Leipzig: Gentrifizierung (ehem. "Windmühle vs. Abschwiff")

  • damit das nicht völlig aus den augen verloren wird: hartz IV-bezieher bezahlen überhaupt keine mieten. das übernimmt für sie die allgemeinheit, was prinzipiell auch in ordnung ist. nur kann man meines erachtens nicht verlangen, dass die allgemeinheit top sanierte altbauwohnungen in spitzenlagen spendiert.


    eine erhöhung des kdu-satzes würde hartz IV-beziehern auch nichts bringen, denn dann würden die mieten nur auf die höhe der neuen kdu-sätze steigen, was in der folge vom unteren preissegment bis nach oben zu mieterhöhungen führen würde. gewinner wären die vermieter, den nachteil hätten geringverdiener, die ihre mieten selbst bezahlen müssen.
    dennoch werden die sätze früher oder später mal erhöht werden - als inflationsausgleich.


    als die linke noch sed hieß, wurden plattenbauten als arbeiterparadiese angepriesen. jetzt soll es schlimm sein, in eine plattenbauwohnung zu ziehen. hartz IV-bezieher werden (in den meisten fällen sicher zurecht) als ganz normale leute betrachtet, dennoch soll es schlimm sein, wenn sie zusammen wohnen. das passt doch alles nicht zusammen.


    mir scheint, als würde diese ganze gentrifizierungsdebatte von leuten geführt, die im grunde einfach angst haben, in grünau unter hartz IV-beziehern zu landen. und das nicht mal zugeben wollen, weil dann hinter den ganzen phrasen vom sozialen zusammenhalt der blanke egoismus hervorblitzen würde. das schlimme daran: dadurch werden ganze stadtteile und bevölkerungsgruppen erst recht stigmatisiert.

  • Ah, eine neue Strophe im langen Lied der Beschimpfungen. Erst waren Menschen, die Gentrifizierung thematisieren, kritisieren und nach Lösungen der Probleme suchen, arbeitsfaule Künstler und Lebefrauen, die sich nur um den eigenen Lenz sorgen, dann ideologisch verblendete Steine- und Farbbeutelwerfer und jetzt Egoisten mit Abstiegsängsten. Ich bin gespannt, was als nächstes kommt.


    Ich kann ganz entspannt warten, denn ich habe mein Schäflein ins Trockene gebracht und mir zusammen mit Freund_innen als Kollektiv ein Haus in Lindenau gekauft und dies vom Wohnungsmarkt abgekoppelt. Soviel zu Antwort auf die steilen These von dj tinitus. Aber vermutlich kommt nun der nächste Vorwurf, selbst "Gentrifier" zu sein und eine Entwicklung, die es eigentlich gar nicht gibt, anzustoßen oder zu befeuern. Das lenkt dann wieder schön vom eigentlichen Thema ab und läßt den schwarzen Peter rotieren. Um dem vornwegzugreifen: Wir bezahlen uns selbst zwischen 2,66 und 3,00 Euro/m² Grundmiete mit kalten Nebenkosten (plus Heizung und Strom), in einem weiteren Haus werden es nach der Sanierung ca. 2,50 Euro/m² kalt mit Ofenheizung und ca. 3,00 Euro/m² mit Zentralheizung werden. Das geht, wie auch an anderer Stelle immer wieder bemerkt wird, nur durch einen sehr hohen eigenen Arbeitsanteil bei der Sanierung und den Verzicht auf Rendite ( http://www.berliner-zeitung.de…ro,10809196,16083564.html ). Allerdings ist uns klar, dass es Insellösungen sind und diesen Weg des kollektives Erwerbs und der Selbstverwaltung nicht alle Menschen gehen können und wollen. Und daher interessiert es uns, was in unserer Nachbarschaft geschieht, auch wenn die Veränderungen uns weniger betreffen als "normale Mieter_innen".



    nur kann man meines erachtens nicht verlangen, dass die allgemeinheit top sanierte altbauwohnungen in spitzenlagen spendiert.


    Ich finde schon, dass Menschen, die arbeitlos werden, in ihrer vertrauten Umgebung und ihrem sozialen Umfeld wohnen bleiben können sollen, auch wenn es sich um "Spitzenlagen" handelt.


