Umbau Bahnhof Ostkreuz (realisiert)

  • ^wenn man das Foto sieht kann man umso weniger verstehen, wie sonst deutsche Bahnhöfe im Allgemeinen gestaltet werden. De facto handelt es sich ja um einen kompletten Neubau, selbst wenn man irgend ein Stahlgerüst wiederverwendet hat, das hätte man ja genauso gut von einer Schlosserei auch gerade erst herstellen lassen können. Das zeigt doch sehr schön, dass es mit einfachen Materialien und zu moderaten Kosten möglich wäre, auch heute alltagstaugliche, zeitlose und dabei auch ästhetische Bahnhofsgestaltung umzusetzen. Warum muss es sonst überall immer Betonstein, Glaswand und verzinktes Stahlrohr sein?

  • ^ Genau das habe ich mich bei dem Bild auch gefragt. Das Aufsichtshäuschen in seinem frischen Glanz sieht wirklich wunderschön aus. Was könnte man für wunderschöne, inspirierende Lebenswelten schaffen, wenn man nur wollte. Die Kargheit und Tristesse ist einfach der Zeitgeist, am Geld liegt's nicht. Dabei gab es z. B. mit den postmodernen U-Bahnhöfen der 80er und dem Bahnhof Gesundbrunnen ganz vielversprechende Ansätze, die sich leider nicht durchgesetzt haben.

  • Anderswo gehts ja auch anders. Ich find zB toll, wie die Briten und Franzosen ihre spezifische Verkehrsarchitektur pflegen. Den besonders kunstvollen Metro-Eingang ersetzt man in Paris aus Kostengründen leider auch nicht mehr, wenn er mal durchkorrodiert ist, weswegen der recht selten wude, aber das Grunddesign pflegt man weiter. Wie zB die typischen weißen Kacheln, die gegossenen Asphaltbahnsteige, die allabendlich mit parfümiertem Wischwasser ("Duftnote Metro", die gibts tatsächlich, extra für die Pariser Metro angemischt!) saubergewischt werden. Die Pariser Metro ist ein Teil des Reizes und Mythos von Paris und nicht bloß schnöde, technische Infrastruktur. Sie hat sogar einen ganz speziellen Geruch, den man sofort wieder erkennt.


    Könnte in Berlin auch so sein, aber abseits von dem, was noch übrig ist (Untergrundbahnhof Hermannplatz, der alte Teil des Hochbahnhofes Gleisdreieck, mit seinen genieteten Stahlblechen, noch mit Fensterkitt befestigten Einfachglasscheiben, usw.) dominiert das übliche, triste, deutsche "Verkehrsgrau" bei Neu- und Umbaumaßnahmen. Das war auch mein größter Vorbehalt gegen den Ostkreuz-Umbau. So nötig er technisch und bzgl. Fahrgastkomfort war, ästhetisch und bzgl. Stadtbild sehe ich meine Befürchtungen trotz der wenigen Zugeständnisse, wie das, was man hier sehen kann, bestätigt. Berlin hat wieder einen Ort weniger, der einen gewissen "Spirit" hatte. Daran erinnert dieses Häuschen umso schmerzhafter. Mich macht in solchen Momenten sehr nachdenklich, wie wir mit unseren Städten und Alltagsorten umgehen. Was in der Gründerzeit binnen relativ weniger Jahre in Berlin an Flair, Identität und Stadtbild aus dem Boden gestampft wurde, wird seit der Nachkriegszeit kontinuierlich abgebaut und erodiert. Irgendwann ist Berlin einfach nur noch ein flächengrößeres Posemuckel-Neustadt.

  • Das habe ich hier immer wieder gepostet - die Bahn ist schon seit geraumer Zeit dabei, mit ihrem durchgehenden Beton-Brutalismus die für Berlin historisch bedeutsamsten Strukturen zu zerstören - und keinen scheints zu kümmern. Das Zeitalter der Industrialisierung war wie kein anderes stadtbildprägend für Berlin, mit seinen charakteristischen Industrie-, Verkehrs- und Wohnbauten. Der Austausch der alten Bahnhofsanlagen und Brückenkonstruktionen durch primitive, beliebige Funktionsbauten wird uns von unseren Nachfahren hoffentlich einmal sehr übel genommen. Dann ist es aber zu spät.

