Leipzig: Gentrifizierung (ehem. "Windmühle vs. Abschwiff")

  • Jena platzt aus allen Nähten. Es herrscht dort akuter Wohnraummangel wie in prosperierenden Ballungsräumen in Westdeutschland. Selbst Plattenbauwohnungen im periphär gelegenen Lobeda gehen weg wie warme Semmeln. Woanders im Osten würde man solche Platten abreißen und die Flächen renaturieren, in J-Lobeda gönnt man den Platten-Bewohnern aus Lärmschutzgründen eine millionenschwere Einhausung über der nahe gelegenen A4. Jena spielt wohnungsmarktspezifisch auch mittelfristig in einer ganz anderen Liga als Leipzig. Dortmund ist ggü. Jena ein genauso schlechtes Beispiel. Mich würde es nicht wundern, wenn die Durchschnittsmiete in Leipzig jene in Dortmund bald übersteigt. Aktuell zahlt man dort im Schnitt noch 30 Cent mehr als in Leipzig

  • In guten Altbaulagen sind 2000 EUR kalt für um die 60qm Standard.


    Ich habe selbst lange genug in Jena gelebt, um die Verhältnisse dort zu kennen. Aber das wären ja 33,33 Euro/m² als "Standard", das halte ich doch für arg übertrieben. Das bezahlt man vielleicht in zwei oder drei Maisonettewohnungen im Damenviertel oder ganz oben an den Hängen, aber das ist ja kein "Standard".


    Interessant ist auch die Methode, den eigenen "gefühlten Preis" als Maß der Dinge anzunehmen. Ist man in Jena selbst betroffen, sind die hohen Angebotspreise die Realität und die Zahlen der Stadt und der großen Wohnungsunternehmen zu den Durchschnittsmieten und Preissteigerungen sind irrelevant. Geht es um den Blick von dort aus auf Leipzig, sind die zunehmenden Klagen über die Schwierigkeit, Wohnraum unter 7 oder 8 Euro kalt "in akzeptabler Lage" zu bekommen, gegenstandslos, weil die Zahlen (und die eigene Erfahrung der letzten Jahre) ja anderes sagen.


    Nun unterscheiden sich die Mieten bei den größten Anbietern, den kommunalen Wohungsunternehmen und den Wohnungsbaugenossenschaften, in Jena und Leipzig so gut wie gar nicht, in Leipzig sind die Durchschnittsmieten bei der LWB sogar etwas höher als bei jenawohnen. Nur was sagt das über den Wohnungsmarkt einer Stadt aus?


    Zu der wichtigeren letzten Frage komme ich leider vermutlich erst am oder nach dem Wochenende.

  • Ein großes Problem in Jena ist mittlerweile auch die Umnutzung von Wohn- in Gewerberaum. Dadurch kommen dann leicht Kaltmieten von über 10 Euro zu Stande. Ganze Straßenzüge mit eigentlicher Wohnbebauung sind in Büros "umgewandelt" worden.


    Ich hab die letzten Jahre ähnliche Erfahrungen gemacht, wie Wolfsheim...kann also durchaus zustimmen...

  • LVZ und Schlegel sehen Gespenster

    Sachen gibt es:


    Jens Rometsch bezeichnet in der LVZ von gestern die aktuelle Debatte um Gentrifizierung als "Gespenst":


    LVZ, 18.04.2012
    In Leipzig läuft eine Geisterdebatte über zu hohe Mieten und deren Folgen für die Stadtteile
    Verdrängung als Gespenst
    http://connewitz.noblogs.org/f…12/05/lvz14052012-s19.pdf


    Dabei nimmt er offenbar absichtlich nicht mal den aktuellen „City Report Region Leipzig“ der Immobiliengesellschaft Aengevelt bzw. die beiden Artikel seiner LVZ-Kolleg_innen Sabine Schanzmann-Wey und Ulrich Langer vom 18.04. zur Kenntnis, in denen es unter anderem hieß:


    "Immobilienreport: Angebot an günstigem Wohnraum sinkt
    Leipzig. Die Preise für Mietwohnungen in Leipzig ziehen an.
    ... Zuletzt seien die Mieten aber in jeder Lage und nahezu jeder Qualität angestiegen, heißt es im City Report Leipzig, den Aengevelt gestern vorstellte. Insoweit könne von einem Wendepunkt des Mietwohnungsmarktes gesprochen werden. ... Zu den „Gewinnern“ zählten das Musikviertel, Südvorstadt, Gohlis-Süd und Leutzsch. Zudem verzeichnen Plagwitz und Schleußig eine gestiegene Nachfrage. Dies werde dazu führen, dass die Mietpreise weiter anziehen, sagte Aengevelt-Sprecher Thomas Glodeck. Der Immobilienvermittler erwartet daher eine Entwicklung vergleichbar dem Prenzlauer Berg in Berlin, wonach Mieter sich die Preise in besonders gefragten Vierteln nicht mehr leisten können und in andere ausweichen müssen.
    Insgesamt hinkt nach Ansicht der Experten der Wohnungsneubau der weiter steigenden Nachfrage hinterher. So verdoppelte sich die Zahl der Baugenehmigungen im vorigen Jahr zwar fast auf knapp 1000 Wohnungen. „Dies reicht aber nicht aus“, sagte Unternehmenschef Wulff Aengevelt. Laut Statistik stieg die Zahl der Einwohner in Leipzig allein im Vorjahr um rund 4150 an. Um den Bedarf zu decken, müsste die Zahl der Neubauten fast doppelt so hoch sein. ..."


    Und:


    "Wohnungen werden knapp
    Nach Jahren der Stagnation zieht das Mietniveau in Leipzig laut Immobilienexperten wieder an. ... Angesichts einer steigenden Nachfrage gehen jedoch auch die Preise in Leipzig in einigen Lagen nach oben.
    Laut dem City Report des Immobilienunternehmens Aengevelt reicht die Neubautätigkeit in Leipzig keineswegs aus, um die beachtliche Wohnungsnachfrage in den nächsten Jahren zu befriedigen. Demnach wird der zusätzliche jährliche Bedarf auf 3900 Wohnungen beziffert.
    Angesichts der geringen Bautätigkeit von durchschnittlich etwa 500 Wohneinheiten in den vergangenen fünf Jahren werde es spätestens in zwei bis drei Jahren knapp auf Leipzigs Wohnungsmarkt. Ein Großteil der zusätzlichen Nachfrage sei durch leerstehende oder modernisierte Wohnungen abgedeckt worden, heißt es. Dieses „Entlastungangebot“ werde jedoch geringer. Laut Aengevelt stehen derzeit noch 34 000 der 321 000 Wohnungen leer. 20 000 davon seien aktuell auch vermietbar. Eine „Reserve“ von rund 10 000 Wohnungen allein für Umzüge sei dabei angemessen. Im Zuge steigender Nachfrage ziehen laut Aengevelt inzwischen auch die Mieten in allen Wohnlagen an."


    http://www.rosental-immobilien…gen%20Bauland%20teuer.pdf


    Siehe hierzu auch http://www.deutsches-architekt…d.php?p=334112#post334112 ff.


    Siegfried Schlegel von der Linkspartei stößt in das gleiche Horn ("Mit einer Debatte um Gentrifizierung in Leipzig wird derzeit versucht Gespenster wie eine „Sau durchs Dorf“ zu treiben.") und tutet mal wieder sein altes Lied, wonach für Menschen mit geringere Einkommen Wohnungen nur in "typengleichen Wohngebäude(n) von nach 1920 sowie Nachkriegsbauten, die sich überwiegend im kommunalen und genossenschaftlichen Eigentum befinden" möglich ist und sein soll.


    Suche nach Gespenstern löst Wohnungsprobleme nicht
    http://www.linksfraktion-leipz…t-wohnungsprobleme-nicht/


    In einer wirren Folge von schon hundert mal von ihm gesagten Sätzen stehen auch solche Perlen wie:


    "Dabei beschreibt Gentrifizierung aber nur eine von mehreren Formen der sozialen Ausdifferenzierung in Stadtteilen. Deshalb sind Probleme in Leipziger Stadtteilen, wie im Sanierungsgebiet Connewitz - Biedermannstraße, in Plagwitz oder im Sanierungsquartier Windmühlenstraße mit „Gentrifizierung“ nicht beschreibbar. Analogien zum England der 60er Jahre gibt es insofern, dass sich mit dem Wegbrechen der Industrie der legendäre Londener Nebel abschwächte und sich die Luft in den Industriestadtteilen stark verbesserte. Damit wurden einstige Arbeiterquartiere auch für andere soziale Schichten und Investoren interessant."