    Aber wir reden hier doch gar nicht über "top sanierte altbauwohnungen in spitzenlagen" wie dem Waldstraßenviertel oder Gohlis. Wir reden über einfache Wohnungen in Nachkriegsbauten an Hauptstraßen wie der Karl-Liebknecht-Str. und wir reden über ehemalige Arbeiter_innenviertel wie Connewitz, Plagwitz oder Lindenau. Dass die auch durch Größe und Ausstattung der Wohnungen geprägte Sozialstruktur der einzelnen Viertel seit ihrer Entstehungszeit unterschiedlich ist und sich entweder auch in der DDR-Zeit nicht wesentlich änderte oder diese bald nach der Wende wieder nachvollzogen wurde, daran haben wir uns ja fast alle längst gewöhnt. Aber nun werden ehemalige Arbeiter_innenviertel wie Plagwitz oder Lindenau zu beliebten Lagen, teilweise sogar zu "Spitzenlagen" erklärt, in den traditionell und bis heute eine andere Bewohner_innenschaft lebt. Mittelfristig wird dann wahrscheinlich fast der gesamte Gründerzeitgürtel um die Innenstadt zur "Spitzenlage" gekürt, in der die Allgemeinheit ja wahrlich keinen Wohnraum verschenken und verschwenden kann.


    Als die "die linke noch sed hieß", lebten in den Neubauvierteln Arbeiter_innenfamilien, vor allem aber die "Intelligenzija", also Lehrer_innen, Verwaltungsangestellte, Akademiker etc. Die sind zu einem großen Teil bald nach der Wende in die Suburbia oder in die Kernstadt abgewandert.



    dennoch soll es schlimm sein, wenn sie zusammen wohnen.


    Das Idealbild der modernen mitteleuropäischen Stadt ist die Durchmischung unterschiedlicher Lebensentwürfe und Einkommensgruppen. Das hat sich die Stadt Leipzig auf die Fahnen geschrieben ("Leipziger Freiheit"), aber auch fast alle anderen großen Städte haben es ("Berliner Mischung" etc).


    Über soziale Segregation und ihre Folgen gibt es Unmengen an sozialwissenschaftlichen Studien, ich verweise hier nur auf die vielen Arbeiten von Hartmut Häußermann ( http://de.wikipedia.org/wiki/Hartmut_H%C3%A4u%C3%9Fermann ) und pars pro toto auf seinen Aufsatz "Marginalisierung als Folge sozialräumlichen Wandels in der Großstadt" aus dem Jahr 2001 ( http://www.spw.de/118/Hausermann.htm ) und ein SPIEGEL-Interview von 2008 "Wie Reiche die Armen aus den Städten verdrängen" ( http://www.spiegel.de/kultur/g…aft/0,1518,564649,00.html ) sowie zahlreiche ähnliche Studien wie - wiederum nur als ein Beispiel - "Auswirkungen des Wohnumfeldes auf Armutslage und Lebenssituation von Kindern und Jugendlichen" ( http://www.familienheute.de/at…20auf%20Armutslage....pdf ) aus dem Jahr 2004.


    PS: Kritisch dazu und erst vor kurzem online erschienen:


    Anne Volkmann: Quartierseffekte in der Stadtforschung und in der sozialen Stadtpolitik. Die Rolle des Raumes bei der Reproduktion sozialer Ungleichheit. Graue Reihe des Instituts für Stadt- und Regionalplanung, Technische Universität Berlin. ISBN 978-3-7983-2366-7. Online-Veröffentlichung 2012
    http://opus.kobv.de/tuberlin/volltexte/2012/3394/
    http://www.isr.tu-berlin.de/do…erseffekte_Stadtforschung

  • Da kann ich nur beipflichten. Zwar mag es sein, dass die mitteleuropäische Stadt hinsichtlich der Nutzung durchmischt ist. Aber es kann nicht angehen, dass allen Einkommensgruppen Top-Lage Innenstadt notfalls mit staatlicher Alimentierung ermöglicht wird. Und noch viel weniger kann sein, eine Diskussion über den Wohnungsmarkt ausschließlich mit Blick auf die Hartz-IV-Thematik zu führen. Im Vergleich ist Leipzig durchweg spottbillig. DJ Tinitus hat schon recht: Diejenigen, die oft die böse Gentrifizierung und angeblich brutale Verdrängung beklagen, bemänteln häufig nur ihre eigenen, egoistischen Motive so, daß sie als allgemeindienlich und selbstlos verkauft werden können. Es wäre gut mal freiheraus zu sagen um was es geht: das es eben schön ist in A-Lage billig zu wohnen und doof wenns auf einmal nicht mehr geht oder man selbst mehr Geld aufbringen müsste um dies zu tun.


