Bahnhofsviertel auf Metaebene

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    Darüber hinaus gebe ich den Vorrednern völlig Recht, es gibt unendlich viele Winkel im Hbf, die einfach nur widerlich sind. Im Grunde finde ich, vielleicht abgesehen von dem kleinen unterirdischen Stück Hbf-Eingangshalle => Kaiserstraße, die B-Ebene mit ihren Läden ziemlich entbehrlich. Nicht nur, dass die Decke unheimlich versifft ist, es stinkt auch meistens aus allen Ecken nach diversen menschlichen Hinterlassenschaften, und zwar nicht zu knapp. Von obskuren Gestalten ganz zu schweigen. Viele der Treppenaufgänge in den Randbereichen haben uneinsehbare dunkle und dreckige Winkel, die Läden werden zu den Randlagen hin immer ramschiger, alte Rolltreppen sind mit Blech zugekleidet…


    Gute Beschreibung des Ist-Zustands! Diesen Zustand nachhaltig zu ändern dürfte Jahre wenn nicht gar Jahrzehnte erfordern, denn bauliche Änderungen könnten letztlich nicht fruchten, wenn auch das Umfeld - sprich das Bahnhofsviertel - sich nicht gewaltig ändert. Vor allem das Rotlicht- und Drogengewerbe müsste verlagert (bzw. im besten Falle gelöst oder wenigstens entschärft werden) werden. Insgesamt müsste also eine weitere Fortführung der Aufwertung des Bahnhofsviertels stattfinden.
    Eine Herkules-Aufgabe wie ich finde.


    Wie könnte eine Alternativ-Lösung aussehen? Du hast es schon angedacht:


    Und wenn man das ganze schon nicht dicht machen will, was wegen der Auf- und Abgänge zur S- und U-Bahn gerade im nördlichen Bereich zugegeben schwierig wäre, sollte man wenigstens überlegen, wie man es offener und heller gestalten kann.


    Meiner Meinung nach sollte man ernsthaft überlegen all die Bereiche abzutrennen bzw. dicht zu machen, die nicht für die Zu-/Abgänge erforderlich sind und zwar rigoros. In Betracht käme vor allem der gesamte südliche Bereich und unnötige Flächen & Ecken im nördlichen Bereich.

    ODER: Vielleicht könnte man ja auch die Flächen so konzipieren, das die Läden, Reisebüro etc. nur jeweils einen kurzen Schaufenster- und Eingangsbereich haben (also nicht breit sind) und dafür stärker in die Tiefe gehen und auch deutlich mehr Fläche haben. Man könnte ja so die öffentlichen (Durchgangs-)Flächen und tote Ecken in der B-Ebene reduzieren und damit auch mehr Lebendigkeit schaffen, was wiederum das Sicherheits- und Wohlfühlgefühl erheblich steigern dürfte. Eine weitere positive Konsequenz wäre, dass von den "schrägen Gestalten" keiner mehr auf die Idee kommen dürfte irgendwo Flüssigkeiten abzulassen oder Drogengeschäfte zu tätigen, weil sie nun mal nicht ungestört wären.

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    Eines ist klar: Wenn man nun schon an der verkehrsumtosten Adickesallee, an Bahngleisen oder auf Autobahndeckeln Wohnprojekte bauen will, fristet das Bahnhofsviertel weiterhin ein ungerechtfertigtes "Schattendasein". Dieses verborgene Potenzial ist eine Verschwendung ersten Ranges, da Frankfurt von einer Aufwertung enorm profitieren würde. In Zeiten von weichen Standortfaktoren und teurem Städtemarketing ist die Gegend als erster Eindruck bzw. "Visitenkarte der Stadt" nämlich weiterhin untauglich und, wenn man ehrlich ist, geschäftsschädigend.


    Sicherlich haben "Hipster" und Kulturschaffende das Viertel schon längst entdeckt und an der lebendigen Münchner Strasse, die an Kreuzberg erinnert, geht's in die richtige Richtung. Gemessen an der akuten Wohnungsnot und an der perfekten Lage des Viertels (Mainnähe!!!), entstehen allerdings nach wie vor deutlich zu wenige Wohnprojekte. Das ist unverständlich, denn viele veraltete Bürobauten betteln geradezu nach einer Umwandlung oder gleich nach einem Komplettabriss. Der nächste Kandidat ist der bald leere Bürobau von "Allianz Global Investors" und der eine oder andere Ladenhüter entlang der Taunusanlage.


