders. Das Bild der George-Stephenson-Straße könnte so im Duden unter Ödnis stehen. Oder unter Fehlplanung. Oder unter Depression.