    Als Immobilienbesitzer orientiere ich mich ausschließlich an einer Maximierung der Mieteinnahmen. Wer dann drinlebt, ob Arzt, Angestellter oder Hartzer ist egal. Aus Barmherzigkeit für die mangelnde Solvenz einiger Leute marktgerechte Aufwertungen zu unterlassen ist doch der reine Sozialismus. Wer sich vom Wohnungsmarkt abkoppeln will, der muss eben ein Haus kaufen und gleich bar bezahlen oder in der Fachwerkkate bei Altenburg oder sonstwo leben. Solche Sachen wie "kollektiver Erwerb" sind die Ausnahme. Ich kann schon jetzt gutes Gelingen bei Rechtsstreitigkeiten wünschen, wenn aus dem wohlmeinenden Arbeiter_Innen-Kollektiv dann Immobilienbesitzer(oh, ich vergass:"_Innen" o_O) geworden sind.


    Vereinfacht gesagt: durchgentrifizierte Stadtteile mit hohen Einkommen, entsprechendem Einzelhandel, wenig alternativen Inseln und sog. "Soziokultur" sind halte ich für durchweg erstrebenswert, entsprechend weniger Graffiti und Hundescheisse ist zu beseitigen und weniger Leute lungern in Schnapskneipen herum. Langfristig wertsteigernd. Und die "Folgen sozialer Segregation" sind nun wirklich nicht das Problem des Eigentümers oder den neu zuziehenden Mietern. Das ist Betroffenheitsrethorik. Gentrifizierung ist "selbstbestimmte" Entwicklung vom Feinsten mit Angebot und Nachfrage ohne staatlichen Eingriff, das sollte anerkannt werden anstatt über ein paar Nebeneffekte zu greinen.

    2 Mal editiert, zuletzt von WolfsheimJena ()

  • Im Westen hingegen wurden viel häufiger Baulücken mit sozialem Wohnungsbau gefüllt,weswegen es auch in stark nachgefragten Vierteln noch relativ viel preiswerteren Wohnraum gibt und die soziale Durchmischung gegeben ist.


    Wo gibt es so etwas?


    In Althütte:)


    Aber die Sorgen hier können schon erheiternd sein

  • plattenteller

    ..Wenn das in der Platte ist, dann bitte alle rein in die Platte. Sofern schon eine Platte da ist, was ich jedoch annehme...


    Glücklicherweise ist die Innenstadt relativ plattenarm, was nicht heißen soll das die gewünschte Durchmischung unerwünscht sei.

  • ^welchen zweck verfolgten jetzt die letzten posts hier im thread?


    interessant für mich an dieser bisherigen diskussion ist folgendes: diejenigen, die ich eher als "an gemeinschaftlichen bedürfnissen orientiert" bezeichnen würde, argumentieren ausschließlich oberhalb der gürtellinie. die anderen innerhalb der runde, die "an individuellen bedürfnissen orientiert" bedienen sich neben einigen stichhaltigen argumenten überwiegend den mitteln der polemik und rhetorik. was soll uns diesen stammtischschlammschlachtniveau denn hier bei der diskussion im forum bringen?


    in einer demokratischen und aufgeklärten gesellschaft, wie wir uns selbst doch so gern nennen, sollte sich jeder bewohner dieser stadt kontrovers beteiligen dürfen. und dazu muss das thema erstmal benannt und dann möglichst vielgestalt kommuniziert werden.


    ich persönlich erlebe die veränderungen vor ort in plagwitz und dem leipziger osten und bei meiner arbeit mit ämtern der kommune auch im norden der stadt wie rasant sich unsere stadt nachhaltig verändert. an einigen stellen heilen alte bauwunden, an anderen stellen reißen löcher in gewachsene soziale strukturen. mietspiegel und löhne im deutschland oder europavergleich hin oder her, leipzig ist der ort, an dem ich hier und jetzt lebe.
    einige mögen hundescheiße auf dem gehweg nicht, andere finden unterlassungsklagen wegen spielenden kindern nicht besonders nett.
    dafür sind wir eine demokratie, um es auszudiskutieren.