  • Gentri... wie bitte? Nr. 3 vom 06.05.2012 zum Nachhören

    Gentri... wie bitte? Stadtentwicklung in Leipzig Nr. 3
    Sendung vom 06.05.2012 auf Radio Blau


    Zusammenfassung der Diskussion "Gentrifikation - Die Geister die wir riefen" vom 23.04.12, des Workshops zur nachhaltigen Entwicklung der Kultur- und Kreativwirtschaft im Leipziger Westen vom 20./21.04.12, ein Interview mit Hamburger Künstler_innen, die sich vom 20.04. bis 5.05. auf "Betriebsausflug" in Leipzig aufhielten sowie eine kritische Betrachtung der Berichterstattung zur Hausbesetzung in der Naumburger Straße am 21.04.


    http://www.freie-radios.net/48242

  • Doch noch mal ein Vergleich des Wohnungsmarktes in beiden Städten:


    Jena:
    Laut Mittelstandsberater und Immobilienvermittler Steffen Liebetrau trifft die Durchschnittsmiete von 4,50 Euro nur noch im sozialen Wohnungsbau zu. Bei allen anderen neu abgeschlossenen Mietverträgen liege die Miete mindestens bei 6,50 Euro, in der Innenstadt sogar bei 8,50 und in Toplagen bei 13 Euro.
    Der Stadtarchitekt Matthias Lerm zieht es dagegen vor, ein anderes Bild zu zeichnen. "Die angebliche durchschnittliche Kaltmiete von 6,71 Euro stimme nicht, sagt [er] und verweist auf die Bestandsmieten. Er spricht von „Gerüchten“ der Immobilienwirtschaft."
    http://karte.immobilien-kompas…beschreibung.html#details


    Leipzig:
    Der Mietmarkt hat kräftig angezogen. 8 bis 9 Euro pro Quadratmeter sind in guten Lagen Normalität, in den Toplagen geht es bis 11 Euro. Ein Anstieg von etwa zehn Prozent. Der Leipzig-Boom erfasst mehr und mehr die B-Lagen, Mieten und Preise sind dort ebenfalls leicht gestiegen.
    Weite Teile der Stadtverwaltung und hier auch der lokalen Presse (siehe zwei Beiträge weiter oben) üben sich auch darin, steigende Mieten mit Verweis auf ältere Zahlen und die Durchschnittsmiete für die Gesamtstadt zu relativieren.
    http://karte.immobilien-kompas…beschreibung.html#details
    Siehe auch http://www.deutsches-architekt…d.php?p=337203#post337203


    Mietpreise - Haus oder Wohnung Altbau (pro qm) - Haus oder Wohnung Neubau (pro qm)
    Kernbergviertel - 6,50-12,00 - 7,50-13,00
    Westviertel/Sonnenberge - 6,50-12,00 - 8,00-13,00
    Innenstadt/Damenviertel - 6,50-12,50 - 8,00-13,00
    Wenigenjena/Ost - 5,50-10,00 - 6,50-12,00
    Süd - 3,50-10,00 - 6,50-11,00
    Nord -4,50-10,00 - 6,50-11,00


    Musikviertel: 6,50-9,00 - 8,50-11,00
    Bachviertel: 6,50-9,00 - 8,50-10,00
    Waldstraßenviertel: 6,50-9,00 - 8,50-10,00
    Zentrum/Innerer Ring: 6,50-9,00 - 8,00-11,00
    Markkleeberg: 6,00-9,00 - 7,50-9,00
    Schleußig: 5,50-8,50 - 8,00-9,50
    Gohlis-Süd: 5,50-8,50 - 7,50-9,00
    Südvorstadt: 5,50-8,50 - 7,50-9,50
    Plagwitz: 5,00-7,00 - 7,50-9,00


    Wo ist der ganz große Unterschied zwischen den beiden Städten?

  • Leben im It-place.

    Neuer Stoff für die Debatte: http://www.suedplatz.com/ (vgl. Dunkel-Ichs Beitrag im Bauerbe-Thread) Da läuft einem doch ein kalter Schauer über den Rücken, jetz wird schon unverhohlen mit Verdrängungseffekten geworben:


    "Geprägt werden diese neue Markenwelten von lebendigen Individuen, nur beispielhaft seien für die Stadt Leipzig durch die Nähe zur medizinischen Universität die Studenten der späten 90´er-Jahre erwähnt, die mittlerweile die Karriere vom Fach- über den Oberarzt bis zum Professor abgewickelt haben, aber den Umzug in die gutbürgerlicheren Wohnviertel als ebenso profan wie überflüssig abgelehnt haben und einfach weiter so leben, wie sie es sich aussuchen. Nun ziehen die Insignien des Wohlstandes zu Ihnen, es gibt nicht mehr nur den Bäcker von nebenan, sondern auch den Feinkost-Italiener und die französische Weinhandlung. Im Schlepptau fest vertäut findet ein up-grading der Wohnviertel statt.