    In diesem Zusammenhang habe ich eine Frage ans Forum. Derzeitig werden im Bahnhofsviertel nur 2.187 Einwohner gezählt (Quelle: Wiki) mit einer Dichte von 4.166 Einwohnern/km², also gut ein Viertel der Dichte von Nordend-Ost mit 15.482 Einwohnern/km². Gibt es Quellen, die angeben, wieviele Einwohner vor den "Rotlicht"-Zeiten hier lebten?

  • Golden Age: In den vergangenen 5 Jahren war auch ich einer der 2.200 - das urbanste Dorf, das ich kenne.


    Leider kann ich die Quelle nicht aus dem Handgelenk schütteln, doch meine ich gelesen zu haben, dass das Bahnhofsviertel vor dem Krieg über 15.000 Einwohner zählte - oder zumindest für so viele geplant war.


    Edit, eine Quelle ward gefunden, Stadtplanungsamt: Städtebauliches Entwicklungskonzept "Bahnhofsviertel" - hier ist die Rede von geplanten 11.000 Einwohnern


    Edit #2, der Spiegel mit einer humoristischen Einlage: 20.000 Einwohner im Viertel!

  • Vielen Dank für die Quelle. Das Stadtplanungsamt berichtet darin auch, dass sich die Bevölkerung des Viertels in den 90er Jahren von 5.000 auf 2.400 mehr als halbiert hat. Aus heutiger Sicht eine unfassbare, ja skandalöse, Entwicklung. Diese wurde gefördert durch eine traumwandlerische Politik des Wegschauens und ist von Ober-Bürgermeistern wie Brück (CDU), Hauff (SPD) oder von Schoeler (SPD) zu verantworten. Ich rechne Petra Roth hoch an, dass sie das 80er Jahre "Krankfurt"-Image nicht nur offensiv angegangen ist, sondern mit dem Fördermittel-Programm "Stadtumbau Hessen" und dem =7115143"]Stadtteilbüro "Butter bei die Fische" gegeben hat. Allerdings kam diese Politik erst relativ spät in ihrer 17-jährigen Amtszeit zum Tragen. Zudem ist es zu wenig, wenn man sieht, dass die Bewohnerzahl sogar nochmal um 200 Personen gefallen ist.


    Ich erwarte nicht, dass das Bahnhofsviertel zu einem "zweiten Nordend" wird, denn auch andere Städte haben mit ihrer Bahnhofsumgebung Probleme (z.B. München, Hamburg), aber eine Verdopplung auf 5.000 Einwohner sollte zumindest mittelfristig das Ziel sein. Das Thema "Nachverdichtung" ist in keinem anderen Viertel angebrachter, denn Platz ist hier noch vorhanden. Die Stadt kann zwar keine Entscheidungen für private Eigentümer treffen, aber durchaus bei der Infrastruktur eingreifen. Daher sollte man schleunigst mit dem Umbau des verranzten Bahnhofvorplatzes beginnen um Impulse für weitere Investoren-Aufwertungen (wie die Hängepartie um "K.58") und ein Aufbruchsignal für das gesamte Viertel vorzugeben.


    Ich wohne seit 20 Jahren in Frankfurt, da ist man vielleicht in vielerlei Hinsicht (z.B. Dynamik in fast allen Stadtgebieten) etwas verwöhnt, aber bin von der trägen Entwicklung in diesem Viertel durchaus negativ überrascht. Es verläuft nach dem quälend langsamen Prinzip "Zwei Schritte vor und 1,5 Schritte zurück". Das mag auch eine Art von Fortschritt sein, aber in diesem Tempo dauert es nochmal 20 Jahre bis man auf 5.000 Einwohner kommt.


    Eine Diskussion oder Anregungen zum Thema "Bahnhofsviertel" ist willkommen. Das darf ruhig als Aufforderung verstanden werden 3-4 Sätze zu posten und aktiv zu partizipieren.

  • Förderung des Bahnhofsviertels - Sand im Getriebe

    Auf der Webseite des Stadtplanungsamts zum "Stadtumbau Bahnhofsviertel" sind leider nur noch veraltete Informationen zu erhalten.


