Nbger Süden: WBG-Ensemble SCHILLINGSTRASSE

  • Man hätte vielleicht fragen können "Sind Sie dafür, dass die Stadt Nürnberg ihre Tochter WBG verpflichtet, den dort zum Stichtag 1. Januar 2016 vorhandenen Gebäudebestand einer Kernsanierung und Aufwertung zuzuführen und dabei das bauliche Erscheinungsbild und den Baumbestand bestmöglich erhält und ertüchtigt und Ergänzungen durch Neu- oder Anbauten ausschließt?", ganz spontan hingetippt, sicherlich keine brauchbare Endfassung. Und ich persönlich finde, dass sich Visualisierungen der drohenden Veränderung a lá "Sonnenblume" als abschreckendes Beispiel eignen. Dem stellt die Initiative eine selbst erstellte Visu entgegen, wie das Quartier kernsaniert und herausgeputzt aussehen würde. So visuell muss man solche Kampagnen heutzutage ja aufziehen. Und dann will ich sehen, dass sich die Mehrheit lieber für "Sonnenblume" aus #1 entscheidet.


    Auch ist positiv, dass ein Bürgerentscheid jeglichen Stadtratsbeschluss übertrumpft und sogar noch eine juristische Bindungsfrist hat, der Stadtrat kann also nicht einfach eine Woche darauf hergehen und wieder das Gegenteil beschließen. Das ist schon ein sehr mächtiges Werkzeug. Hoffentlich passiert solch ein Fall wie dieser nie wieder in Nürnberg.

  • Die alte Fragestellung, was ist wichtiger? Der Erhalt solcher Arbeitersiedlungen und -Ensembles, oder die Schaffung von Wohnraum, der im Zuge des starken Siedlungsdrucks in den Ballungsräumen dringend notwendig ist?! Zumal es sich hier in aller Regel um kleine Wohneinheiten handelt, deren Ausstattung und Raumaufteilung schon länger nicht mehr zeitgemäß ist. Selbst Renovierungen führen hier nur zu kleinen Linderungen, und nicht renoviert sind diese Wohnungen kaum zu vermitteln und bleiben meist das Schicksal von sozial sehr schwachen Mitmenschen. Über die Schönheit der Nachfolgebauten die hier entstehen werden, müssen wir natürlich nicht diskutieren... Dennoch werden diese Nachfolgebauten mehr Wohneinheiten bieten, bessere Schnitte, Ausstattungen etc. Natürlich gibt es die Wohnungen dann aber nicht mehr für 480€ warm! In Stuttgart gibt es auch solche Arbeitersiedlungen unterschiedlicher Größe aus den 1910er und 1920er Jahren (wie etwa Raitelsberg-, Wagenburg-, Insel-, Wallmersiedlung, um nur diese Beispiele zu nennen). Gefühlt ist jedes Jahr mindestens eine dieser Siedlungen für den Abriss im Gespräch. Wurde jedoch renoviert, ist man diesbezüglich aus dem Schneider.


    Die entscheidende Frage die ich mir in dem Zusammenhang stelle, ist die Schuldfrage! Sind solche Beispiele nicht das Erbe der verschlafenen mindestens 2 Jahrzehnte bezüglich des perspektivischen Wohnungsbaus (Stuttgart hat diesbezüglich ganz sicher tief geschlafen...)?! Zu lange hat man sich (gerne) blenden lassen von absurder Tiefstapelei hinsichtlich der Einwohnerzahl in Städten und in Deutschland. Bei dem Tempo und der Anzahl, sowie der Notwendigkeit der Projekte, ist es nun schwierig einzelne Ensembles zu schützen. Selbst Berufsprotestanten können sich nicht teilen und überall sein.

  • Winterzeit ist Abrisszeit. Nur langsam entfernt sich das Ensemble an der Pillenreuther Straße aus dem Stadtbild.



    Die Dämmung hat man schon heruntergeschält und fix entsorgt, damit das Styroporzeug vom Wind nicht durch die ganze Straße geweht wird. Zimperlich ist man allerdings nicht beim Abriss der Gebäude:



    Das Material wird durch den Baggerführer noch vor Ort sortenrein getrennt. So gehen Holz, Mauerwerk und Beton nicht gemeinsam in den Container. Interessant ist auch zu sehen, dass diese Hausreihe anders gebaut ist als der Riegel an der Galvanistraße. Dieser hatte Wände aus Schüttbeton und Holzbalkendecken. Die aktuell abgerissenen Häuser haben sauber gemauerte Wände und Betondecken, und waren wohl eher für die Ewigkeit gebaut. Aber damit wirds ja nun nix.