  • ^ Genau das habe ich mich bei dem Bild auch gefragt. Das Aufsichtshäuschen in seinem frischen Glanz sieht wirklich wunderschön aus. Was könnte man für wunderschöne, inspirierende Lebenswelten schaffen, wenn man nur wollte. Die Kargheit und Tristesse ist einfach der Zeitgeist, am Geld liegt's nicht. Dabei gab es z. B. mit den postmodernen U-Bahnhöfen der 80er und dem Bahnhof Gesundbrunnen ganz vielversprechende Ansätze, die sich leider nicht durchgesetzt haben.


    Prinzipiell teile ich Deine Meinung, dass wir zu wenig Geld für die Verkehrsbauten ausgeben und dann eben mit einfacher Architektur leben müssen. Aber genau das ist doch eine Frage des Geldes!


    Das Aufsichtshäuschen ist heute technische nicht mehr erforderlich und musste nur wegen des Denkmalschutzes neu aufgebaut werden. Würde man am ganzen Ostkreuz einen ästhetischen Anspruch realisieren wollen wie an diesem einen Detail, wäre der Bahnhof nach meiner Schätzung 70% - 80% teurer geworden, mindestens. Sichtbeton, lackiertes Stahlblech und Glas industriell vorgefertigt und in einfachen Geometrien ist halt viel, viel günstiger als teure Materialen und viel Handarbeit.


    Von daher ist es nicht "keine Frage" des Geldes, sondern nur eine Frage des Geldes!


    Den postmodernen Schwulst der 80er und 90er will ich allerdings auch nicht geschenkt haben - lieber nüchterne, glatte Architektur, dafür aber bitte hochwertig.


    Gruß


    Thrax

  • ^diese Rechnung hat sich sehr häufig als Trugschluss herausgestellt. Erstens sind die Leute immer wieder aufs neue überrascht, dass nicht etwa die großen Marketingversprechen der Möbelhäuser, mit den ach so niedrigen Preisen, zutreffen, sondern ein individuelles Möbelstück vom Schreiner (egal ob barocker Landhausstil oder supermodern und clean!) häufig sogar billiger ist, als das aus dem Möbelhaus. Sprich, der Einspareffekt von Massenerzeugnissen wird unterschätzt, die Kosten solider Handwerksarbeit überschätzt. Wenn, dann redet man meist nur über einen Korridor von rund 10%. Um mal ein Beispiel zu nennen, wo sich 1:1 traditionelles Handwerk und industrielle Massenproduktion gegenüberstehen, das ist wohl nirgendwo so deutlich der Fall, wie bei Möbeln.


    Dem gegenüber steht nicht nur eine hochwertigere Gestaltung, was man bis zum 20. Jh. durchaus "als Wert an sich" ansah (Alltag und öffentlicher Raum nicht nur eine Aneinanderreihung von Funktionen, sondern von sinnlichen Erlebnissen - die Industrialisierung hat den Menschen verändert, nicht der Mensch die frühe Industrialisierung menschlicher gemacht, leider).


    Besonders aber langfristig niedrigere Kosten. Gerade im Baubereich gilt das. Gute Holzfenster lackiert man alle 5 Jahre, die halten prinzipiell ewig. Kunststofffenster nicht. Gebrannte Dachziegel halten ewig, man kann einzelne austauschen wenn es einen Defekt gibt, das selbe gilt für Dachstühle aus Holz - eingefärbte Betonsteine auf dem Dach sind hingegen nicht nur optisch deutlich minderwertiger, sie haben eine begrenzte Lebensdauer, das selbe gilt für Dachstühle aus Stahl oder gar Beton (hat man einige Jahre mal versucht, ist aber wieder komplett davon abgekommen). Vollklinkerfassaden brauchen nie einen Anstrich, ab und zu müssen mal lockere Klinker getauscht werden - minimaler Pflegeaufwand, aber ein wunderschöner Anblick, solch eine Wand wird mit jedem Jahr schöner (die aus Styropor und Chemiefarbe mit jedem Jahr unansehnlicher, alle paar Jahre muss das teure Gerüst aufgebaut und eimerweise Chemie aufgepinselt werden, will man das Gebäude pflegen), ein Laminatboden muss spätestens dann raus, wenn die Kunststoffoberfläche anfängt an den Übergängen aufzuplatzen während Echtholzparkett ewig hält und mit gelegentlicher Pflege dabei ebenfalls immer schöner wird, ... und so weiter und so fort.