    Hier die Historie:


    2004: Planungslabor mit öffentlicher Beteiligung sowie städtisches Förderprogramm (10 Mio Euro)


    2005: Rahmenplan "Wohnen im Bahnhofsviertel" wird umgesetzt


    2006: Einbindung ins städtebauliche Entwicklungskonzept


    Bis 2012: Das auf insgesamt 20 Mio. Euro aufgestockte städtische Förderprogramm läuft aus


    Ab 2012: Phase-Out???


    Eine Fortsetzung dieser bisher lobenswerten Chronologie über das Jahr 2012 hinaus scheint nicht in Aussicht zu sein, was ich als schwerwiegenden Fehler sehe. Ob Rhein oder Feldmann, man wird auf die Sparbremse drücken wollen und würde dem Viertel einen Bärendienst erweisen. Gerade als man aus einem 40 Jahre dauernden Dornröschenschlaf aufzuwachen scheint, wäre der Zeitpunkt für ein "phase-out" besonders ungünstig.


    Das Bahnhofsviertel ist und bleibt, sind wir ehrlich, das unangefochtene "Stiefkind Frankfurts". In einem für 11.000 bis 15.000 geplanten Viertel, dass nur von 2.200 bewohnt wird, läuft etwas grundlegend falsch. Jedes Mal, wenn ich dort umher laufe, trifft es mich, wie viel mehr man aus diesem zentral gelegenen "Rohdiamanten" rausholen könnte. Man "verschenkt" ganze Wohnblöcke an einfachste Nutzungskonzepte. Der rücksichtslose Umgang mit teilweise wunderbar erhaltenen Altbauten ist teilweise schmerzhaft mit anzusehen.


    Es dürfte jedem klar sein: Ohne weitere finanzielle Anreize wird es schwer den eingeschlagenen Weg der Sanierung fortzuführen. Schlimme Ecken wie die Niddastrasse machen schon mit Zuschüssen keinen guten Eindruck, wie soll es erst ohne Förderprogramm werden? Ebenso befinden sich zentrale Maßnahmen wie der Bahnhofsvorplatz oder Busbahnhof in der Schwebe. Diese Unklarheit sollte man schnellstens auflösen und vielleicht ein neues Online-Planungslabor ins Leben rufen.

  • Drogenproblematik: Anwohner fühlen sich bedroht

    Wie die Faust aufs Auge passt derzeit der gestrige Artikel in der FNP mit der Überschrift "Im Bahnhofsviertel geht die Angst um". Leider macht das Bahnhofsviertel seinem Ruf derzeit wieder alle Ehre und ist ein schlimmer Rückfall in die Steinzeit der frühen 90er Jahre.


    In einem offenen Brief mit 84 Unterzeichnern bzw. Anwohnern wird auf die zunehmende Drogenproblematik und ansteigende Kriminalität aufmerksam gemacht. Es ist ein Hilfeschrei in dem von "Angst, Fixerei und Dealerei auf offener Straße, verbale und körperliche Angriffe" berichtet wird. Ebenso ist man mit der jetzigen Drogenpolitik unzufrieden: "Die als Frankfurter Weg bekannte Drogenpolitik als Mischung aus Hilfe und Repression ist nicht ausreichend" und "Die erhöhte Polizeipräsenz scheint nicht zu helfen." Hier wird augenscheinlich ein Zeugnis des Scheiterns ausgestellt, besonders wenn die Beispiele für den Verfall erläutert werden.


    Auch die Leserkommentare unter dem FNP Artikel sind besorgniserregend. Dort wird berichtet, dass sich die Drogenszene mittlerweile bis zur "Taunusanlage/Willy Brandt Platz, runter zum Mainufer (Westhafen!) und bis hin zur Straßen- und U-Bahn Festhalle/Messe" erstrecken soll. Wenn das so stimmen sollte, ist das natürlich ein unhaltbarer Zustand und eine glatte Bankrotterklärung. Ganz besonders schlimm ist das folgende Zitat des Briefes: "Wir fühlen uns nicht mehr sicher in unserem Zuhause, in unserem Viertel. Es ist uns nicht mehr möglich, hier unbeschwert zu leben."


