Sorry, wird es länger...
Was findest du denn an dem Entwurf in Ordnung?
Ich bin nahe bei ElleDeBE und DerBe. Von allen gezeigten Wettbewerbsbeiträgen scheint mir der Sieger-Entwurf die Anforderungen am besten zu lösen. Allerdings ist der Eingang zu gedrungen und die UdL-Fassade bräuchte mehr Abwechslung. Die Dachkante ist langweilig und ihr fehlt, anders als der polnischen Botschaft, die Tiefe.
Gut gefällt mir dagegen die Kubatur mit der durch lange Fenster betonten Schmalseite und der Abstufung in der Schadowstraße. Auch die Qualität des Materials passt: Kein Beton, kein Putz, sondern – sofern ich richtig sehe – Naturstein, Granit oder Sandstein. Und zwar nicht glatt, sondern profiliert und so verbaut, dass sich horizontale und vertikale Elemente abwechseln. Das könnte einen interessanten Effekt ergeben. Im Innern sind holvertäfelte Wände und ein rundes, ebenfalls mit Holz verkleidetes Treppenhaus zu erkennen. Schick.
Eine Parzellierung ist hier m.E. nicht nötig: Lebendigkeit hängt vor allem an der (hoffentlich öffentlichen) Nutzung des Erdgeschosses, und die Fassadenbreite entspricht dem, was für diesen Abschnitt der Linden üblich ist. Im mittleren Abschnitt der Linden sind viele schmalere Parzellen erhalten, und Neubauten sollten sich daran orientieren (gelungenes Beispiel trotz blöden Namens: Das Upper Eastside). Der westliche Abschnitt wird mit seinen Botschaften und Bundestags-Gebäuden aber schon lange von breiten Fassaden geprägt. Dem entspricht der neue Entwurf, der schmaler und auf eine schlichte Weise repräsentativer ausfällt als der Bundestags-Block zwischen Schadow- und Glinkastraße.
Tatsächlich scheint sich der Bau an der Stella-Fassade des Humboldt-Forums zu orientieren – ähnlich wie die erwähnte polnische Botschaft oder der Anbau des Bundesrates. Ich verstehe schon, warum manche diesen Stil öde finden. Er zeichnet sich aber durch hohe Materialqualität aus, er ist klassisch, nicht modisch, und er hat etwas eigenständiges. Diese Bauten sind typisch für Berlin und für die 10er-Jahre des 21. Jhdts. Man wird sie auch in Zukunft zuordnen können, und das kann nicht jede zeitgenössische Architektur von sich behaupten.
Den Diskurs über Architektur nur auf die Analyse vermeintlich objektiver, modeanfälliger Formalismen zu reduzieren, halte ich für einen Irrweg, und zwar weil ich denke, dass "Schönheit" ein wichtiges (wenn auch nicht das einzige) Kriterium zur Bewertung von Architektur sein sollte.
Ich weiß zwar nicht recht, was "modeanfällige Formalismen" sind, sonst gebe ich Dir recht. Etwas anderes habe ich nie gesagt, nur ist das mit der Schönheit eine vertrackte Sache:
Ich orientiere mich dabei an Kants Verständnis von Schönheit, d.h. Schönheit liegt eben nicht "im Auge des Betrachters", sondern Schönheit ist das, was allgemein Wohlgefallen hervorruft. Da Wohlgefallen aber subjektiv ist, kann allgemeines Wohlgefallen eben nur über einen Diskurs über das subjektive Empfinden, die Wahrnehmung einzelner Individuen erfolgen.
Du packst hier zwei Begriffe von Kant zusammen, wodurch der Witz verloren geht: Das "interesselose (!) Wohlgefallen" und die "subjektive Allgemeinheit". Schön ist nach Kant, was beim Betrachter Wohlgefallen hervorruft, ohne dass ein Interesse (also etwas praktisches) damit verbunden wäre. Geschieht dies, sagt sich der Betrachter "Das ist schön" – er urteilt subjektiv, zugleich beansprucht sein Urteil aber, allgemein gültig zu sein. Ein Paradoxon, dass sich durch Diskurse eben nicht auflösen lässt. Ich kann Dir zwar erklären, was ich an dem Entwurf schön finde, das wird Dein Empfinden aber nicht ändern. Ebensowenig ändert sich mein Empfinden, wenn ich Dein Urteil ("furchtbar, brutal und stumpsinnig") lese.
Dennoch gebe ich Dir Recht, dass man über Schönheit diskutieren können muss – auch wenn man sich oft nicht einigen kann. Nur ist das nicht Kant, denn Diskussion funktioniert auf Basis von Begriffen, und Schönheit ist laut Kant vorbegrifflich – weshalb ein Geschmacksurteil für ihn auch keine Erkenntnis ist. Mein küchenphilosophischer Gegenvorschlag: Schönheit ist nicht rein objektiv (also die Eigenschaft einer Sache), denn sie ist eine Empfindung, zu der nur Subjekte (die Betrachter der Sache) fähig sind. Rein subjektiv ist sie aber auch nicht, denn Geschmacksurteile sind nicht völlig beliebig; es gibt durchaus so etwas wie Geschmacksbildung und es lassen sich Kriterien dafür angeben.
Wenn wir uns einig sind, dass diese Kriterien nicht in Stein gemeißelt sind, sondern zumindest in Teilen historisch, sozial und kulturell bedingt, dann könnten wir vielleicht sagen: Schönheit liegt in der Beziehung zwischen Subjekt und Objekt, und was wir als schön empfinden hat viel mit Prägung zu tun. An dieser Prägung wiederum kann man arbeiten, man kann seinen Geschmack verbessern, indem man z.B. viel in Museen geht und Bilder unterschiedlichster Künstler und Epochen betrachtet. Auf diese Weise gewinnt man mit der Zeit einen Maßstab, und über diesen Maßstab, nicht über Schönheit selbst, kann man dann diskutieren. Einverstanden?