    Darum haben unsere Vorfahren gebaut wie sie gebaut haben und Materialien verwendet, wie sie verwendet wurden. Man konnte sich den luxuriösen Umgang mit Material und Arbeitszeit als Gesellschaft bis zur Einführung von Verbrennungsmotor usw. einfach gar nicht leisten, alles wurde so gebaut, dass es mit etwas Pflege nahezu eine Ewigkeit hielt. Und der Clou: schon weil es noch gar keine Chemieindustrie usw. gab, alles aus nachwachsenden Materialien, zumeist aus der nächsten Nähe (beschwerlicher Transport,...). Alles das also, was wir heute bräuchten. Nachwachsende Materialien, die man nach einem Abriß auch ohne Bedenken in die Umwelt kippen könnte ohne dabei den Boden zu vergiften, möglichst geringe ökologische Fußabdrücke durch kurze Wege und möglichst langlebige, somit ressourcenschonende, Bauweise.


    Ich kann einfach nicht in meinen Kopf kriegen, dass unsere Art des Bauens, auf kurze Abschreibungszeiten und Ressourcenverbrauch ausgerichtet, immer noch als "modern" bezeichnet wird. Nein, das ist keine moderne Architektur, das ist Architektur aus der Steinzeit des 20. Jahrhunderts, der Wegwerf- und Konsumzeit die binnen weniger Jahrzehnte unseren Planeten bisher schon fast an den Rand des Kollaps gebracht hat. Ein Fossil der fossilen Ära. Das alte Ostkreuz verkörpert hingegen die Zukunft. Naturmaterialien, Kreativität, Haltbarkeit.

  • @Eisber


    Vielleicht darf ich in diesem Zusammenhang daran erinnern dass diese kleinen Ziegelhäusschen, so pittoresk wie sie dir auch erscheinen mögen zu ihrer Enstehungszeit auch nur industrielle Massenwahre waren. Sowohl Formziegel als auch Eisenträger, sogar das Design war normiert, weswegen sie ja auch auf jedem S-Bahnsteig herumstanden.
    Was neulich industrielle billige Massenwahre war ist heute nunmal zu teuer da solche Dinge nicht mehr produziert werden weil man sie (so) nicht mehr benötigt.

  • In dieser Stufe der Massenfertigung passte man die Fertigung aber noch den Gütern an, nicht umgekehrt. All das hätte man auch in einer handwerklichen Manufaktur 1:1 genauso so herstellen können. Ob ein klassisches Geländer gußeisern oder geschmiedet war, machte keinen ästhetischen Unterschied und auch kaum einen bzgl. Haltbarkeit. Unsere zeitgenössischen ("modernen") Geländer sind in ihrem Aussehen hingegen an das angepasst, was Maschinen am billigsten und schnellsten ausspucken. Eine Röhre als Handlauf, flache Streben als eigentliches Geländer, aufgedampfter Korrosionsschutz in der "Designvariante", schnell durchs Zinkbad gefahren für die Sparvariante. Schnell und billig.


    Design nach Fertigung, nicht Fertigung nach Design. Das ist der Kern des sog. Industriedesigns, der Kern der sog. "Moderne" der Architektur aus dem 20. Jh. - das ist auch keine Behauptung von mir, sondern selbsterklärtes Programm von Architekten und Industriedesignern. "Form follows function" etc. Und die Funktion könnte man sogar beliebig definieren, auch Ästhethik, Langlebigkeit usw. wären ja funktionelle Parameter. Der Funktionsparamter unserer Gesellschaft ist aber "billig und schnell". Und so gestalten wir unsere Lebenswelten.

  • Ich kann einfach nicht in meinen Kopf kriegen, dass unsere Art des Bauens, auf kurze Abschreibungszeiten und Ressourcenverbrauch ausgerichtet, immer noch als "modern" bezeichnet wird.