  • in einer demokratischen und aufgeklärten gesellschaft, wie wir uns selbst doch so gern nennen, sollte sich jeder bewohner dieser stadt kontrovers beteiligen dürfen. und dazu muss das thema erstmal benannt und dann möglichst vielgestalt kommuniziert werden.


    Völlig korrekt! So wie jeder in einer demokratischen und aufgeklärten Gesellschaft auch mit den Mitteln der Polemik und Rhetorik argumentieren darf, ohne dabei gleich als unterhalb der Gürtellinie, wer auch immer die definiert, agierend bezeichnet werden zu müssen, sobald er keine 30 Zeilen braucht, um auf den Punkt zu kommen - was aber auch wieder erlaubt sein sollte in einer demokratischen und aufgeklärten Gesellschaft. :)

  • Polemik ist ein Mittel um Vorstellungen zu begegnen, die ich für gefährlich und schädlich halte. Da wir hier Wohnungsbau diskutieren, bewegen wir uns auf ökonomischen Gebiet. Ich finde den Versuch als lächerlich und letzten Endes zum Scheitern verurteilt, ständig Entscheidungen von Privatinvestoren oder Eigentümern mit angeblich allgemeindienlichen Eingriffen zu beeinflussen. So etwas wie schützenswerte gewachsene soziale Strukturen gibt es nicht. Wer maßt sich an, dies festzulegen und zu dekretieren daß die nicht betroffene Mehrheits-Bürgerschaft die Kosten tragen soll? Das ist der Kern meiner Kritik.


    Der gesamte Aufschwung der letzten Jahre ist privater Natur, keines der staatlichen oder sozialen Programme hat dazu in nennenswertem Umfang beigetragen. So gut sie gemeint sind, sie dienen lediglich dazu, sich ändernde Realitäten wie ein gestiegenes Interesse an Sachwerten oder Bewegungen im Immobilienmarkt künstlich zu behindern. Das schadet in der Mehrheit der Fälle mehr als es nützt. Die Hälfte der Posts zum Thema befasst sich mit letztenendes dirigistischen Eingriffen in die Freiheit des Eigentums, in das Unternehmertum mit dem Ziel angeblich öffentlich erstrebenswerte Ziele wie eine stärkere soziale Durchmischung zu erhalten. Das sind alles Romantiken, zudem wird über die Köpfe der Betroffenen hinweg entschieden, die so argumentierenden haben oft keinerlei Berührungspunkte mit der Lebenswelt der Gruppen, die sie schützen wollen.


    Zwar kann ich die Sorgfältigkeit der Recherche bei einigen (LE.Mon.hist.) nur loben, die daraus sprechende, ganz und gar aussichtslose Aushebelung der wirtschaftlichen Gesetzmäßigkeiten wird so aber auch nicht rechtschaffener.


    Ich kann nicht anders, als das mit rhetorischen Spitzen hie und da zu kommentieren, denn die Argumentationen sind doch sehr an den Haaren herbeigezogen. Mir ist meine persönliche und unternehmerische Freiheit das höchste Gut. Versuche diese einzuschränken halte ich für unannehmbar.

  • Nur mal so, was in westdeutschen Städten, sowohl groß als auch klein, in denen die Lage sicherlich deutlich angespannter ist als in Leipzig, momentan wieder möglich ist.