    Jetzt zeigt sich, dass man sich noch so sehr über kosmetische Fassadensanierungen und Ansiedlungen von Starbucks und Studentenwohnheimen freuen kann, ohne eine wirkungsvolle Drogenpolitik entpuppen sich diese Errungenschaften als reine "Pyrrhussiege". Scheinbar stellt die Drogenszene für Passanten, Schüler und Anwohner wieder eine echte Bedrohung dar. Die "laissez faire" Deeskelation gegenüber den Fixern und Dealern hat seine Schuldigkeit getan und muss sich nun einer neuen Realität anpassen. Ich würde mich freuen, wenn Frankfurt sich nun bereit zeigt von anderen Städten zu lernen (Beispiel Zürich) oder die Landespolitik einschaltet, da man dem Problem nicht mehr gewachsen ist.


    Fazit: Das Bahnhofsviertel droht wieder in schon längst überwunden geglaubte Zeiten abzurutschen. Jetzt wird man sehen, ob die Stadtpolitik bereit ist aus Fehlern zu lernen und den noch verbliebenen Anwohnern Hilfe anzubieten.

  • Ich arbeite im Bahnhofsviertel und erlebe es demnach arbeitstäglich hautnah. Die Dramatik des Artikels kann ich nicht bestätigen. Problematische Viertel waren und sind nach wie vor der Bahnhofsvorplatz und das Kaiserstraßenende sowie die nördliche Moselstraße. Abends kommt mehr oder weniger die gesamte Taunusstraße dazu. Die Kaiser- und Münchener Straße hingegen entwickeln sich zusehends zu lebendigen und angenehmen Vierteln. Ich würde hier sogar von einer sehr deutlichen Gentrifizierung reden. Man betrachte sich Fotos der Münchener Straße vor 10 Jahren.


    Einzig die Entwicklung der Taunusanlage südlich des Taunustors als Problemgegend würde ich bestätigen. Hier tritt insbesondere Abends die Drogenszene zum Vorschein. Ganz offenbar wird sich das mit der Eröffnung des Taunusturms samt Wohnturm allerdings verändern. Möglicherweise wird die Szene dann weiter nach Norden - Taunusanlage zwischen Taunustor und Mainzer Landstraße - ziehen.

  • ^ Besagter Artikel bezieht sich ja auf den Offenen Brief der Anwohner und stellt keine Analyse des Bahnhofsviertels dar. Das Problem zwischen Anwohnern und Szene wird sich mit der weiteren Schaffung von neuem Wohnraum in Zukunft sicher noch verschärfen. Böses Stichwort: Gentrifizierung.

  • Als Ex-Viertelbewohner bin ich noch regelmäßig dort unterwegs und ebenfalls epizentrums Meinung, dass sich die Situation nicht verschlechtert hat - in Sachen Drogenszene allerdings auch nicht verbessert. Vor sechs Jahren war es noch wirklich übel, Münchener - und die Nebenstraßen waren noch von Crack- und Heroinusern sichtbar "bevölkert", das hat sich deutlich entspannt, und die (dezente!) Gentrifizierung begann mit kaum einem Jahr Verzögerung.


    Allerdings stagniert der Status seit rund vier Jahren, und es ist eine erneute "Belagerung" der Taunusanlage zu beobachten (seit etwa zwei Jahren) - ich denke dies führt zu einer Unzufriedenheit in der Bevölkerung.


    Auf der anderen Seite muss man natürlich 84 Unterschriften in das korrekte Verhältnis zu 2.200 Einwohnern und den sicher 10.000 Menschen zusätzlich, die sich hier tagsüber dauernd aufhalten, setzen.

  • Überschwängliche Berichterstattung zum Viertel ist unglaubwürdig

    Sicherlich kann man geteilter Meinung sein, ob der "offene Brief" nun wirklich so repräsentativ ist. Ebenso ist es unbestritten, dass die Münchner Strasse der "Gewinner" des Viertels ist. Es ist ja auch ein Vertrauensbeweis der Bahn, dass man sich quasi in der Mitte des Viertels niederlässt. Die Schulterklopfer müssen aber angesichts der neusten Entwicklungen so langsam aufhören.