    Billige Gewerbeflächen mit niedrigem Mietniveau und geringem sozialen Beiwert werden von höherwertigen Nutzen verdrängt. Das fängt ganz einfach an, die Wäscherei verdrängt die Dönerbude und in der altdeutschen Bäckerei gibt es irgendwann auch Baguettes zu kaufen."


    Schön auch, dass man bei der Gelegenheit gleich mal die Verbindung zum Prenzlberg herzustellen versucht:


    "Diese Trendviertel finden sich in vielen Metropolen der Welt, hier werden die Marken gesetzt, Ideen geboren, geprüft und verworfen. In Deutschland hat der Name nur eines gewissen Stadtteils in Berlin (Prenzlauer Berg) einen Bekanntheitsgrad in den relevanten einkommensstarken Altersschichten von leicht 100%. Es ist historisch eine einmalige Entwicklung, dass der Name eines Kiezes zur Beschreibung einer Lebensidee geworden ist. Dieses Branding beinhaltet den spill-over, den Übertrag auf andere Städte, längst gibt es ähnliche Stadtviertel auch in Leipzig (die Südvorstadt), in Hamburg (St. Pauli) oder in Köln (die Südstadt)."

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  • besten dank für deinen beitrag.
    das haus am südplatz macht wieder einmal deutlich, wie sehr diese phantomdebatte über angebliche gentrifizierung an den haaren herbei gezogen ist:


    das haus ist seit vielen jahren unbewohnbar, zuletzt gab es dort bis 2009 im erdgeschoss noch eine versiffte automaten-videothek. jetzt wird es denkmalgerecht saniert, es enstehen nur kleine zweiraumwohnungen (40-65 qm) ohne schnickschnack.


    verdrängt wird dabei
    keiner
    niemand
    nichts.


    wenn das gentrifizierung sein soll, dann bitte mehr davon.

  • Schenkendorfstr. 24

    Schenkendorfstr. 24:


    Nach Sanierung des denkmalgeschützten Mehrfamilienhauses entstehen 17 Eigentumswohnungen und ein Ladenlokal im Erdgeschoss. Folgende Wohnungsgrößen wird es geben:
    - 8 WE mit 1 Zimmer, Küche, Bad zwischen 39 qm und 45 qm Wohnfläche;
    - 4 WE mit 2 Zimmern, 2 Bädern und 1 Küche zwischen 49 qm und 51 qm Wohnfläche;
    - 5 WE mit 2 Zimmern, Küche, HWR/AR, Bad, Balkon zwischen 63 qm und 66 qm Wohnfläche;
    - Kaufpreise € 106.000 bis € 177.000
    http://www.immobilienkapitalanlage.com/page4.php?post=3


    106.000 €/39 qm = 2717,95 €/qm
    177.000 €/66 qm = 2681,81 €/qm


    Die üblichen Preise für ETW Altbau pro qm liegen in der Südvorstadt laut capital.de bei 1300-2000 € (http://karte.immobilien-kompas…beschreibung.html#details). Im Grundstücksmarktbericht 2011 der Stadt Leipzig wird für die Südvorstadt ein Durchschnittspreis/m² von 2.461 Euro angegeben (zum Vergleich Zentrum zwischen 2.290 und 2.730 Euro, Plagwitz 2.646 Euro und Schleußig 2.458 Euro - http://www.deutsches-architekt…d.php?p=335201#post335201 ). Für "ohne schnickschnack" und an einer sehr belebten Ecke sind die Preise doch überdurchschnittlich.


    Ich denke, dass die allermeisten der ETW als Kapitalanlage erworben wurden und dies nicht durch Selbstnutzer, sondern anschliessend vermietet werden sollen. Auf die Miethöhe bin ich gespannt, wo sich das in etwa bewegen wird läßt sich ja grob mit dem Blick auf den Kaufpreis und die Refinanzierung abschätzen. Das sollte dann wiederum mit den bislang üblichen Mieten nicht in der Südvorstadt allgemein, sondern speziell an der Karli und um den belebten und damit lauten Südplatz verglichen werden. Dann können wir über Veränderungen in der sozialen Zusammensetzung eines Stadtviertels, über Aufwertung und eben auch über Verdrängung und Gentrifizierung reden. Bei diesen Prozessen geht es ja nicht um ein einzelnes Haus, sondern um Quartiere und Nachbarschaften. Ich nehme stark an, dass die Mietpreise hier deutlich über den finanziellen Möglichkeiten einer durchschnittlichen Studentin (2er WG mit 2 Bädern) oder auch eines Normalverdieners liegen werden.