    Kölner Stadtanzeiger, 17.05.12
    Ratsbeschluss
    Stadt fördert Wohnungsbau
    http://www.ksta.de/html/artikel/1337185849432.shtml


    Die Stadt Köln steigt mit einem eigenen Kreditprogramm in die Wohnungsbauförderung ein. Hinzu kommen Zuschüsse für den Erwerb privater Grundstücke, deren Höhe hängt davon abhängt, wo gebaut wird. So soll die soziale Mischung gefördert werden. Neue Mietwohnungen sollen nach Kriterien, die in einem Förderatlas vorgegeben werden, innerhalb der Stadt „sozialraumverträglich“ verteilt werden. Außerdem sieht das Programm eine Million Euro für den Ankauf von Mietpreis- und Belegungsbindungen vor.



    Frankfurter Rundschau, 23.5.2012
    Jeder soll hier leben können
    Bad Homburg Stadt plant Neubau von günstigem Wohnraum / 1000 Wohnungen bis 2019
    http://www.fr-online.de/bad-ho…nen,1472864,16095016.html


    Usinger Anzeiger, 23.05.2012
    Mietpreise in Bad Homburg steigen auf rund zwölf Euro an
    Fast 600 Haushalte daher auf der Suche nach Wohnung - Stadt fördert weiter Wohnprojekte
    http://www.usinger-anzeiger.de…/bad-homburg/12002693.htm


    Bad Homburg beabsichtigt, bis zum Jahr 2019 1000 neue Wohnungen für Gering- und Mittelverdiener bereitzustellen. Der Mietpreis soll bei 6,50 Euro pro Quadratmeter liegen. In der Kreisstadt des Hochtaunuskreises in Hessen mit rund 53.000 Einwohner_innen liegt die Miete für Neubauten derzeit zwischen 11 und 12 Euro pro Quadratmeter, für ältere Wohnungen zwischen 7 und 11,50 Euro.


    Außerdem zwei lesenswerte Artikel in der


    Frankfurter Rundschau, 15.05.2012
    Wohnungsmangel. Mit der Kraft der großen Städte
    http://www.fr-online.de/kultur…dte,1472786,15240506.html


    und
    "Welt am Sonntag" vom 20.05.12
    Der unbezahlbare Traum vom urbanen Wohnen
    http://www.welt.de/print/wams/…m-vom-urbanen-Wohnen.html


    In allen wachsenden Metropolen wird deutlich zu wenig neuer Wohnraum geschaffen. Und wenn gebaut wird, handelt es sich nach Expertenschätzungen in 80 bis 90 Prozent der Fälle um Wohnungen im gehobenen und luxuriösen Bereich.


    Als ein Problem der hohen Preise wird genannt, wie Städte mit ihrem eigenen Grund und Boden umgehen und das nicht nur in Berlin Grundstücke, die sich im städtischen Eigentum befinden, über den Liegenschaftsfonds mit wenigen Ausnahmen an den Höchstbietenden regelrecht verscherbelt werden.


    Und in Leipzig nimmt man sich aktuell alle Möglichkeiten, in zwei, drei oder vier Jahren, wenn sich die Situation auch hier deutlich verschärft haben wird, entsprechend zu reagieren:


    Städtische Immobilien und Grundstücke
    http://www.leipzig.de/immobilien/
    Bis vor kurzem stand hier noch:
    Witzgallstr. 18, Riebeckstr. 37-43 (Exp. 0631)
    Grundstücksgröße: 2.120 m²
    Kaufpreis: EUR 330.000,00


    Die LWB verklingelt ihre innerstädtischen Grundstücke, die teilweise erst vor wenigen Jahren abgeräumt wurden, unterdessen bei der Deutschen Grundstücksauktion:
    http://www.dga-ag.de/f-Download-d-catalogue.html?id=33

  • Aber es kann nicht angehen, dass allen Einkommensgruppen Top-Lage Innenstadt notfalls mit staatlicher Alimentierung ermöglicht wird.


    Klar kann das angehen. Wenn diese Durchmischung eine gewisse Tradition hat, gibt es Instrumente wie den Mileuschutz. In Leipzig wurde dieser Begriff eher missbraucht (Feinkost, Windmühlenstraße). Das ändert aber nichts an der Falschheit Deines Hardliner-Spruchs.


    DJ Tinitus hat schon recht: Diejenigen, die oft die böse Gentrifizierung und angeblich brutale Verdrängung beklagen, bemänteln häufig nur ihre eigenen, egoistischen Motive so, daß sie als allgemeindienlich und selbstlos verkauft werden können.