    Willkommen im real existierenden angelsächsisch geprägten Turbo-Cowboy-Kapitalismus, der seit den 80er Jahren exzessiv die westlichen Industrienationen kassiert hat. Das Prinzip des kurzfristigen Immermehrismus von Kapital greift ja nicht nur im Bauwesen - Wenn Investoren am Steuer sind, gehts um Kapitalrendite und nicht um Wertschöpfung, die sich eben auch mal gerne langfristig oder auch jenseits der Maximalrendite bewegt, weil es eine andere Werthaltigkeit und andere Wertschöpfungziele hat, nämlich z.B. wenn man für sich und nicht für seine Portmonnee baut. Ich würde zwar alles nicht pauschalisieren - es gibt genügend Beispiele und Tendenzen auch in Berlin, die werthaltiges Bauen realisieren, aber es gibt auch genügend Beispiele, wo anspruchsvolle Architektur dann bei den Kosten ein Griff ins Klo werden für den Bauherrn, der eben dem Bau weiteren Parametern unterwirft als der Rendite, Elbhpil lässt grüßen.

  • ^da verhält es sich dann wohl ähnlich wie mit dem Billig-Fleisch oder -Milch. Das bedürfnis nach biilig und schnell ist allgegenwärtig. Dann musst Du die Menschen ändern, das haben schon viele versucht…. ich wünsch Dir jedenfalls viel Glück dabei!

  • ^^[Edit: Camondo, Antwort unten gelesen, sry]... Abgesehen davon: Gesetzgebung ändern würde overall reichen. Oder einfach warten - Negativzins hat ja Freigeld-Funktion. Und lange geht das eh nicht mehr gut. Die Welt ist dreifach überschuldet, in den 80ern hielt sich das noch die Waage (Schulden/Guthaben). Aber auf der Zielgeraden wird halt kräftig kassiert. Und ein Gros der Gewinne wandert übern Teich oder Kanal.


    Für durchschnittlich bessere, nicht maximalrendite-orientierte Architektur kann man z.B. die Voraussetzungen zum Bauen aus Eigenbedarf - auch Mehrfamilienhäuser - fördern, vor allem für die Mittelschicht, die in den letzten Dekaden dem Markt immer weiter verloren gegangen sind [Siehe diese Studie]. Und das geht schon bei der Parzellierung los.


    Zum Thema Bahnbauten: Also wer beim Ostkreuz mehr als das erwartet hat, was jetzt gebaut wird, der ist echt weltfremd. Die Bahn - obgleich gesetztlich der Kapitalmarktfähigkeit verpflichtet - investiert in Berlin Abermillionen in Bahnhöfe. Der HBF ist eine moderne Bahnkathedrale, der Bahnhof Warschauer Brücke wird besser glaub ich, als es zweckorientiert notwendig wäre. Wenn die Bahn noch mehr machen soll, dann muss sie von der Kapitalmarktfähigkeit befreit werden, was in Anbetracht seiner gesellschaftlichen Aufgabe durchaus angemessen wäre, eben dem Gemeinwohl/Mobilität und nicht der Staatskasse verpflichtet. Das erklär aber dann mal einem Steuerzahler. Klar ist, dass er nach besserer Architektur ruft, aber zahlen will der Michel dann natürlich nicht. Und natürlich beim Thema Bahn immer fordern - pünktlicher, besserer Service, bessere Verbindungen aber bitte stets günstiger.

  • Das sind keine intrinsischen Bedürfnisse des Menschen, er wird dahin gesteuert.
    Das beginnt schon mit expliziten, staatlichen Rahmenbedingungen. Über die Art der steuerlichen Abschreibung beeinfluße ich ganz massiv die Investitionsphilosophie des Gewerbes, das geht auch im Rahmen des Kapitalismus sehr wohl in eine wesentlich nachhaltigere Richtung. Aber welches Signal kurze Abschreibungszeiträume, die die fertigende Industrie am liebsten noch weiter kürzen würde, beispielsweise senden ist ja eindeutig.


    Auch die Kosten dieses Wirtschaftens (zB Umweltschäden, zB wegrationalisierte Arbeitsplätze mit in Folge arbeitslosen Menschen) werden nicht als "ehrlicher Preis" auf die einzelnen Güter umgelegt sondern losgelöst vom einzelnen Gut von der Allgemeinheit oder Menschen anderswo getragen. Würde man diese seriös und ganz kapitalistisch umlegen, dann sähen Kostenkalkulationen eben wieder ganz anders aus. Bis hin zu Dingen, die schlicht verboten und auch verfolgt gehören, wie die "geplante Obsoleszenz" und als Hersteller Reparaturkosten für vergleichsweise simple Defekte zu verlangen, die höher als Neupreis eines Gerätes sind, Verbrauchsgüter, die teurer sind als Neugeräte (Paradebeispiel Drucker und neue Originaltinte).