    PS: Nach den üblichen Formeln, die sich für Kapitalanlagen im Web finden lassen (z.B. http://www.geldtipps.de/immobi…tersvorsorge-darstellen):
    Brutto-Mietrendite = realistisch erzielbare Monats-Nettokaltmiete pro Quadratmeter Wohnfläche x 12 Monate x 100 : Kaufpreis pro Quadratmeter.
    Üblicherweise werden zwischen 4 Prozent (9 Euro/qm) bis 6 Prozent (13,50 Euro/qm) Brutto-Mietrendite als lohnendes Investment angesehen, Denkmalabschreibungen werden als angenehmer Begleiteffekt mitgenommen.

  • ^ In besagtem Haus hat vorher niemand gewohnt, also findet auch keine Verdrängung statt und seit wann sind positive Veränderungen in der sozialen Zusammensetzung sowie Aufwertung von Stadtvierteln in diesem Forum negativ besetzte Begriffe? Plagwitz ganz hinten sowie andere Stadtviertel haben das bitter nötig. Mich erinnert die jetzt geführte Debatte ein wenig an jenes Gespenst von 2004, das mit der Einführung von Hartz IV Scharen von ALG-II-Empfängern nach Grünau und Paunsdorf treibt.


    Bei diesem Blog der IG Rotes Viertel braucht man auch nicht viel lesen, um zu wissen, wes Geistes Kind dort schreibt (Wände denen, die drauf malen!) Da steht geschrieben, dass das Immobilienunternehmen Hildebrand & Jürgens ihre Schadensumme durch gewalttätige Gentrifizierungsaktionen "mediengerecht mehr als verdoppelt". Als ob es eine Legitimation für Gewaltaktionen gäbe, wenn eine bestimmte Schadensumme unterschritten wird.


    Erst wenn Leipzig überall gleichermaßen versifft aussieht und blockupymäßig entwertet wird, wenn Schöngeister zentrumsnah für 2,50 wohnen und griesgrämige Rentner in Grünau weiterhin 5,50 Euro/qm an die LWB überweisen, erst dann ist die Welt der sogenannten Gentrifizierungsgegner wohl wieder in Ordnung.

  • "Erst wenn Leipzig überall gleichermaßen versifft aussieht und blockupymäßig entwertet wird, wenn Schöngeister zentrumsnah für 2,50 wohnen und griesgrämige Rentner in Grünau weiterhin 5,50 Euro/qm an die LWB überweisen, erst dann ist die Welt der sogenannten Gentrifizierungsgegner wohl wieder in Ordnung."


    Gewiss nicht. Es geht bei Hausprojekten, alternativen Wohngenossenschaften etc. nicht um "Geiz ist geil". Es geht darum, den Wohnraum vor Spekulation und Renditemaximierung zu schützen. Wer sich in einem Hausprojekt engagiert, der zahlt meist sehr viel mehr, als er für eine günstige Mietwohnung zahlen würde. Geld und Zeit werden ins Projekt gesteckt und fließen nicht ab.

  • Polemik olé! Was auf irgendwelchen anderen Blogs und Websites steht nehme ich entweder mit Interesse zur Kenntnis oder ignoriere es je nachdem, aber meine Meinung bilde ich mir immer noch selbst. Nur weil andere Websites ähnliche Themen aufgreifen und Begriffe verwenden wie ich haben wir noch lange nicht die selben Ansichten. Und das gilt umso mehr für bestimmte Aktionsformen.


    Seit einiger Zeit sind in den "angesagten" Stadtvierteln rings um das Zentrum eine deutliche Veränderung der sozialen Zusammensetzung der Bevölkerung und zum Teil sehr stark steigende Preise bei Neuvermietungen zu verzeichnen. Ich kann mich nicht erinnern, dass Sanierungen und Wiederinbetriebnahmen von leerstehenden Häusern hier im Forum kritisiert worden sind. Es ist nach meiner Erinnerung nicht mal angeregt oder gar gefordert worden, in den konkreten Fällen günstiger zu sanieren und zu vermieten - also eben nicht für 9-13,50 Euro/qm - , weil wohl sicherlich jedem und jeder klar ist, dass dies die freie Entscheidung des Eigentümers ist und der sich ohne Frage am maximal möglichen Gewinn orientieren wird. So funktioniert nun mal der Kapitalismus.