    Dieser Thread hier spricht dagegen. Betroffene halten sich hier raus. Auch gibt es in Leipzig eine kleine Tradition, dass sich HTWK-Studenten und -Lehrende des Themas annehmen, nicht weil sie betroffen wären, sondern weil sie es für dringlich halten. Der Brühlbrowser war herausragend, ebenso die Aktionen der Karo-Architekten und der Urbikon-Gruppe.


    Die Betroffenen dagegen reißen leider zu selten den Mund auf. Die meisten Veränderungen liefen schleichend und ohne Öffentlichkeit ab. In den 90ern war die Große Fleischergasse noch von einfachen Altbauwohnungen und Mietern ohne finanziellen Spielraum geprägt. Bachstraße, überhaupt das Musikviertel, die August-Bebel-Straße, das Waldstraßenviertel, weite Teile Schleußigs: Die angestammte Mieterschaft ist sang- und klanglos verschwunden.


    Wie also kann man erklären, dass in der Diskussion ausgerechnet Plagwitz und Lindenau gern genannt werden, wo die Mieten tatsächlich noch gering sind und das Milieu denkbar durchmischt? Es lässt sich dadurch erklären, dass eben nicht die Betroffenen diskutieren ;)


    durchgentrifizierte Stadtteile mit hohen Einkommen, entsprechendem Einzelhandel, wenig alternativen Inseln und sog. "Soziokultur" sind halte ich für durchweg erstrebenswert


    Es gibt ja weltweit hinreichend Erfahrungen mit Reichenvierteln, Gated Communities, Privatstraßen etc. Wissenschaftler, die sich damit gründlich beschäftigt haben, kommen in aller Regel zu dem Ergebnis, dass diese Auswüchse nicht erstrebenswert sind, mehr schaden als nützen, nicht nur dem Gemeinwesen, sondern auch denen, die sich freiwillig aus Angst oder Überheblichkeit ins Reichenghetto begeben.

  • Der gesamte Aufschwung der letzten Jahre ist privater Natur, keines der staatlichen oder sozialen Programme hat dazu in nennenswertem Umfang beigetragen. So gut sie gemeint sind, sie dienen lediglich dazu, sich ändernde Realitäten wie ein gestiegenes Interesse an Sachwerten oder Bewegungen im Immobilienmarkt künstlich zu behindern. Das schadet in der Mehrheit der Fälle mehr als es nützt.


    Hier wäre es für mich interessant zu wissen, wie diese Aussage zustande kommt. Sie klingt für mich ein wenig zu sehr nach Gutglauben an die Allmacht der Selbstregulation des Marktes.
    Das der Staat als Kontrollorgan Geschehnisse reguliert oder auch moderiert, liegt in seiner Natur.
    Welcher Mehrheit schadet die Kontrolle und inwiefern?


    Ich kann nicht anders, als das mit rhetorischen Spitzen hie und da zu kommentieren, denn die Argumentationen sind doch sehr an den Haaren herbeigezogen. Für mich ist meine persönliche und unternehmerische Freiheit das höchste Gut. Versuche diese einzuschränken halte ich für unannehmbar.


    Ich selbst bin seit Jahren Unternehmer und glaube, der Amerikanische Traum hat sich schon seit Jahrzehnten ausgeträumt. Was ich aus einem System abschöpfe, sollte ich auch gleichermaßen zurückgeben.
    Es ist Zeit, die vermeintliche persönliche Freiheit (unter dem systemischen Zwang der Gesetze der Ökonomie von Freiheit zu sprechen, ist m.E. auch schwierig) wieder mit dem sogenannten Gemeinwohl abzugleichen. Ein Stadtraum besteht aus Menschen aller sozialen Milieus und diese sollten nebeneinander leben dürfen.


    Ein lesenswertes und interessantes Buch dazu ist:
    Alexander Mitscherlich; Die Unwirtlichkeit unserer Städte: Anstiftung zum Unfrieden (edition suhrkamp)

  • Hier wäre es für mich interessant zu wissen, wie diese Aussage zustande kommt. Sie klingt für mich ein wenig zu sehr nach Gutglauben an die Allmacht der Selbstregulation des Marktes.