    Besonders von der verklärenden Haltung in den Frankfurter Medien gegenüber dem Viertel sollte man sich verabschieden. In diesem Stadtteil-Porträt der Frankfurter Rundschau vom Dezember wird Frankfurts kleinster Stadtteil (52 ha) nach dem Flughafen als das "spannendste Quartier der Stadt" bezeichnet. Das ist für mich eine klare Verharmlosung und bewusste Verklärung der teilweise ekligen Zustände des Viertels. Genau diese Argumentation ist es, die der Selbstzufriedenheit und Untätigkeit in der Stadtpolitik Vorschub leistet. So wird das Problem in "Frankfurts Herzen" immer noch bewusst bagatellisiert und klein geredet in typischer Sesselpupser-Manier.


    In diesem Zusammenhang ärgert mich auch, dass im "Journal Frankfurt" und "Prinz" und anderen Lifestyle-Magazinen hauptsächlich vordergründig über den "angesagten Kiez" geschwafelt wird. Es ist ja schön, dass man sich über Szene-Bars und Bubble Tea freut, aber die Leichtfertigkeit, mit der man das offensichtliche Drogenproblem beschwichtigt, treibt mir die Zornesröte ins Gesicht. Die beinahe überschwängliche Berichterstattung über die Bahnhofsviertel-Nacht fällt da in die Kategorie des Gefälligkeitsjournalismus und der typischen Hype-Maschinerie, die letztendlich den Maklern zugute kommt. Immer wieder wird zwanghaft versucht Parallelen zur Reeperbahn zu ziehen, die ja Hamburgs Touristenmagnet Nummer 1 ist. Diese Art von undifferenzierter Schwärmerei wird nun hoffentlich einen Dämpfer erhalten, denn das Bahnhofsviertel ist Lichtjahre davon entfernt ein Touristenmagnet zu werden. Das sollte man sich in Frankfurt ein für alle mal hinter die Ohren schreiben.

  • Einspruch! Aber selbstverständlich ist das Viertel ein Touristenmagnet, man darf aber selbstverständlich die Frage stellen, ob unbefriedigte Vordertaununsbewohner oder JunggesellInnenpartys das Publikum sind, das die Stadt sich wünscht.


    Aber diese Kundschaft ist vorhanden, und das nicht zu knapp. Die vielen, vielen (stinknormalen) Hotels im Bahnhofsviertel sprechen ebenfalls eine deutliche Sprache.


    Die tolerante Drogenpolitik Frankfurts hat nicht nur schlechte Seiten - ich persönlich finde es gut, dass dieser Teil der Bevölkerung nicht noch mehr an den Rand gedrängt wird, als sie es sowieso schon sind. Der Erfolg der letzten 20 Jahre ist es doch gerade, dass ein weitgehend problemloses Nebeneinander geschaffen wurde. Dass immer wieder justiert werden muss, sollte verständlich sein. Dass die User von illegalen Drogen zu 99% lediglich ein optisches Problem darstellen, wird auch gerne vergessen - die Stimmung in Altsachsenhausen ist nach meiner Erfahrung viel agressiver!


    Das Bahnhofsviertel wird nie wieder eine bevorzuget Wohnlage von Familien werden - muss es auch nicht. Das Rotlichtmilieu ist da und es sollte auch bleiben. Als Single oder kinderloses Paar kann man dort großartig leben, und ich freue mich über jeden positiven Bericht!

  • Schön und gut, aber...


    1.) Die letzten Posts haben davon berichtet, dass sich das Problem in den letzten vier Jahren nicht "verbessert" hat. Selbst die östliche Kaiserstrasse als Einfallstor bekommt das Problem nicht in den Griff. Das ist schon ein Anzeichen, dass an den Bedenken der 84 Anwohner etwas dran sein muss und diese vielleicht keine isolierte Einzelmeinung darstellen. Im Forum wird ja oft zurecht Nimby-Verhalten kritisiert, aber in diesem Fall sollte man lieber abwarten und den Ernst der Lage erkennen.


    2.) Es wurde ebenso oben bestätigt, dass die Taunusanlage abends wieder zu einem Drogentreffpunkt wird. Das alleine sollte schon ausreichen um von einer empirischen Verschlechterung sprechen zu können. An diesem Engpass gehen nämlich die EZB-Zetralbanker, Mainufer-Jogger und Besucher des Living XXL, English Theater oder Oper Frankfurt entlang. Tishman Speyer möchte zudem seinen Wohnturm vermarkten, wobei eine Drogenszene vor der Haustür nicht förderlich sein dürfte. Eine Verlagerung der Fixer in Richtung Mainzer Landstrasse und vielleicht sogar Alte Oper kann zudem keine ernst zu nehmende Lösung darstellen.