    Allerdings würde ich mir wünschen, dass zumindest anerkannt wird, dass Sanierungen und Neubauten, die derzeit fast ausschließlich im hochpreisigen Sektor stattfinden, auch Effekte auf die unmittelbare Nachbarschaft, auf das Stadtviertel und die gesamte Stadt haben. Die Frage wäre nun, wie damit insgesamt umgegangen wird und welche Möglichkeiten es gibt, Gentrifizierungsprozesse mit in anderen Städten bewährten oder wenigstens ausprobierten oder auch mit neuen Mitteln, die eine städtische Verwaltung zur Verfügung hat, zumindest zu dämpfen.


    Dabei geht es selbstverständlich nicht darum, Sanierungen und Wiederinbetriebnahmen von bisher leerstehenden Häusern zu verhindern, sondern das derzeit bestehende Ungleichgewicht in den Blick zu nehmen und entsprechend zu handeln. Solche Mittel können z.B. juristische Regelungen wie Erhaltungssatzungen und die Ausweisung von Milieuschutzgebieten sein, aber auch der Umgang mit kommunalen Immobilien im direkten Besitz der Stadt oder dem der städtischen Tochter LWB.


    Ein Grund, warum die Debatte derzeit so intensiv geführt wird und einige auch zu radikalen Methoden greifen, ist meines Erachtens die Reaktion von weiten Teilen der Stadtverwaltung, der Presse (insbesondere der LVZ) und der Stadtgesellschaft, die Sorgen und Ängste vieler Menschen mit geringerem Einkommen davor, abgehängt und an die Stadtränder und "Schmuddelviertel" abgeschoben zu werden, nicht ernst zu nehmen. Es scheint viel einfacher zu sein, die Veränderungen zu ignorieren und die Diskussion als "Gespensterdebatte" abzutun, als sich zunächst erst einmal auf eine Einschätzung der aktuellen Lage in der Stadt zu verständigen und dann gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Und es ist natürlich noch leichter, alle, die das Wort Gentrifizierung verwenden, in einem Topf zu werfen und sie mit Verweis auf die Ansichten und Handlungen einzelner alle zu diskreditieren. Aber nicht jede, die steigende Mieten, Verdrängung und Segregation kritisiert, wirft auch Farbbeutel oder zündet Kleinwagen von Sanierungsfirmen an.

  • @lemonhist:


    man kann mieter nicht erfinden. wenn sich die soziale zusammensetzung der viertel verändert, dann hat sich bereits die soziale zusammensetzung der bevölkerung verändert.


    die ganzen sanierungen und neubauten zeigen, dass es offensichtlich einen bedarf dafür und genügend leute gibt, die sich das leisten können und wollen. das ist uneingeschränkt positiv. weder das können noch das wollen ist verwerflich.


    angebot und nachfrage bestimmen nun mal den preis. dafür braucht man keinen antigentrifizierungsbeauftragten. genauso wenig bringen ja gentrifizierungsbeauftragte, die "stadtteilkoordinatoren" oder "quartiermanager" heißen mögen.


    lindenau, volkmarsdorf oder neuschönefeld werden sich erst dann stabilisieren, wenn studenten und artverwandte lebenskünstler dorthin ziehen, weil plagwitz und die südvorstadt für sie zu teuer geworden sind. das werden dann aber nicht die selben leute sein, die heute in leipzig studieren. das zu erkennen, macht den unterschied in der betrachtungsweise.


    deshalb: von "verdrängung" reden eigentlich nur leute wie die in der windmühlenstraße, die selbst seit jahren in irgendeinem unsanierten haus kleben geblieben sind und sich darüber empören, dass sich die erde weiter dreht. das ist allerdings kein grund, sie anzuhalten.

  • ...

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  • Eine Stadt ist kein großes Einkaufszentrum, wo allein das Einkommen und Vermögen darüber entscheidet, ob Menschen in den teuren Boutiquen in der Haupttrasse einkaufen können oder im Kellergeschoß bei Aldi oder ganz draußen bleiben müssen.


    In der Stadt leben Menschen und sie bilden zusammen eine Stadtgesellschaft. Sie sind auf die Stadt angewiesen und können oder wollen nicht ausweichen in andere Städte oder auf das Land wie in ein anderes, billigeres Einkaufszentrum. In Mitteleuropa bzw. im Deutschland des 21. Jahrhundert sollte es das Ziel sein, das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft, mit unterschiedlichem Einkommen und Lebensentwürfen gemeinsam so zu gestalten, dass allen Menschen Chancengleichheit bei der Teilhabe am ökonomischen, sozialen und kulturellen Leben geboten wird. Eine Gesellschaft kann sich Regeln geben und dass Zusammenleben so organisieren, dass dieses Ziel erreicht wird.