    Wenn man mal so eben die Glühbirne verbieten kann, dann geht das natürlich ebenso. Aber man will es nicht. Apropos Glühbirne und Damenstrümpfe, damit fing es an: im 19. Jh. liefen die ersten Glühbirnen bereits 10.000 Stunden. Das hieße aber, nur alle 10 Jahre eine neue. Daraufhin gründete sich ein historisch belegtes Glühbirnenkartell, was die Lebensdauer auf 1.000 Stunden festlegte und die Birnchen gezielt so herstellte, 1x im Jahr eine neue in jede Lampe im Schnitt heißt das. Das Kartell wurde offiziell irgendwann aufgelöst, mysteriöserweise blieb es aber bei den 1.000 Stunden. Zumindest im Westen, im kommunistischen China war die 10.000 Stunden Glühbirne für wenige Cent über Jahrzehnte zu bekommen. Auch der erste Nylonstrumpf für die Damenwelt war unkaputtbar, die holde Weiblichkeit war begeistert.


    Der Hersteller nicht, die Verkäufe brachen ins Bodenlose ein, sobald die Erstkäufe befriedigt waren. Das Produkt war einfach zu gut. Dann stellte man die Strümpfe bewusst minderwertiger her, die sog. "Laufmasche" war geboren und damit stete Nachfrage nach neuen Strümpfen. Bis heute ist keiner, auch kein No-Name Hersteller, daraus ausgebrochen. Und wir fragen auch gar nicht danach.


    Soviel zu den ganzen angeblichen Fortschritten. Ich sehe es nicht als Fortschritt, wenn alles was ich kaufe und anfasse, von Anfang an darauf getrimmt ist, spätestens zum Ende des Abschreibungszeitraumes oder der Garantiefrist kaputt zu gehen und wieder ersetzt werden zu müssen. Davon abgesehen ist es natürlich im Sinne von all jenen, die im Baugewerbe Geld verdienen wollen, wenn sie den Leuten den Rohbaustyle möglichst goldig reden können, denn die Kaufkraft der Menschen ist als "persönliches Budget" gesetzt und je billiger zB Bauträger mit Material usw. auskommen, desto mehr Profit bleibt übrig.


    Wie auch bei den ganzen Baustoffherstellern, Zwischenhändlern, usw. - die Spanne zwischen reinen Selbstkosten in der Herstellung und dem Endverkaufspreis ist gigantisch, ohne jeglichen Mehrwert dabei zu erzeugen - zig Mio. Menschen leben bei uns davon, Papier hin und her zu schieben und zu organisieren, das geht nur, wenn man die eigentliche stoffliche Seite, wie zB auch die Entlohnung der Arbeiter die greifbare Güter herstellen, immer weiter minimiert. So ist auch die Entwicklung am Arbeitsmarkt, in der Gesellschaft und die Entstehung des neuen Prekariats wunderbar nachvollziehbar.


    Es greift alles ineinander, der Bausektor ist ein sehr großes Kuchenstück einer Volkswirtschaft und gleichsam sichtbarste Projektionsfläche unserer gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Schon immer ließ sich der kulturelle Entwicklungsstand einer Gesellschaft - wenn man auf lange Zeitachsen zurückblickt und sich von der eigenen, winzigen Lebensspanne löst - an Prunk, Großzügigkeit, Detailverliebtheit und handwerklicher Präzision ihrer Bauwerke beurteilen. Was das über unsere ach so fortschrittliche Zeit aussagt, wenn der "Peak" der Massenbaukultur bereits hinter uns liegt und unsere Baukultur immer mehr verarmt, das muss jeder selbst beurteilen. Ich sehe darin zumindest keinen Fortschritt. Der Höhlenmensch hatte auch schon "Sichtbeton".