    3.) Wieso sollen Familien nicht auch hier wohnen dürfen, gerade wenn sich das Viertel Toleranz auf die Fahne geschrieben hat? Schließlich gehen 200 Grund- und Hauptschüler zur Karmerliterschule an der Moselstrasse, die schon seit 1902 dort steht. Ebenso versteht sich Frankfurt als familienfreundliche Stadt und möchte junge Familien sicherlich nicht nur am Riedberg ansiedeln. Letztlich ist es aber bezeichnend, dass es nicht einen einzigen Spielplatz im Viertel gibt. Überhaupt wurde erst mit dem Westhafen eine familienfreundlichere Infrastruktur (samt Rewe, Kita, Ev. Kirchenzentrum) errichtet, die aber für die meisten nur schwer erreichbar ist.


    Ich möchte nicht falsch verstanden werden. Ich plädiere nicht für eine "Zero Tolerance Policy" wie sie Rudy Giuliani in New York am einstigen Drogen-Hotspot Times Square praktiziert hat. Ich möchte nur, dass man die 84 Anwohner ernst nimmt und sie zumindest anhört. Ein "Weiter So" darf es jedenfalls angesichts der oben angesprochenen Fälle nicht geben.

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  • Da möchte ich gerne Punkt für Punkt zu Stellung nehmen.


    Aber zuvor: Ein Zeichen dafür, dass es sich bei dem Bahnhofsviertel nicht um ein gewöhnliches Quartier handelt, mag sein, dass es zu keinem anderen Viertel hier solche spannenden Diskussionen gibt :)


    1.) Die "Belagerung" des Kaisersacks... absolut wiederlich. Da kann ich nur zustimmen. Ich sehe zur Zeit leider nicht, dass jemand Bahnhofsvorplatz und Kaisersack in den Griff zu bekommen versucht. Mir würden einige einfache und sozialverträgliche Optionen einfallen, um unsere Visitenkarte zu verschönern - aber ich bin nicht bei Dir, dass dies ein originäres Bahnhofsviertel-Problem ist.


    2.) Die Taunusanlage wurde schon einmal aufgeräumt - und dafür wird es wieder Zeit. Das ist genau das, was ich mit "justieren" meinte. (ot: Das Occupy-Camp könnte man gleich mit renaturieren)


    3.) Ich weiß nicht, warum muss jedes Viertel familienfreundlich sein? Ich wohne heute im familienfreundlichen Reihenhaus, bei entsprechender finanzieller Ausstattung hätte ich ehrlich gesagt gerne auf dieses adjektiv verzichtet ;) Es gibt im übrigen einen Spielplatz einen sehr coolen noch dazu: An der Karmeliterschule. In wie weit das Mainufer noch zum Viertel gehört, darüber bin ich mir nicht sicher - aber auch hier haben Kinder Spielgeräte und Auslauf. Aber ehrlich gesagt - ich bin nicht wegen Nachwuchs aus dem Bahnhofsviertel weggezogen, aber Kinder wären für mich ein klarer Grund dafür gewesen. Ich würde meine Nachkommen gerne auch bedenkenlos auch alleine laufen lassen, und das kann man dort nur als moralisch gefestigter, erwachsener Mensch.


    Die "81" durfte ich schon bei einem Workshop des Stadtteilbüros erleben. Okay, nur ein paar davon. In dieser Runde gab es einige sehr deutliche "Law and Order"-Wortführer, von denen kein einziger (!) auch wirklich im Viertel lebte. Eingebremst wurden sie übigens von türkischen Geschäftsleuten, die sehr klar machten, dass Problem nicht die Drogies seien ("Die klauen mir ab und zu einen Apfel oder ein Bier - das stört mich nicht, die machen keinen Ärger") sondern agressive, pöbelnde und pinkelnde Betrunkene, aber: Wo es einen gigantischen Bahnhof gibt, Kneipen und Leben - wie will man das vermeiden?



    P.S.: Erstklassige Freitags-Diskussion, aber ich muss jetzt leider ein bisschen arbeiten ;(


  • Gibt es Quellen, die angeben, wieviele Einwohner vor den "Rotlicht"-Zeiten hier lebten?