    Gentrifizierung und die Verdrängung von Menschen mit geringerem Einkommen an den Stadtrand und in sogenannte Problemviertel stehen diesem Ziel entgegen, denn es be- und verhindert die Chancengleichheit. Über die negativen Folgen von Segregation, sozialer Entmischung der Stadtteile und Konzentration von Menschen mit vielfältigen sozialen Problemen wie Armut, aber auch der Abhängigkeit von legalen und illegalen Drogen, Kriminalität etc. besteht hier hoffentlich weitgehend Einigkeit. Und denen, denen das eigentlich egal ist, weil sie ja selbst nicht selbst betroffen sind, nicht arm, arbeitslos oder abhängig sind, leuchtet hoffentlich zumindest ein, dass die Folgen solcher konzentrierten Probleme und die Aufwendungen für ihre Bekämpfung für die ganze Gesellschaft teuer werden können, wenn sie erst mal verfestigt sind ... weit verbreitete Chancenlosigkeit, Kriminalität, Gangstertum als einzig denkbare Karriere und Lebenssinn für fast immer männliche Jugendliche, die oft beschworenen Parallelgesellschaften .... .



    man kann mieter nicht erfinden. wenn sich die soziale zusammensetzung der viertel verändert, dann hat sich bereits die soziale zusammensetzung der bevölkerung verändert.


    Habe ich da etwas verpaßt? Geht es allen Leipziger_innen plötzlich besser? Der jüngst vorgestelle Sozialreport 2011 (PDF 5,8 MB: http://www.leipzig.de/imperia/…zig_sozialreport-2011.pdf ) spricht da meines Erachtens eine andere Sprache, wenn auch die Armutsgefährdungsquote, die Arbeitslosenquote und der Anteil der Kinder, die Sozialgeld beziehen, leicht gesunken sind.


    Hier geht es wohl eher darum, dass sich die Präferenzen bestimmter Bevölkerungsgruppen ändern und einzelne Viertel stärker nachgefragt werden. Attraktiv sind Stadtviertel wie die Südvorstadt aber nicht nur für Reiche, sondern auch für Ärmere, die oft seit vielen Jahren schon dort leben und bleiben wollen. Und genau das sollte ihnen auch möglich sein, denn sie werden sicher nicht alle auf einmal reich und können im Wettbewerb der steigenden Mieten mithalten. Daher sollten ihnen entsprechende Möglichkeiten geschaffen werden wie günstigere Mieten in kommunalen Wohnungen, sozialer Wohnungsbau etc.



    die ganzen sanierungen und neubauten zeigen, dass es offensichtlich einen bedarf dafür und genügend leute gibt, die sich das leisten können und wollen. das ist uneingeschränkt positiv. weder das können noch das wollen ist verwerflich.


    Es gibt aber zweifellos auch einen Wohnraumbedarf bei Menschen mit geringerem Einkommen und es gibt nicht wenige Leute, die sich die teueren Mieten nicht leisten können und wollen. Was ist mit deren Ansprüchen und Wünschen nach Teilhabe in der Stadt?



    angebot und nachfrage bestimmen nun mal den preis. dafür braucht man keinen antigentrifizierungsbeauftragten. genauso wenig bringen ja gentrifizierungsbeauftragte, die "stadtteilkoordinatoren" oder "quartiermanager" heißen mögen.


    Diese Argumentation ist interessant. Als der Wohnungsmarkt am Boden war und die Mieten und Preise unter den Bedingungen der schrumpfenden Stadt und des enormen Leerstandes nach unten gingen bzw. am Boden blieben, da wurden Millionen Euro für Sanierungsgebiete und "Rückbau" ausgegeben.


    In Leipzig wurde nach 1989 das Hauptaugenmerk auf die Rettung der gründerzeitlichen Bausubstanz gelegt. Mit der Umsetzung von insgesamt 575 Mio. € an Fördermitteln des Bundes, des Landes und der EU einschließlich der Eigenmittel der Stadt Leipzig (Stand 12/2009) und fast 1,5 Mrd. € Darlehen der Wohnungsbauförderung ist es gelungen, die meisten gründerzeitlichen Quartiere der Stadt so zu entwickeln, dass diese ehemals benachteiligten Stadtgebiete heute starke Bevölkerungszuwächse verzeichnen.
    (http://www.leipzig.de/de/buerg…dtern/ausgleichsbetraege/ ).