  • ^^Eisber hat Overall recht. Aber das heisst eben bei der Bahn keine Kapitalmarktfähigkeit und keine Überschüsse zum Staat. Das ist nicht vermittelbar. Ein Ostkreuz von Calatrava zu den x-fachen Kosten z.B., siehe Lüttich, in der Größe mit dem Ostkreuz durchaus vergleichbar, Kosten 312 Mio. €, Bahnhof Ostkreuz samt Warschauer Straße, Vorleistungen A100 und umfangreiche Gleisumbauten belaufen sich auf 411 Mio. €, die Ringbahnhalle soll angeblich 12 Mio. € gekostet haben.




    Quelle: Wikimedia, gemeinfrei Creative Common, GNU Free Documentation Licence

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  • Aber genau das ist doch eine Frage des Geldes!


    Es ist auch eine Frage des Geldes, aber nicht vorrangig. Wäre nämlich der Anspruch vorhanden, eine (längerfristig) attraktive Gestaltung umzusetzen, an einem Ort an dem siech täglich unzählige Menschen aufhalten, würde man an das bisschen Mehrkosten kaum einen Gedanken verschwenden.



    Würde man am ganzen Ostkreuz einen ästhetischen Anspruch realisieren wollen wie an diesem einen Detail, wäre der Bahnhof nach meiner Schätzung 70% - 80% teurer geworden, mindestens.


    Du willst mir doch nicht erzählen, dass Kleinigkeiten wie eine Klinkerverblendung für die Brückenpfeiler den Hauptkostenanteil bei einem solchen Bauprojekt ausmachen?



    Sichtbeton, lackiertes Stahlblech und Glas industriell vorgefertigt und in einfachen Geometrien ist halt viel, viel günstiger als teure Materialen und viel Handarbeit.


    Man kann wohl auch nicht erwarten, dass der gesamte Bahnhof in der selben Detailliertheit wie das Aufsichtshäuschen realisiert wird. Es geht mehr um die grundsätzliche Gestaltung, um Anleihen an charakteristischen Elementen und sei es nur die Farbgebung.



    Den postmodernen Schwulst der 80er und 90er will ich allerdings auch nicht geschenkt haben - lieber nüchterne, glatte Architektur, dafür aber bitte hochwertig.


    Ist natürlich auch Geschmackssache. Mir gefällt die Kombination aus modernen Baustoffen wie Beton, Glas, Stahl mit klassischen (regionalen), wie dem gelben Klinker, Holz und Stein. Beton allein wirkt mir zu leb-, lieblos und beliebig.

  • ^will sagen, häufig scheint nicht einmal Sparsamkeit das Motiv für lieblose Gestaltung zu sein, sondern schlichte Gleichgültigkeit - nach dem Motto "wir planen hier [eine technisch definierte Funktion, mit DIN-Norm, EBA Genehmigung, usw.], keinen Aufenthaltsort für Menschen" - und natürlich sind gefällige Gestaltungselemente auch daher manchmal etwas teurer, weil sie Seltenheitswert bekommen haben; es braucht ja keiner glauben, dass man den "Mietskasernen" in Berlin luxuriöse Ausstattung gönnte. Auch deren vielfach bis heute erhaltenen Kasettentüren, Messingtürklinken, gedrechselten Treppengeländer aus Holz usw. waren billige Massenware (ich meine, Klinker ist nun wirklich nix mondänes!).


    Heute, einige Generationen später, gilt dieser Wohnraum in sanierter Form als begehrte Luxusimmobilie. Wir haben einfach irgendwas verlernt, es gibt keine pauschale Sehnsucht nach Altem, Rekos, usw. sondern die Sehnsucht nach Altem, Rekos usw. spiegelt eine tiefere Sehnsucht nach mehr Gestaltungswille und Ästhetik in unserem Alltag wieder. Da die gegenwärtigen "Industriedesigner" uns das nicht gönnen bleibt derzeit nur der Blick in die Vergangenheit. Das ist die Sentenz der Diskussion, die leider immer untergeht (zB auch bei der Debatte rund um die Stadtschlossreko). Wer mir nur die Wahl zwischen Verkehrsgrau und altem Aufsichtshäuschen lässt, der darf sich nicht wundern, dass ich Verkehrsgrau ablehne.