  • Am Ende wird der Abriss 3 Monate gedauert haben. Im Uhrzeigersinn frisst sich der Abrissbagger durch die alten Häuser, der kleinste und letzte Abschnitt an der Schillingstraße ist nun an der Reihe. Die kurze Straße verliert damit auf einen Schlag 50% ihrer Bebauung und wird bald ihr Gesicht komplett gewandelt haben.



    Mit dem Neubau wird direkt im Anschluss begonnen.

  • W.B.G

    Sowohl bei dieser Auslöschung gewachsener Architektur zugunsten von grassierendem 08/15-Einheits-Schuhschachtel-Brei, als auch bei der Dokumentation des entstehenden Nordostbahnhof-Neubaughettos ist mir klar geworden, daß WBG offensichtlich für " Wir bauen Ghettos" steht. Hübsch häßlich ist auch schön.

  • @ ArchiTechTour: Herzlich willkommen im Forum!


    Sofern du "Als Ghetto (laut Duden auch Getto) wird ein abgesondertes Wohnviertel bezeichnet" meinst, diese werden nicht nur von der WBG gebaut. Ich finde der passendere Begriff wäre "Gated Community", der die zunehmende Verschließung zur Öffentlichkeit/zum öffentlichen Raum hin beschreibt mit einer gleichzeitigen Hinwendungen allen sozialen Lebens nach Innen ins Private. Ein architektonischer Ausdruck dessen sind m.E.:


    - Burgartige Gestaltung mit winzigen Fenstern zur Straße hin
    - Leblose, teils fensterlose Erdgeschosszonen, die lediglich durch Tiefgarageneinfahrten, wenige Hauseingänge und Mülltonnenplätze unterbrochen sind
    - Betonmauern/Gabionen/Steinzäune statt Hecken oder offene Rasenflächen
    - Blickdichte Balkongitter und (oft heruntergelassene) Rolläden.


    Wenn man dann die Höfe ansieht sind diese oft grün, transparent mit Terrassen, Balkonen und Spielplätzen gestaltet und die Wohnungen offen fast wie Lofts.


    Im Fall der Siedlung Schillingstraße ist die Aufgabe dieses historisch wertvollen und in der Innenstadt auch seltenen Ensembles besonders bedauerlich, zumal sich hier alternative Wohnformen mit den Gärten hätten realisieren lassen. Die Neuplanung ist in der Tat eher eine abweisende Burg unter der Überschrift "maximale Verdichtung".

  • Kleiner Nebeneffekt der angesprochenen abweisenden Gestaltung zur Straße hin: Solche öden Straßenfronten tragen nochmal extra dazu bei, dass a) sich niemand auf der Straße aufhalten möchte (wo man zu meiner Zeit z.B. noch mit dem Fußball rumgebolzt hat) und dass b) der durchkommende Autofahrer nochmal extra aufs Gaspedal drückt, weil die Straße wie ein "Tunnel" wahrgenommen wird. *bretter*


    b) verstärkt dabei nochmal zusätzlich a) und a) verstärkt umgekehrt zusätzlich b).

  • Bilder Dezember

    Hier mal ein paar Bilder von Dezember. Seit dem Abriss gibt es ja scheinbar noch keine:







    Bilder von mir, andernfalls ist Urheberschaft angegeben.

  • Danke für die Bilder. Der Rohbau jedenfalls lässt noch nicht so genau erkennen, weswegen dieser Entwurf europaweit preisverdächtig gewesen ist. Schaut wenig innovativ und überhaupt nicht attraktiv aus. Vielleicht wird es die Fassade richten.

  • Jetzt nach der Zeitumstellung und zu milderen Temperaturen fahr' ich auch wieder öfter mit dem Rad. Zwar nicht unbedingt durch die Schillingstraße, aber es haben sich auch andere Projekte weiter entwickelt.

  • Das preisgekrönte Projekt, für das ein europaweiter Architekturwettbewerb ausgeschrieben worden war, nähert sich endlich der Fertigstellung. Man kann nun schon recht gut die Wirkung auf den Stadtraum abschätzen, da die Fassaden fast fertig sind. Pillenreuther Straße Ecke Sperberstraße:



    Vorher:



    Sperberstraße Ecke Schillingstraße:



    Vorher:



    Das Areal wurde also extrem verdichtet und der näheren Umgebung angepasst. Die historische Vorgängersiedlung war dagegen ja eher ländlich geprägt. Ich persönlich frage mich aber schon warum es nicht sichttbar geworden ist, dass es hier einen Wettbewerb gegeben hat. Die gesamte Farb- und Formensprache der Neubauten entsprechen aktueller Stangenware der mittleren bis unteren Preisklasse. Besser keine europaweiten Architekturwettbewerbe mehr für derlei Vorhaben. Das Geld hätte man in höherwertigere Materialien investieren können.