    Ja genau.



    Das der Staat als Kontrollorgan Geschehnisse reguliert oder auch moderiert, liegt in seiner Natur. Welcher Mehrheit schadet die Kontrolle und inwiefern?


    Bloß weil es "seine Natur" ist, wird es nicht hinnehmbarer. Grundsätzlich lehne ich es ab für die Unzulänglichkeiten anderer in Mithaftung genommen zu werden. Diese Kontrolle verursacht Kosten bei der öffentlichen Hand. Diese Kosten werden durch das Geld der Bürger gedeckt. So etwas wie öffentliche Mittel gibt es nicht, es ist immer das Geld von irgendjemanden. Faktisch heisst das, dass alle Einwohner ( nicht nur die aus der wohlhabenden Waldstrasse, sondern auch die Armen aus teilweise ähnlich problematischen Stadtteilen, die aber weniger im Fokus stehen), die Sozialexperimente und Lenkungsinstrumentarien für Plagwitz und ff. mitbezahlen müssen. Das ist zutiefst unfair. Denn das belastet alle Bürger, die Facharbeiterfamilie in Paunsdorf oder Eutritzsch genauso wie die Gutverdiener. Ich begünstige keine Eliten mit diesem Argument, sondern es ist eine Frage der Fairness.


    Die Kontrolle über unweigerlich ablaufende Prozesse ist nur eine scheinbare. Ist denn in der Großen Fleischergasse irgendwas an Aufwertung verhindert worden? Oder wohin sollte das denn in Plagwitz führen? Mir ist das Ziel nicht klar - wozu Durchmischung? wozu Erhaltung eines mediokren Status Quo? Weil mir unbekannte Wissenschaftler schlaue Studien dazu schreiben? Was hat das mit unserer Situation vor Ort zu tun?



    Ich selbst bin seit Jahren Unternehmer und glaube, der Amerikanische Traum hat sich schon seit Jahrzehnten ausgeträumt.


    Was hat Amerika hier zu suchen?



    Was ich aus einem System abschöpfe, sollte ich auch gleichermaßen zurückgeben.


    Wir zahlen alle in halbwegs demokratischen Strukturen festgelegte Abgaben und Steuern. Damit ist das Zurückgeben abgegolten. Ich weigere mich darüber hinaus irgendwelche öffentlichen Eingriffe zu dulden.



    Es ist Zeit, die vermeintliche persönliche Freiheit (unter dem systemischen Zwang der Gesetze der Ökonomie von Freiheit zu sprechen, ist m.E. auch schwierig) wieder mit dem sogenannten Gemeinwohl abzugleichen. Ein Stadtraum besteht aus Menschen aller sozialen Milieus und diese sollten nebeneinander leben dürfen.


    Weil die Freiheit nur eh "vermeintlich" ist, sollen wir sie also doch gleich zugunsten des Staates aufgeben und ständige Vorschriftenmacherei erdulden? Jeder darf leben wo er will, ich schränke dies als Allerletzter an. Wo jemand lebt hat niemand zu entscheiden, empfehlen oder festzulegen außer der Betreffende selbst. Die von außen gesteuerte "Durchmischung" ist in Wahrheit eine "Einmischung" in die Lebensentwürfe der Bewohner. Das ist der fruchtlose Versuch Kontrolle und Regulation über alle denkbaren Externalitäten menschlichen Tun und Lassens zu erlangen.

    Einmal editiert, zuletzt von WolfsheimJena ()

  • Nur, um das mal Einzunorden:
    Die Aufwendungen der Stadt Leipzig für Transfer-Ausgaben betragen laut Plan für 2012 451.000.000,-€ bei einem Gesamtaufwand von 1.279.000.000,-€ - das entspricht 35%.
    Quelle
    Bleibt die Frage, wie viel eine Stadt wie Leipzig im Bereich Soziales noch ausgeben kann/darf/soll/muss und zu wessen Gunsten oder Ungunsten.


    Bei der ganzen Diskussion um Gentrifizierung darf man nicht vergessen, daß das Ganze oft den Charakter von "die dürfen hier nicht rein" kriegt - mit welchem Recht??