  • Eisber:
    Neben dem Punkt, was damals Massenware und billig war, solltest du auch nicht den technischen Fortschritt vergessen:


    Sei es bei den Materialien: Beton, Alu, Kunststoff vs. Holz, Ziegel, Stahl
    Beton hat z.B. als Billig Baustoff den Ziegel verdrängt


    Bei den Fertigungsverfahren: Schweißen vs. Nieten, Guss und Schrauben
    Schweißen ist halt oft günstiger in der Montage aber auch in der Fertigung von Bauteilen. Aber jedes Fertigungsverfahren gibt halt auch vor welche Formen ein Bauteil haben muss und was technisch machbar ist. Technisch vieles aber du darfst die Kosten nicht außer acht lassen.


    Die Berechnungsverfahren.
    Nimm z.B. FEM ohne dieses Verfahren wäre das Dach des Münchener Olympiastadions unmöglich gewesen und die ganzen Schalen, Zeltkonstruktionen die in den 60ern und 70ern aufkamen.
    Ich kann mir da vorstellen, dass es verdammt reizvoll ist Dinge zu bauen, deren Berechnung nie in der Menschheitsgeschichte möglich waren.


    Nichtsdestotrotz gebe ich dir recht, was die Massenware in vergangener Zeit angeht. Ich habe einen Bericht über New York gesehen. Alle "verschnörkelten" Gebäude um 1900 sind Stahlguss. Da wurde nichts verputzt oder aufwendig mit Stuck gemacht.
    Ein cleverer Stahlhersteller hat paar Standartgussformen vergestellt (Römische Säule, Gott xyz, Nymphe,...) und hat die millionenfach verkauft.
    Die Elemente sind dann in unterschiedlichster Zusammensetzung verbaut worden und angestrichen worden. Sieht von außen wie klassischer Bau aus...


    Aber stimmt schon ab den 50ern hätte man auch"billigst" klassischer bauen können.
    Die DDR z.B. hätte wie der clevere AMi einfach super klassizistische Formen für die Betonplatten verstellen können, dann hätte jeder Plattenbau "Schnörkel"
    http://de.wikipedia.org/wiki/James_Bogardus

  • ... die Bahnneubauten in Berlin nach 1990 zählen IMHO zu den Besten, die in den letzten Jahrzehnten in Deutschland entstanden sind. Man schaue sich nur den Hbf der wohlhabenden Stadt Düsseldorf an, da weiß man, wie gut es Berlin bei den Bahnneubauten ergeht. Es handelt sich beim Ostkreuz um ein S- Bahnhof mit wenigen Regionalzügen. Hier sollte man die Kirche im Dorf lassen. Ich wage die These, dass ausserhalb von Berlin keine
    S -Bahnhaltestelle eine Halle wie sie die Ringbahn überspannt, erhalten hätte. Jammern auf hohem Niveau, wobei ich die Ausführungen von libero zum renditegetriebenen und nicht nachhaltigen Investoren Baugeschehen ähnlich sehe. Lüttich ist natürlich toll, aber das ist deren Hbf und nicht eine S- Bahn Haltestelle.

  • ^ "S-Bahnstation" - du schreibst das so abwertend. Dabei ist das Ostkreuz laut Wikipedia der "am meisten frequentierte Nahverkehrs-Umsteigebahnhof in Berlin" mit wesentlich mehr Passagieren als beispielsweise das Südkreuz, vermute ich. Mit dem geplanten Halt von Regionalzügen wird die Bedeutung sicherlich noch einmal zunehmen. Anderswo baut die Bahn sicher noch sparsamer, was ich schlimm finde. Man muss sie schon zwingen oder Mittel zuschießen um ein halbwegs akzeptables Ergebnis zu bekommen. Die Halle finde ich übrigens völlig in Ordnung, kritisch sehe ich hingegen vor allem den Bereich unter der Brücke und die Treppen mit ihrem 60er-Jahre-Autobahn-unterführungs-charme.

  • Ich freue mich über jeden gesparten Euro am Ostkreuz. Wir haben in Berlin genügend andere Bauten, mit denen sich man schmücken kann. Noch ein Super Duper Bahnhof braucht es nicht.


    Außerdem ist es nun mal einer der Party Hot Spots, wo eher früher als später zu Vandalismus kommen wird. Da macht sich industrielle Massenware besser, die schnell und günstig ausgetauscht werden kann.



    Ich sehe auch immer den Zustand vor, während und nach dem Umbau: Es wird immer besser und ich bin als häufiger Nutzer des Ostkreuzes mehr als zu Frieden. Massig Platz und trocken - das zählt!