    Ohne die 1990 erfolgte Ausweisung des Sanierungsgebietes Connewitz-Biedermannstraße sähe es dort wahrscheinlich anders aus ( http://www.leipzig.de/de/buerg…adtern/gebiete/ns/connew/ ), ebenso im Sanierungsgebiet Innerer Süden ( http://www.leipzig.de/de/buerg…adtern/gebiete/ns/insued/ ) und den anderen "alten" Sanierungsgebieten an der Nord-Süd-Achse und im Waldstraßen- und Bachstraßenviertel. Es wurden Quartiersmanagments im Leipziger Osten bzw. Volkmarsdorf (1999), Leipziger Westen bzw. Kleinzschocher (2002) und in Grünau (2007) und Magistralenmanagments an der Georg-Schwarz- und Georg-Schumann-Str. (2011) eingerichtet.
    http://www.leipzig.de/de/buerg…ern/gebiete/neue-gebiete/


    Diese Maßnahmen waren meines Erachtens richtig und notwendig, auch wenn im Einzelfall natürlich darüber gestritten werden kann, ob bestimmte Weichenstellung nicht besser anders hätten erfolgen können, ob alle Mittel sinnvoll ausgegeben wurden und Projekte wie etwa "lichter Hain und dunkler Wald" nicht die aktuelle Lage verschärft bzw. die derzeitigen Startpositionen verschlechtert haben.


    Nur wurde hier Steuergeld in Millionenhöhe ausgegeben als der Markt eben nicht funktionierte und sich nicht von allein regeln konnte, sondern er stabilisiert und unterstützt werden sollte. Nun, wo der Markt wieder "angesprungen" ist, soll plötzlich jedwede Steuerung unmöglich oder schädlich sein und kein Geld vorhanden sein, um die negativen Folgen des Warm- bis Heißlaufens des Wohnungsmarktes zumindest zu dämpfen?



    lindenau, volkmarsdorf oder neuschönefeld werden sich erst dann stabilisieren, wenn studenten und artverwandte lebenskünstler dorthin ziehen, weil plagwitz und die südvorstadt für sie zu teuer geworden sind. das werden dann aber nicht die selben leute sein, die heute in leipzig studieren. das zu erkennen, macht den unterschied in der betrachtungsweise.


    Nur nebenbei die Frage, wann Du zuletzt in Lindenau warst und inwieweit Du verfolgst, was dort im Moment passiert?


    Aber warum sollen eigentlich nur "studenten und artverwandte lebenskünstler" ein Stadtviertel "stabilisieren" können. Weil sie nach der klassischen, aber mittlerweile überwiegend in Zweifel gezogenen Theorie des doppelten Invasions-Sukzessionszyklus´ nach Dangschat die ersten "Invasoren" und damit die Vorboten einer kommenden Gentrifizierung sind?



    deshalb: von "verdrängung" reden eigentlich nur leute wie die in der windmühlenstraße, die selbst seit jahren in irgendeinem unsanierten haus kleben geblieben sind und sich darüber empören, dass sich die erde weiter dreht. das ist allerdings kein grund, sie anzuhalten.


    Die Behauptung wird nicht warer, nur weil Du sie oft genug wiederholst. Inititiativen wie "Dein Kiez" sind nicht gegen jede Sanierung, sondern betonen selbst deren Notwendigkeit. Sie wenden sich jedoch gegen eine Verdrängung der Mieter_innen durch Erhöhung der Kaltmiete von 2,90 auf 5,10 Euro für weiterhin unsanierte Wohnungen:
    http://deinkiez.blogspot.de/2012/03/verkauf-als-ziel.html


    Und zum Schluß noch der Hinweis darauf, wie eine Stadtverwaltung auch mit dem Problem der Gentrifizierung umgehen kann. Zwar ist Leipzig nicht Frankfurt am Main oder Hamburg oder München, aber die Ergebnisse der am 17.11.2011 in Frankfurt veranstalteten Fachtagung "Gentrifizierung - sozialverträgliche Stadtteilentwicklung", die in einer vom Dezernat Planen, Bauen, Wohnen und Grundbesitz, Stadtplanungsamt, Abteilung Gesamtstadt, in der Reihe IM DIALOG herausgegebenen Broschüre veröffentlicht wurden, sind auch für Leipzig von Interesse.
    http://www.stadtplanungsamt-fr…log_9_11392.html?psid=6a2


    Ähnliche Erfahrungsberichte und Analysen für Leipzig würden helfen, die aktuelle Gentrifizierungsdebatte sachlicher zu gestalten.

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