    Ja, die gibt es, es sind die Statistischen Jahrbücher der Stadt, welchen zu entnehmen ist, dass das Bahnhofsviertel (Stadtbezirk 9, heute: 090) im Grunde seit 1925 kontinuierlich Einwohner verliert. Ich mal einige Zahlen herausgesucht:


    1910: 11.420 (Volkszählung)
    1912: 11.600
    1925: 11.496 (Volkszählung)
    1932: 9.710
    1939: 9.415
    1950: 7.452
    1956: 6.437
    1964: 6.071
    1969: 5.543
    1974: 3.942
    1984: 2.936
    1995: 5.035
    1998: 3.305
    2009: 2.125


    Der Pik im Jahr 1995 dürfte auf Asylbewerber und die Flüchtlinge aus Ex-Jugoslawien zurückzuführen sein. Hinweis: die westliche Grenze des Bezirks ist die Wiesenhüttenstraße, nicht die Baseler Straße. Der Bezirk ist also "amtlich" etwas kleiner als das, was gemeinhin mit Bahnhofsviertel bezeichnet wird.

  • Danke für die Antwort.


    Zu Punkt 1: Eine Möglichkeit wäre den Kaisersack wieder aufzubrechen und für den Autoverkehr freizugeben. Die Rumlungerei an dieser Stelle ist eine ganz miese Visitenkarte für die Stadt besonders nach 18 Uhr. Leider wird man wohl erst warten bis am Sankt-Nimmerleinstag das Konzept von schneider + schumacher zum Vorplatz umgesetzt wird.


    Zu Punkt 2: Einverstanden, die Taunusanlage sollte die Top-Priorität haben. Hoffentlich sehen das Rhein oder Feldmann auch so. Bei der Renaturierung des Occupy-Camps bin ich anderer Meinung, da man diese nicht mit der "Szene" über einen Kamm scheren sollte. Solange keine Delikte von dort ausgehen und es friedlich bleibt, hat das Occupy-Camp genauso viel Berechtigung wie eine 17 Millionen Auszahlung an einen Herrn Winterkorn.


    Zu Punkt 3: Da sind wir beim Thema, dass mir eigentlich das Anliegen ist, besonders da 1995 noch doppelt so viele Menschen im Bahnhofsviertel lebten. Frankfurt leidet unter chronischer Wohnungsnot und will mittlerweile selbst an Bahngleisen oder an/auf Schnellstrassen verdichten (Adickesallee/A661). Der Trend geht in die Stadt und dürfte sich im nächsten Jahrzehnt sogar noch verstärken mit enormen Auswirkungen auf die Wohnungspreise. Damit kann sich die Stadt auch nicht mehr leisten im Herzen ihrer City ein Viertel zu haben, das von weniger als 2.200 bewohnt wird, aber für mehr als 11.000 konzipiert wurde. Nicht zuletzt steht in Frankfurt deutlich mehr Büroraum leer als in fast doppelt so großen Städten wie Hamburg oder München, die unter ähnlicher Wohnungsknappheit leiden. Die Umwandlung des Bahnhofviertels um mehr Wohnraum zu schaffen ist nicht mehr eine Frage des "ob", sondern des "wann".

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  • Feldmann würde allenfalls kostenloses Mittagessen für die Fixer fordern, wie eine Leserin des FNP-81er-Artikels treffend kommentierte. Ich hoffe inständig, dass Frankfurt dieser Amateur und Traumtänzer erspart bleibt.

  • ... Die Umwandlung des Bahnhofviertels um mehr Wohnraum zu schaffen ist nicht mehr eine Frage des "ob", sondern des "wann".


    Das würde ich bezweifeln:


    Die Bemühungen zur Reurbanisierung oder Revitalisierung (oder wie immer man es nennen will) des Bahnhofsviertels unterschieden sich heute kaum von denjenigen, die von Mitte der 70er bis Anfang der 90er Jahre in anderen "Problemvierteln" Frankfurts unternommen wurden (Bockenheim, Gutleut, Ostend, Heiligkreuzgasse, Gallus), was seinerzeit Sanierungsgebiete und Gebiete einfacher Stadterneuerung waren. Der Befund ist immer derselbe: der Einwohnerschwund ist die Folge eines Rückstandes der betreffenden Viertel zu anderen Stadtteilen in puncto Wohnumfeld, festzumachen an überalterter Bausubstanz, Instandhaltungs- und Modernisierungsrückständen, Mangel an Freiflächen, konfliktbehafteter Nutzungsmix und was noch alles zu nennen wäre. Die Folge ist eine hohe Fluktuation, als deren Folge sich ein besonders hohes Mietniveau einstellt. Früher hat man das mal als städtebaulichen Missstand bezeichnet.