  • Bunkerarchitektur.


    Die Vorgängerbauten waren zwar nicht zum Staunen und Zungeschnalzen, aber sie hatten Charakter und Atmosphäre. Das wirkt, trotz der befahrenen Pillenreuther Straße, organisch und natürlich. Jetzt steht da ein gesichtsloser Klotz aus Beton und Dämmstoff mit ein paar albernen Farbklecksen, welche die Tristesse ungewollt nur noch stärker betonen. Ich bin immer wieder fassungslos. Die Verzweiflung und der Druck bei Wohnungssuchenden müssen schon sehr groß sein, um in sowas einziehen zu wollen.

  • Die Verzweiflung und der Druck bei Wohnungssuchenden müssen schon sehr groß sein, um in sowas einziehen zu wollen.

    Diese hier im Forum oft geäußerte Aussage konnte ich noch nie so richtig nachvollziehen. Drinnen gibt es bestimmt schönes Parkett, ein tolles Bad mit ebener Dusche, große bodentiefe Fenster und das Beste: man sieht das Gebäude nicht mehr!

  • Richtig, den meisten, inklusive Architekten, ist es egal wie es draußen aussieht, Hauptsache innen stimmt es. Und dann wird sich übers hässliche Nürnberg beschwert. Auch wenn der Bau in der Realität nicht ganz so bunkerartig rüberkommt (geht in der Umgebung unter) - das darf nicht der Anspruch sein.

    Mehr Gemeinwohlorientierung, mehr Sinn fürs Gesamte, mehr Außengestaltung bitte!

  • Das ist, mMn, weniger ein "Problem" mit dem Wettbewerb, sondern eher was daraus gemacht wird!


    Zur Erinnerung: es war hier kein klassischer Wettbewerb, sondern es sollten Verbindungen zwischen EU-Ländern ausgebaut und gleichzeitig Nachwuchsplaner gefördert werden. Daher auch der Name EUROPAN. Für diesen Standort gab es durchaus gute Beiträge wie ich meine. Auch der Sieger war gut. Siehe hier: http://www.europan.de/de/Wettb…0Standorte/N%C3%BCrnberg/


    Zu kritisieren ist wenn dann, was Verwaltung und Bauherr, hier am Ende immer "die Stadt Nürnberg" daraus macht. Und leider ist es oft schlecht, billig, aufgeblasen, vereinfacht, normgerecht, usw. Ich verweise hier nur auf den Plärrer, dessen Umgestaltung übrigens nach dem Siegerentwurf vom Stadtrat diese Woche beschlossen wurde. Glaubt echt jemand, dass der Entwurf dort so umgesetzt wird?!?

  • Also ich finde die Umsetzung sieht dem Wettbewerbsbeitrag doch sehr ähnlich. Zwar kenne ich diese Kausalkette auch, dass ein anfangs ganz anständiger Entwurf durch Einsparung, Optimierung, Nachbesserung und Zurückhaltung usw. stark abgewertet wird, aber hier scheint sie nicht so massiv zugeschlagen zu haben.


    Zu dem Argument, dass für viele nur die "inneren Werte" zählen... wenn man sich vor Augen führt, dass heute ca. 20 Jahre alte Bäder oder Küchen bereits wieder für viel Geld rausgerissen und ersetzt werden, dann habe ich meine Zweifel. Tatsächlich ist es doch so, dass "innere Werte" kaum einen Einfluss haben auf die Wertigkeit von Architektur. Selbst in Gründerzeithäusern werden alle 20 Jahre neue, moderne Bäder eingebaut, moderne Küchen, neue Fußböden oder so. Für viele Wohnungskäufer ist es Usus, erstmal alles rauszureißen und dem eigenen Geschmack anzupassen. Wichtig ist doch dass das Äußere attraktiv ist, und zwar so, dass es nicht wie eine Küche nach 20 Jahren altbacken aussieht, sondern mit der Zeit immer besser wird. In Würde altern, Patina ansetzen... Das hat man verlernt, und man kann auch gut beobachten dass eine Styroporfassade das noch nie geschafft hat.


    Insofern war meine Frage gemeint, wozu ein Architekturwettbewerb, wenn man den Entwurf nicht so umsetzt oder wenn der Entwurf von vorneherein nicht viel hergemacht hat. Das frage ich mich hier und das sage ich auch jedem, mit dem ich an dem Komplex vorbei komme. Da wird immer nur ungläubig gestaunt.