    Der Unterschied zu den früheren Sanierungsgebieten: die Stadtplaner haben praktisch kein Geld, um irgendwelche Projekte aus öffentlichen Mitteln anzuschieben oder auch nur zu bezuschussen und sind deshalb zu 100% auf die Mitwirkung Privater angewiesen. Wer könnte das sein? Durch die planungsrechtliche Ausweisung als "MK" mit Einsprengseln von "WB" lastet ein großer Verwertungsdruck auf den Liegenschaften. Und unter dem Regime hoher Bodenpreise und der daraus folgenden Logik von Zins und Tilgung ist der Spielraum für Veränderungen denkbar gering.


    Um die Einwohnerzahl um rd. 3.000 auf ca. 5.000 zu erhöhen, müssten rd. 115.000 m² Wohnfläche (= 3.000 Personen x 38-40 m²/Person) gebaut oder umgenutzt werden. Das dürfte so ungefähr einer Zahl von um die 150-200 Wohngebäuden entsprechen, je nach Grad der Mischnutzung (= EG + 1 OG Läden und Büros, darüber Wohnen) kann die Zahl stark schwanken (das dürfte mehr sein als alle Bordelle und Hotels zusammen). Ist das realistisch? Zeig mir wenigstens 20 oder 30 Häuser, die dafür in Frage kommen.

  • Die Rechnung ist interessant. Laut diesem äußerst lesenswerten Bericht der Frankfurter Rundschau vor 2 Jahren wurden zum damaligen Zeitpunkt bereits 24 Häuser mit 200 Wohnungen gefördert. Der Stadt lagen zudem bereits 131 Anträge für ein zinsloses Darlehen vor. Bei einer besonders langfristigen Wohnnutzung darf ein Teil dieses Darlehens zum Zuschuss umgewandelt werden.


    Wenn also zwischen den Jahren 2005-2010 bereits 200 Wohnungen gefördert wurden, bedeutet das eine Jahres-Wachstumsrate von 40 Wohnungen. Damit wären wir im Jahr 2012 bei ungefähr 280 Wohnungen in 7 Jahren. Das ist eine ganze Menge. Mit einer Verteilung 1/3 Single, 1/3 Paare und 1/3 4-Kopf Familien, wären wir ca. bei 650 neuen Einwohnern. Das ist keine kleine Zahl, aber zeigt wie viel mehr gemacht werden muss. Es muss zudem nicht zwangsweise bei einem solch moderaten Wachstum bleiben. Ein Wohnhochhaus am Campanile-Standort wäre beispielsweise denkbar. Alleine im "K.58" sollen zudem 38 neue ETWs entstehen, ein Projekt mit Vorbild-Charakter?


    Übrigens ist das Ziel der Um- bzw. Rückwandlung vieler Gebäude zu Wohnhäusern und Aufwertung bestehender Wohnungen lediglich ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Wohn-, Arbeits- und Geschäftsräumen zu erhalten. Auch am Beispiel der Weserstrasse 2 (11 bis 12 Euro pro qm nach der Sanierung) kann man sehen, dass es keineswegs immer eine Luxus-Sanierung und Verdrängung sein muss. Geförderte Projekte MÜSSEN sogar deshalb ortsübliche Vergleichsmieten gewährleisten. Das ist äußerst fair gegenüber den Bewohnern und sollte daher dringend auch nach 2012 fortgesetzt werden. Ich wage zudem zu bezweifeln, dass kein Geld dafür vorhanden ist, denn das Fördermittel-Programm "Stadtumbau Hessen" der Landesregierung steht auf solidem Grund.


    Wenn nur erreicht wird, dass Leerstand in besten Lagen des Viertels nicht mehr leichtfertig hingenommen wird und lediglich Büronutzungsmöglichkeiten gesucht werden, ist das schon eine ganze Menge.

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